Anfang Oktober reisen wir, nach einer dreiundzwanzigjährigen Pause, wieder nach Marokko. Was wird uns dort erwarten? Werden die Kinder am Strassenrand weiterhin uns um «Stylos» und «Bombons» betteln? Werden wir weiterhin in den Medinas von den Ladenbesitzern zum Kauf «bedrängt»? Wird sich die seinerseits prekäre Hygiene verbessert haben? Werden wir noch auf «Bergen» von Müll, die die wunderschönen Landschaften Marokkos verschandelt haben, antreffen? Wie wird Marokko nach zwei «deftigen» Covid-Jahren die Touristen heute empfangen?
Fragen über Fragen.
Womit anfangen mit unserem Fazit? Zu viele sind die Eindrücke, die Erfahrungen, die Bilder, die Gefühle, die in unseren Köpfen wild «herumschwirren». Wir versuchen anhand eines «strukturierten» Kommentar etwas Ordnung zu schaffen.
Infrastruktur
Der König Mohammed IV hat in den letzten zwanzig Jahren Vieles in die marokkanische Infrastruktur investiert. Am offensichtlichste für uns ist die «Elektrifizierung» der Bergregionen. Spannungsleitungen sind in fast allen von uns befahrenen Täler des Hohen und des Antiatlas anzutreffen. Dörfer verfügen Mittlerweile über Strom und nicht selten sind die Dorfstrasse mit solarbetriebenen Kandelabern beleuchtet. Telefonmasten «dekorieren» häufig die Bergkämme und wir reisten selten ohne Telefonempfang (Maroc Telecom).
Uns haben die farbigen Schulen sehr viel Freude gemacht. Die Schulgebäude sind mit einer Mauer umzäunt, die mit fröhlichen Farben, Trickfiguren oder einfach mit Zahlen bemalt sind. Jedes Dorf, auch wenn es klein ist, hat mindesten ein Schulkomplex (Primarschule). Führen wir bei Schulschluss hier vorbei, sahen wir Trauben von Kindern mit ihren farbigen Rücksäcken, die von ihren Eltern oder grösseren Brüdern abgeholt wurden.
Vieles wurde auch im Strassenbau investiert. Diverse Pisten sind heute geteert, andere wurden erweitert, um das lokale Verkehr und die Zugänglichkeit zu Dörfern auch bei miesen Witterungsbedingungen zu vereinfachen. Leider lässt sich über die «Qualität» dieser Investitionen diskutieren. Abgesehen von den Hauptverbindungen, die über zwei geteerten Fahrspuren mit einem befestigten Untergrund verfügen und die breit genug sind, um zwei entgegenkommende Fahrzeuge (inklusiv LkW) ohne zu zirkeln kreuzen zu lassen ohne ausweichen zu müssen, haben wir ein Kaleidoskop von Strassenzuständen angetroffen.
Der typische Strassenzustand ist solcher einer schmalen geteerten Fahrbahn inmitten der Strasse, die nur für ein einziges Fahrzeug breit genug ist. Bei diesen Strassen handelt es sich häufig nur um eine Schicht Teer, die direkt auf den Untergrund (ohne weitere Vorbereitungsarbeiten) ausgetragen wurde. Nicht selten trifft man hier auf tiefe, durch schwere Lastwagen, verursachte «Teer-Wellen».
Links und rechts dieser geteerten Fahrbahn liegen zwei mehr oder weniger breiten Streifen Naturboden. Manchmal sind diesen mit einer Schicht Kies bedeckt, häufig handelt es sich aber nur um nackten Boden. Da zwei entgegenkommende Fahrzeug sich die geteerte Streife «streitig» machen, muss häufig der «schwächere» der beiden auf die ungeteerte Streifen ausweichen, um eine Kollision zu vermeiden. So ist die Hierarchie klar festgelegt. Lastwagen bedrängen die Kastenwagen, die ihrerseits die Personenwagen bedrängen, die ihrerseits die Eselkarren bedrängen, die ihrerseits die Fussgänger aufscheuchen. Dazwischen sausen einem die Motorradfahren links und rechts um die Ohren. Übrigens … Lokale bedrängen Touristen. Nicht selten harrt das «Gezänke» um die geteerte Streife in einer Mutprobe. Wer weicht als erster aus?
Dort wo die Witterungsbedingungen hart sind, sind diese Strassen auch mit tiefen Löchern in unterschiedlichen Grössen «geschmückt». Nicht selten haben wir das Gefühl, wir fahren auf eine unendlich lange Scheibe Emmental. Und so kommt es nicht selten vor, dass Pisten in einem besseren Zustand sind als Strassen. Jedenfalls kommt man hier häufig schneller voran.
Offensichtlich hat man auch in Marokko die Nutzbarkeit der Solarenergie entdeckt. Man triff häufig auf solarbetriebene Warmwasser-Aufbereitungsanlagen, die von den Dächern der Lehmhäuser herausragen. Solarstrom wird hauptsächlich für den Betrieb von Strassenlaternen, Telefonmasten und Wasserpumpen benutzt. Da Wassermangeln zu einem ersten Problem, insbesondere im Grenzgebiet zwischen Antiatlas und Wüste, geworden ist, muss Wasser tief aus dem Untergrund gepumpt werden. Dieses Wasser wird dann durch einen filigranen Netzt von Bewässerungsleitungen in die Felder verteilt. Der Staat subventioniert bis einer Grösse von fünf Hektaren die Anlagekosten.
Marokko scheint ein Land im Aufbruch zu sein. Überall wird gebaut. Alte Dörfer verschwinden und nebenan werden neue Quartiere gebaut. In den Ballungszentren von Grossstädten werden die Voraussetzungen geschaffen für den Bau von neuen Stadtteilen. Strassen, Stromkasten und ausgesteckten Parzellen erwarten die solventen Käufer wie ein treuer Hund seinen Herrn.
Lehmhäuser weichen solche aus Backsteinbauten. Kasbahs (mit wenigen Ausnahmen) verfallen wieder zu Staub.
Camping
Wir haben auf unserer Reise unterschiedlichen Camping besucht. Allesamt kann man behaupten, dass, mit wenigen Ausnahmen, sie mittelmässig sind. Zwei Jahren Covid haben deutliche Spuren der Vernachlässigung hinterlassen. Mängel (Infrastruktur und Sauberkeit) haben wir hauptsächlich bei den Toiletten gefunden. Die Preise pendelten zwischen 6 und 14 EU / Tag. In der Nähe von Grossstädten sind diese höher als «auf dem Land».
Dort wo auch Speisen angeboten wurden, waren diese mehrheitlich von guter bis sehr guter Qualität. Internet war überall kostenlos erhältlich und, im Vergleich mit Spanien, auch ziemlich zuverlässig und «rasch».
Hygiene & Sauberkeit
Marokko ist nicht ein Land für zarte Gemüter. Beginnen wir bei den Sanitäranlagen. Bei den Toiletten können wir bei den Campings nur einen Ort loben. Camp Sedrar (GPS: N 30.72183, E -5.47575) südlich von Tazzarine, verfügt über makellos saubere WC-Schüssel und Duschen (und dies galt für jeden Tag unserem Aufenthalt). Gut sieht es in den Auberges und Dars aus, die wir besucht haben.
In den Restaurants haben wir zum Glück nicht immer in die Küchen gesehen. Dort, wo sich die Möglichkeit ergab einen Blick reinzuwerfen, sahen diese eher wir mechanischen Werkstätten als wie Küchen. Zur Verteidigung der Gastronomie, haben wir vom Restaurantessen nie eine Magenverstimmung eingeholt. Diesbezüglich war unsere Strategie, zur Vermeidung jeglicher Kontamination, stets nur Tajines zu verspeisen. Diese werden siedend heiss aufgetischt, sodass sie praktisch keimfrei sind oder sein sollten. Frische Salate haben wir nur dort gegessen, wo wir auch «sicher» waren, dass diese mit sauberem Wasser gereinigt wurden.
Ein Leidenspunkt ist das Abfall-Management. So wie vor dreiundzwanzig Jahren, trifft man in den Dörfern, am Strassenrand, in Trockenflüssen, inmitten von irgendwo immer noch auf Müllbergen. Königin unter dem Abfall ist heute wie damals die Plastik. Abfall wird einfach dort zurückgelassen wo er entstanden ist oder am Dorfrand transportiert und dort ausgekippt.
Nicht selten werden Müllhäufen Mitten im Dorf oder am Dorfrand angezündet und verbrannt. Nebenan grasen Schafen, spielen Kinder oder Hunden suchen nach etwas verwertbares. Eine dicke und stinkige Rauchwolke umhüllt dann das ganze Dorf. Es scheint, dass die Abfallentsorgung, so wie wir sie hier in die Schweiz kennen und grundsätzlich praktizieren, in die Köpfen der Menschen noch nicht angekommen ist. Leider! Es ergeben sich häufig erbärmliche Bilder, die den Reisenspass trüben. Es gibt aber ein Silberstreifen am Horizont. Neben vermüllten Landschaften und Dörfer haben wir, und dies nicht selten, auch auf blitzblanken Gemeinden getroffen. Hier sahen wir keine einzige Cola-Dose am Strassenrand liegen, kein Plastiksack in den Ästen der Arganbäume oder der Wüstensträuchen hängen, keine Glasscherben vor den Haustüren verstreut, kein Bauschutt im Bett eines ausgetrockneten Flusses gekippt.
Fahrstyl & Fahrzeuge
Stellvertretend für den marokkanischen Fahrstil ist unsere Abenteuer durch den Verkehr von Marrakesch: Blinker werden kaum gestellt, dafür ist die Hupe das meistgenutzte Werkzeug. Stände pro Sitz und Mitfahrer eine solche zur Verfügung, würden diese allesamt eingesetzt. Man hupt, um zu warnen «Ich bin hinter dir!», um einen Verkehrsteilnehmer zu vertreiben «Mach Platz!», um an einer Ampel den vorderen Wagen zum Wegfahren zu animieren «Beweg endlich deinen Arsch!» oder man betätigt die Hupe einfach aus Freude am Hupen. Zudem sausen Links und Rechts die Motorradfahrer an uns vorbei. Sie tauchen aus dem Nichts auf und hupen, um dir zu sagen «Ich bin hier». Sie quetschen sich zwischen zwei stehenden Autokolonnen durch und zickzacken mit akrobatischen Einlagen hin und her auf der Suche nach der perfekten Fahrbahn. Auf den Motorrädern sitzen eine (meistens ohne Helm), nicht selten zwei (meistens ohne Helm), manchmal auch drei Person/en (zwei Erwachsene + 1-2 Kind/er, meistens ohne Helm). An den Lichtsignalen wird selten angehalten – auch mit Rotlicht nicht.
Autos werden mitten auf der Fahrspur parkiert, um Ware auf- oder abzuladen. Menschen überqueren die Fahrbahn, wo es ihnen gerade passt. Sie nehmen sich dafür viel Zeit und lassen sich von den hupenden Autos nicht aus dem Konzept bringen. Damit nicht genug: Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird zusätzlich von den mit viel Gottvertrauen gesegneten Hunden herausgefordert. Man trifft sie neben der Strasse, am Strassenrand und auf der Strasse, wo sie ganz selbstverständliche eine Runde schlafen, ohne sich um die Welt um sie herum zu kümmern. Fahren ist Millimeterarbeit. Erstaunlicherweise sind wir nur sehr selten Zeuge eines Verkehrsunfalles. Trotzt Chaos, scheint jeder Rücksicht auf den anderen zu nehmen und bemüht sich, ohne Schrammen davon zu kommen.
Bei den Fahrzeugen hat sich viel verändert. Die allgegenwärtigen Renault R4 und die Mercedes-Taxis sind fast vollständig von der Bildfläche verschwunden. Ihr Platz wurde von Dacia-Modelle übernommen. Was sich in den Jahren nicht verändert hat, ist der Ladestyl. Die Fahrzeuge, sei Autos oder LkW, werden bis und wahrscheinlich über der maximalen Ladenkapazität beladen. Unter Berücksichtigung der teilweise prekären Strassenverhältnisse scheint uns wie ein Wunder, dass keine von denen umgekippt oder ein Achsenbruch erlitten hat. Dort wo wir mit Allradantrieb unterwegs waren, trafen wir nicht selten Fahrzeuge ohne 4×4 und ohne entsprechende Bereifung. Flink führen sie trotzdem häufig an uns auf Pisten vorbei ohne Rücksicht auf Verluste.
Sicherheit
Wir haben uns während unserer Reise nie bedroht oder in Gefahr gefühlt. Wir haben aber Reisenden getroffen, die in Zwischenfälle verwickelt waren. Wir können aber die Wahrhaftigkeit dieser Geschichten nicht garantieren.
Menschen
Welche Erfahrungen haben wir mit den Marokkaner gemacht? Zu dieser Frage spalten sich unsere Gefühle. Die wenige negative Begegnungen stellten eine schwerwiegende «Hypothek» im Bezug auf unserer Beziehung zu Ihnen. Die grosse Frage ist, wie aufrichtig sind sie im Umgang mit Touristen? Kaum in Marokko angekommen begleitete uns das Gefühl «jeder versucht dich irgendwie über den Tisch zu ziehen».
Einige Beispiele:
- Berberhirt, der am Pistenrand nach Wasser bettet und dann Hosen, Schuhen, Brot, Geld sehr aufdringlich verlangt
- Garagist, der günstig Wartungsarbeiten am Fahrzeug offeriert, dann aber sehr teure Reparaturen zufälligerweise «entdeckt»
- Beim Autowaschen offeriert der Angestellt einen günstigen Preis. Nach dem Waschen verlangt er aber das Doppelte unter dem Vorwand «Das Auto war sehr dreckig».
- Taxifahrer, der sich nicht am vereinbarten Tarif haltet und weit weg vom Zielort stoppt und mehr Geld verlangt um weiter zu fahren
- Man wird gebeten ein schmuckes Privathaus zu besichtigen (kostenlos) und muss man danach die Spiessruten des Teppichverkaufes über sich ergehen lassen
- Reiseführer (zum Beispiel beim Besuch einer Medina) führen einem gerne in Geschäfte (unter dem Vorwand «Hier sind die Produkten echt, noch von Hand gemacht und günstiger als bei der Konkurrenz»), bei denen sie selbst einen Trinkgeld kassieren
- Auf Pisten werden Felsen gestellt um eine Weiterfahrt zu verunmöglichen. Plötzlich «aus dem Nichts» tauchen «Helfer» unaufgefordert auf, und Helfen die Felsen beiseite zu schieben. Danach verlangen sie eine happige Belohnung und können bei Wiederrede sehr aggressiv werden (Cirque de Jaffar).
- Am Pistenrand stehen Junge Leuten und bieten einem zum Stoppen. «Vorne ist die Piste nicht befahrbar! Wir können Sie über eine sichere Umleitung zum Zielort begleiten». Dieser Angebot ist selbstverständlich nicht kostenfrei … und die Piste war vorne gar nicht blockiert!
Die Liste könnte länger sein. Die Marokkaner haben einen gewaltigen Einfallsreichtum, wenn sie an deinem Geld kommen wollen.
Unsere Erfahrung, unsere Erlebnisse sind eher positiv gewesen, auch wenn den Umgang mit ihnen immer von einer abwehrenden und zweifelnden Haltung unserseits begleitet war. Dieser Haltung kostete uns viel zu viel Energie und machte das Reisen unnötig ermüdend.
Was haben wir gelernt?
- Häufig sagen die Marokkaner «Sie bezahlen mich, was sie für richtig empfinden». Bekommen sie aber, was in ihren Augen zu wenig ist, ist ein Streit vorprogrammiert. Deshalb den Preis einer Dienstleitung bzw. eines Geschäftes immer im Voraus vereinbaren und von diesem danach nicht mehr wegrücken. Am besten schreibe den vereinbarten Tarif auf einem Stuck Papier und zeige diesen der Gegenpart. So vermeidet man «unliebsame Missverständnisse».
- Was für uns günstig erscheint, ist für Marokkaner sehr teuer. Die ist beim Kauf von Teppichen, Leder- und Porzellanwaren zu berücksichtigen. Uns wurde gesagt, dass beim Verhandeln immer bei 1/3 des vom Verkäufer verlangter Preises einzusteigen ist. Der Rest ist danach von deinem Verhandlungsgeschick abhängig. Ist man nicht sicher, weitergehen und der nächste Geschäft besuch um die Preise und der Angebot zu vergleichen. Am besten kauft man bei Kooperativen. Die Preise sind hier meisten unverhandelbar und das Geld fliesst direkt zu den Produzenten.
- Keine Kugelschreiber, Bonbon, Kleider oder andere Ware direkt an Menschen verteilen. Wenn schon, suchen sie die Schuldirektion, eine Kooperative oder die Gemeinde und gib dort deine Geschenke ab. Absolut kein Geld verteilen! Will man trotzdem etwas abgeben, dann Lebensmittel (Zucker, Früchte, Mehl) insbesondere im Hohen Atlas bei Berberfamilien.
- Kein schlechtes Gewissen haben, wenn man an den bettelnden Leuten am Strassenrand vorbeifährt
- Wird man mit Steinen beworfen (was im Hohen Atlas durchaus vorkommen könnte), vom Fahrzeug aussteigen, mit dem Smartphone die beteiligten Personen filmen/fotografieren und drohen, dass man die Polizei anrufen wird. In schwerwiegende Fälle den «Caid» (Dorfälteste, Gemeindepresident) verlangen. Nimm dir die Zeit auch den Beteiligten ordentlich die «Kappe zu waschen»
Würden wir nach Marokko zurückkehren?
Können wir Marokko als Reisedestination weiterempfehlen?
Die Antwort ist zweifellos «Ja». Bedenkenlos! Wenn man weiss, was einem erwartet, kann man sich mental im Voraus vorbereiten. Marokko ist für uns Europäer ein sehr günstiger Land. Die Natur ist Atemberaubend, die Kultur hält für den aufmerksamen Reisende haufenweise Überraschungen bereit und das Essen ist gut (auch wen in den meisten Fällen etwas Einfältig).
Wird Marokko in Zukunft die Problematik der Abfallentsorgung, die teilweise noch prekären hygienischen Verhältnissen und die ständige Belästigung der Reisende zu lösen versuchen, könnte Marokko die Traumdestination schlechthin werden.
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