Unsere Route: Stand 30. November 2022

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Unterwegs seit: 60 Tagen
Gefahrene km:  6’500 km

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Chefchouen: Medina

29. September – 08. Oktober: Genova – Fès

Das Wichtigste in Kürze:

Nach 23 Jahren berühren wir wieder marokkanischen Boden. Wir sind noch in der Lernphase (Kultur, Gewohnheiten, Fahrstil). Die Grossstadt Tetuan überrascht uns mit seiner unter Unesco Weltkulturerbe geschützte Medina.  Die blaue Stadt Chefchouen im Rif Gebirge mit seinen blauen Gebäuden hat uns besonders angetan. Nicht zuletzt Fès mit seiner gigantischen Medina und die geruchsstarken Gerbereien hat sich für immer in unser Gedächtnis eingebrannt. 

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Auf dem Weg nach Tanger hat unsere Fähre in Barcelona Halt gemacht und wir nehmen uns Zeit, die letzten Tagen Revue passieren zu lassen. Nach knapp drei Monaten zu Hause war der Drang wieder „unterwegs zu sein“ gross.  Wir haben die Annehmlichkeiten in unseren vier Wänden genossen, Freunde besucht und empfangen und Hannibal einem Service unterzogen. Die Fehlfunktion der hinteren Differentialsperre erweist sich als eine knifflige Sache. Die Frage, ob es sich um eine Fehlfunktion, eine Fehlmontage oder ein defektes Produkt handelt, ist bis zurzeit unbeantwortet geblieben. Tatsache ist, dass der Garagist uns «noch» keine Kosten für die Reparaturarbeiten in Rechnung gestellt hat.

Zuhause hatten wir auch Zeit, unsere bereits vor Spanien festgelegte Route durch Marokko zu überprüfen, allfällige Anpassungen vorzunehmen und diverse administrative Aufgaben zu erledigen.

Freitag, 23. September
Als wir uns in Richtung Süden aufmachen, löst sich die Anspannung schnell in Luft auf. Zwar treffen wir kurz vor Chur auf den ersten langen Stau (was uns in der Schweiz nicht mehr überraschen darf), aber dies verdirbt uns unsere Vorfreude, bei Fabrizios Schwester im Tessin drei wunderschöne Tage zu verbringen, kaum. Allerdings gehen diese aber leider viel zu schnell vorbei. 

Mittwoch, 28. September
Wir erreichen Genova am frühen Nachmittag. Die Fahrt war «easy» auch wenn, das Strassen-Wirrwarr in Genova einem zur Verzweiflung bringen kann. Im Camping Villa Doria, ca. 10 km vom Hafen entfernt, übernachten wir und erleben in der Nacht die Invasion von holländischen Wohnmobilen. Kurz nach 21:00 Uhr überfällt eine Kolonne von mindestens zwanzig Wohnmobilen den bereits eingeschlafenen Campingplatz. Generalstabsmässig versucht der Campingplatzmanager die Wohnmobile zu ihren Stellplätzen zu lotsen. Es geht zu und her wie auf dem Flughafen Zürich zur Stosszeit.

Viel zu grosse Fahrzeuge versuchen, auf dem relativ kleinen Platz zu wenden und rückwärts in die zugewiesenen Parzellen einzuparken. Meistens steht die Frau des Fahrers draussen und gestikuliert mit einer Taschenlampe wie viel noch bis zur Abgrenzung oder bis zum Nachbarfahrzeug fehlt. Wenn alles in Ordnung ist, klopft sie mit mehreren dezidierten Schlägen auf die Rückseite des Wohnmobils. Das ist das Signal, dass der Motor endlich ausgeschaltet werden darf. Ein ermüdeter Fahrer steigt aus und begutachtet argwöhnisch die Lage. Ist er nicht zufrieden, folgen nicht selten mühselige Feinabstimmungen.

Donnerstag, 29. September
Viel zu früh müssen wir heute Morgen aufstehen. Gemäss den Angaben der Reederei haben wir uns um 08:00 auf dem Steg hinter der Fähre einzufinden. Als wir dort ankommen, stehen bereits unzählige Fahrzeuge vor uns. Diese sind bis zum Bersten mit Gegenständen, Fahrrädern, Lebensmitteln, Hygieneartikeln u.v.m. beladen. Nicht selten türmt sich auch auf dem Fahrzeugdach «ein Berg Ware». Dieser ist «abenteuerlich» mit Spannsets zum Fahrzeugdach «gesichert». Durch das Gewicht schleifen die Karosserien fast am Boden.

Dass es diese Fahrzeuge bis hierhergeschafft haben, grenzt an ein Wunder. Die Not nach zwei Jahren Covid muss in Marokko gross sein. Die Menschen, die es «geschafft» haben, im Ausland Arbeit zu finden, werden zum «Rettungsanker» für die ganze Verwandtschaft.

Wir haben im Jahr 1999 eine ähnliche Situation auf dem Flughafen von Nassau erlebt, als sich die Exilkubaner auf dem Weg zurück in ihre Heimat mit gewaltigen Gepäcksbergen am Flughafen-Check-In einfanden. Wenn wir darüber nachdenken, staunen wir noch heute, wie es das Flugzeug überhaupt geschafft hat, von der Piste abzuheben.

Die knappen 50 Stunden auf der Fähre vergehen wie im Fluge. Ausser schlafen, lesen, essen und in regelmässigen Abständen an Deck zu gehen, um frische Luft zu schnappen, bleibt nicht viel zu tun. Die Fähre gewinnt mit Sicherheit keinen Schönheitspreis: Der ehemalige Event-Saal dient als Schlafplatz, das leere Swimmingpool ist mit einem Netz überspannt und wird von den rauchenden Passagieren als gigantischer Aschenbecher missbraucht und das Selbstbedienungs-Restaurant hat den Scharm einer Militärkantine. Hinzu kommt, dass das Personal – hauptsächlich asiatischer Herkunft – kein Wort italienisch spricht. 

Wir treffen auf einen Italiener, der seit mehr als 25 Jahren die Strecke Genova-Tanger mehrmals jährlich zurücklegt. Er kommentiert die Entwicklung: «Am Anfang hatten wir noch Live-Musik und Tanzabende, heute ist alles dem Profit und der Sparwut zum Opfer gefallen.» Wir nicken zustimmend.

Freitag, 30. September
Highlight des Tages ist die Erledigung der Zollformalitäten. In Barcelona, dem einzigen Stopp auf dem Weg nach Tanger, sind zwei Funktionäre der marokkanischen Zoll- und Polizeibehörde an Bord gestiegen. Per Zufall bekommen wir mit, dass wir unseren Pass abstempeln lassen und für Hannibal eine temporäre Einfuhrgenehmigung beantragen müssen. Geschlagene vier Stunden warten wir geduldig, bis wir dran sind. Bei der Einfuhrgenehmigung von Hannibal erleben wir kurz einen Panikmoment, da wir den Führerschein im Fahrzeug vergessen haben und nur über eine Fotokopie verfügen. Der Beamte schaut uns argwöhnisch an und murrt: «Sie wissen, dass das nicht in Ordnung ist.» Wir entschuldigen uns tausendmal. Schlussendlich bekommen wir die Einfuhrgenehmigung und begiessen diese Errungenschaft mit einem kalten Bier.

Samstag, 1. Oktober
Gegen 12:00 (marokkanische Zeit) legen wir in Tanger an. Der Versuch der Fähr-Mannschaft etwas Ordnung in die Entladung der Fähre zu bringen, entpuppt sich als Rohrkrepierer. Kaum sind die Marokkaner in ihre Fahrzeuge eingestiegen (nachdem Kinder, Frau und Gepäck reingequetscht wurden), laufen schon die Motoren heiss. Die Luft auf den Parkebenen unter Deck wird in kurzer Zeit von den Abgasen verpestet. Zwei Fahrzeuge hinter uns legt sich ein Italiener mit einem Marokkaner an, der seinen Motor auf Teufel komm raus nicht abstellen will. Grobe Drohungen und Gefluche durchschneiden die dicke Luft. Verdutzt beobachten einige Unbeteiligte das Geschehen und schütteln als Zeichen ihres Unverständnisses den Kopf.

Ein überforderter Mitarbeiter versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen, handelt beschwichtigend und lotst die Fahrzeuge (ohne Kollisionen) aus dem Bauch der Fähre heraus. Draussen empfängt uns die Sonne.

Ein erster Beamte überprüft unseren Pass, ein zweiter unsere Einfuhrbewilligung. Nach knapp dreissig Minuten sind wir aus dem Zollgelände raus, wechseln unser Geld, kaufen eine SIM-Karte und fahren zum B&B Villa Marine in Ksar Sghir. Hier atmen wir die marokkanische Luft erstmal bewusst und tief ein.

Calogero, ein Mann mit stattlicher Postur (Harley Davidson-Enthusiast, ehemaliger Fremdlegionär, Restaurantbesitzer, Kaviarimporteur, Verkäufer seltener Weine, Rückbauer von nicht mehr benutzten Nuklear-Raketen-Silos, Sozialarbeiter und Bodyguard französischer Prominenz …) und seine schmächtige Frau Mary (ehemalige Krankenschwester beim roten Kreuz) führen seit drei Jahren das B&B.

Calogero ist ein begabter «Storyteller». Stundenlang erzählt er uns seine Räubergeschichten als Fremdlegionär, gibt Anekdoten seiner Beruflichen Abenteuer zum Besten, gibt uns Tipps wie wir beim Tanken nicht von den Tankangestellten über den Tisch gezogen werden, erzählt uns wie sein Nachbar im Gefängnis landete als die Drogenpolizei bei ihm 85 Tonnen Haschisch aufspürte und findet zwischendurch noch die Zeit, uns ein exzellentes Nachtessen zu kochen.

 

02. – 05.10.22, Tanger – Fès

Sonntag, 2. Oktober, Tanger – Tetuan
Wetter: Sonnig mit leichter Bewölkung. Es bläst ein stürmischer Wind. 17-22°C

Wir haben gut geschlafen. Obwohl die Hunde der Nachbarschaft die ganze Nacht Party gefeiert haben, sehen unsere Gesichter entspannt und frisch aus. Wir freuen uns, hier in Marokko zu sein und auf das, was noch kommt. 

Calogero hat uns ein üppiges Frühstück vorbereitet. Wir lassen uns dabei viel Zeit. Frische Pains au Chocolat, Croissants, Brötchen, Fladenbrot, haugemachte Erdbeerkonfitüre, einen leckeren frischgepressten Orangesaft, Honig und Frischkäse. Abgerundet wird das Ganze mit einem starken Kaffee. 

Und dann fällt während des Frühstücks unangekündigt der Strom aus. Calogero flucht vor sich hin: «Schon wieder! Jeden Sonntag die gleiche Geschichte! Letzte Woche blieb er ganze fünf Stunden weg!». Er ist kaum zu besänftigen … und wir müssen uns unseren zweiten Kaffee ans Bein streichen. No Power, no coffee!

Die Strompanne zieht sich in die Länge. Der Kartenleser ist deshalb ausserbetrieb und wir können unsere Rechnung nicht begleichen … bis uns ca. 2 Stunden später in den Sinn kommt, dass wir dies auch mit einer Barzahlung erledigen können. Gesagt getan. Wir verabschieden uns mit etwas Wehmut von Calogero und Mary. Innerhalb kürzester Zeit haben wir sie mit ihrer ungezwungenen Freundlichkeit ins Herz geschlossen.

Ausserhalb von Ksah Sghir folgen wir der Strasse RR401. Sie verläuft zu Beginn durch ein breites Tal, bevor sie langsam in die umliegenden Hügel ansteigt. Ausgedörrte Landwirtschaftsflächen stehen der Strasse Spalier. Viel wild deponierter Unrat, Bauschutt und Abfall jeglicher Art begleiten unsere Fahrt: Plastiksäcke, die sich im Gestrüpp verfangen haben, flattern wie farbige Fahnen im starken Wind. Schon 1999, als wir zum letzten Mal in Marokko waren, ist uns aufgefallen, wie wenig Achtung die Menschen hier ihrer Natur schenken. Es scheint, dass sich in den vergangenen 23 Jahren kaum etwas verändert hat. 

Wir fahren langsam. Calogero hat uns gewarnt, dass freilaufende Tiere, Lastwagen und Taxis zum Sicherheitsproblem werden können, da ihr Verhalten unberechenbar ist. Wir treffen kaum auf Verkehr, abgesehen von ein paar streunenden Hunden, die sich, als wir vorbeifahren, geschickt an den Strassenrand ausweichen und zwei ausgemagerten Eseln, die uns keinen Blick würdigen. Der sehr starke Wind bläst Hannibal fast von der Strasse und der von den Windböen aufgewirbelte Sand verpasst Hannibal ein unsanftes Peeling. 

Tetuan hat sich bei der Gestaltung seiner Hauptzufahrtsachsen nicht lumpen lassen. Eine mit Kandelaber verzierte dreispurige Strasse und eine breite Flaniermeile mit einem sattgrünen Rasenstreifen mit Palmen heissen uns «Willkommen». Der Verkehr ist dicht und wir machen unsere erste Erfahrung mit dem marokkanischen Fahrstil (hupen, zig-zacken, vordrängen, ohne Vorwarnung stoppen und abbiegen). Fussgänger in selbstmörderischer Laune überqueren die Fahrspuren mutig und selbstbewusst (auf und neben den Zebrastreifen). 

Sabine hat im Vorfeld im Riad Dar Achaach zwei Nächte gebucht. Es handelt sich um eine sehr schöne arabische Villa mit Garten eines angesehenen ehemaligen Mitarbeiters der Betonwerke von Tetuan, der in diesem vornehmen Haus aufgewachsen ist. Sie liegt am Berghang vis à vis  des Zentrums, von wo man einen unverbauten Blick auf die Halbmillionenstadt geniessen kann. 

Als wir im Riad Dar Achaach ankommen, öffnet uns ein hagerer und fast zahnloser Gärtner das Eingangstor zum Garten. Er lacht uns freundlich zu, murmelt leise etwas Unverständliches und weist uns zu unserem Parkplatz. Die Eingangshalle der Villa ist mit schönen Marmorplatten belegt. Rund um die Halle befinden sich ein Speisesaal, ein Raum mit bunten Teppichen und Sitzpolstern (die einem zum Ausruhen einladen) und der Zugang zu den Zimmern. Vergilbte Familienbilder aus einer vergangenen Zeit verzieren die Wände. Zwei Kanarienvögel in ihren viel zu kleinen Käfigen singen sich ihr tragisches Schicksal von der Seele.

Tetuan ist für seine unter Unesco Weltkulturerbe geschützte Medina und für den Königspalast bekannt und sicherlich einen Besuch wert. Da wir seit unserem Frühstück in Ksar Sghir nichts mehr zwischen die Zähne bekommen haben, laufen wir gegen 16:00 in die Stadt auf der Suche nach einem Restaurant. Im Diamond (Hotel, Restaurant und Patisserie) werden wir fündig. Wir verspeisen die ersten Tajines (Poulet und Gemüse). Sie sind köstlich! Für heute genug. 

Montag, 3. Oktober, Tetuan
Wetter: Milchiger Himmel (wir wissen nicht, ob es sich um Staub oder Rauch handelt). Der gestrige Wind hat sich gelegt. Temperatur 22-30°C

Nach dem üppigen Frühstück lassen wir uns vom Hausbesitzer bis in die Nähe des Königpalastes chauffieren. Dieser ist leider für das Publikum nicht zugänglich und wird von der «Garde Royal» gut bewacht. Wir fragen einen Polizisten, ob es erlaubt sei, ein Bild zu knipsen, er nickt zustimmend.

Am südlichen Rand des Königspalastes beginnt die Medina. Wir tauchen in den Wirrwarr der engen Gassen ein und lassen uns wie Holz wahllos im Meer «treiben». Eine unbekannte Welt von Gerüchen, Geräuschen und Farben wartet auf uns. Hier ist der Bereich der Gemüsehändler, dort derjenige der Metzger (unschwer erkennbar am strengen Geruch des Fleisches und an den vielen Fliegen), danach das Quartier der Brotbäcker gefolgt von demjenigen der Juweliere …). Fast alle handwerklichen Berufe sind in der Medina anzutreffen. Nicht alle haben ihr eigenes Lokal oder verfügen über eine eigene Ladenfläche. Die Ärmeren Händler sitzen an eine Wand gedrückt ganz einfach im Schneidersitz am Boden und bieten von dort ihre Ware an. Meistens handelt es sich um verwelkte Pfefferminz- oder Petersilienstauden, manchmal auch um frisches Gemüse. Mit ihnen teilen die streunenden Katzen und Kätzchen die engen Platzverhältnisse. Von ihnen wimmelt es nur so hier in Marokko. Den meisten geht es schlecht. Hinkend, halbblind und von Kämpfen gezeichnet betteln sie laut miauend den Menschen um Futter und manchmal auch um Zuneigung an.


Die Medina ist ein gigantisches Kaleidoskop für die Sinne. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise erbärmlich. Menschen sind ohne Schutz dem Rauch, giftigen Gasen, Dämpfen und Flüssigkeiten ausgesetzt. Hier sucht man vergebens nach Belüftungen/Entlüftungen, nach persönlichen Schutzausrüstungen, nach Massnahmen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes. 

Irgendwann gelangen wir zu den berühmt berüchtigten Gerbereien. Diese haben sich bereits von Weitem angekündigt. Nichts für zarte Gemüter und schwache Mägen. Die Becken, in denen die Tierfelle unterschiedliche Bearbeitungsschritte durchlaufen, sind zwar bis auf wenige leer, aber der Gestank von toten Tieren hängt «störrisch» in der Luft und hat sich in den Gemäuern der umliegenden Häuser eingenistet. Er trifft uns wie eine unerwartete Ohrfeige mitten ins Gesicht. Wir beobachten aus sicherer Entfernung wie zwei Angestellte mit Holzstäben die Haare von den Häuten abschaben. Ein «schlabbriges» graues Gewebe kommt zum Vorschein. Nach getaner Arbeit landet die Haut in einem Becken, das mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt ist, «platsch, platsch». Wir werden in ein paar Tage in Fes auch eine Gerberei besichtigen. Dort stehen die Menschen (barfuss und in kurzen Hosen) teilweise bis zur Hüfte in einer trüben Suppe und waschen die vorher in einem Aufguss mit Taubendung eingeweichten Häute, bevor sie in weitere Becken zum Färben eingetaucht werden. Zum Schutz vor den verwendeten Mitteln ölen sich die Arbeiter Arme und Beine ein -heute seien es gegenüber früher (Ammoniak) natürliche Ingredienzien, versichert uns der Führer.

Für uns «Bürogummis» sind diese Arbeitsbedingungen unvorstellbar. Wie bringen diese Menschen den Geruch wieder weg? Hier eine Analogie, die Sabine am eigenen Leib erfahren hat: Als junge Management-Trainee für ein Warenhaus wurde sie während der Weihnachtszeit für zwei Wochen in die grosse Lebensmittelabteilung geschickt, um hinter einer Theke kiloweise Lachs zu verkaufen (wohlverstanden dies ist nicht mit dem Geruch in einer marokkanischen Gerberei zu vergleichen). Kam sie am Abend nach Hause, liefen unsere beide Katzen Amok. Sie schnupperten an ihren Beinen und konnten es sich nicht verkneifen, ihr sanft in die Hosenbeine zu beissen. Selbst nach wiederholtem Duschen wurde Sabine den Lachsgeruch nicht los. Erst eine Woche nach Beendigung des Praktikums rochen unsere Katzen nichts mehr.

Dienstag, 4. Oktober, Tetuan – Chefchaouen
Wetter: Weiterhin milchig (wahrscheinlich handelt es sich um Rauch. Überall verbrennen Menschen/Bauern Gestrüpp/Abfall. Ein beissender Geruch von verbranntem Plastik liegt in der Luft). Temperatur 22-30°C

Knapp 60 km von Tetuan entfernt liegt im Rif-Gebirge die blaue Stadt Chefchaouen. Blau, weil die Häuser der Altstadt allesamt mit blauen Pigmenten gefärbt sind. Südlich von Tanger ist sie DIE Touristenattraktion. Nachdem wir Hannibal im Campingplatz Azilan parkiert haben – er liegt oberhalb der Stadt und ist die 110 MAD/Nacht absolut Wert – wandern wir die 1.5 km durch den lichten Kiefernwald in die Stadt hinunter. Wie zu erwarten, treffen dort wir auf Unmengen von Souvenirläden und dichten Personenverkehr. Alle Touristen scheinen im «Selfie-Modus» unterwegs zu sein. Um ein Bild von sich selbst zu knipsen, scheuen sie nicht davor zurück, ganze Gassen in Besitz zu nehmen und für andere (bis ein Bild in der «richtigen Posen» im «Kasten ist») zu blockieren.

Nichts destotrotzt gefällt uns Chefchaouen sehr.


Mittwoch – Freitag, 5-7. Oktober, Chefchaouen – Fès
Wetter: Weiterhin bedeckt, ab und zu drückt die Sonne durch. Temperatur 30-32°C

Erst nach 11:00 können wir – nach einem interessanten Austausch mit einer jungen Familie aus der Ostschweiz, der Beschwichtigung eines wegen des Zustands seines 4×4 in Panik geratenen unerfahrenen Franzosen und der längeren Prozedur, die das Aufladen der Maroc Telekom- SIM-Karte benötigt, Richtung Fes aufbrechen. 

Kurz vor Ouezzane stoppen wir für ein Mittagessen. Allerdings müssen wir uns im APIA Café um 12:30 mit einem Frühstück begnügen: Uns wird eine «Kichererbsen-Mehlsuppe» mit Oliven und eingelegten Peperoncini und ein in Fett konserviertes fasrig gekochtes Rindfleisch mit zwei Spiegeleiern aufgetischt, dazu ein Korb Fladenbrot. Durchaus sättigend. Danach kaufen wir im dazugehörenden Shop ein Glas «Amlou», ein Brotaufstrich auf der Basis von Mandeln, Arganöl und Honig. Sehr schmackhaft, wie wir am nächsten Morgen beim Frühstück feststellen.

Frisch gestärkt machen wir uns auf die von Kohlberg empfohlene, wenig befahre Route zum El Wahda-Staudamm auf. Wir fahren stundenlang durch eine Hügellandschaft, wie wir sie von Andalusien kennen, mit Olivenhainen und Feldern, die für die Winteraussaat vorbereitet wurden. Kleine Siedlungen und Dörfer kündigen sich durch wild deponierten Plastikabfälle an. Ein für uns nur schwer erträgliches Bild. Schade. Perplex lässt uns auch, dass wir von Kindern auf der Strasse gestoppt und angebettelt werden und kurz darauf wird uns, als wir an einer Schule vorbeikommen, etwas nachgeworfen …

Die schmale asphaltierte Strasse ist vom Staudamm bis fast nach Fes in einem sehr schlechten Zustand. Löcher und Absenkungen lassen uns nur langsam vorwärtskommen. So gelangen wir am Abend in den gewaltigen Stossverkehr der Zweimillionenstadt und erleben hautnah den Stau des Berufsverkehrs.

Müde und abgekämpft erreichen wir die Ferienanlage Diamant Vert. Die Begrüssung beim Einchecken ist sehr zurückhaltend, auch erhalten wir keine Antwort auf die Frage wo und wann der Bus nach Fes fährt. Der Campingplatz ist jedoch sauber, auch wenn bei den Frauen die Duschen meist nur kalt funktionieren.

Auf dem Platz treffen zuerst auf unsere Deutschen Nachbarn in Chefchaouen und dann auf die junge Familie mit Hund der Rasse Malinois aus dem Appenzellerland. Wir entscheiden uns alle zusammen für eine geführte Tour nach Fèz.

Mit Kind, Hund, Hundebesitzern und Führer besteigen wir am nächsten Morgen das Taxi und fahren zur Bab Boujloud (Eingangspforte) der gewaltigen Medina: Sie weist mehr als 9’000 Gassen aus, ist grösser als 35 Hektaren mit rund 350’000 Einwohnern. 

Nach ca. 6 Stunden und 10’000 Schritten besteigen wir gesättigt (und dies nicht nur vom vorzüglichen Essen in einem marokkanischen Dar) und müde wieder das Taxi. All unsere Sinne wurden bis zum Bersten gereizt. Der Orientierungssinn musste sich beim Laufen durch die engen und verwinkelten Gassen zuerst geschlagen geben. Die Augen konnten sich am filigranen Kunsthandwerk der Medersa Bou Inania oder eines zu einem Hotel umgestalteten andalusischen Palasts und dem vielfältigen Lebensmittelsouk nicht satt sehen. Die Ausdünstung von Ware, Mensch und Vieh (Katzen und Esel) vermischen sich zu einem intensiven Parfum, das im Gerbereiviertel seinen Kulminationspunkt findet. Zur Dämpfung des bestialischen Gestanks werden uns Pfefferminzzweige (natürlicher Filter für die Nase) überreicht, bevor wir das Dach einer Ledermanufaktur mit Blick auf die Gerberei besteigen. Beim Betrachten und Befühlen der feinen Lederjacken, der marokkanischen Babouche (Pantoffeln), der Taschen etc. kann man sich kaum vorstellen, welch unmenschliche und menschenunwürdige Arbeit hinter diesen Kunstwerken steckt. Ein Ladenangestellter mit gepflegtem Hochdeutsch spricht uns an und zeigt uns das Sortiment an Lederjacken und -mänteln. «Bitte schaut hierher», ruft er uns zu und versucht mit einem Zigarettenzünder eine Lederjacke in Brand zu setzten. «Echtes Leder! Wäre es eine Imitation, würde sie lichterloh brennen» versichert er uns. «Bitte schaut hierher» doppelt er nach und übergiesst ein Ledermantel mit Wasser. «Echtes Leder bekommt keinen Wasserflecken, wenn es nass wird». Nach so viel Kühnheit probiert Sabine endlich eine schmucke Lederjacke an. Sie passt wie angegossen. «Wie viel?» fragen wir automatisch und merken nicht, dass wir uns somit in ein Verkaufsgespräch hineinmanövriert haben. «280 Euros» ist die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Wir zögern und retten uns aus der Affäre, indem wir behaupten, wir würden auf dem Rückweg wieder vorbeischauen.

Fasziniert und endlich kaufbereit zeigen wir uns dann bei einer Weberei, die scheinbar noch nach alter Methode Tücher webt. Ein Show-Webstuhl für die Touristen wurde im Laden inmitten von Stoff-Türmen eingerichtet. 300 weitere Webstühle sind in Privathaushalten für die Cooperative im Einsatz.

Grandiose Landschaft des Jbel Ayachi

08. – 14. Oktober: Fès – Tazzarine

Das Wichtigste in Kürze:

In Midelt besuchen wir die Geisterstadt Aouli. Hier haben die Franzosen bis in die späten Siebziger nach Rohstoffen gegraben. Danach fahren wir über Stock und Stein durch die atemberaubenden Zedernwälder der Bergkette des Jebel Ayachi bis nach Imilchil und werden hier von einem Sturm am Ufer des Iseli-Sees fast weggefegt. Tinehir ist der Beginn einer epischen Fahrt durch die Mondlandschaft des Bou Gafer um danach, in Tizzerine zwei ruhige Tage auf der Suche nach Fossilien und Petroglyphen zu verbringen.

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Samstag, 8. Oktober, Fès – Midelt
Wetter: Weiterhin bedeckt, ab und zu drückt die Sonne durch. Starker Regen in Midelt am Abend. Temperatur 20-25°C

Bevor wir Fès verlassen, stocken wir unseren Proviant im Supermarkt Marjane, der über ein umfangreiches marokkanisches Sortiment (vieles für uns unbekannt) verfügt, auf. Die RN14 führt uns zuerst nach Bhalil, ein kleines Dorf bekannt für seine Höhlenhäuser. Hier trinken wir den teuersten Pfefferminztee Marokkos. Kaum parkieren wir Hannibal auf dem Dorfparkplatz, schon werden wir von einem Guide angesprochen. Ein alter schmächtiger und Herr klopf an Sabines Fenster. Er schaut friedlich und gut gesinnt aus der Wäsche. Er stellt sich uns als Mohammed und Touristenführer vor. «Ja, ja!» denken wir … und schon zückt er seine offizielle Marke. «Was bieten Sie?» fragen wir ihn wenig überzeugt. «Ich führe sie durch das Dorf und zu den bekannten Höhlenhäusern» antwortet er und begleitet seinen Satz mit einem breiten zahnlosen Lächeln. «Was kostet die Visite?» «100 Dhiram für eine halbe Stunde».

Der Preis ist ein Abriss … aber was soll’s … manchmal ist kleinbeigeben auch nicht schlecht. Mit schweren Schritten führt er uns durch die engen Gassen Bhalils, klettert eine steile Treppe hinauf bis zu einem Haus mit einer blauen Tür und hofiert uns hinein, hinein in «seine» Höhle. «Hier lebe ich allein mit meiner zweiundvierzigjährigen Tochter» gibt er beiläufig beim Eintreten der Wohnung zum Besten. Die Höhle misst etwa vier auf drei Meter, ist mit weissem Kalk bemalt und «riecht» stark nach Feuchtigkeit. Auf einem verzierten Tisch warten bereits vier Teegläser auf uns … Zufall? Er spricht von seiner Familie und dass er, um «fit» zu bleiben und etwas zu hinterlassen, den Koran ins Deutsche übersetzt. «Es sei eine gewaltige Arbeit» beklagt er sich kurz danach. «Viel zu viel Suren!». 

Die Tochter kredenzt uns den heissen Pfefferminztee. Wir reden noch kurz und dann verlassen wir die Wohnung in Richtung Parkplatz.

So viel zu unserer Dorfführung (der Tee war allerdings köstlich!). Mohammed kassiert schnell sein Honorar und macht sich mit schnellen Schritten von dannen. «Sind wir über den Tisch gezogen worden?» fragen wir uns unisono. «Jaaa!» «… aber der Tee war gut … und Mohammed war ein sympathischer Kerl … und die Tochter war auch nett … und 10 Franken ist für uns auch nicht das Ende der Welt» – auch wenn sie für einen Marokkaner ein Tagessalär bedeuten. Wir versuchen uns weiszumachen, dass es sich doch irgendwie gelohnt hat, «übervorteilt worden zu sein», auf jeden Fall lacht unsere Seele über diese Führung.

Nachdem Mohammed uns verlassen hat, machen wir uns auf eigene Faust zu einer Stippvisite von Bhalil auf. Dabei beobachten wir eine Gruppe Frauen, die im Kreis am Boden sitzen und animiert miteinander reden. Währenddem sie untereinander Aktualitäten austauschen, stellen sie aus Garn Knöpfe für die Festbekleidung von Frauen her, ihre Hände führen wie von selbst die Garnnadel. Als sie Sabine bemerken, laden sie sie zu sich ein, damit sie ihrer aufwendigen und filigranen Arbeit aus der Nähe zuzuschauen kann. Die Knöpfe sind winzig klein und diese begabten Handwerkerinnen bekommen beschämende 40 Dhiram (40 Rappen!) Honorar für 40 Knöpfe.

Nach Bahlil führt uns die RN14 zuerst nach Sefrou, dann nach Boulemane. Kurz danach «fädeln» wir in die NR29 ein. Sie führt uns bis zu unserem Campingplatz «Ksar Timnay» in der Nähe von Midelt. Diese Region ist für ihre Apfelplantagen und Minen (Blei, Zink, Kupfer …) bekannt. Kleine Verkaufsstände mit farbigen Äpfeln und Granatäpfel säumen die Strasse. Ab und zu winkt uns ein Verkäufer/eine Verkäuferin zu.

Als wir im «Ksar Timnay» ankommen ist der Himmel über uns dunkel geworden. Regen ist im Anmarsch. Böen wirbeln Wüstensand hoch. Er brennt in den Augen. Der Campingplatz ist für ein/zwei Übernachtungen in Ordnung. Das Restaurant ist den ganzen Tag geöffnet und kredenzt leckere Gerichte.

 

Sonntag, 9. Oktober, Die Geisterstadt Aouli
Wetter: Bedeckt, ab und zu drückt die Sonne durch. Temperatur 20-25°C

Die Region um Midelt ist für seine reichen Rohstoffvorkommen bekannt. Die Franzosen haben bis in die späten Siebzigerjahre Minen betrieben. Unser heutiges Ziel ist die Geisterstadt Aouli. Kurz nach Midelt biegen wir links ab und folgen einer geschotterten Strasse bis zum Minendorf Mibladen. Danach schlängelt sich die Piste durch eine enge Schlucht. Die Landschaft ist rau und faszinierend. Wir machen Ruinen von Steinhäusern in den steilen Berghängen aus. Es sind die Überreste ehemaliger Minenarbeiter-Behausungen. Steile und enge Wanderpfade (eher für Steinböcke als für Menschen geeignet) führen zu ihnen. Immer wieder erspähen wir in den Bergflanken die klaffenden Wunden ehemaliger Bergwerksarbeit. Hier hat die menschliche Gier nach Reichtümern gewütet. Vor den Mineneingängen türmen sich mehr oder weniger grosse Schutthalden. Kumpels haben hier unter harten Arbeitsbedingungen die Eingeweide der Erde nach aussen gekehrt und sie wie das Werk eines gigantischen Maulwurfes aufgetürmt.

Und plötzlich erscheinen hinter einer Strassenbiegung die Ruinen der Stadt Aouli. Links und rechts der Schlucht sichten wir gewaltige Gebäude. Einerseits handelt es sich um technische Installationen, andererseits um weitere Behausungen (mehrstöckige Komplexe!). Ausser ein paar wenigen Verkaufsständen von Mineralienverkäufern und streunenden Katzen haben Mensch und Tier die Siedlung verlassen. Eine beängstigende und gleichzeitige morbide Atmosphäre liegt auf diesem Ort wie ein Leichentuch.

Nach Aouli steigt die Piste steil zum Bergkamm hinauf, wo wir einer weiteren Geisterstadt oder besser gesagt einem Geisterquartier begegnen. Es sind die Behausungen (Reiheneinfamilienhäuser) der «besser situierten» Minenarbeiter. Man erkennt es an den schön verzierten Hauseingängen. Von den Gebäuden stehen nur noch die Gemäuer, selten sind noch Teile des Daches vorhanden. 40 Jahre Witterungseinflüsse und Plünderungen haben ihren Tribut gefordert. 

Danach führt uns die Route über eine wüstenhafte Hochebene. Hie und da haben Nomadenfamilie ihre ärmlichen Zelte aufgestellt. Sie sind bereits von Weitem auszumachen. Es sind die als Regenschutz eingesetzten farbigen Plastikblachen, die ins Augen fallen und sie verraten. Kaum hören die Kinder Hannibals Motor, schon kommen sie an den Strassenrand gerannt in der Hoffnung, dass es dieses Mal endlich mit einem Geschenk klappen wird – eine gute Vorbereitung für unsere anstehende Fahrt nach Imilchil, wo wir am Pistenrand und in den Dörfern regelrecht von den Kindern unter Belagerung genommen werden. Für heute kehren wir gegen Abend nach einer knapp 120 km langen Fahrt erstmal zum Camping «Ksar Timnay» zurück.

Montag, 10. Oktober, Midelt – Imilchil via Cirque de Jaffar
Wetter: Zu Beginn sonnig, gegen Abend starker Regen und stürmischer Wind. Temperatur 8-20°C

Heute erleben wir eine «Mordsetappe». Von Midelt aus umfahren wir die Schlucht des «Cirque de Jaffar», folgen einer schmalen Piste durch majestätische Zedernwälder, durchfahren kleine verlassene Dörfer, überqueren einen Bergpass auf ca. 2800 m ü.M. und übernachten nach knapp 200 km Fahrt am Ufer des «Iseli-Sees» nördlich von Imilchil auf 2300 m ü.M. unter stürmischen Bedingungen.

Was wird uns von diesem Tag in Erinnerung bleiben? Sicherlich die gewaltigen Zedernbäume, die entlang der Piste stolz und kerzengerade, wie die Wächter des heiligen Grals stehen. Dann die für diese Gegend typischen geologischen Bergformationen, die aufgeschichteten Pancake-Türmen, die durch unvorstellbare Naturkräfte zusammengefaltet und um 90° nach oben «gedreht» wurden, gleichen. Schliesslich die im Abendlicht in unterschiedlichen Farben leuchtenden Mineralienschichten der Berghänge, grün, purpur, dunkelbraun, weiss …

Nicht zuletzt werden uns die bettelnden Kinder in Erinnerung bleiben. Kaum nähern wir uns einem Dorf, schon geht die Nachricht «Touristen kommen!» wie ein Lauffeuer unter den Dorfbewohnern durch. Trauben von Kindern (jeglichen Alters) sammeln sich am Strassenrand und betteln die Touristen für Bonbons, Dhinars, Stylo, Kleider, Schuhe u.v.m. an. Nicht selten versperren sie die Strasse und beabsichtigen Hannibal auszubremsen. Andere versuchen via offenes Fenster an die Türgriffe zu gelangen und die Türe so zu öffnen. In den engen Dorfstrassen ist dies ein gefährliches Spiel. Ein Fehltritt, ein Stolpern, ein ungewolltes Schupsen und schon ist die Katastrophe passiert.

Sobald sie merken, dass wir keinesfalls stoppen werden, zeigen sie uns den «Stinkefinger», andere donnern mit der Faust gegen die Karosserie, andere werfen uns Steine, Holzstücke oder Äpfel nach.

Bei einer dieser Aktion stoppt Fabrizio Hannibal abrupt und steigt wie vom Affen gebissen aus. Die Kinder rennen schnell davon. Ein Erwachsener, der das ganze beobachtet, tut als ob nichts passiert wäre. Nach einem kurzen Wortgefecht fahren wir weiter. Es wird für uns zu einer Spiessrutenfahrt. Nach wenigen Kilometern kommt schon das nächste Dorf … und alles beginnt von vorne. Und es gibt viele Dörfer in dieser Gegend!

Ein solches Verhalten erzeugt bei uns eine gegensätzliche Reaktion. Wir werden keinesfalls nachgeben. Als Touristen ist uns die Not, die insbesondere die Dorfbewohner und Nomaden plagt, bewusst und wir haben gewissermassen Verständnis, dass sie uns Touristen als mögliche Einkommens- / Hilfsquelle ansehen. Aber dass sie uns mit Steinen traktieren, ist inakzeptabel. 

Als wir am «Isli-See» ankommen, braut sich bereits ein Sturm auf. Der Himmel ist pechschwarz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees regnet es bereits aus vollen Kübeln und es donnert bedrohlich. Als wir unser wildes Camp einrichten und gerade den Regenschutz ans Hubdach klippen, entlädt sich das Gewitter sturzflutartig über uns. Während Sabine sich in Hannibals Bauch flüchtet, schnürt Fabrizio die Enden der Regenhülle an Hannibals Flanken fest. Dabei wird er patschnass. Währenddessen organisiert Sabine den Innenraum, in dem sie Kisten vom «Wohnbereich» auf die Vordersitze hievt. Beweglichkeit ist hier sicherlich ein Vorteil. Nach einem kalten Nachtessen und eingepackt in Thermounterwäsche klettern wir früh in unsere Attika, um unsere Eindrücke in unseren Träumen zu verarbeiten.


Dienstag, 11. Oktober, Imilchil – Tinghir via Todraschlucht
Wetter: Zu Beginn bedeckt, gegen Abend sonnig. Temperatur 8-24°C

Nach einer wider Erwarten nicht allzu kalten Nacht nehmen wir uns am Morgen Zeit, um uns mit Uwe, der uns am Vorabend mit freundlichem winken zum Teilen des schönen Biwak-Platzes eingeladen hat, auszutauschen. Seine Reise nach Mauretanien ist auf den Gestirne Kalender ausgerichtet. In der Region Imilchil verbringt er drei Tage, um die Milchstrasse im Zeitraffer festzuhalten. Er ist äussert einfach und sparsam unterwegs, was seiner Zufriedenheit mit seinem einjährigen Ruhestand keine Abrede tut.

Wir verabschieden uns nach einem ausgiebigen Frühstück mit Kaffee und nehmen die rund 125 km Asphaltstrasse nach Tinerhir unter die Räder. Die Streckenwahl ist den heftigen Gewittern der Nacht und der unsicheren Wetterlage geschuldet. Tatsächlich säumen immer wieder riesige Wasserpfützen die schmale Trasse und hagere Männer wischen mit kleinen Besen den angeschwemmten Sand und Schlamm von der Fahrbahn, eine Sisyphusarbeit. 

Auf den kargen alpinen Weiden rund um den Iselisee haben sich grosse Schafherden angesammelt. Die Hirten fragen uns nach Zigaretten und die Hunde übernehmen in dieser Zeit allein die Überwachung der Tiere. Auf dem Talboden auf rund 2’000 m ü. M. sind die Menschen fleissig damit beschäftigt, die Felder zu bestellen und die Apfelernte einzubringen. Es riecht nach Herbst und die laublosen oder gelb gefärbten Pappeln kündigen den bevorstehenden Winter an. Auf der Fahrt durch die Dörfer lächeln mir (Sabine) die jungen Frauen zu und die Kinder beschränken sich aufs Winken. Eine erholsame Erfahrung nach dem gestrigen «Spiessrutenlaufen».

Canyon artige Landschaften lösen sich mit grossen Palmoasen ab, besonders grün und prächtig ist das Tal entlang des Dorfes Tamtattouchte. Ein Teil der Oase und des Dorfes wird bald von einem Stausee überflutet werden. Die Staumauer ist fertiggestellt, die Strassenführung wurde geändert und Häuser, die im Stausee verschwinden werden, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Ein aktuell trauriges Bild wird allenfalls in einigen Jahren einem pittoresken Stausee weichen und bestenfalls zu einer weiteren Touristenattraktion nach der Todraschlucht werden.


Die engste Stelle der Todraschlucht ist zu einem Touristensouk verkommen. Kilometerlang werden an den Felswänden Teppiche und Tücher feilgeboten… Für uns heisst es hier, so schnell wie möglich -ohne Menschen zu überfahren – durch.

Im kleinen Camping Atlas mit Ausblick auf die Oase finden wir einen Ort der Ruhe. Er bietet dem Reisenden alles, um die Seele baumeln zu lassen: Netten Empfang, gutes Essen und saubere Sanitäranlagen. Wir werden inschallah wiederkommen.

Mittwoch – Freitag, 12. – 14. Oktober, Tinghir – Tazzarine
Wetter: Sonnig mit hübschen Schäfchenwolken. Temperatur 14 – 26°C

Eine Überquerung des Jebel Sahro steht an. Wir freuen uns sehr darauf. 1999 haben wir diese dunkle Gebirgskette vulkanischen Ursprungs, die zwischen dem Hohen Atlas und der Wüste liegt, nur von weitem gesehen. An eine Überquerung mit unserem Fiat Uno war nicht zu denken. Dank Hannibal und den Track-Beschreibungen von Pistenkuh können wir uns nun in diese geheimnisvolle, dünnbesiedelte Bergwelt aufmachen.

Zuerst durchqueren wir die geschäftige und wohlhabend wirkende Stadt Tinghir. Auch hier sind Strassenarbeiter damit beschäftigt, mit ihren kleinen Besen den Sand von den Strassen zu wischen. Beschäftigungstherapie???!

Auf der staubigen Ebene – vor uns die pittoresken Berge, worauf sich die Schatten der Schäfchenwolken spiegeln – durqueren wir einige kleine Dörfer bevor wir das Gebirge erklimmen. Die einen sind sauber und zeugen von einem erfolgreichen Abfallmanagement, die anderen sind schmutzig und scheinen auf einer Abfallmulde gebaut worden zu sein und doch liegen diese Siedlungen zum Teil nur wenige Kilometer auseinander.

Als wir uns den Bergen nähern, kommen wir dem Geheimnis, warum die Berge von weitem gelb getüpfelt wirken, auf die Spur: die dunkle Erde ist von gelben, stachligem Büschelgras durchsetzt.
Am obersten Punkt (knapp 2’000 m ü.M.) angekommen, können wir endlich auf die Piste abzweigen und fahren an den Dorfäckern von Ikniounn vorbei. Auch hier hat moderne Technik (feinmaschig sind Plastikkanäle der Tropfen für Tropfen-Bewässerung ausgelegt) die alten Wasserkanäle, die ganze Felder überfluten, abgelöst. Solaranlagen liefern den Strom, um das Grundwasser hochzupumpen. Auch in dieser Knochentrockenen Gegend gibt es dank der erfolgreichen Bewässerung viele sattgrüne Oasen, die die Menschen ernähren. Hinzu kommt die extensive Weidewirtschaft. Immer wieder treffen wir auf Schaf- und Ziegenherden und die für sie für die Nacht erstellten kreisrunden Steingehege. Sind sich die Tiere und Hirten bewusst, in was für einer fantastischen Natur – hübsche, brachiale Steinbolders und zackige Felsdome säumen über lange Strecken unseren Weg – sie leben?

Wie der Zufall es will, treffen wir gerade hier zwei weitere Paare (beide aus dem Kanton Bern). Die einen haben die Piste bereits hinter sich, die anderen werden die Überquerung des Jebels nach uns in Angriff nehmen. Wir stellen unsere Fahrzeuge an den Pistenrand und tauschen Informationen, Tipps und Reiseerlebnisse aus. Es herrscht regelrechte Freude. Dass gerade drei Schweizer in diesem fast gottverlassenen Ort aufeinandertreffen, ist unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto (Schweizer Lotto!).  Von der gegenüberliegenden Pistenseite werden wir von zwei Berberfrauen «begutachtet». «Was für ein Kauderwelsch sprechen die da?» werden sie sich gedacht haben, während sie büschelweise die dunkelgrüne Luzerne mit einer Handsichel ernten.

Nach einem halbstündigen Austausch packen wir die Piste an. Anfänglich steigt sie lieblich die Bergflanken hinauf. Der Weitblick auf das, was noch kommen wird, versetzt uns in regelgerechte Aufregung. Schwarze runde Felsen kündigen sich an. Die Piste wird langsam aber sicher holpriger und schlängelt sich wie eine träge Python durch die steinige Berglandschaft.

Weit und breit keine Seele in Sicht. Wir entdecken am Pistenrand einen grossen Steinkreis. Nach näherer Betrachtung handelt es sich um einen verlassenen Friedhof. Viele kleine aufrecht gesetzte Steinplatten verraten, wo die Gräber sind … und es gibt sehr viele davon.

Wir treffen auf einen Hirten, der uns mit einem Handzeichen zum Anhalten auffordert. Er zeigt uns, dass er neue Schuhe benötigt. Leider geben wir ihm zu verstehen, dass wir heute seinem Wunsch nicht nachkommen können. Enttäuscht bleibt er am Pistenrand zurück und schaut uns mit steinerner Miene nach, als wir vorbeifahren (wir haben und wir werden weiterhin viele enttäuschte hinter uns lassen müssen).

Emotional völlig erschöpft kommen wir gegen Abend in der Ebene von Alnif an. Liegt es wohl daran, dass uns die ausgetrockneten Oasen mit ihren zum Teil Wedel losen Palmstümpfen so trist vorkommen? Hier wollen wir nicht bleiben und fahren deshalb bis zum Camp Sredrar in der Nähe von Tazzarine weiter. Ein guter Entscheid.

Im Camp mit dem hübschesten WC-Häuschen Marokkos werden wir vom Besitzer sehr herzlich empfangen. Er klärt uns über die Folgen der grossen Trockenheit von 2003 auf: der Grundwasserspiegel hat sich seit dieser Zeit um über 250 m gesenkt, die Wurzeln der Dattelpalmen haben ihren Wasserzugang für immer verloren. Sein Vater hat deshalb die Landwirtschaft aufgegeben und das Wüstencamp aufgebaut. Für die Versorgung der Touristen mussten Brunnen, die Grundwasser in über 300 m Tiefe erschliessen, gebohrt werden. 

Wir müssen unsere Eindrücke erst mal setzten lassen und ziehen uns am nächsten Tag in den Speisesaal des Restaurants, der uns vom heftigen Wind schützt, zurück. Gegen Abend marschieren wir zu Fuss in die Wüste auf der Suche nach Fossilien.

Und wir finden tatsächlich den «Fossiliensteinbruch» und sogar eine gut Arm grosse versteinerte und in einen Felsbrocken integrierte Muschel. So erleben wir in den hübschen Dünen und bei bestem Abendlicht hautnah.

Assif Melloul Schlucht

14. – 23. Oktober: Tazzarine – Merzouga

Das Wichtigste in Kürze:

Wir entdecken südlich von Tazzarine die Felsgravuren von Ait Ouznik. Von Skoura aus überqueren wir die westlichen Sarhro-Berge und bleiben bei der Betrachtung der gewaltigen und überwältigenden Landschaft sprachlos. Über drei 3’000 m ü.M.-Pässe erreichen wir das isolierte und faszinierende Hochtal Ait Bou Guemès. Hier treffen wir zum ersten Mal auf Schnee und stürmisches Wetter. Auf dem Weg nach Imilchil sichten wir den gewaltigen Felsendom Cathedrale de Roches und als wir kurz nach Tifuina die Assif Melloul Schlucht durchfahren, fallen uns unsere Unterkiefer auf den Boden. In Merzouga geniessen wir die Pisten rund um die schönen Sanddünen des Erg Chebbi und bleiben mehrmals im Sand mit Hannibal stecken.

Klicke auf das Piktogramm, um die Animation der gefahrenen Strecke zu sehen

Freitag, 14. Oktober, Tazzarine – Skoura
Wetter: Windig, Wüstensand ist in der Luft, Sonnig. Temperatur 18 – 26°C

Da wir nicht genug vom Jebel Sarhro kriegen können, überqueren wir ihn nach dem gestrigen Ruhetag gleich noch einmal. Diesmal von N’kob aus nach Skoura.

Zuvor besuchen wir jedoch die Felsgravuren von Ait Ouznik. Dort erwartet uns ein Wächter, der uns gegen einen Obolus die Stätte zeigt. Stilisierte Giraffen, Gazellen, Pferde, Vögel, Fangnetze, Fischreusen, Steinschleudern und andere grafische Muster zeugen vom einstigen Fauna-Reichtum in der heutigen Trockensteppe. Besonders angetan hat es uns eine sehr deutliche Straussen-Ritzung.

Die heutige westliche Sarhro-Überquerung lässt sich landschaftlich nicht mit derjenigen von vorgestern vergleichen. Dennoch ist sie gewaltig und überwältigend. Wir hottern in einem ständigen Stop-and-go. Fotografieren, filmen, wiederum fotografieren, wechseln der Kamera ….

Völlig entkräftet kommen wir am Abend im in der Oase von Skoura versteckten Dar 123 Soleil an. Als wir durchs Eingangstor fahren, haben wir Zweifel, ob das Camping bzw. Gästehaus geöffnet haben: Der Platz wirkt vernachlässigt, ein Bauarbeiter mauert an den Wasseranschlüssen, kurzum es herrscht ein Tohuwabohu. Als wir den Motor abstellen, kommt jedoch ein kurliger Herr mittleren Alters mit Hut auf uns zu gerannt und beteuert, dass das Dar offen ist und die Köchin für uns ein Couscous kochen wird.  Doch zuerst führt er uns durch das einfache Haus und zeigt uns die desolat, in viel zu engen Gehegen gehaltenen Gänse, Enten und Hühner sowie den herzzerreissend schreienden Esel. 

Das draussen servierte Nachtessen ist exquisit und das erste Bier in Marokko ein Genuss. Müde und zufrieden lassen wir den Tag ausklingen.


Samstag – Montag, 15. -17. Oktober, Skoura über das Tal der Rosen ins Tal Ait Bou Guemès
Wetter: ab und zu durchdringt ein Sonnenstrahl die dicke Wolkendecke, nachts starker Regen, Temperatur kühlnasse 6 – 16°C

Auf dem Weg ins isolierte Hochtal Ait Bou Guemès (das glückliche Tal), überqueren wir drei steile Pässe über 2’800 m ü. M., fahren unendlich viele Serpentinen, begegnen einsamen, kargen Tälern und benötigen für eine Strecke von ca. 180 km 8 Stunden. Hannibal hat seine Zeit gebraucht, um die Höhenunterschiede zu bewältigen.

Im zweiten Gang und bei 20 km/h «kriecht» er gemächlich, ruhig und stoisch wie ein alter Esel (sorry Hannibal!) die steilen Bergflanken hinauf. Kurz bevor wir die letzte Passhöhe beim Tizi-n-Ait Imi (2’913 M.ü.M) erreichen, werden wir von einem Wolkenbruch überrascht. Schnell wird die Piste «seifig» und die Räder verlieren ihre «Griffigkeit». 300 m über unseren Köpfen schneit es bereits und die Sicht wird allmählig schlechter. Zum Glückt scheint nach kurzer Zeit die Sonne wieder und wir beginnen die lange Abfahrt ins Tal. Motor und Bremsen werden heute stark strapaziert.

Die Hochebene vor Tabant kündigt sich mit kleinen isolierten Lehmsiedlungen, die an den steilen Berghängen kleben, an. Im Hochtal angekommen, stossen wir auf eine sattgrüne breite und sich über 35 Kilometer – zwischen dem Dorf Agouti und dem See Izourar – dahinziehende Oase. Hier wird alles angepflanzt, was die Leute im Alltag brauchen und darüber hinaus Äpfel (gemäss den Talbewohnern, die besten Marokkos, besser sogar als diejenigen von Midelt) für die Städte. Wir weichen Turm hohen mit Äpfeln beladenen Lastwagen, deren Achsen quietschen und deren Ladung gefährlich schwankt, aus.

Im kleine Hotel Flilou – La Maison Berbère in Agouti beziehen wir ein kleines, blitzeblankes frostiges Zimmer mit superwarmer Dusche. Die Halbpension für zwei Personen beträgt gerade Mal lächerliche 500 DRH bzw. 50 CHF.

Doch der Wettergott meint es nicht gut mit uns. Die satte kühle Brise vom Vortag geht am nächsten Morgen in Sturmböen über und am Mittag prasselt ein kräftiger Regen nieder. Der 4000er Ighil M’Goun ist mit Neuschnee überpudert. Wir haben gerade genug Zeit, um den Hügel zum kreisrunden Getreidespeicher Marabut Sidi Moussa zu besteigen, die verrückten Marathonläufer zu beobachten, die sich auf den Hügel hinaufkämpfen und zur etwas gemütlicheren Ecolodge Touda nach Tabant zu fahren.

In der Ecolodge Touda beziehen wir ein schön eingerichtetes Zimmer und werden in der einladenden Lounge zuerst einmal mit Tee, Nüssen, Biskuits und frisch gepresstem Apfelsaft aus der Region verwöhnt. Hier werden wir zwei Tage ausruhen und mit der Equipe des Hauses – dem charmanten und immer ein Lied auf der Lippe habenden Ahmed und der scheuen, exquisiten Köchin Nemja – lachen und uns austauschen.

Dienstag, 18. Oktober, Tabant – Imilchil
Wetter: Der stürmische Wind der letzten Tage hat sich etwas gelegt, die Sonne scheint. Temperatur kühlnasse 10 – 20°C

Ungern verlassen wir um 10:00 die Touda Ecologe in Richtung Infrane. Bezüglich Routenwahl sind wir noch unschlüssig. Schlussendlich entscheiden wir uns für die wenig bekannte Assif Melloul-Piste. Zuerst folgen wir jedoch dem von Pistenkuh beschriebenen Weg und nehmen von Tabant aus die RR302 bis zum Dorf Zaouia Ahansal.

Nach Tabant erklimmen wir nochmals eine Passhöhe von 2’782 m ü. M., werden aufgrund der wie gefaltete Tortenstücke das Innere nach aussen kehrenden Verwerfungen Zeuge der hier vorherrschenden Geologie und kommen in der Gemeinde Assemsouk an einem toten Wachholderwald vorbei. Dies ist umso trauriger, da die robusten Bäume bis zu 1000 Jahre alt werden können und die Übernutzung durch den Menschen ihr Todesurteil war. Nur einige wenige haben dem Tod ein Schnippchen geschlagen und tragen wieder ein wenig Laub. Die Sicht auf die umliegenden Bergformationen ist grandios. Von weitem sehen wir bereits die «Cathedrale des Roches», ein gewaltiger Felsendom, der wie ein Wächter das Tal grimmig beobachtet und vor Eindringligen zu beschützen scheint.

Da das asphaltierte Strässchen gut unterhalten ist, haben wir ein wenig Zeit die in Marokko verbrachten Tage zu resümieren: Auf dem Lande ist der Esel immer noch das Haupttransportmittel für Mensch und Ware. In stark kupierten und steilen Geländen wird der Natur durch Terrassierung etwas Erde für den Ackerbau abgerungen. Die harten und zum Teil bereits erwachsenen Gesichtszüge der Kinder zeugen vom entbehrungsreichen Leben in der Abgeschiedenheit des Hohen Atlas. Wo das Leben hart ist, ist Gemeinschaftssinn gefragt. 

Ein Zeichen hierfür sind die Speicherburgen, die die Dörfer überragen – ein schöner von Amerikanern restaurierter Speicher liegt in Amezray bei Zaouia Ahansal. Aber auch in der Abgeschiedenheit und in ärmlichen Regionen ist das Handy ein omnipräsentes Statussymbol bei Jung und Alt. Demgegenüber ist die Landwirtschaft im Mittelalter stecken geblieben. Die Felder werden noch mit dem Esel gepflügt und von Hand gehackt. Mit Sicheln ausgerüstete Frauen bringen über dem Boden gebückt die Ernte ein.

Kurz nach Tifouina wird aus der schmalen asphaltierten Strasse eine leicht holprige Piste, die durch einen Kiefernwald führt. Hier zweigen wir auf ca. 1’150 m ü. M. rechts in die Assif Melloul Schlucht ab … und unsere Unterkiefer fallen runter. Was für ein Spektakel! Die Schlucht ist eng, die Piste schmiegt sich, nein sie klebt regelrecht, an der steilen und fast senkrechten Felsenwand. Hellgrünen Kakteenkissen «weichen» das sonst so brachiale Bild etwas auf.

Hie und da verbindet eine schmale Fussgängerbrücke die zwei Seiten der Schlucht. Ein Zeichen dafür, dass irgendwo am Berg immer noch Menschen leben. Zeugen dafür, dass hier im Tal immer noch gelebt wird, sind auch die wenigen bestellten Felder (Luzerne, Kartoffeln, Äpfel …) in Flussnähe.  Neben den Menschen sind hier auch Affen anzutreffen. Eine Familie von Makaken springt uns vor die Motorhaube, als wir sie bei der Futtersuche aufschrecken. Sobald sie sich in der Felsenwand in Sicherheit gebracht haben, beobachten sie uns arrogant von oben herab.

Je tiefer wir in die Schlucht eindringen, desto imposanter wird die Szenerie. Kurz vor dem Dorf Anergui weitet sich die Schlucht … und wir sind in Utah angekommen!

Nach Anergui, wo wir bei einer Gite hätten übernachten können – es aber nicht getan haben (die Gründe haben sich in unseren Gehirnwindungen aufgelöst) – folgen wir einer relativ gut unterhaltenen und geteerten Strasse bis Tafsrat N Ait Abdi. Als wir langsam auf den engen, ungepflasterten Gassen durch das Dorf fahren, rennen Kinder – in der Hoffnung, dass es etwas zu holen gibt – auf uns zu. Sie werden von uns (leider für sie) eines Besseren belehrt. Das Bild eines Dorfes aus einer anderen Zeit wird dadurch verstärkt, dass die Lehmstrasse, da es vor kurzem geregnet hat, schlammig ist. In diesem Schlamm suchen Hühner nach etwas Essbaren, spielen Kinder miteinander und eine Gruppe Frauen kauert über einem Rinnsal und wäscht Kleider. Männer laden eine Fuhre von Säcken mit Trockenmist von einem Transport ab. Die Äcker für die kommende Saison müssen vorbereitet und bestellt werden. Der Mist ist für eine «gute» Ernte unverzichtbar. 

Zu guter Letzt werden wir am Dorfausgang von einer auf einer wilden Mülldeponie weidenden Schaf- und Ziegenherde verabschiedet.

Gedankenverloren fahren wir weiter und übernachten zum zweiten Mal am Isli See nördlich von Imilchil. Diesmal ist kein Regen in Sicht. Weit und breit kein anderer Wagen. Wir sind allein. Nur ein lästiger Wind fegt durch die Gegend und lässt die sich bereits nicht angenehm anfühlende Temperatur noch kühler erscheinen. Wir basteln wenig überzeugt ein Nachtessen zusammen und gehen früh zu Bett. Der Himmel ist pechschwarz und lässt die Milchstrasse strahlend wirken.

Kaum haben wir uns in die «Horizontale» gelegt, schon beginnen die Böen heftiger zu werden. Wir versuchen dies lange zu ignorieren … bis wir um 02:00 am Morgen das Hubdach notfallmässig einfahren müssen. Durch den stürmischen Wind lässt sich das Hubdach nur grossem Kraftaufwand senken. Der Umzug vom oberen ins untere Schlafgemach dauert knapp fünf Minuten. Bis kurz nach Sonnenaufgang werden wir wie eine Nussschale im stürmischen Meer hin und her geschüttelt.


Mittwoch – Donnerstag, 19. – 20. Oktober, Imilchil – Tinghir via Gorge Boumalne de Dades
Wetter: Sonnig. Temperatur 8 – 24°C

Etwas benommen brechen wir am Morgen auf. Die Pappeln leuchten mit ihrem gelborangen Kleid in der kühlen Morgenluft und bilden einen hübschen Kontrast zu den sattgrünen Feldern und den kahlen steilen mit Gesteinsschichten durchzogenen braun-rot-beigen Bergen.  Die Frauen und Kinder, die entlang der Strasse mit Eseln unterwegs sind, haben Wolldecken um die Schultern geschlungen.

Der Nationalstrasse RN12 entlang reihen sich kleine staubige Siedlungen von Feldern umgeben aneinander. Während auf den Äckern hochbetriebt herrscht, langweilen sich die kleinen Kinder auf dem staubigen Boden sitzend vor dem Haus. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den nah an ihnen vorbeisausenden Autos zuzuschauen und ihnen nachzuwinken. Für Fabrizio und mich ein trostloses Bild. Wir sind froh, als wir auf eine Nebenstrasse abzweigen können und auch darüber, dass der Track über Agoudal, Msemrir und die Dades-Schlucht kürzlich bis zur Passhöhe Tizni-n-Ouano asphaltiert wurde.

Auf 2’915 m ü. M. angekommen, geht die dreispurige Strasse abrupt in eine schmale steinige und einspurige Piste über. Was folgt ist einfach atemberaubend. Doch bevor wir das Panorama geniessen können, werden wir von einem entgegenkommenden Lastwagen erschreckt, der breiter als die Piste scheint. Wir schicken uns an, die paar Hundert Meter bis zum Asphalt im Rückwärtsgang zurückzufahren, als der LKW uns mit Lichthupen zu verstehen gibt, dass er auf einer Ausweichstelle auf uns wartet und wir passieren können. Wir wundern uns, wie er es bis hierhergeschafft hat. Von Msmerir bzw. dem Dörfchen Tilmi her sind gut 900 steile Höhenmeter und enge Kurven auf einer Piste zu bewältigen. Wir benötigen für die nächsten 12 km auf steiniger Piste bis zum Beginn des Asphaltbelags vor Timli gute zwei Stunden. Die Aussicht von der Hochebene auf den «Grand Canyon» Marokkos ist unbeschreiblich und überwältigend. Wir können den Blick auf die Schlucht gar nicht oft genug knipsen und treffen dann auf zwei sympathische junge Berner (schon wieder Berner), die es mit ihrem Volkswagen T2 ebenfalls, wie der LKW die steilen Kehren hinaufgeschafft und auf rund 2’800 m ü. M. übernachtet haben. Nach einem lockeren Erfahrungsaustausch fahren wir weiter durch die enge Dadesschlucht bis nach Tinerhir.

Auf dem Camping Altlas wollen wir uns nach den vielen Kilometern der Vortage einen Tag erholen und durch die schöne Oase schlendern. Auf unsrem Spaziergang durch die marokkanische Gärten Edens treffen wir auf viele Frauen, die über ihre Kleidung ein weisses Tuch geschlungen haben – ein Zeichen der Trauer wie uns später Mohammed vom Camping erklärt. Sie hüpfen behände mit Ihren Gummi-Sandalen über den Wassertragenden Fluss von Stein zu Stein und kichern über unsere Unbeholfenheit, es ihnen gleichzutun. Gute zwei Stunden lustwandeln wir durch diesen Ort der Ruhe und besichtigen auch die alten verlassenen Ruinen eines Lehmdorfes. Wir werden von den Leuten, die uns begegnen freundlich mit «ça va?» begrüsst. Oft reichen ihre Französischkenntnisse nicht aus, um auf unsere Gegenfrage zu antworten. Als wir einem Herrn erwidern, dass wir von der Schweiz kämen, lässt er uns seinen Blick auf unsere Heimat wissen: «ein Land, in dem alle gleich sind.» Eine tiefgreifende Aussage …


Freitag – Samstag, 21. – 22. Oktober, Tinghir – Erfoud – Merzouga
Wetter: Sonnig. Temperatur 14 – 31°C

In der Provinzhauptstadt Tinghir (ca. 42’000 Einwohner) stoppen wir, um einzukaufen, Geld zu wechseln und zu tanken. Das Einkaufen im gemäss Kohlbach auf die Touristen ausgerichteten Ladens Chez Michèle geht schnell, da das Angebot sehr sehr übersichtlich ist. Ausser zwei Dosen Pringles, Konfitüre, der letzten Packung Nudeln und zwei Büchsen Thon bleibt mein Einkaufskorb leer. Weder Kaffee noch Butter oder z. Bsp. Büchsenerbsen sind erhältlich. Der Vorgang des Wechselns dauert schon einiges länger. Nach der gründlichen Kontrolle meines Passes wird das Bündel Dirham immer und immer wieder in die Zählmaschine eingelesen, bevor es der Kassier mir überreicht.

Mit vollem Tank geht es auf Asphalt in Richtung Süden. Spontan besuchen wir vor Tinejdad den Ksar El Khorbat. Das mit einer Mauer umfasste Lehmdorf wurde von den Einwohnern zusammen mit Spaniern sorgsam restauriert. In der brütenden Mittagshitze besuchen wir das sehr lehrreiche Berbermuseum, das uns einen Einblick in das Leben der einheimischen Stämme von einst und jetzt gibt. Wir steigen über Treppen die mit Fotodokumentationen und Exponaten bestückten Etagen bis zur Dachterrasse hoch und begeben uns via Terrasse zum nächsten Gebäude … Total sind es drei. Am Schluss landen wir, wie es sich bei einem Museum gehört, beim Souvenirshop vor dem Ausgang. Dort sitzen zwei junge Frauen im schummrigen Licht, die Schals in traditioneller Weise besticken. Sabine kann nicht widerstehen und ersteht für 70 DH, knapp 7 CHF, ein solches Foulard.

Der oberflächliche Anblick von unserem Tagesziel Goulmima und seinem Camping animiert uns nicht zum Bleiben. So fahren wir über die Wüstenstrecke SEG, die an den Bauwerken des Künstlers Hannsjörg Voth vorbeiführt, weitere gut 100 km nach Erfoud.

Nach Goulmima führt uns die Streck zuerst an beKwässerten Palmenplantagen und dann an Nomadensiedlungen vorbei. Die folgenden engen Dorfpassagen versuchen wir, so gut es geht, zu umfahren. Dann endlich liegt die flache Steinwüste umrahmt von zwei Bergketten vor uns und wir können auf das erste Kunstwerk von Hannsjoerg Voth zuhalten. Schon von weitem hebt sich die mit Natursteinen gebaute Goldene Spirale von der Natur ab. Den Dimensionen (97x60m) des Kunstwerks liegt eine mathematische Folge von natürlichen Zahlen zugrunde. Gegen das für Marokko beträchtliche Eintrittsgeld von je ca. 15 CHF dürfen wir uns der Spirale nähern. Erst bei der einige Kilometer weiter liegenden Stadt des Orion kriegen wir die Tickets und auch eine Broschüre, die wir dann beim dritten Kunstwerk, der Himmelstreppe vorweisen können. Die Skulpturen, in denen der heute betagte Künstler auch gelebt hat, sind den Umweg und auf jeden Fall auch den Preis wert. Sie sind dank der hierfür gegründeten Stiftung aïn nejma sehr gut unterhalten.

Die Sonne liegt bereits tief über dem Horizont als wir wieder losfahren. Das Licht leuchtet goldig und wir sind im «Stress». Bald … sehr bald wird es dunkel werden und wir sind noch knapp 40 km von Erfoud entfernt. Die Umgebung ist flach und bietet keinen Schutz. Für uns kein idealer Ort für ein Bivouac (wildes Camp). Abgesehen davon verspricht der Campingführer von Frau Kohlbach beim Camping Karla in Erfoud «Wundersames». Doch die letzten Kilometer ziehen sich in die Länge. Je näher wir dem Ziel kommen, desto mehr entfernt es sich gefühlsmässig. Hundemüde erreichen wir im Dunkeln den Zeltplatz. Eine schwach beleuchtete Tafel am Strassenrand weist uns den Weg. Wir fahren durch das Tor und parkieren Hannibal neben einer Dattelpalme.

Wir duschen, essen etwas Warmes (wir sind die einzigen Gäste des Restaurants) und legen uns zu Bett. Bei Tageslicht am nächsten Morgen zeigt sich uns das Ausmass der Vernachlässigung des Campings. Ein verunfallter Mercedes mit eingeschlagener Frontscheibe, zerstörter Hinterachse und zugemüllter Fahrerkabine ist notdürftig mit einer Blache abgedeckt und versinkt neben uns langsam im Staub. Auch der Toilettenblock hat schon bessere Zeiten gesehen und bestimmt seit längerer Zeit keinen Putzlappen. «Woher kommt die positive Bewertung Kohlbach?», fragen wir uns. Sicherlich … zwei Jahre Covid haben an der Substanz genagt.  Aber … hätte man diese Zeit nicht auch für Instandhaltungsarbeiten nutzen können, statt auf die Wiedereröffnung zu warten?

Wir sind nicht traurig, als wir Erfoud, das sich seit unserem Besuch vor 23 Jahren von einem Wüstendorf mit drei Nebenstrassen zu einer Kleinstadt mit rund 30’000 Einwohnern gemausert hat, hinter uns lassen. Östlich von Maadid fädeln wir in eine Piste Richtung Süden ein. Die ersten Kilometer bewegen wir uns durch eine breite Schlucht und werden von den dort temporär ansässigen Nomadenfamilien sofort in Beschlag genommen. Ein einbeiniger Hirt sichtet uns von Weitem und «rennt» mit seinen Krücken zum Pistenrand. Das «leere» Hosenbein flattert dabei im Wind wie der Propeller eines Helikopters in der Luft. Wir wissen nicht, ob wir bei diesem Anblick lachen oder weinen sollen. Vorerst stoppen wir. Er fragt uns, ob wir etwas zum Essen und Trinken für ihn haben. Zum Glück können wir ihm mit einem Laib Brot vom Frühstück und einer Flasche Mineralwasser aushelfen. Eine Kurve weiter stoppt uns ein weiterer Hirte. Er wirkt aufgeregt und ist mit seinen Forderungen (Kleider, Schuhe, Essen … und schliesslich) ziemlich aufdringlich. Er bekommt unser letztes Brot und dankt es uns mit einer enttäuschten grimmigen Miene. Er nimmt einen letzten Anlauf uns versucht uns einige Dirhams abzuknüpfen. Ohne Vorwarnung geben wir Gas und lassen ihn verdutzt zurück.

Beim Verlassen der Schlucht breitet sich eine weite Ebene vor uns aus. Es wird holprig und technisch etwas anspruchsvoller. Entsprechend langsam kommen wir vorwärts. Gemäss unserer Routenbeschreibung müssten wir in regelmässigen Abständen auf Fossilien-Verkaufsständen treffen. Doch von diesen bleiben nach zwei Jahren Covid nur noch die Holzgestelle übrig. Sie sind die traurigen Opfer des langen marokkanischen Lockdowns.

Ca. 40 km vor Merzouga bleiben wir zum ersten Mal im Sand eines Oueds (Trockenflusses) stecken – obwohl wir den Reifendruck bereits im Vorfeld reduziert hatten – früher oder später musste dies passieren. Wir lassen noch mehr Luft raus und fahren fast ohne Probleme bis Merzouga. Je mehr wir uns den Dünen des Erg Chebbi nähern, desto intensiver wird der Verkehr. Leider haben sich diese (so wie die umliegenden Gebiete) zum Spielplatz für Offroader, Quadfahrer und Enduro-Motorradfahrer entwickelt. Wie Besessene und mit hoher Geschwindigkeit sausen sie pausenlos und unbedacht über die Dünen.

Wir übernachten in der Auberge La Gazzelle Bleu in Merzouga. Eine kleine und feine Pension mit einem durch eine hohe Mauer umzäunten Campingplatz. Wir werden von Ibraim, dem Besitzer, herzlich empfangen. Von der Dachterrasse beobachten wir das emsige Treiben rund um den Erg Chebbi. Neben den motorisierten «Dünenbezwingern» sind hier auch Kameltreiber, Souvenirverkäufer sowie Touristen, die sich zu Fuss in den Dünen abkämpfen, bis spät in die Nacht unterwegs. Auf wundersame Weise passiert in diesem Wirrwarr heute Abend kein Unfall.

Wir lassen den langen Tag bei einer exzellenten Tajine abklingen (die Küche der Auberge ist vorzüglich).

Sonntag, 23. Oktober, Merzouga
Wetter: Sonnig. Temperatur 14 – 33°C

Heute wird einfach gefaulenzt!

Montag, 24. Oktober, Merzouga – Taouz – Merzouga
Wetter: Sonnig. Temperatur 15 – 33°C

Kurz vor dem Dorf Taouz zweigt rechterhand eine Piste ab. Diese führt nach knapp 5 km zu Felsgravuren. Nachdem wir wieder einmal einer Schar Kinder am Pistenrand ausgewichen sind, überqueren wir eine weisse Wüstenebene. Es staubt, was das Zeug hält. Sonst ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Wir hoffen, dass wir bei den Gravuren nicht schon wieder einen vermeintlichen «Guide» antreffen, der uns den üblichen Ramsch anzudrehen versucht. So weit so gut … bis zu den letzten 100 m alles frei! Dann hinter dem letzten Hügel … voilà … ein Verkaufstand und der dazugehörende Verkäufer. Als er uns sieht (er hatte uns sicherlich bereits vor einer Weile entdeckt … Hannibal ist alles andere als leise und bewegt sich nicht gerade auf samtigen Katzenpfoten) steht er schnell auf und bewegt sich in Position. Wir umkreisen seinen Stand mit Hannibal, stellen den Motor ab und steigen aus. Wir begrüssen ihn freundlich. Er spricht den Standardsatz «Bonjour … ça va? ça va bien? bien dormi?» aus. Wir antworten «standardmässig» mit zweimal «Oui».  Wir schauen uns etwas herum und er zeigt uns, mit einer Handbewegung, wo sich die Felsgravuren befinden. Kurz danach gesellt er sich zu uns und versucht uns, in sehr gebrochenem Französisch, die Felsgravuren zu erklären. Irgendwie sind wir froh, dass er dabei ist. Ohne ihn hätten wir kaum die ganze Vielfalt dieser prähistorischen Kunstwerke entdecken können.

Am Ende der «Tour» landen wir wieder bei «seiner» Auslage. Staubige Steindromedare, gestickte Geldbeutel, Hämatit Ketten und -ringe, kleine Fossilien und vieles mehr sind etwas unordentlich und durcheinander auf dem Tisch ausgebreitet. «Wir kaufen nichts … aber wir zahlen gerne für deine Hilfe bei den Gravuren» ist unser Angebot. Er nimmt es gerne entgegen.

Gegen 13:00 machen wir uns auf den Rückweg Richtung Merzouga. Statt wie am Morgen den kürzesten Weg über Asphalt zu fahren, zweigen wir nach Taouz rechts ab und folgen einer Piste, die sich nah an der algerischen Grenze befindet. Mit wenigen Ausnahmen handelt es ist um eine leichte Fahrt. Die Natur beschenkt uns aber mit rosaroten Bergformationen, mit fast weissen Dünen, die in der pechschwarzen Steinwüste wie äusserst hübsche Farbspritzer wirken.

Da die Marokkaner mit den Algeriern nicht gut Kirschen essen sind, treffen wir auf einen Militärposten. Ein fast zahnloser und etwas verwahrloster Beamte (er läuft mit einer zerrissenen Trainerhosen herum) bittet uns, zu stoppen, begrüsst uns mit «Bonjour … ça va? ça va bien? bien dormi?» und fragt uns nach der Fiche. Mit dem Stück Papier in der Hand verschwindet er in sein Büro. Kurz danach erscheint ein anderer Beamte mit einem Tablett Tee, Nüssen und Datteln. «Willkommen in Marokko» begrüsst er uns. Mit einem unsicheren Lächeln bietet er uns seine Gaben an. Der Tee ist kalt, die Gläser waren vor Jahren sicherlich sauber. Aber irgendwie freuen wir uns sehr – an diesem unwirklichen Ort – über diese nette, menschliche und unerwartete Geste.

Der Chef des Postens taucht wieder von seinem Büro auf. «Tout bien?» fragen wir ihm erwartungsvoll. «Tout bien!» antwortet er und gibt uns die Fiche zurück.

In der Zwischenzeit hat sich eine Traube Beamter zu uns gesellt. Keiner trägt eine Uniform oder ist als Soldat erkennbar. Sie kommen uns eher wie Jungs in einem Sommercamp vor, die den ganzen Tag erfolglos versuchen, sich die Zeit tot zu schlagen. Wir bemühen uns, sie mit etwas small talk zu unterhalten. Vergeblich. Sie sprechen und verstehen kaum Französisch. So verabschieden wir uns mit «mai salama»

Auberge Dar Lajoud in Sidi Ali

25. – 31. Oktober, Merzouga – Rissani – Sidi Ali – Zagora

Das Wichtigste in Kürze:

Entlang der Piste von Rissani nach Remlia bleiben wir in einem Wirrwarr von Dünen stecken. Helfen marokkanischen Reisenden, inmitten vom nirgendwo, ihre defekten Räder zu reparieren und gehen auf Fossiliensuche mit Said in Sidi Ali.

Auf dem Weg nach Zagora, nachdem wir den majestätischen Pass Tizi n’ Tanekfoult überquert haben, riskieren wir Kopf und Kragen, als wir eine stark beschädigte Piste zu fahren versuchen. In Zagora versucht uns nicht zuletzt ein eifriger Garagist eine unnötige Reparatur aufzuschwatzen.

Klicke auf das Piktogramm, um die Animation der gefahrenen Strecke zu sehen

Dienstag, 25. Oktober, Merzouga – Rissani – Sidi Ali
Wetter: Sonnig. Temperatur 14 – 33°C

Ungern verlassen wir die Auberge La Gazelle bleu aber wir möchten etwas «tiefer» in die marokkanische Wüste eindringen. Unser Weg führt über die lebendige Stadt Rissani. Die Gegend wird, analog Tinghir, grosszügig entwickelt. Gewaltige Landstücke sind bereits mit Strassen und Strassenlaternen erschlossen, die Bauparzellen mit weisser Kreide ausgeschieden und die dazugehörigen Stromanschlüsse installiert.

Südlich von Rissani wurden alte und zum Teil verfallene Kasbahs in einem sogenannten «Parcour Touristic» durch eine asphaltierte Strasse verbunden. Gemäss unserem Reiseführer eine durchaus lohnende Visite. Na ja, ausser sehr aufdringlich bettelnden Kindern und mehr oder weniger erhaltenen Kasbah-Ruinen ist nicht sehr viel zu sehen. Beim einzigen Versuch in Ksar Jdid El Ghorfa den Ksar Moulay zu besichtigen, werden wir so von Kindern bedrängt, dass wir unser Vorhaben nach wenigen Minuten abbrechen. Zu guter Letzt werden wir beim Einsteigen in Hannibal nochmals von einem Souvenirverkäufer bedrängt. Wir wimmeln ihn ein wenig unsanft ab (sorry … aber manchmal hilft immer nett und korrekt zu sein nicht).

Wir haben Mühe, die von Pistenkuh vorgeschlagene Route Richtung Remlia zu finden. Anscheinend wurden in dieser Region unzählige Felder neu angelegt und so sind diverse Pistenstrecken den bestellten Äckern zum Opfer gefallen. Nach mehreren Anläufen finden wir den «Anfang» des «Wollknäuels». Eine steinige und holprige Piste liegt vor uns «ausgerollt». Wir überqueren Bergkamm um Bergkamm bis wir eine breite und sandige Talsohle, ein Oued, erreichen. Steine weichen hier Sand und wir beginnen, zu «schwimmen». Eine nicht allzu tiefe Sandschicht bedeckt den Track. Wir zickzacken im zweiten Gang zwischen Büschen und ausgetrockneten Spurrillen. Nach knapp 7 km gehen die Dünen wieder in Steinwüste über und wir werden erneut hin und her geschüttelt.

Kurz danach hält uns ein hupender grüner Mercedes-Kastenwagen an. Der Fahrer steig aus uns ruft uns zu «Pumpa, Pumpe, Pompa» oder etwas ähnliches und deutet gleichzeitig mit der Hand auf das vordere rechte Rad. Tatsächlich ist dieses «platt»! In Zeichensprache und Französisch geben wir ihm zu verstehen, dass wir über die nötige «Infrastruktur» verfügen, um sein Problem zu lösen. «45 psi» gibt er uns zu verstehen und schreibt gleichzeitig die Zahl 45 mit einem Fingern in den weichen Sand. So viel muss der Druck sein (in bar umgerechnet sind diese ca. 3-3.1 bar). Fabrizio schliesst sein Luftkompressor an und schnell ist das Rad aufgepumpt.

Kaum sind wir fertigt, taucht ein zweites Rad auf. Dieses hat ein Loch und muss repariert werden. Vermutlich handelt es sich um den Reifen, der zuerst kaputt gegangen ist und durch das Reserverad ersetzt wurde, das nicht über genügend Druck verfügte. Fabrizio, der Wüstenheld, holt sein Reparaturset heraus und flickt das Rad im Nu. Der Fahrer des grünen Mercedes-Kastenwagens ist sichtlich überglücklich und hört nicht mehr auf, sich bei uns zu bedanken. Fabrizio informiert ihn in gut schweizerische Manier, dass wir keine Garantie auf die ausgeführten Reparaturarbeiten abgeben können.

Ach Scheisse! Nachdem wir die Pistenspuren zwischen den Sanddünen verloren haben, bleiben wir im tiefen Sand gottjämmerlich stecken. Während Fabrizio den Luftdruck der Räder weiter senkt, sucht Sabine nach einem Ausweg aus diesem Labyrinth. Kurz danach bewegen wir uns wieder auf festem Grund und sind erleichtert.

Im Camping Oasis El Mharech schlagen wir nach einem anstrengenden Tag unsere Zelte auf. Die Toiletten sind zwar in einem miserablen Zustand und eine Gruppe alkoholisierter Franzosen hält den ganzen Campingplatz auf Trab, aber das Nachtessen im Restaurant ist gut. Für eine Nacht geht die vernachlässigte Infrastruktur in Ordnung, aber für mehr stehen in der unmittelbaren Umgebung bessere Unterkünfte zur Verfügung.

Und so «landen» wir am kommenden Tag im Auberge Dar Lajoud in Sidi Ali. Es stellt sich heraus, dass Said, der Besitzer der Auberge, der Bruder des Besitzers der Oasis El Mharech ist.

 

Mittwoch – Donnerstag, 26. – 27. Oktober, Sidi Ali und Umgebung
Wetter: Sonnig. Temperatur 12 – 34°C

Said und seine Frau Fatima (eine exzellente Köchin!) führen hier eine sehr saubere Unterkunft. Einzig die zwei türkischen Toiletten mit integrierter, warmer Dusche des Campinglatzes weisen noch grosses Entwicklungspotential auf.

Dass Said ein erfolgreicher Fossiliensammler ist, ist beim Eintreffen in seine Auberge nicht zu übersehen. Türme von Fossilien (Trilobiten, Ammoniten, Schwämme …) und andere, für das unwissende Auge nicht einzuordnende «Steine», stapeln sich beim Eingang und in den schön dekorierten Räumen der Auberge. Said ist nicht nur Sucher, er kennt sich mit der Geologie sehr gut aus und gibt gerne darüber Auskunft.

Wir buchen für den kommenden Tag eine Fossilien-Exkursion. Said und sein Bruder Assan, der gerade für einen paar Tagen von der Armee beurlaubt ist, begleiten uns. Der Erfolg wird sich in Grenzen halten. Wir wandern und suchen nach Fossilien aus unterschiedlichen Zeitperioden an drei Standorten. Die «besten» Stücken finden Said und Assan … ja klar, sie haben die geübtesten Augen und wissen, worauf sie Acht geben müssen.

Nichtsdestotrotz kehren wir am späten Nachmittag müde, aber zufrieden zurück. Neben dem Suchen haben wir auch Zeit, während des Mittag-Pick-Nic mit Said und Assan über Gott und die Welt zu reden, über ihre Wertvorstellungen, über das Leben in der Wüste (beide stammen aus einer Nomadenfamilie), über die Covid-Zeit, die in den letzten zwei Jahren alles auf den Kopf gestellt hat und nicht zuletzt über die Wichtigkeit sich um seine betagten Eltern, welche sie als «Trésor» bezeichnen, zu kümmern.

Freitag – Samstag, 28. – 29. Oktober, Sidi Ali – Camp Serdrar
Wetter: Sonnig und Unmengen von Fliegen. Temperatur 12 – 33°C

Auf Wiedersehen Said! Auf dem Weg nach Zagora möchten wir eine «Schleife» in Richtung Tazzarine fahren und eine oder zwei Nächte beim Camp Serdrar, welches wir bereits vor knapp zwei Wochen besuchten, verbringen. Die türkischen Toiletten haben uns beeindruckt und wir möchten wieder die Annehmlichkeiten einer sauberen und grosszügigen Einrichtung geniessen. Darüber hinaus ist es höchste Zeit, unsere Kleider und Bettanzüge zu entstauben. Eine Wäsche ist fällig und Camp Serdrar verfügt über zwei «moderne» Waschmaschinen.

Die Piste, die wir für diese Strecke auswählen, ist nicht besonders attraktiv. Sehr steinig ist sie. Dieser Tatbestand macht das Fahren auf die Länge sehr anstrengend. Wir treffen auf ein paar zugemüllte Dörfer und auf die allgegenwärtigen Kinder. 

Wir fahren sogar, während 10 km Querfeldein, ohne Piste … und gehen dabei nicht einmal verloren.

Aus der geplanten einen werden im Camp Serdrar schlussendlich zwei Nächte. Wir sind wieder soweit – wie schon in Spanien – verlangsamen wir unser Reisetempo immer mehr. Nach einem anstrengenden Tag brauchen wir meist ein bis zwei Tage Pause, um wieder auf die Felgen zu kommen.

Sonntag, 30. Oktober, Camp Serdrar – Zagora
Wetter: Leicht bewölkt, der Himmel ist milchig weiss. Temperatur 14 – 33°C

Der Tag beginnt friedlich. Brahim, der Besitzer des Camp Serdrar bring uns zum Frühstück frisches Hausbrot und Crêpes.

Da wir nach Zagora nicht auf dem direktesten Weg fahren möchten, fragen wir Ibrahim, ob er einen «besonderen» Tipp in seinem Zauberhut habe. «Ja» antwortet er. «Ihr könntet via Tizi n’ Tanekfoult fahren, die Piste ist schön und in Ordnung». Das mit dem «in Ordnung» werden wir später, im Laufe des Tages anders erleben.

Der Pass Tizi n’ Tanekfoult liegt pittoresk zwischen zwei majestätischen erodierten Bergflanken. Die Fahrt dorthin führt uns zuerst durch ein breites und mit Palmen «dekoriertes» Wadi (Assif Bou Ihdaddachene). Hie und da, wie die schwarzen Felder eines Schachbrettes, leuchten sattgrüne Luzernen-Felder auf. Wir treffen auf Bauern, die die steinigen Ackerfelder für die Installation von Bewässerungsanlagen vorbereiten. In regelmässigen Abständen heben sie Rinnen aus. Hier werden sie später die Bewässerungsleitungen versenken. Nach mehreren Jahren Trockenheit, ist jeder Tropfen Wasser Gold wert.

Als wir das Wadi verlassen, weitet sich die Talebene. Einzelne Lehmhütten sowie mit Solarzellen bestückten Wasserpumpanlagen und Häuser im Rohbau säumen die Piste. Als der Track zu steigen beginnt, sichten wir die ersten spektakulären Bergformationen. «Das hier ist der Grand Canyon» ruft Sabine voller Bewunderung. Tatsächlich, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Oben auf dem Pass angekommen zeigt sich ein grandioses Panorama. Zwei Marokkaner, die von einem Felsen verdeckt die Weitsicht geniessen, erschrecken, als sie uns mit Hannibal entdecken. Da ihre Offroader die Piste versperren, steigen sie schnell wieder in ihr Fahrzeug ein und machen sich von dannen. Obwohl wir ihnen mit Händen und Füssen signalisieren, dass sie sich nicht beeilen müssen, sind sie im Nu weg.

Und nun beginnt die Abfahrt. Tiefe Auswaschungen, treppenartiges Gelände und die häufigen Schräglagen verlangen ein konzentriertes Fahren. Die Aufhängungen quietschen, unser Inventar im Wohnraum wechselt unaufhörlich seinen Platz. Nachdem wir die Talebene erreicht haben, stehen uns zwei Pistenoptionen zur Verfügung: geradeaus oder links abbiegen. Wir wählen «links abbiegen» und dies kostet uns beinahe Kopf und Kragen. Dabei übersehen wir den kleinen Damm, der quer über die Piste errichtet worden war, um den Vorbeifahrenden zu signalisieren, dass die Route technisch problematisch oder sogar unpassierbar ist.

Nach knapp 500 m erwartet uns die erste technische Herausforderung. Eine Auswaschung hat die Fahrbahn fast zur Hälfte weggespült. Sabine steigt aus, begutachtet die Situation und sagt «sie ist immer noch breit genug». Fabrizio fährt Hannibal so nah wie möglich an die Böschung … und wir kommen knapp durch. Nach weitere 100 m taucht die Piste fast senkrecht in einen tiefen Graben ein. Unten ist dieser so eng, dass Hannibals Po aufsetzt. Dank der hinteren Differentialsperre kommen wir auf der anderen Seite wieder aus der steilen Böschung hinaus. Später entdecken wir einen kleinen Schaden an der Stossstange.

Zu diesem Zeitpunkt ist uns noch nicht klar, dass wir den «Point of no return» bereits überschritten haben. Das heisst, wir können Hannibal nicht mehr wenden und Rückwärtsfahren ist keine machbare Option. Der Höhepunkt steht uns noch bevor. Die Piste, oder was noch von ihr übrig ist, verlässt die Bergflanke und taucht in ein trockenes Flussbett ein. Von oben betrachtet ist unsere Beurteilung «Unpassierbar!» Die Auswaschungen sind sehr tief und liegen ungünstig schräg über die Fahrbahn verteilt. Darüber hinaus ist die Böschung sehr steil und rutschig. Wir steigen beide aus, laufen die Böschung hinunter und beurteilen die Lage vom Neuem. Die Lösung ist schnell gefunden: wir füllen die Auswaschungen mit Steinen auf, von denen es im Flussbett nur so wimmelt. Nach einer knappen halben Stunde sind wir der Meinung «es genügt!». Sabine postiert sich im Flussbett und mit präzisen Handzeichen zeigt sie mir, wo die Räder hinmüssen. Erster Gang mit Untersetzung und ab geht die Post. Die anstrengende Arbeit hat sich gelohnt, runter kommen wir ohne Probleme. Wir überqueren das steinige Flussbett und finden auf der gegenüberliegenden Seite eine steile, aber machbare Auffahrt.

Gegen 16:00 erreichen wir den Camping Oasis Palmier in Zagora. Er ist bereit zum Bersten voll. Eine Gruppe Rotary-Offroader auf einer Wohltätigkeitsfahrt hat den Campingplatz bis auf die letzte Ecke besetzt. Der Campingmanager hat mit uns erbarmen und weist uns zwischen zwei Lastwagen ein.

Kaum haben wir uns eingerichtet schon kriegt Fabrizio eine Visitenkarte in die Hand gedrückt. «Mon ami, morgen kommst du in unserer Werkstatt vorbei, damit wir die Kardanwelle einfetten und den Luftfilter reinigen können». «Es kostet nur 3 Euro». Da wir diese Unterhaltsarbeiten bereits zuvor im Kopf hatten, sagen wir zu … nicht ahnend, dass sich es nur um einen Vorwand handelt, um uns dann eine viel teurere Reparatur aufschwatzen zu können.

Montag, 31. Oktober, Zagora
Wetter: Am Morgen arschkalt, sonst sonnig. Temperatur 10 – 30°C

Am Morgen nach dem Frühstück werden wir bei der Campingausfahrt bereits von einem Gehilfen der Autowerkstatt erwartet. Auf seinem Mofa weist er uns den Weg bis zur Garage Jaboud sich immer wieder nach hinten versichernd, dass wir nicht verlorengegangen sind. Dort angekommen müssen wir zuerst einmal warten. Vor uns sind noch zwei andere Kunden. Wie wir es bereits geahnt haben, war das Einfetten der Kardanwelle für läppische 3 Euro nur ein Lockvogel. Als der Mechaniker unter dem Auto hervorsteigt macht er uns auf einen Mangel am Vorderrad aufmerksam – es sei undicht und müsse für 400 Euro repariert werden. Wir überlegen, können uns aber nicht vorstellen, dass unsere Garage ORB einen solchen Defekt bei der Überprüfung vor unserer Abreise nach Marokko übersehen haben könnte. Da Fabrizio nicht einlenkt, folgt die Pfefferminztee-Zeremonie in der Hoffnung, dass wir irgendwie der vorgeschlagenen Reparatur zustimmen. Der Tee ist gut … wir bleiben hart. Wir lassen einen sehr enttäuschten, ja sogar verärgerten Chef-Mechaniker zurück.

Als wir dann zum Einkaufen weiterfahren haben wir sofort ein Mopedfahrer hinter uns, der uns durch das geöffnete Fenster «Zürcher Zürcher» nachschreit und uns zu einem Campingplatz führen will. Da wir einen solchen schon haben und ihm zu verstehen geben, dass wir einkaufen müssen, will er uns zum Souk führen. Wir lehnen mit den Worten einen Supermarkt zu suchen ab. Auch dies kein Problem für ihn … wir sollen ihm folgen.  Er hält vor einem kleinen Lebensmittelladen. Der «Supermarché» erweist sich eher als Kiosk mit aufdringlichem Verkäufer, der wiederum Sabine wie einen Schatten durch den Laden folgt. Wenigstens finden wir Joghurt, Kaffee, Brot, Spaghetti, Erbsen und Wasser. Dann geht unsere Einkaufstour mit dem übereifrigen «Guide» zum «Trésor des épices», eine Bio-Epicerie. Fabrizio möchte gern wieder ein Glas Amlou kaufen und wird dort fündig. Obwohl noch Wüsten- und Kasbah-Besichtigungstouren in seinem Repertoire stehen, schütteln wir «unseren Guide» endlich ab.

Im Camping angekommen haben wir nicht mehr die Musse und die Geduld, durch die Oase zum ehemaligen jüdischen Ksar Amezrou zu spazieren. Für heute sind wir der marokkanischen Anbiederei und Betteltour überdrüssig. Aber kaum sind wir angekommen und Fabrizio ist mit einem Nachbarn am Schwatzen, macht mir eine Campingplatzangestellte Zeichen und zieht Perlschmuck aus ihrer Schürze zum Verkauf hervor. Allerdings akzeptiert sie mein Nein, ohne mir lange etwas Aufschwatzen zu wollen. Diese Penetranz und Aufdringlichkeit lässt uns an Dörfern und kleinen Städten vorbeifahren. Schade, sehr schade sogar.

Tata

01. – 12. November: Zagora – M’hamid – Foum Zguid – Tata -Talouine – Igherm – Tata

Das Wichtigste in Kürze:

Wir entdecken die schöne und ruhige Stadt Tata. Hier sind die Menschen freundlich und den Touristen gut gesinnt. Im Dreieck Tata – Taliouine – Igherm erleben wir atemberaubende Landschaften und Kulturgüter. In Ait Kine besichtigen wir einen beeindruckenden Agadir.

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Dienstag, 1. November, Zagora – M’hamid
Wetter: Am Morgen wieder arschkalt, sonst bedeckt mit etwas Sonne am Abend. Temperatur 10 – 30°C

Immer noch gereizt von gestern machen wir uns, ohne noch etwas Proviant einzukaufen gegen Westen auf. Unser heutiges Ziel ist M’hamid von wo wir entlang des ausgedehnten Dünenfelds des Erg Chegaga bis Foum Zguid fahren möchten. Wir rechnen damit, dass wir bei unsrem heutigem Zeltplatz Nachtessen können.

Gut schweizerisch möchten wir auf unserem Weg nach Foum Zguid auch einen Eindruck vom Gebirgszug Djebel Bani mitnehmen. Deshalb fahren wir auf der Nationalstrasse gut 50 km westlich, bevor wir uns auf der Höhe von Bou-Rbia auf eine sehr steinige und anfänglich in engen Kurven sich auf den Pass hochwindende Piste machen. Die Untersetzung ist heute ein wichtiges Tool, das wir auch auf der langen Fahrt über die Hochebene, die mit Felsbändern gekrönten Tafelbergen umgeben ist, vor allem beim Überqueren der Ouadis einsetzen.

Die Route ist sehr einsam, ausser einem Mopedfahrer und einem Fussgänger mit ein paar Kamelen begegnen wir auf den ersten 45 – 50 km keiner Menschenseele. Erst in der Nähe der ersten Siedlung mit Palmgarten treffen wir auf einen Jungen und einen Bauern, die uns freundlich grüssen. Dann sehen wir die Stromleitungen – die es vor 10 Jahren gemäss Track-Beschreibung noch nicht gab – Felder, die mit dem modernen Tropfensystem bewirtschaftet werden, moderne betonierte Häuser, die immer mehr die Lehmhäuser zu ersetzen scheinen und die Strasse wird zu einer breiten geschobenen hässlichen Wellblechpiste.

Bei der Schule direkt neben der Mosche begrüsst uns eine Horde Primarschüler mit den obligaten Zeichen für Stylo, DRH, Bonbon …. Der «Forschritt» ist auch bei diesem abgelegenen Ort angekommen. Und schliesslich kreuzen wir noch eine Gruppe Touristen, die mit ihren Motocross-Rädern durch die Wüste sausen.

Die Piste wird wieder schmal uns steinig, als wir Richtung M’Hamid abzweigen. Bis wir dort ankommen gibt es noch eine weite uninteressante Ebene und ein grösseres Dünenfeld zu durchqueren, das Fabrizio ohne Mühe bravourös meistert. Müde checken wir beim Camping Sahara Services ein und verbringen noch zwei erholsame Stunden auf den orientalischen Sofas ausruhend am Pool. Eine heile und für die Wüste sehr luxuriöse und künstliche Welt, die wir heute Abend vollumfänglich und ohne schlechtes Gewissen geniessen.

Mittwoch, 2. November, M’hamid – Foum Zguid
Wetter: Bedeckt mit etwas Sonne am Abend. Temperatur 10 – 30°C

Eine ca. 160 km lange, mehrheitlich sandige Piste steht uns heute bevor. Für unsere Verhältnisse früh, verlassen wir bereits um 09:00 das Camping Sahara Services. Wir sind nicht die einzigen, die sich entschieden haben, früh zu starten. Eine Gruppe Spanier und Franzosen rasen beim Verlassen des Zeltplatzes an uns vorbei. «Es ist nicht Black Friday» ruft Fabrizio den Vorbeiflitzenden hinterher.

Unmittelbar nach M’hamid treffen wir auf die ersten kleinen Dünen. Im Morgenlicht lassen sich die Fahrspuren durch die einfachen Dünen kaum ausmachen. Hannibal zeigt jedoch, was er unter der Motorhaube zu bieten hat und wir kommen gut vorwärts. Nach weitere 30 km zeigen sich die Ersten Vorposten des Erg Chegaga. Die Dünen sind mit schwarzem Geröll überzogen und bilden ein schönes Fotomotiv. Vor uns erkennen wir ein Netzwerk von Pistenspuren.  Aus Sicherheitsüberlegungen wählen wir diejenige aus, die am deutlichsten erkennbar ist. … und prompt landen wir in einem Meer von hohen Dünen, mit engen Kehren sowie steilen Auf- und Abfahrten. Und irgendwann wird es auch für Hannibal zu viel und wir bleiben in einer Senke stecken. Fabrizio setzt die Untersetzungen ein, fährt kurz rückwärts, und schafft sich so einen kurzen Anlauf, um Hannibal mit einer dezidierten Drehzahl über die nächste Düne zu manövrieren. Wir sind froh, dass wir hier auf keinen Gegenverkehr treffen. Da es ausserhalb der Fahrspuren kaum Platz zum Ausweichen gibt, wäre ein Abweichen von der Hauptspur nur mit viel Schaufelarbeit zu meistern.

Wir umfahren den Erg Chegaga an seiner linken Flanke, treffen hier auf freilaufende Kamele und Esel (darunter auch manche auf vier Rädern) und beobachten aus der Distanz die unzähligen Zeltcamps zu Füssen der Sanddünen.

Sandpisten fahren hat ein gewisses Suchtpotenzial. Es ist, als ob man auf einem Seidentuch fahren würde. Weich, gedämpft …  fast lautlos. Nichts zu vergleichen mit der wellbrechartigen und steinigen Piste, auf die wir dreissig km vor Foum Zguid stossen werden.

Nach dem Erg Chegaga erwartet und der ausgetrocknete See Iriqui. Flach wie eine Tortilla, hart wie Beton. Hier geniessen wir wieder die berauschende Wirkung des Schnellfahrens. Mit vierzig Sachen «brettern» wir über den See. Eine Fata Morgana zeigt sich am Horizont und lässt diese ausgetrocknete Wüste für einen Moment wie ein Meer erscheinen.

Wir erreichen Foum Zguid nach einer ohrenbetäubenden Rüttelpartie. Uns schmerzt das Herz, Hannibal eine solche Tortur zugemutet zu haben. Dass er gelitten hat, zeigt sich an den beschädigten Pneu Profilen. Dies, obwohl wir sachte gefahren sind und den Reifendruck entsprechend der Pistenbeschaffenheit reduziert haben.


Donnerstag, 3. November, Foum Zguid
Wetter: Blauer Himmel mit leichter Brise. Temperatur 13 – 30°C

Zum Glück haben wir beim Camping Oasis Palmerai eine diskrete Bleibe gefunden (das Camping ist sauber, grosszügig angelegt, hat grosse Duschen und Toiletten und man bekommt auf Wunsch auch ein kaltes Bier), um uns und Hannibal einen Moment Pause zu gönnen. Nach der gestrigen Holperfahrt ist heute Ruhetage angesagt.

Wir können uns noch knapp motivieren, den Souk zu Fuss zu besuchen. Foum Zguid ist für kurze Zeit das Zentrum des Universums geworden. Menschen strömen aus allen Himmelsrichtungen her. Zu Fuss (die meisten), mit dem Esel (zweibeinig oder vierrädrig), zu dritt oder zu viert auf einem Mobilette oder in einem überfüllten Sammeltaxi.

Alles, was man so im Alltag braucht, findet man heute unter den unzähligen Zelten der Markstände. Ein Set Schraubenzieher gefällig? Here you are! Neue Plastiksandalen Made in China für die Kids? Kein Problem! Ein gebrauchter Mixer für gesunde Smoothies? Yes! 100 m verzinkter Stacheldraht? Autsch!

Wir staunen über das vielfältige Angebot. Nicht nur Gebrauchsgegenstände werden angeboten, auch Kosmetika, Kräuter und Gewürze, Gemüse, lebende und tote Tiere. Insbesondere bei den Metzgereiständern muss man sich ernsthaft fragen, ob man nicht besser zum Vegetarier konvertiert.

Während Sabine Bananen kauft, bleibe ich auf den Stufen des Ladens stehen und schaue mir das emsige Treiben an. Es ist in diesem kurzen Moment, wo ich das Gefühl nicht loswerde, dass jemand mich beobachtet. Ein abgetrennter Rindskopf am Fuss der Treppe schaut fragend zu mir hinauf «Wo ist der Rest von mir nur geblieben?». Ich habe zu dieser Frage keine Antwort bereit.

Freitag, 4. November, Foum Zguid – Rundkurs
Wetter: Blauer Himmel mit leichter Brise. Temperatur 13 – 30°C

Die Wüste ruft. Die traumhaft schöne Tafelbergkulisse des El Mdaouer EL Kbir südlich von Foum Zguid sind unser heutiges Ziel. Wir stehen für unsere Verhältnissen sehr früh auf (06:30), sodass wir die Tafelberge in der Morgensonne fotografieren können. Eine holprige Strecke von ca. 20 km muss aber zuerst überwunden werden. Als wir dort ankommen beleuchtet die Sonne die Bergflanken mit ihren fahlen Strahlen. Nervende Fliegen sind auch bereits wach und gehen uns sofort auf den Geist. Wir suchen und finden auch ein schönes Plätzchen und bereiten uns das Frühstück zu. Abgesehen von den Fliegen ist es hier draussen sehr ruhig.

Nachdem wir uns sattgesehen haben, folgen wir der Piste weiter in Richtung Süden bis an die Grenzen des Iriki Sees, hier biegen wir rechts ab und folgen den frischen Spuren eines Lastwagens in Richtung Norden. Keine Steine weit und breit. Es ist eine ruhige Fahrt über kompakte Dünen.

Wir erreichen einen Militärposten. Hier an der algerischen Grenze sind die Posten gut sichtbar auf Hügeln gebaut und befinden sich wie die Perlen einer Kette in regelmässigen Abständen entlang der Grenze. Bereits von Weitem sehen wir einen Soldaten den Hügel hinunterlaufen. Als wir beim Posten ankommen, grüsst er uns freundlich und fragt nach der «Fiche». Er trägt einen Tarnanzug und weisse Adidas-Plastiksandalen … und er verfügt noch über alle Zähne! Er wirft einen uninteressierten Blick auf die «Fiche», vergleicht kurz die Angaben mit denen von unseren Pässen und gibt uns zu verstehen, dass alles in Ordnung sei und wir weiterfahren dürfen.

Gegen 15:00 schliessen wir den Kreis der Rundfahrt um dem El Mdaouer EL Kbir, vor uns die 20 km lange Holperpiste bis Foum Zguid. Am Campingplatz angekommen, bestellen wir bei Rachid, dem Campingbesitzer, zwei kühle Biere und eine Tajine de Poulet für den Abend.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Abstauben, Kleider waschen und aufhängen.

Samstag, 5. November, Foum Zguid – Tata
Wetter: Blauer Himmel mit leichter Brise. Temperatur 13 – 30°C

Wir haben genug von staubigen und steinigen Wellblechpisten und tuckern gemütlich auf Asphalt nach Tata. Wir geniessen diese einfache Fahrt durch eine einsame Wüstengegend. Auf dieser knapp 140 km langen Fahrt begegnen wir nicht einmal einer Handvoll Fahrzeugen. Wir kommen an nicht mehr als fünf Dörfern vorbei. Der Tissint See ist ausgetrocknet und die gleichnamigen Wasserfälle weisen Wasser auf, was uns in dieser knochentrockenen Gegend erstaunt. Das Wasser ist hier sehr salzhaltig, wovon die mit Salzkristallen überzogene Erde zeugt. Die Häuser an der Durchfahrt von Tissint sowie die neu erstellten und unverputzten Behausungen dahinter laden uns nicht zu einem Besuch des Städtchens ein. Grösseres Interesse erwecken die tiefen Bodenerosionen am Ausgang der Stadt. Allerdings finden wir keine Zufahrt und zudem ist das Licht zum Fotografieren zur Mittagszeit alles andere als Ideal.

In Tata gelangen wir nach Kilometern in der obligaten anonymen Neustadt zum interessanten Kern, wo die Einkaufsstrassen gegen die Hitze mit Arkaden überdacht sind. Gegen Abend besuche wir das kaum einen Kilometer vom Camping entfernte Zentrum zu Fuss … und wir werden überrascht: Ob Jung oder Alt, Frau, Mann oder Kind alle begrüssen uns mit einem Lächeln und dem Obligaten «ça va? Soyez bien venus …» und keiner verlangt etwas von uns. Als uns eine Taxifahrerin mit «Soyez les bienvenues! Ici vous êtes chez vous» anspricht, bleiben wir sprachlos am Strassenrand stehen – wann wurde wohl ein Gast in der Schweiz auf diese Weise begrüsst? Nach fünf Wochen Marokko ist es paradiesisch so unbeschwert in einem Städtchen promenieren zu können. «Schugran Tata, schugran»! Für uns ist klar, hier werden wir einen weiteren Tag bleiben und uns erholen.

Wir schlendern entspannt durch die Gassen. In einem Strässchen konzentrieren sich die Werkstätte der Motorrad-Mechaniker, in einem anderen diejenigen der Spengler und in der nächsten Gasse, in die wir abbiegen reihen sich Kleiderboutiquen an Kleiderboutiquen. Hier wir alles feil geboten, was das Herz der Frauen hoch schlagen lässt.

Tata hat auch diverse schöne «Murales» vorzuweisen. Wandgrosse Zeichnungen schmücken die Fassaden der Häuser. Hinter einer vorgezogenen Gardine hören wir Trommelmusik und laute Frauen-Gesänge. «Ein Kinderfest ist im Gange» verrät uns ein Passant.

Die Sonne liegt tief über dem Horizont und es bilden sich lange Schatten. Die Pastellfarben der Fassaden leuchten in diesem goldigen Licht. Frauen in ihre traditionellen Gewänder gekleidet laufen an uns vorbei, lächeln Sabine freundlich an und grüssen uns mit «Bonjour!»

Sonntag, 6. November, Tata
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 13 – 30°C

Ruhetag vom Reisen nicht aber von den Alltagspflichten wie Tagebuch schreiben, Fotogalerien zusammenstellen, Blogg aktualisieren sowie putzen und waschen und auch sich informieren, was in der Welt so läuft.

Montag – Dienstag, 7.-8. November, Tata – Akka Irhen – Taliouine mit Abstecher in die Tislit Schlucht
Wetter: Blauer Himmel mit einzelnen Wolkenbändern. Temperatur 10 – 22°C

Heute liegt eine lange (rund 170 km) mit diversen Highlights ausgeschmückte Strecke vor uns. Zum zweiten Mal nach dem Jebel Sarhro tauchen wir intensiv und tief in den Antiatlas ein.

Auf der Fahrt nach Akka Ihren liegen vor uns je nach Sonneneinstrahlung rosa, grüne, beige- und auberginefarbene runde Berge. Neben uns die fast vegetationslose Steinwüste unterschiedlicher Couleur. Vereinzelt verzieren breitkronige Akazien den Horizont. Und dann unvermittelt in der Einöde das erste Etappenziel Akka Ihren, wo uns die rege Bautätigkeit ins Auge springt. Sie kündigt sich bereits durch neue Pflanzungen an, die mit «Drop by drop-Bewässrungssystemen» und Solaranlagen, die das Grundwasser für die Felder hinaufpumpen, ausgerüstet sind. Modernes und altes Wissen werden hier vereint.

Im Dorf selbst scheint jedes Haus um ein Stockwerk erhöht und für ein weiteres vorbereitet worden zu sein – die Armiereisen ragen über die aktuell oberste Etage hinaus. Hier wird unser Eindruck bestätigt, dass Marokko ein Land im Aufbruch ist. Als Autofahrer ist Aufmerksamkeit gefragt: Kinder spielen auf der Strasse, Männer rasten am Wegesrand, Frauen schleppen auf ihrem gebeugten Rücken schwere Gras-, Palmwedel- oder Holzbündel und unvermittelt verlangt ein schlafender Polizist (Schwelle) ein weiteres Abbremsen. Ein Stoppen verlangt auch ein mitten auf der Strasse stehendes Auto, das Auto eines Fahrlehrers wie wir beim Näherkommen erkennen. Der Fahrschüler versucht auf einer Furt, das Fahrzeug zu wenden. Allerdings will der verflixte erste Gang nicht einspringen und so nähert er sich rückwärts mit gefährlichen «Sprüngen» immer näher der betonierten Furtkante, deren «Überrollen» zu einem beträchtlichen Blechschaden führen könnte. Der Fahrlehrer greift zum Lenkrad und zur Gangschaltung und hilft so dem schweissgebadeten Schüler aus der misslichen Situation. Als wir ihn kreuzen, lächelt er uns etwas verlegen entgegen.

Auf Asphalt aber nicht weniger spektakulär geht es weiter bis zur Einmündung der Piste Foum ZguidTaliouine. Auf der weiten steinigen Hochebene hat es kaum Verkehr. Dann fahren wir durch ursprüngliche Oasen, wo uns die Bewohner freundlich zuwinken und kommen an alten heute nicht mehr gebrauchten Kornspeichern vorbei. Auf einer Passhöhe erwartet uns ein Panorama der Superlative über moiré-gemusterte Berge. Was von weitem sanft wie Seide aussieht, wirkt von Nahem brachial und lässt die gewaltigen geologischen Kräfte, die vor Urzeiten auf diese Gesteinsmassen gewirkt haben müssen, erahnen.

Die Passage durch die Schlucht entlang natürlicher Palmhaine, ausgespäht von Ruinen ehemaliger Befestigungsanlagen, lässt uns sprachlos – was für eine Pracht, die glücklicherweise von der Tourismusindustrie, den Menschenmassen und den damit verbundenen Souvenirverkäufern (à la Gorge du Dades oder Todra) noch nicht entdeckt wurde und wir ganz alleine für uns haben. Wir fühlen uns wie Glückspilze!

Kurz nachdem wir nach etwas mehr als 90 km auf die Piste Foum – Taliouine abzweigen, erwartet uns die bezaubernde Oase wie aus 1001-Nacht Timzoughine. Doch wir haben uns getäuscht, der üppige paradiesische Garten wird noch übertroffen, als wir durch die engen Gassen und Pfade der Oase Aguinan fahren. Nur kein Gegenverkehr beten wir, bitte nur dies nicht! Die paradiesische Schönheit können wir erst richtig geniessen, als wir uns später den Film anschauen und glücklich darüber sind, dass wir die sehr engen Passagen durch Ort und Palmhain schadlos überstanden haben.

Am Ortsausgang und kurz nach der Abzweigung zu einer weiteren Passstrasse treffen wir auf den gefürchteten Gegenverkehr, ein einheimischer Kastenwagen (mit laut quietschenden Bremsen) und fünf französische Offroad-Fahrer. Wir können glücklicherweise zurückfahren oder ausweichen auf dieser sehr steilen und engen Piste. Uff!!!

Nach der Passhöhe wird das steinige Gelände durch Grasbüschel abgelöst. Mit zugekniffenen Augen fühlen wir uns an die Schweizer Alpen erinnert. Wir treffen auf Schaf- und Ziegenherden, die von Hirten und Hunden langsam Richtung Tal getrieben werden. Zelt und der ganze Haushalt der Nomadenfamilien werden auf Lastwagen geladen. Der Winter naht auch hier im Antiatlas auf rund 1500 – 1900 m ü. M.

Gegen Abend treffen wir übermannt von den vielen Eindrücken in Taliouine ein und sind glücklich darüber, dass das Camping uns müden Reisenden am Abend eine mit reichlich Gemüse angereicherte Tajine au Poulet serviert.

Am nächsten Tag nehmen wir die rund 50 km zur Tislit-Schlucht unter die Räder. Eine schöne Fahrt, aber nicht zu vergleichen mit dem was uns in der Schlucht erwartet. Über zwei Stunden steigen wir über grosse Steine, balancieren über Bewässerungskanäle und knipsen Foto um Foto.

Wieder im Dorf zurück werden wir von vielen Frauen begrüsst, die für uns Dutzende von Khelims auf den felsigen Hügeln ausgelegt haben. Einige verspätete ältere Frauen kommen keuchend den Hügel heraufgeeilt, nachdem wir bereits beim zweiten Durchgang sind an. Ausgerüstet mit Massband vermessen wir die Kunsthandwerke. WIR WISSEN, WAS WIR SUCHEN! Amüsierte Augenpaare verfolgen jede unserer Handlungen. Bei unserer Abreise lassen wir drei besonders leuchtende Augenpaare zurück, nämlich diejenigen von zwei jungen Mademoiselles (sie bestehen ausdrücklich darauf, sie als «Mademoiselles» anzusprechen) und jene einer älteren Frau. Bei diesen Weberinnen haben wir je einen Teppich gekauft. Schlussendlich statten wir noch dem Gästehaus einen Besuch ab und geben dem etwas aufdringlichen Ersuchen einer Frau nach, die uns seit unserer Ankunft im Dorf bedrängt hat. Mit dem Tee weist sie uns auch auf den örtlich angebauten Safran hin. Im Hinterzimmer pflückt ein junger Mann die Safranfäden von den Blüten. Wir gehen das rund 12 CHF-teure Wagnis für 4 Gramm des kostbaren Gewürzes ein.

Mittwoch, 9. November, Taliouine – Ighrem – Tata
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 13 – 30°C

Die Nacht war kalt. Der Winter kündigt sich bereits an. Bei Vollmond liegt etwas Spannung in der Luft. Wir schlafen schlecht. War es der Tomatensalat oder die üppige Tajine de Kefta, die wir zum Nachtessen verspeist haben?

Die heutige Etappe führt uns von Taliouine nach Ighrem und zurück nach Tata. Die Regionalstrasse 106 führt über den Pass Tiz-n-Tleta und entlang einer weiten und kargen Talsohle.  Auf vielen Hügeln sind die Ruinen von ehemaligen Burgen und Kasbahs zu sehen. Die Strasse ist bis auf unzählige beschädigte Brücken asphaltiert. Die Brücken wurden im Frühsommer von kräftigen Schauern weg-bzw. unterspült. Notdürftige «Umfahrungen» wurden erstellt. An diesen Umfahrungen treffen wir auf die bis zum Achsbruch beladenen Lastwagen, die nur im Schneckentempo auf der teilweise ruppigen Piste vorwärts kommen.

In Ighrem möchten wir einen alten Kornspeicher besichtigen. Als wir dort ankommen ist leider der Wächter abwesend. Uns bleibt nur die Möglichkeit, den schönen verzierten Speicher von aussen zu betrachten und zu fotografieren.

Als wir Ighrem auf der RR116 in Richtung Tata verlassen, wissen wir noch nicht welche wunderschöne Strecke uns erwartet. Ein Höhepunkt folgt dem anderen. Knapp 90km der Superlative! Zu Beginn scheinen die Berge wie aus unterschiedlich dicken Blätterteig- oder eher Lasagneschichten zu bestehen. Dunkle Schichten alternieren mit helleren. Einmal horizontal, einmal bilden sie gewaltigen Bögen oder sie sind senkrecht nach oben geschoben worden wie die grillierten Toastbrotscheiben bei einem englischen Frühstück.

Wir befinden uns auf einem Hochplateau. Unweit vom Dorf Izare windet sich die Strasse mit steilen Serpentinen den Pass hinab und öffnet sich zu einer spektakulären breiten Schlucht. Wir sind uns einig, diese Schlucht übertrifft die Schönheit der Gorges du Dades. Grüne Palmenhaine zeugen von grossem Wasservorkommen. Kleine Dörfer säumen die Strasse. Es handelt sich durchaus um eine «gefährliche» Strecke, nicht fahrtechnisch, sondern das schöne Panorama verleitet einem dazu, weniger auf die Strasse zu achten. Doch, Fehler sind hier keine erlaubt.

Ein bitterer Gedanke stösst bei all dieser Schönheit auf: Wird die künftige Generation das entbehrungsreiche und arbeitsintensive Leben auf sich nehmen, um diese Pracht aufrechtzuerhalten oder wird das vermeintlich angenehmere Leben in den Städten Oberhand gewinnen?

Wie es bei uns so üblich ist … wenn es uns gefällt, dann bleiben wir. Wir haben Tata und seine freundlichen Einwohner ins Herz geschlossen. Als wir zum Camping Les trois Palmiers zurückkommen, werden wir vom Besitzer mit einem breiten Lächeln willkommen geheissen.

Wir parkieren Hannibal neben Françis und Isabelle, zwei Franzosen, die seit 12 Jahren nonstop unterwegs sind. Wir werden mit ihnen in den nächsten Tagen unzählige Stunden reden, Reiseanekdoten austauschen oder einfach über Gott und die Welt schwatzend verbringen.

Donnerstag – Montag, 10. – 12. November: Tata und Umgebung
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 13 – 30°C

In den drei Tagen, die wir in Tata verbringen, besichtigen wir (auf Empfehlung von Françis und Isabelle) zuerst Felsgravuren, die etwa 50 km entfernt in Richtung Imitek liegen. Es soll die «Sixtinische Kapelle» der marokkanischen Felsgravuren sein. Dank den GPS-Koordinaten finden wir … nach langem Suchen … die «paintures rupestres», aber Leonardo Davinci ist sicherlich nicht hier gewesen. Die Gravuren sind schön aber hauen uns nicht um.

Nach dem gestrigen Ausflug besuchen wir heute gar nichts. Sabine wäscht unsere verstaubten Kleider, ich lege eine zweite Schwatzrunde mit Françis und Isabelle ein. Danach improvisieren wir unser Nachessen. Wir finden in Tata Barilla Spaghetti Nr. 7! Wir lassen drei grosse Zwiebeln mit etwas Cayenne-Pfeffer karamellisieren, geben drei Dosen Thon dazu und rühren kurz vor dem Servieren noch zwei grosszügigen Esslöffel Kapern darunter. Es mundet einfach himmlisch.

Nach den Spaghetti strecken wir unsere Beine, indem wir bis ins Zentrum von Tata flanieren. Beim Verlassen des Campings werden wir vom Senior Besitzer angesprochen. Ein sehr stolzer älterer Herr, der während 40 Jahren Gemeindepräsident von Tata war. «Was habt ihr morgen vor?» fragt er uns mit seiner sehr melodischen aber irgendwie auch bestimmten Stimme. Bevor wir seine Frage überhaupt beantworten können, doppelt er nach: «Habt ihr Interesse, die lokale Kooperative TATA BIO zu besuchen? Dort werdet ihr Teppiche und Kunsthandwerk sowie Lebensmittelprodukte sehen und auch kaufen können. Alles wird hier und in der Umgebung von Tata hergestellt».

Wir schauen uns gegenseitig an und nicken kurz mit dem Kopf. «Also morgen um 10:00 Uhr. Ist dies ok für euch?». «Ja» antworten wir ohne lange zu überlegen. «Ich werde euch mit meinem Auto abholen und dorthin fahren» gibt er uns zu verstehen. Das ganze Gespräch hat nicht einmal zwei Minuten gedauert. Etwas verdutzt und mit dem Gefühl irgendwie überrumpelt worden zu sein, verlassen wir den Zeltplatz Richtung Stadtzentrum.

Mit fast schweizerischer Präzision werden wir am nächsten Morgen Punkt 10:00 abgeholt. Ein staubiger «Dacia Logan» erwartet uns vor dem Campingeingang. Die Fahrt zur Kooperative ist kurz. Wir werden dort bereits erwartet. In einer grossen Halle sind neben Teppichen, unterschiedliche Sorten von Couscous, Amlou sowie geröstete Mandeln ausgestellt. Mit Palmblättern geflochtene Körbe und Teller teilen sich die staubigen Tablare mit ebenso staubigen Tajine-Gefässen. Ein junger Angestellter versucht, uns in einem Mix aus Französisch und Englisch Auskunft über die ausgestellte Ware zu geben. Zwischen zwei improvisierten Sätzen lächelt er uns verlegen an.

Als wir einen Teppich kaufen möchten, sagt er uns, dass es sich nur um ein Ausstellungsstück handelt und unverkäuflich sei. «Dieser Teppich wird für den Kunden nur auf Bestellung gewoben». Sabine sucht sich danach einen gestickten Schal und ich ein Kilo geröstete und mit Sesamsamen und Honig umhüllte Mandeln aus.

Wir verlassen die Kooperative irgendwie enttäuscht, weil uns der Teppich nicht verkauft wurde. Kaum sind wir im Auto, fragt uns unser Begleiter, ob wir den Agadir von Ait Kine bereits besucht haben. «Nein, wir fuhren zwar in der Nähe vorbei, haben ihn aber nicht finden können» antworten wir. «Ich könnte den Agadir-Wärter anrufen und ihm ankündigen, dass ihr vorbeikommt … was meint ihr?». «Gut» antworten wir wieder. «Ihr werdet nicht enttäuscht werden, es soll einer der schönsten und am besten erhaltenen in Marokko sein» preist uns der Ex-Gemeindepräsident, der aktuell ein Amt als Tourimusförderer innehat, an.

Gesagt getan, nicht einmal eine Stunde später befinden wir uns mit Hannibal auf dem Weg nach Ait Kine. Ait Kine liegt zwischen zwei mächtige Bergketten und wird von Wachtürmen geschützt. Aus Beton gefertigte Berberfiguren und eine farbige Wandschrift «Welcome to Ait Kine» heissen uns willkommen. Eine Handvoll Frauen sitzt sich vor der Sonne unter einem Torbogen schützend am Dorfeingang und diskutiert aufgeregt miteinander. Hie und da kichern sie. Als sie uns entdecken werden sie leise, beobachten uns aus den Augenwinkeln und verhüllen ihre Gesichert mit dem Kopftuch. «Bonjour» rufen wir ihnen zu. «Bonjour, vous allez bien?» antworten sie unisono. Wie so oft beschränkt sich unsere Konversation mit ihnen auf diese zwei Standardsätze.

Eine enge Gasse führt uns zum Kornspeicher. Die Mittagshitze staut sich bereits zwischen den Lehmwänden der Häuser. Eine wohlige Wärme umhüllt uns. Als wir vor dem Eingangstor des Agadirs ankommen staunen wir über seine Schönheit und die filigranen Dekorationen, die seine Oberfläche verzieren. Ein vorbeilaufender Dorfbewohner ruft uns zu, er werde den Speicherwächter benachrichtigen, dass wir da sind. Nicht einmal zwei Minuten später taucht ein schmächtiger Herr mit sehr lebendigen Augen auf und heisst uns mit einem breiten, zahnlosen Lächeln willkommen. Er macht für uns das Tor auf und wir betreten das Innere. Dabei müssen wir uns bücken, um den Kopf nicht anzuschlagen. «Es ist so gewollt, um den Besucher zur Demut zu zwingen» erklärt er uns.

Die Wände des Kornspeichers sind links und rechts mit vielen kleinen dekorierten Holztüren auf unterschiedlichen Ebenen dursetzt. Jede Türe hat eine Nummer, jede Türe gehört einer Familie. Hinter den Türen werden nicht selten die Familienschätze aufbewahrt: Testamente, Kaufakten, Kopien von Grundbuchamtseinträgen, Geburtsurkunden, Lebensmittel …

Der Wächter zeigt uns einige Dokumente, die zur Aufbewahrung und zum Schutz in Bambusröhren gelagert sind. Dünnes Pergamentpapier wurde mit roter Tinte (Henna?) beschrieben oder mit Zeichnungen versehen. Glücklicherweise und Dank der Anwesenheit eines Wächters haben hier Diebe keine Gegenstände entwenden können … wie es in anderen Agadiren der Fall gewesen ist.

Eine «nicht Suva-konforme» Leiter aus einem Palmenstrunk, in dem tiefe Kerben eingeschlagen wurden, führt zu den Speicherräumen. Obwohl der Wächter bereits in seinen Siebziger ist, klettert er (zu Demonstrationszwecken) eine solche Leiter mit der Leichtigkeit einer Bergziege hinauf. Oben angekommen strahlt er uns so an, als ob er soeben die Eiger-Nordwand bezwungen hätte.

Nach einer knappen Stunde sind wir wieder draussen in den Gassen unterwegs und werden von einer älteren Frau angesprochen: «Möchtet ihr unsere Jugend-Kooperative besichtigen?». «Hier lernen junge Frauen, traditionelle handwerkliche Produkte zu fertigen: bestickte Stirnbänder, Silberschmuck, Kinderbekleidung sowie Lebensmittel …». Wir sagen ja und folgen ihr zu einem Raum in einem Hinterhof. Dort erwarten uns in einem spartanisch eingerichteten Raum drei aufgeregte junge Mädels. Rechterhand stehen fünf Nähmaschinen mit Tretpedalen, links eine Reihe von Plastiksäcken mit einer bräunlichen Substanz gefüllt (es handelt sich um einer Art Mehl, das man zum Frühstück mit Milch zu einem stärkenden Mus vermischt). In der Raummitte steht ein langer mit einem Plastiktuch bedeckter Tisch. An den Wänden hängen selbstgenähte Kinderkleider und Tücher. Die allgegenwärtigen Fliegen tun, was sie am besten beherrschen … sie gehen einem einfach unermüdlich auf den Sack!

Als wir zwei Säckchen gefüllt mit linsenartigen Samen kaufen (die Samen sollen die Verdauung anregen … und nach den unzähligen verspeisten Tajines und Weissbrotlaiben … sind wir um jegliche Hilfe dankbar) freut sich unsere Begleitdame sichtlich. Sie flüstert Sabine ins Ohr «Durch ihren Kauf motivieren Sie die jungen Mädchen, weiterzumachen».

Wir verabschieden uns herzlich und laufen zu Hannibal zurück. Kaum eingestiegen klopft ein Mann an die Fensterscheibe. Es fällt uns auf, dass er immer noch im Besitz all seiner Zähne und festlich gekleidet ist. «Möchtet ihr mein Haus besichtigen?» fragt er uns unaufdringlich. Neben dem Parkplatz wird gerade ein sehr schönes Haus renoviert. Wir haben dieses bereits bei unserer Ankunft gesehen und neugierig einen Blick über die Zaunmauer geworfen.

«Ok!» antworten wir, unsicher auf was wir uns gerade eingelassen haben. Er erklärt uns, das Haus sei in seinem Familienbesitz und er und sein Bruder haben vor zwei Jahren entschieden, es zu renovieren. «Wir wollen es zu einem Hotel umgestalten» verrät er uns. Zurzeit wird aber lediglich an den Aussenmauern, die das Haus und den Garten umgeben, gearbeitet. «Es kostet viel zu viel Geld» beklagt er sich später etwas nachdenklich, als ob er sich nicht mehr ganz sicher über sein Vorhaben sei.

Beim Haus handelt sich um eine 700-Jahre alte Konstruktion auf drei Stockwerken. In der Mitte ist ein Hof, der von einer Reihe von Arkaden umgeben ist. Die ursprünglichen farbigen Wanddekorationen sind hie und da durch die Staubschicht noch ersichtlich und zeugen vom Reichtum der früheren Bewohner. Bei der Besichtigung werden uns diverse Räumlichkeiten gezeigt: hier die Küche, da der Gebetsraum, dort drüber die kleinen und fensterlosen Schlafzimmer … Unrat und Taubenkot bedecken den Boden, das aufdringliche «Parfum» von Katzenurin liegt schwer in der Luft.

Wir fühlen uns sehr privilegiert, eine solche «Kostbarkeit» zu Gesicht bekommen zu haben. Als wir wieder zu Hannibal zurücklaufen, schenkt uns der Hausbesitzer einen Bund betörend riechenden Basilikum, den wir am Abend mit einem Teller Spaghetti vertilgen.

Unterwegs in Richtung Tafroute

14. – 25. November: Tata – Tafraoute – Taroudant – Marrakesch

Das Wichtigste in Kürze:

In Tafraoute besichtigen wir die Rochers Bleu und werden zum ersten Mal von frostigen Temperaturen überrascht. Mit Freunden besuchen wir den Agadir von Tasguent und streiten uns mit einem Parkplatzwächter, ein Touristenführer und zwei Agadir-Wächter über den Preis der Besichtigung. Südlich von Marrakesch verweilen wir fünf Tage im wunderschönen Dar Lavande von Claudia.

Klicke auf das Piktogramm, um die Animation der gefahrenen Strecke zu sehen

Montag, 14. November: Tata – Tafraoute
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 15 – 27°C

Wir fahren heute auf der RN7 in Richtung Imitek bis Tisgui-da-ou-Ballou. Von hier biegen wir links ab und folgen einer Piste, die wir von Wikiloc heruntergeladen haben. Was erwartet uns? Gemäss der Topo-Karte auf GaiaGPS müssen wir mit einer engen Piste rechnen, die sich zwischen steilen Bergwänden durchschlängelt. In Tat und Wahrheit folgen wir während den ersten fünfzehn Kilometern einer breiten, kürzlich neu aus der Felswand geschlagenen Strasse. Der Grundbelag besteht aus einer dicken Kiesschicht, doch machen sich bereits die ersten wellblechartigen Abschnitte bemerkbar.

Zum Glück ist dieses Pisten-Segment breit ausgebaut! Die umliegenden Berge, mit ihren steilen Flanken und ihren zum Vorschein kommenden Erdschichten, bieten uns ein unerwartet spektakuläres und atemberaubendes Panorama. Wir kreuzen diverse Einwohner, die zu Fuss oder mit einem Esel unterwegs sind. Alle grüssen uns freundlich.

Nach knapp fünfzehn Kilometern endet der neuen Pistenteil und geht in einen schmalen und holprigen Track über. Wir folgen jetzt der Talsohle entlang eines ausgetrockneten Flussbettes. Die Piste ist links und rechts mit grossen Steinblöcken abgegrenzt bzw. gekennzeichnet. Dann taucht hinter einer Flussbiegung ein kleines Dorf auf (Berge von Unrat am Wegesrand haben dieses bereits von weitem angekündigt). Das penetrante Parfum von verbranntem Plastik füllt das enge Tal. Eine Gruppe Tee trinkender Männer schaut überrascht zu uns auf. Wir wurden hier nicht erwartet. Wir grüssen mit der Hand, sie winken zurück, wir setzen unsere Fahrt fort. Kurz danach zwängen wir uns unter den tiefhängenden Ästen eines Olivenbaumes durch und kreuzen einen mit Schilf/Gras beladenen Esel, dem wir freundlich den Vortritt lassen.

Von hier aus verlässt die Piste die Talsohle und klettert entlang einer Bergflanke auf eine Hochebene. Es ist eng, sehr eng. Wir hoffen, wir treffen auf keinen Gegenverkehr. Ausweichmöglichkeiten gibt es hier kaum. Rückwärtsfahren ist auch keine valide Option. Wir haben Glück … Nach gesamthaft dreissig Kilometern erreichen wir eine geteerte Strasse und folgen dieser bis Imiwazal. Der marokkanische Staat hat in dieser Gegend viel Geld in eine neue Strassenführung investiert. Statt durch ein Tal führt die Strasse jetzt in unzähligen Serpentinen auf einen Bergkamm hoch. Von hier biegen wir rechts in Richtung Tizerkine, Taghaout, Agudarm ab und landen schlussendlich in Tafraoute. Dieser Abschnitt ist durch tiefe Löcher, aufgerissenen Teerbelag und ausgewaschene Strassenabschnitte gekennzeichnet. Wir kommen nur langsam vorwärts. Einzig der imposante Agadir von Taghaout hoch auf einem Felsenvorsprung errichtet, ist auf diesem Teilabschnitt eine Notiz Wert.

Kurz vor Tafraoute sichten wir die berühmten Rochers Bleu, ein im Jahr 1984 entstandenes Werk des belgischen Künstler Jean Verame. Die für dieser Region so charakteristisch roten Felsenformationen hat er mit einer Schicht blauer Farbe angemalt. Von Weitem erinnern sie uns an den Tarot Garten von Niki de Saint Phalle. Die teilweise bizarren Felsenformationen erinnern wage an die mystischen Figuren von Niki. Hier legen wir eine Fotosession ein. Das Licht ist schön, die Farben leuchten … und wir sind, bis auf wenige Touristen, allein.

 

Was ist aus Tafraoute in den letzten 23 Jahren geworden? Eine breite, mit grünen Palmen und Kandelabern gesäumte Einfahrt kündigt Grosses an. Die Stadt hat sich stark entwickelt und verwandelt. Aus einer staubigen Piste mit wenigen einfachen Herbergen ist heute eine betriebsame Stadt mit geteerten Strassen und unzähligen Hotels sowie Campingplätzen geworden.

Wir durchqueren die Stadt auf der Suche nach dem Campingplatz Tazka. Dort angekommen empfängt uns der kurlige Campingmanager. Er steht permanent unter Strom und düst unruhig umher. Der Grund ist schnell geklärt. «Der Wasserheizer ist im Eimer und wir haben kein warmes Wasser für die Duschen!» Informiert er uns aufgeregt. «Übermorgen kommt eine Gruppe von fünfzehn Wohnmobilen … und ich habe kein warmes Wasser!» doppelt er nach. «Der Campingbesitzer verspricht ständig, dass er dem Problem nachgehen werde … aber er tut gar nichts! ICH muss mich aber mit den unzufriedenen Gästen herumschlagen!» sein abschliessender Kommentar. Als wir ihn am übernächsten Morgen in einem anderen Campingplatz treffen, strahlt er über beide Ohren. Er zeigt uns stolz seine neue Errungenschaft: einen funktionierenden gebrauchten Gas-Wasserheizer.

Kaum haben wir Hannibal eingeparkt, schon werden wir von einem Teppichverkäufer (er möchte uns in sein Geschäft einladen) und einem Garagisten (er möchte uns für 120DH Hannibals Kardanwelle einfetten) angesprochen. Wir antworten beiden … «mal schauen … inschallah».

Die Fahrt war ziemlich anstrengend und wir haben keinen Bock aufs Kochen. Im Restaurant Nadia essen wir eine vorzügliche Gemüsesuppe und je eine Tajine (ja schon wieder Tajines!) de Poulet aux citrons und de Kefta. Beide sehr gut.

Wir bleiben eine Nacht und wechseln dann zum Campingplatz Les Trois Palmiers nebenan. Dort scheint die Warmwasserversorgung zu funktionieren und wir treffen – wie der Zufall uns manchmal einem einen Streich spielt – auf Christian und Monika mit ihren Freunden Ruedi und Silvia.

Das Fahrzeug von Christian und Monika mit ZH-Nummernschild ähnelt verblüffend unserem Hannibal (das Hubdach wurde ebenfalls von ORB erstellt), Ruedi und Silvia sind mit einem roten Landcruiser unterwegs. Wir haben sie bereits im Camping von Foum Zguid getroffen und mit ihnen Reisetipps und Räubergeschichten ausgetauscht. Wir werden mit ihnen zusammen den Agadir Tasguent besuchen.

 

Dienstag, 15. November: Tafraoute
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 12 – 28°C

Die Nacht war kalt. Die Sonne selbst hat «Mühe» aufzustehen und lässt am Morgen auf sich warten. Tafraoute ist von einem Ring von Bergen eingeschlossen, sodass die Sonne erst diese Bergen erklimmen muss, bis sie uns mit ihrer Wärme erfreuen darf.

Wir machen von Tafraoute aus einen Tagesausflug und erforschen die umliegenden Täler. Im Rahmen unserer Reisevorbereitung haben wir entdeckt, dass es in der Umgebung unzählige Agadire (Speicherburgen) gibt. Zwei davon möchte wir heute besichtigen, nämlich diejenigen von Zghanghine und von Tasguent. Wie fast alle Agadire wurden beide auf einem Hügel errichtet und dominieren mit ihrer Grösse das darunterliegende Dorf.

Zuerst statten wir dem kleinen Dorf Zghanghine, das wir über eine schmale Strasse erreichen, einen Besuch ab. Wir «quetschen» Hannibal auf einen kleinen Platz zwischen zwei Häusern und machen uns bereit für die Besichtigung. Wie aus dem Nicht taucht ein 6-7jähriger Bube auf und spricht uns mit «Agadir!» an. «Ja» antworten wir. Kurz danach löst sich eine Frau von einem Hauseingang und (unsere Interpretation) «motiviert» den Jungen, uns als Guide zu dienen. Kaum machen wir uns zu Dritt auf den Weg erscheinen weitere drei Frauen und sprechen uns mit «Agadir?» an. Wieder einmal antworten wir mit «Ja». In gebrochenem Französisch fordert uns die Jüngste unter ihnen (die Anführerin?) auf, ihr zu folgen. Nach knapp fünf Minuten stehen wir allesamt vor einer verschlossenen Tür.

«50 Dirahm und wir machen die Tür auf» verlangt die Anführerin. «50 Dirahm als Spende für die Moschee» doppelt sie nach. Wir verfügen aber nur über 35 DH also bieten wir 30 DH an. Wir einigen uns schliesslich bei 35 DH und einer Handvoll Basler Läckerli. Deal!  Der Agadir ist grösstenteils verfallen. Nur eine Hauptgasse ist einigermassen in Takt und kann ohne Gefahr begangen werden. Während wir hier die obligaten Fotos schiessen, trainiert der Junge mit den Frauen den ebenso obligaten Satz «donnez-moi un stylo». Als er dieses Anliegen an uns heranträgt, drängen die selbsternannten Führerinnen forsch zur abschliessenden Zahlung mit Naturalien. Neben den Biskuit sind sie auch am Behälter, an Sabines Ohrringe und an Gesichtskosmetik interessiert. «La, safi» (nein, genug) lautet unsere Antwort. Uns wird dieses ganze Theater zu viel. Wir steigen in Hannibals Innere und fahren zum nächsten Speicher.

Als wir auf die Naturstrasse zum Speicher Tasguent abbiegen, sichten wir schon bald einen weissen und einen roten Toyota Landcruiser, die im Schatten der Bäume stehen während ihre Schweizer Insassen draussen gemütlich Zmittag essen. Wir winken ihnen zu und fahren auf den imposanten gut erhalten und wie es sich gehört auf einem Hügel stehenden Agadir zu. Auf dem Parkplatz erfahren wir, dass eine Besichtigung erst wieder in einer halben Stunde möglich sei. So fahren wir runter zu den Schweizern, wo Christian gerade die sogenannte «Tschingge-Bombe» für einen Espresso anwirft. Mit dem italienischen Kraftgetränk gestärkt machen wir uns zur Burg auf und verhandeln mit dem Führer 200 DH für die Besichtigung zu sechst.

Die zweistündige Führung ist ein Erlebnis. Wir staunen ab dem gut erhaltenen Zustand des Agadirs, den Dimensionen und den Erklärungen. Der Führer motiviert uns zu Klettertouren über enge Stiegen und zeigt die Überreste der einst hier gelagerten Schätze wie getrocknete Karotten (scheinbar immer noch für ein Couscous zu gebrauchen), Schriftenrollen, Werkzeuge, Tongefässe etc. Leider wurde der Agadir während und nach der COVID-Zeit von Dieben geplündert und seine Schätze werden nun wohl von Antiquitätenhändlern feilgeboten. Erfüllt und zufrieden schreiten wir durch das Ausgangstor als uns die beiden Agadirwächter zu verstehen geben, dass sie bezahlt werden möchten. Fabrizio fragt den Führer, ob dies so in Ordnung gehe, was dieser bejaht. Christian will der Sache auf den Grund gehen und hackt beim jungen Marokkaner nach, ob er auch seinen Anteil kriegen werde. Nicht überzeugend antwortet er, dass er sich mit den beiden Wächtern arrangieren werde. Währenddessen haben Monika und Sabine bereits den Abstieg angetreten, verfolgt vom gehbehinderten Parkwächter, der wild gestikulierend und fluchend auch bezahlt werden will. Quintessenz wir greifen nochmals in die Tasche und legen nochmals 150 DH für Führer und Parkwächter aus. Je mehr wir über diese groteske Situation nachsinnieren, umso grösser werden die Zweifel, ob nicht alles ein abgekartetes Spiel war, um das Maximum aus uns Touristen herauszupressen.

Nach den heutigen Ereignissen kehren wir enttäuscht und verletzt auf direktem Weg nach Tafraoute zurück. Die restlichen Agadirs können uns gestohlen bleiben.

Mittwoch, 16. November: Tafraoute – Taroudannt
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 12 – 28°C

Tafraoute ist der Wendepunkt unserer Marokkoreise. Von hier aus werden wir uns in den nächsten zwölf Tagen nur noch in Richtung Norden bewegen, Richtung nach Hause. Mit der Ausnahme einer uninteressanten Fahrt durch die Agafay-Wüste (Kommentar folgt später) schalten wir den Allradantrieb nicht mehr ein. Wir haben Hannibal und seine Fähigkeiten gründlich getestet und sind nun «Offroad müde».

Wir durqueren heute nochmals das Vallée d’Ammel, zweigen auf der Höhe von Aferni rechts auf die RR105 ab und folgen dieser bis Imi Mqourn.  Von da fahren wir schnurstracks bis Taroudannt.  Erst im Camping Le Jardin stellen wir den Motor ab. Heute haben wir Dörfer durchquert, die im Müll versinken und sind an Agadiren vorbeigefahren, bei denen wir nicht mehr die Motivation aufbringen konnten, sie zu besichtigen – einer davon war der majestätischen Agadir Tizourgane.

Donnerstag, 17. November: Taroudannt
Wetter: Blauer Himmel. Temperatur 10 – 27°C

Die Hunde des Nachbars haben uns die ganze Nacht auf Trab gehalten. Sie haben ohne Pause laut miteinander kommuniziert. Darüber hinaus ist heute Morgen die Temperatur ziemlich frisch. Etwas benommen steigen wir aus Hannibal aus und bereiten uns das Frühstück zu. Der Campingbesitzer hat uns eine Baguette besorgt, was uns ein wenig aufmuntert.

Was sollen wir heute anstellen? Die Antwort ist schnell gefunden, wir statten Taroudannt einen Besuch ab. Gestern haben uns die imposanten Stadtmauern in der Abendsonne imponiert. Heute möchten wir entdecken, was sich dahinter wohl versteckt.

Wir bestellen ein «Mini-Taxi» und lassen uns bis zum Restaurant Jnane Soussia chauffieren. Dort verbringen wir im grossen Garten die heisseste Tageszeit und genehmigen uns ein gutes Mittagessen. Wohl ernährt schlendern wir einige Stunden durch den Souk und lassen über uns das Spiessrutenlaufen durch die Läden mit Geduld ergehen. Taroudannt lässt unser Herz nicht warm werden. Der Souk ist relativ gross und verwinkelt aber unterscheidet sich wohl kaum von den anderen, die wir bereits besucht haben.



Freitag, 18. November: Taroudannt – Marrakech (Dar Lavande)
Wetter: Teilweise blauer Himmel. Auf den Gipfeln des Hohen Atlas liegt Schnee. Temperatur 7 – 27°C

Eine für unsere Verhältnisse sehr lange Strecke steht uns heute bevor. Bis zum Dar Lavande, unserem Bed & Breakfast für die nächsten vier Tage, sind es ca. 250 km. Der Pass Tizi-n-Test mit seinen 2’000 m ü. M. steht uns «im Weg». Abgesehen von Bauarbeiten entlang der Strecke kommen wir flott voran. Das Panorama von der Passhöhe ist schön aber die Weitsicht ist weitgehend durch Dunst beeinträchtigt.

Nach Asni weitet sich das Tal und wir treffen auf viel Verkehr. Hier dominiert die rote Erde. Tiefrot wie eine frische Blutwurst ist sie. Gegen 17:00 treffen wir im Dar Lavande ein, wo Claudia mit ihren drei Hunden (Viktor, Leo und Krischa) uns willkommen heisst.

Samstag. – Mittwoch, 19. – 23. November: Dar Lavande und Umgebung
Wetter: Teilweise blauer Himmel. In den umliegenden Bergen hat es geschneit. Temperatur 10 – 27°C

Uns ist nach Ferien machen zu Mut. Wir reservieren für vier Nächte im gut 20 km von Marrakech entfernten Dar Lavande und bleiben schliesslich fünf. Das B&B wird von einer Schweizerin betrieben. Wir kennen es nur von ihren interessanten Newslettern. Neben dem Landgut, auf dem Lavendel angebaut und das Öl der Pflanze destilliert wird, sind wir neugierig die Besitzerin, ihre drei Hunde sowie Jaques und Jaqueline, ihre Esel, kennenzulernen.

Schon nach kürzester Zeit schliessen wir das Dar Lavande mit Menschen und Tieren in unsere Herzen. Es ist ein wunderbar ruhiger Ort. Beim Blick auf den mit viel Liebe gestalteten harmonischen Garten wird die Seele ruhig und der Körper entspannt sich. Auch nachts fallen wir in einen tiefen erholsamen Schlaf. WELLNESS PUR!

Nur für einen Tagesausflug zum Stausee Lalla Takerhoust mit anschliessender Rundfahrt durch die Wüste Agafay verlassen wir dieses Idyll. Der Ausflug ist keine Rede wert: der Stausee ist zu einem Viertel seiner Grösse geschrumpft und die Wüste scheint zur Quad-Rennbahn sowie den «Abenteuer-Camps» der Luxus-Hotels degradiert worden zu sein. 


Nur ungern reissen wir uns von diesem Place to be los um noch Marrakesch City und Fez einen je zweitägigen Besuch abzustatten bevor wir in einer Woche die Fähre Richtung Genua besteigen.

Handelt es sich um ein Bansky?

15. – 30. November: Marrakesch – Fès – Tetuan – Ksar Sghir

Das Wichtigste in Kürze:

Wir sind auf dem Rückweg und wir sind müde. Zwei Monaten Marokko nagen an unseren Ressourcen. In Marrakesch und Fès lassen uns uninspiriert im Wirrwarr der Medinas treiben. Die Luft ist draus und wir möchten nach Hause zurückkehren.

Mittwoch – Freitag, 23. – 25. November: Marrakesch
Wetter: Teilweise blauer Himmel. Am Morgen ist arschkalt. Temperatur 8 – 27°C

Krasser könnte der Unterschied nicht sein. Nach fünf Tage Ruhe tauchen wir in Marrakeschs chaotisches Leben ein. Frühmorgens durchqueren wir mit Hannibal die Neustadt zum Camping Relais de Marrakesch und bekommen einen Vorgeschmack vom marokkanischen Fahrstil: Blinker werden kaum gestellt, dafür ist die Hupe das meistgenutzte Werkzeug.  Stände pro Sitz und Mitfahrer eine solche zur Verfügung, würden diese allesamt eingesetzt. Man hupt, um zu warnen «Ich bin hinter dir!», um einen Verkehrsteilnehmer zu vertreiben «Mach Platz!», um an einer Ampel den vorderen Wagen zum Wegfahren zu animieren «Beweg endlich deinen Arsch!» oder man betätigt die Hupe einfach aus Freude am Hupen. Zudem sausen Links und Rechts die Motorradfahrer an uns vorbei. Sie tauchen aus dem Nichts auf und hupen, um dir zu sagen «Ich bin hier». Sie quetschen sich zwischen zwei stehenden Autokolonnen durch und zickzacken mit akrobatischen Einlagen hin und her auf der Suche nach der perfekten Fahrbahn. Auf den Motorrädern sitzen eine (meistens ohne Helm), nicht selten zwei (meistens ohne Helm), manchmal auch drei Person/en (zwei Erwachsene + 1-2 Kind/er, meistens ohne Helm). An den Lichtsignalen wird selten angehalten – auch mit Rotlicht nicht.

Autos werden mitten auf der Fahrspur parkiert, um Ware auf- oder abzuladen. Menschen überqueren die Fahrbahn, wo es ihnen gerade passt. Sie nehmen sich dafür viel Zeit und lassen sich von den hupenden Autos nicht aus dem Konzept bringen. Damit nicht genug: Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird zusätzlich von den mit viel Gottvertrauen gesegneten Hunden herausgefordert. Man trifft sie neben der Strasse, am Strassenrand und auf der Strasse, wo sie ganz selbstverständliche eine Runde schlafen, ohne sich um die Welt um sie herum zu kümmern. Fahren ist Millimeterarbeit. Erstaunlicherweise kommen wir trotzt des Chaos flott voran. Jeder scheint Rücksicht auf den anderen zu nehmen und bemüht sich, ohne Schrammen davon zu kommen.

Wir überleben die Feuerprobe und erreichen den Camping Relais de Marrakesch etwas erschöpft. Um die Anspannung zu lösen, bestellen wir im Camping-Restaurant zwei Pizzas: «Eine Margherita und eine Vegetariana bitte» lautet unsere Bestellung. Die Pizzaböden sind gut, was darüber kredenzt wurde ist Geschmackssache. Anstelle des Mozzarellas wurde sehr grosszügig eine Art Raclette-Käse verwendet. Die dicke Käseschicht, die sich nicht mit dem Boden verbunden hat, führt ein Eigenleben: Beim Versucht eine Pizza-Scheibe hochzuheben, rutscht der Käse mit oder ohne Gemüse wie eine frisch ausgelöste Schneelawine wieder auf den Teller (oder auch auf die Hose) hinunter. Sabine sucht wie ein Lawinenhund das in der Käsesuppe «verschollene» Gemüse. Ich frage mich, ob für die Pizza Margherita überhaupt Tomatensauce verwendet wurde.

Nach einem solchen Essen stehen wir zwar satt aber mit einem Klumpen in Bauch vom Tisch auf. «Wir müssen etwas unternehmen, um den Fettkloss in unserem Magen zu verbrennen» bemerkt Sabine. Wir bestellen ein Taxi und lassen uns zum Platz Jemaa-el-Fna bringen. Als wir dort ankommen erkennen wir den Platz sofort wieder. Die gleiche Geschäftigkeit, die gleichen Schlangenbeschwörer, die gleichen Affendompteure, der gleiche Gestank nach Pferdeurin wie vor dreiundzwanzig Jahren. Neu ist allerdings, dass in der Medina die Motorräder erlaubt sind. Und so dauert es nicht sehr lange, bis sich ein Motorradfahre an uns vorbeizwängt und in einem Seitenarm hinter einer Abgaswolke verschwindet.

Die Medina ist zu einem Strassennetzwerk umfunktioniert worden. Menschen, Tiere und Motorräder teilen sich die engen Gassen. Da die Medina überdacht ist, bleiben die Abgase in den Gassen hängen und vermischen sich wiederum mit den Gerüchen von Leder, Lederpolitur, Gewürze, verdorbenem Fleisch, Urin (menschlicher und derjenige von den unzähligen Katzen), abgeschlossenen Räumen, verstaubten Teppichen, Fäulnis, gebackenem Brot, grilliertem Fleisch, Weihrauch, frischer Pfefferminze, Schweiss, Weihrauch und Terpentin zu einem bizarren Cocktail.

Entgegen allen Warnungen werden wir kaum von den Verkäufern bedrängt. Hie und da spricht uns jemand an mit «Pour le plaisir des yeux» und zeigt uns hoffnungsvoll den Eingang zu seinem Laden. Die meisten sitzen aber einfach passiv in ihrem Laden und starren auf ihr Smartphon. Ab und zu schaut einer – wie plötzlich aus der Trance erwacht – zu uns auf und taucht kurz danach, ohne einmal mit den Augen zu blinzeln, wiederum in die wundersame Welt zwischen seinen Finger ein.

Auf der Suche nach einem Geschenk für Fabrizios Schwester besuchen wir das Geschäft Al Nour Hier nähen behinderte Frauen qualitativ hochwertige und im Stil eigenständige Heimtextilien (Tischdecken, Tischsets …) und Kleider her und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt. Wir werden fündig. Eine wunderschöne, bestickte Leinen-Tischdecke findet ihren Weg in unseren Rucksack. Fabrizios Schwester wird sich freuen!

Als wir die Medina verlassen ist es bereits dunkel. Während wir uns im Labyrinth der Gassen verloren haben, haben fleissige Hände auf dem Platz Jemaa-el-Fna Essstände aufgestellt. Es sieht wie auf einem Weihnachtsmarkt aus, riecht aber anders. Keine Marroni, kein Magenbrot, keine karamellisierten Mandeln und kein Glühwein. Dafür werden grillierte Spiesse, Eintöpfe von geschmortem Fleisch (Tajines), Undefinierbares, Innereien, frische und weniger frische Salate, Suppen etc. dem hungrigen Passanten angeboten. Jeder Stand hat einen «Aufreisser» angestellt, der die vorbeilaufenden Menschen von den Vorzügen der eigenen Küche zu überzeugen und somit zu einer Konsumation zu motivieren versucht.  

Wir bleiben hart … sonst wird es morgen dünn!

Neuer Tag … neue Abenteuer. Wir treffen heute Christine und freuen uns sehr darauf. Wir haben Christine zu Beginn unserer Reise in Ksar Sghir in der Auberge Villa Marine kennengelernt. Sie lebt seit Jahren in Marrakech und hat sich bereit erklärt, mit uns den Tag zu verbringen. Wir treffen sie am Place des Ferblentiers, ein ruhiges Plätzchen nicht weit weg vom überbordenden Place Jemaa el-Fna und gehen mit ihr in ein libanesischen Restaurant Mittagessen. Zwischen zwei Meezes tauschen wir unsere Beobachtungen, Erfahrungen und Anekdoten aus, die wir in Marokko erlebt haben. Wir als Touristen, sie als langjährige Wanderführerin für einen bekannten deutschsprachigen Touroperator. Heute lebt sie in Marrakesch und besitzt ein schmuckes Maison d’Hôtes.

Nach dem Mittagessen schlendern mit ihr durch die engen Gassen der Medina. Ab und zu wird sie von einem Händler freundlich begrüsst. Zum Abschluss besuchen wir gemeinsam das kürzlich eröffnetes Museum MONDE ARTS PARURE. Es wurde von einem wohlhabenden Tessiner gebaut, um seine unvorstellbar reiche Sammlung an Schmuck, Gewändern, Pferdeharnischen und weiteren Schätzen aus allen Ecken der Welt auszustellen und einem Publikum zugänglich zu machen. Wir sind einfach nur sprachlos. Wir bewundern die filigrane Arbeit der Juweliere aus dem Maghreb, dem Sudan, Indien, Katar etc. Wir staunen über die komplexen Kopfdekorationen aus dem Niger und anderen Ländern, von denen wir die Namen bereits vergessen haben. Wir bleiben bei den wunderschönen und furchteinflössenden Samurai-Rüstungen auf Distanz … man weiss nie.

It ist time to say goodbye. «Danke Christine für den wundervollen Tag!».

Nachdem wir uns von Christine verabschiedet haben, streiten wir uns mit einem Taxifahrer über den Fahrpreis zum Campingplatz. Statt den offiziellen 150 DH verlangt er von uns plötzlich (aber irgendwie nicht unerwartet) 200 DH. Fabrizio besteht auf 150 DH, der Taxifahrer auf seine 200 DH. Angelockt von unserer angeregten Diskussion, eilen weitere Taxifahrer hinzu, reden kurz mit unserem Widersacher, bis er einlenkt. «Gut» sagt er uns mit einer ernsten Miene. Fabrizio antwortet «Ich werden nicht mit ihnen fahren, sie sind eine unehrliche Person». «Es gibt andere Touristen» fordert er uns heraus. «Es gibt aber auch andere Taxifahrer» kommentieren wir und suchen nach einer anderen Möglichkeit.

 

Freitag – Montag, 25. – 28. November: Marrakesch – Azrou – Fès
Wetter: Blauer Himmel. Am Morgen ist es weiterhin arschkalt. Temperatur 6 – 25°C

Fès liegt bereits hinter uns. Wir spüren einen Drang, nach Hause zu gehen. Wir sind müde. Die Nächte sind auch hier in Marokko mittlerweile kalt geworden. Unsere Standheizung haben wir aus dem Sommerschlaf geweckt und wieder in Betrieb genommen.

In Azrou ändert sich das Erscheinungsbild von Marokko schlagartig. Wir fahren durch breite mit Platanen gesäumte Alleen, sichten an jeder Ecke Abfallkörbe, konstatieren eine schweizerische Sauberkeit, bemerken die vielen Häuser mit einem Giebeldach und manchmal sogar mit Holzfachwerk. Als wir am Abend eine gebratene Forelle in einem frostigen und ungeschmückten Raum im Camping zu uns nehmen, wissen wir, dass wir uns nicht in der wohligen Schweiz, sondern in der heizungslosen, kühlen Realität von Marokko befinden. Unter dem Tisch bettelt eine Katze laut miauend um ihren Anteil am Essen.

In Fes nehmen wir uns am nächsten Tag die Zeit, Hannibal von aussen und innen gründlich zu schruppen und zu polieren. Kurz vor dem Eindunkeln betrachten wir ihn voller Stolz wie er von weitem in der Abendsonne blinkt. Wir haben trotz den vielen Unterbrechungen durch neugierige Zuschauer gründliche Arbeit geleistet.

Am Sonntag fahren wir mit dem Taxi zur Medina. Wir brausen an prallvollen Cafés vorbei – heute spielt die marokkanische Nationalmannschaft in Katar. Die Altstadt ist bis auf ein paar wenige Touristen menschenleer, auch in dem sich in einem grandiosen Palast befindenden Restaurant palais bab sahra Fèz sind wir die einzigen Gäste und scheuen das Personal vor dem Fernseher auf. Das Essen ist gut, der Palast ist bombastisch! Vom Boden bis zur Decke bleibt kein Quadratzentimeter von den kunstvollen arabischen Verzierungen mit Mosaiken und Schnitzereien ausgespart. Die Wonnen und Leiden des Fussballspiels erleben wir durch die Oooohhhs und Aaaahhhs der Angestellten, die sich um den Fernseher versammelt haben und uns regelmässig mit Ihren Rufen erschrecken.

Wieder draussen in der Medina füllen sich langsam die Gassen. Das Spiel ist zu Ende. Zufriedene Marokkaner strömen uns entgegen. Hier in den Souks wollen wir unseren letzten Punkt von der Einkaufsliste abhacken: Apéro-Schälchen von einer Töpferei-Manufaktur in Fez hergestellt. An Läden, die Töpferware anbieten, fehlt es wahrlich nicht. Aber ein Geschäft zu finden, das nicht den omnipräsenten Einheitsbrei anbietet, ist schwierig. Schliesslich wagen wir uns in einen sich in einem Hinterhof befindenden Laden und lassen uns auf das Verkaufsgespräch des Shopbetreibers ein. Wir lassen uns von den Vorteilen seiner Ware überzeugen und kaufen, ohne den Preis zu verhandeln, ein paar Teller und Töpfchen ein. Wir sind des ständigen Wehrens gegen die Übervorteilung müde.

Vor den Mauern, die die Medina umgeben, staut sich mittlerweile der Verkehr. Die Stände für die «Petit Taxis» sind leer. Die ganze Stadt scheint auf der Strasse oder auf Heimweg zu sein, um den Sieg der marokkanischen Elf gegen Belgien zu feiern. Nur mit Mühe und Not ergattern wir auf der Strasse ein freies Taxi. Es wird über eine Stunde dauern, bis es uns auf dem rund 11 km entfernten Camping Le Diamant Vert absetzten wird. Wir sind überrascht, wie überschwänglich die Menschen den Erfolg feiern. Junge Frau in roten enganliegenden Tops schwenken, mit dem Oberkörper aus dem Autoinneren hinausgebeugt, freudig die marokkanische Flagge, während die männlichen Chauffeure ihr Fahrzeug mit lautem Hupen Dompteuren gleich durch den dichten Verkehr manövrieren.

 

Montag – Mittwoch, 28. – 30. November: Fès – Tetouan – Tanger Med
Wetter: Blauer Himmel. Am Morgen ist es weiterhin arschkalt. Temperatur 8 – 18°C

Auf unserer Fahrt nach Tétouan sind die Zeichen des Herbstes unverkennbar. Die Bäume schmücken sich mit farbigen Blättern und manchmal präsentieren sie sich dem Vorbeifahrenden nackt. Die Felder zieren sich ab und zu mit einer dünnen grünen Flur, die auf einen kürzlich gefallenen winterlichen Niederschlag schliessen lässt. Die Landschaft, durch die wir fahren, erinnert uns stark an Andalusien. Die Temperaturen erholen sich während des Tages nur langsam von der kühlen Nacht und wir sind froh, dass wir uns am Abend im Bett des Riad Dar Achaach unter die wärmende Wolldecke verkriechen können. Im Riad wollen wir uns den Luxus eines Fernsehabends gönnen. Allerdings sind die meisten Sender auf Arabisch. So vertagen wir diesen Luxus…

Gestärkt von einem super reichhaltigen Frühstück nehmen wir unsere letzte Etappe nach Tanger Med in Angriff. Als wir die Mittelmeerküste in Martil erreichen, veranlasst uns der Sonnenschein und der weisse Sand zu einem ausgiebigen Spaziergang entlang der makellos sauber gehaltenen Promenade. Den Strand teilen wir uns mit ein paar wenigen Einheimischen und der Hoffnung der Restaurantbesitzer, die ein paar Tischen mit Stühlen und Sonnenschirm für vermeintliche Gäste aufgestellt haben. Die Bestuhlung bleibt leer während unseres gut zweistündigen Besuches.

Auf den nächsten 30 km treffen wir auf unendlich viele Apart-Hotelanlagen, die sich mit einer Mauer vor ungebetenen Gästen schützen. Einlass bietet jeweils eine Barriere, die von einem Wächter bedient wird.  Als ob in dieser im November, Dezember einsamen Gegend die Touristen von Frühling bis Herbst Schlange stehen würden, beobachten wir eine äusserst rege Bautätigkeit. Neue Ressorts werden aus dem Boden gestampft… für Touristen, die für wenige Wochen ihren Alltag an weissen Stränden oder an mit Palmen gesäumten Swimmingpools hinter sich lassen wollen.

Je näher wir an Tanger Med kommen, umso mehr erkennen wir in der Umgebung das Marokko, das wir in den letzten 60 Tagen bereist haben: An die Hänge geklebte farbige Dörfer – manchmal frei von und manchmal mit viel Abfall, Ziegenherden auf der Suche nach dem spärlichen Grün und Männer, die am Strassenrand oder in den Cafés vor einem Glas Tee sitzen.

Als wir in Ksar Sghir an das Tor der Villa Marine klopfen, wird das Tor von einer jungen Marokkanerin geöffnet. Die Pensionsbesitzer haben frei. Schad, wir hätten gerne den Räubergeschichten von Calogero gelauscht. So verbringen wir den Abend nach dem feinen Nachtessen im Bett und geben uns dem Luxus des Fernsehens hin. Auf Arte läuft der passende Dokumentarfilm Marokkos einsamer König. Er gibt uns auf ein paar während der Reise angehäuften Fragen über die marokkanische Gesellschaft eine Antwort. Um uns den Geheimnissen Marokkos weiter anzunähern werden wir wieder kommen. Ma’as-salama!

Der letzte Novembertag ist dem Warten auf die Fähre nach Genua gewidmet: 15:00 Uhr Ein-Checken, 20:15 Uhr Boarden der Fähre, 20:45 Essen im Selbstbedienungsrestaurant und 21:30 Uhr Gute Nacht und Europa bonjour.

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