Unsere Route: Stand 02. September 2020

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Letzte Erfassung:  09. September 2020  
Standort: Männedorf 
GPS-Koord.:

N 47.256 / W 8.69

 
Wetter:Sonnig, 23°C 
Reisedauer: 09. Juli – 02. September 2020
Hannibal wird für die Reise vorbereitet
Was kommt alles mit?

Donnerstag, 9. Juli
Es ist 09:00 Uhr als wir die Zündschlüssel drehen und der Motor von Hannibal anfängt zu brummen. Ich werde von diesem mächtigen Surren nie genug kriegen. Das Drehen des Zündschlüssels erlöst uns wie von magischer Hand von der Anspannung der letzten Monate. Die letzten Tage sind ziemlich hektisch gewesen. Ein Regenschutz für unser Hubdach musste in letzter Minute genäht werden. Denn hätte es in Island mehrere Tage geregnet, was es mit hoher Wahrscheinlichkeit tun wird, dann hätten die Canvaswände unseres Hubdaches Wasser durchgelassen. Das Nähen des Regenschutzes war ein regelrechter Kraftakt, der uns drei Tage voller Konzentration und Hingabe abverlangte … Es hat sich gelohnt. Wir haben das Überzelt wirklich sehr gut hingekriegt.

Die unendliche Phase des Beladens von Hannibal zieht sich über zwei Tage hin. Ein dreidimensionales Tetris-Spiel, gespielt im Bauch von Hannibal. Der Hohlraum muss mit Kleidern, Recoverygear, Lebensmitteln, Wanderschuhen, Medikamenten, Ersatzkabeln für unsere Navigationsgeräte, Töpfen, Geschirr und weiteren unabdingbaren Gegenstände gefüllt werden. Nach mehrmaligem Ein- und Ausladen sowie Umstapeln finden sie ihren endgültigen Aufbewahrungsort.

Der Teufel liegt bekanntlich im Detail. „Haben wir an alles gedacht?“ „Haben wir genügend warme Kleider mitgenommen?“ „Wo hast du die Buchungsbestätigungen hingelegt?“ und… und … und …

Die Sonne scheint, was kann noch schief gehen? Ja der Deckel unseres Kühlschrankes hat sich verabschiedet!! Die Isolationsmatte hat sich vom Deckel gelöst. Ich werde dieses Problem unterwegs selber reparieren müssen.

Wir gelangen über Basel zur deutschen Autobahn und tuckern mit 80-90 Sachen in Richtung Norden. Wir gehören zu den „Langsamen“. Dies scheint Hannibal wenig zu stören. Seine wahren Werten liegen bekanntlich abseits der geteerten Strasse … dort wo „die Anderen“ nie hinkommen würden. Die neuen AT-Reifen machen sich bezahlt. Die Fahrt ist ruhiger und leiser geworden. 

Kurz vor Frankfurt geraten wir in einen riesigen Stau. Wieder einmal ist Geduld gefordert. Für 12 km benötigen wir über 1 ½ Stunden. Nichts geht mehr.

Hannibal regt sich aber mächtig über den Fahrstil der Deutschen auf. Aggressiv sind sie. Sie kleben an der hinteren Stosstange wie Kletten und geben einem in gar keinem Fall den Vortritt.

Nach knapp 8 Stunden kommen wir in Idstein an. Wir sind müde. Henri empfängt uns herzlich. Dies lässt uns in kurzer Zeit die Strapazen des Tages vergessen. Wir begeben uns zu einem Restaurant, das hauptsächlich Kartoffelgerichten kredenzt. Auf Tia wartend (sie arbeitete heute noch) trinken wir ein Glas lokales Bier, durchforsten die Speisekarte und reden über dies und das. Als Tia sich zu uns gesellt ist das Bild perfekt.

Wir verbringen noch ein Tag in Idstein, kosten Henri‘s famous Porridge, reden uns die Kehlen wund und (für uns eine Weltpremiere) bestellen den Pizzakurier. Wir verbringen den Abend mit dem letzen Film von Clint Eastwood „The Mule“.

Samstag, 11.Juli
Gestern Abend haben Sabine und Ich uns entschlossen, statt direkt nach Flensburg zu fahren, einen „Schwenker“ nach Celle in der Lüneburger Heide zu machen. Wir waren dort zum Letzten mal vor knapp 30 Jahren mit Sabine‘s Schwester und ihrem Freund Remo. Wir hatten nur noch sehr wage Erinnerungen an Celle und wollten die schönen Fachwerkhäuser, die so typisch für diese Region sind, nochmals bewundern. Hübsch sind auch der französische Garten und das Schloss. Ausserdem verfügt Celle über einen neuen und sehr gut eingerichteten Stellplatz für Wohnmobile, 10 Fussminuten vom Stadtzentrum entfernt. Wir können noch knapp den letzten Platz ergattern.

Am Abend essen wir im Restaurant Schwejk, ein Tipp der ausgebuchten Bier Akademie, ausgezeichnete böhmische Spezialitäten: Sauerkraut mit Schweinebraten und Tafelspitz mit Meerrettichsauce, beides serviert mit Semmelknödel.

Typisch für die Landhäuser im Norden Deutschlands sowie später in Dänemark sind die Jalousien losen Fenster sowie die Fassaden aus Sichtbackstein. Ab und zu entdecken wir noch Bauerngehöfte mit Strohdächern. Vor allem in Dänemark sind die Häuser mit wunderschönen Gärten umgeben.

Sonntag, 12. Juli
Es sind noch knapp 600 km bis Hirtshals. Eine sehr lange Strecke, wenn man nur mit 80-85 km/h fährt. Wir überqueren die dänischen Grenze um 15:00 Uhr. Wir staunen, dass keine Kontrollen durchgeführt werden. Dänemark hatte lang gezögert, die Grenzen für den Tourismusverkehr zu öffnen. Ein Polizist winkt uns gelangweilt durch.

Unendliche Getreidefelder heissen uns willkommen. Ich wusste nicht, dass in dieser Gegend so viel Getreide angebaut wird. Auch der Fahrstil der Dänen scheint uns freundlich gesonnen. Kein Gedränge, kein Rasen und kein aufsässiges Getue. Eine ganz entspanntes Fahrerlebnis. Da die Autobahnen vom Rest der Welt nicht mit Hecken geschützt sind, liegen ein Haufen tote Tiere am Strassenrand. Es erinnert uns an die unzähligen toten Kängurus, die wir während unseren Australienreisen 1999/2004 gesehen haben.

Die hüglige Landschaft färbt sich bereits goldig in der Nachmittagssonne als wir in Juelsminde ankommen. Juelsminde ist eine Zufallsentscheidung, die wir während unseres Mittagessen in einem MCDonald in Flensburg getroffen haben. Wir wollten weder in Flensburg bleiben noch viele Kilometer fahren. So haben wir die Karte Dänemarks zur Hand genommen und ein Standort am Meer gesucht, welcher auch noch über einen Stellplatz verfügt. Ein guter Entscheid. Wir geniessen den abendlichen Spaziergang entlang des Hafens.

Montag, 13. Juli
Die letzten 240 km bis nach Hirtshals, immer noch begleitet von den gewaltigen Getreidefeldern, die wie eine schützende Decke die geschmeidigen Hügel und unendlichen Flächen beidseits der Autobahn umhüllen, verfliegen schnell. Nur die in regelmässigen Abständen auf den Feldern sichtbaren Traktorenspuren zeugen von der Präsenz des Menschen.

Ein starker Nord-West-Wind fegt unermüdlich über die Autobahn. Hannibal schaukelt von rechts nach links wie ein Besoffener, der zu später Stunde seinen Weg nach Hause zu finden versucht. Als wir in Hirtshals ankommen hat der Wind kaum nachgelassen. Wir checken im grosszügigen, nicht weit vom Strand gelegenen Hirtshals Camping ein. Im Laufe des Nachmittags kommen weitere Offroader dazu. Wir werden sie morgen auf der Fähre nach Island treffen.

Das Städtchen Hirtshals hat sicherlich schon bessere Tage gesehen. Das Ganze wirkt heruntergekommen und verstaubt. In der Einkaufstrasse klaffen zwischen den schäbigen und demodierten Ramschläden Lücken mit geschlossenen, leergeräumten Geschäften und Restaurants. Ist hierfür Covid-19 verantwortlich oder hat der Niedergang schon vorher begonnen?

Die Nacht bringt Regen. Zeit, unseren kürzlich genähten Regenschutz für dass Hubdach zu testen. Er erfüllt unsere Erwartungen. Das Hubdach bleibt trocken obwohl es teilweise heftig schüttet.

Dienstag/Mittwoch, 14./15. Juli
Ein trüber Tag beginnt. Dicke, tief hängende Wolken und ein lästiger Nieselregen sagen uns „Hallo“ als wir aus Hannibal’s Bauch aussteigen. Ein paar Campingbewohner laufen wie verlorene Seelen umher. Unschlüssig, ob sie den Tag mit beiden Händen anpacken oder sich in ihre Schlafsäcke zurück verkriechen sollen.

Wir verspeisen im Aufenthaltsraum der Campingküche eine Zimtschnecke und trinken einen charakterlosen Automaten-Kaffee. Bevor wir zum Hafen aufbrechen, nutzen wir noch das WIFI, um den bevorstehenden COVID-19-Test zu bezahlen. Das Regime hat am Vortag geändert. Anstatt in Island müssen wir den Test vor dem Besteigen der Fähre über uns ergehen lassen. Dies als Alternative zur 14-tägigen Quarantäne.

Nach zwei Stunden warten in Dreierkolonne am Hafen geht es langsam vorwärts. Bevor wir zum nächsten Wartekorridor dirigiert werden, heisst es, langsam zum COVID-Test rollen. Da warten auf uns eine Horde in hellblaue „Plastikpellerinen“ eingehüllte und mit Mundschutz versehene Tester. Zu zweit stürmen sie wild fuchtelnd mit den „Ohrstäbchen“ und einem Handy in den Händen auf die zu Testenden Personen in den Autos zu. Während uns die eine Person das Stäbchen in den Hals steckt, versucht die andere den an der Windschutzscheibe angebrachten IBAN-Strichcode zu fotografieren und überprüft die ID mit der Buchung. Ob die Testergebnisse bei dieser Aufregung und Hektik auch verlässlich sind?

An Bord tragen die Crewmitglieder während der zweitägigen Überfahrt keine Maske, ebenfalls nur wenige Passagiere. Wir Maskentragende werden wie moderne Aussätzige angestarrt. Die Abstandsvorschriften von 1 m scheinen eher ein Wunschdenken. Sie werden mehrheitlich von den Reisenden nicht respektiert. An den Buffets kennen die Leute keine Zurückhaltung. Menschen, die sich mit dem Aufschliessen zurückhalten, werden einfach überrannt.

Einen Tag später – Fabrizio und ich halten uns mehrheitlich in der Kabine mit Fenster auf – herrscht für uns immer noch Unklarheit, wie uns das Testergebnis mitgeteilt wird oder was passiert, wenn jemand auf der Fähre positiv getestet wurde, gehen wir alle in Quarantäne? Wir fragen an der Rezeption. Diese gibt uns folgende Auskunft: Betroffene werden vom Kapitän persönlich informiert. Mehr können oder dürfen sie nicht sagen … Ist der Corona-Test nur Schein, wie kann so verhindert werden, dass keine Corona-Infizierte die Insel betreten und weitere Isländer anstecken? Es scheint eine riesige Diskrepanz zwischen Schutzkonzepten und Umsetzung zu geben und niemand fühlt sich für die Durchsetzung zuständig. Hierfür ein Beispiel: Bei der Registrierung mussten wir über den Gesundheitszustand insbesondere das Husten Auskunft geben und dies unter Androhung einer hohen Busse. Tatsache ist, dass viele Passagiere husten, einige davon sehr kräftig? Ich konnte nicht beobachten, dass diese von der Besatzung angesprochen wurden. Für mich ist klar, ingesamt scheinen die Menschen mit dieser Situation überfordert zu sein. Die Kommunikation und das Verhalten ist konfus und widersprüchlich.

Dasselbe haben wir in Dänemark beobachtet. Obwohl sich Dänemark lange mit der Öffnung eines Durchgangskorridors für Islandreisende zierte, haben wir in zwei Tagen keinen einzigen Dänen gesehen, der sich mit einer Maske vor dem Virus schützte. Im Gegenteil, in meiner Wahrnehmung war das Verhalten völlig unbekümmert, Menschenansammlungen wurden nicht gemieden.

Kurz stoppt die Fähre in Torshaven, Faröern. Die Insel ist in Nebel gehüllt. Wir sehen ausser den Hafen nahen mit Torf gedeckten roten Holzhäusern, einigen Ruderbooten sowie kreischenden weissen Vögeln kaum etwas. Nicht so schlimm, bei der Rückfahrt im September haben wir nochmals eine Chance und vor allem auch 5 Stunden Aufenthalt mit Landgang.

Zwischen den Faröern und Island liegt eine Nacht. Ein bisschen aufgeregt sind wir. Was werden wir erleben, wie hat sich Island seit 2014 verändert, wird es aufgrund Covid-19 weniger Touristen geben, wie wird das Wetter sein, wird sich unser Hannibal bei kaltem und feuchtem Wetter bewähren … Fragen über Fragen. 

Antworten werden wir in den nächsten 9 Wochen erhalten. Wir freuen uns auf dieses Experiment.

Donnerstag 16. Juli
Wetter: Sonnig, mittelstarker kalter Wind, Temperatur um 10°C

Es ist ca. 08:30 Uhr als uns eine kreischende Stimme über den Lautsprecher auffordert, das Zimmer zu verlassen und alles was uns gehört mitzunehmen. Wir treffen andere „Vertriebene“ mit ihren Koffern, Rücksäcken, Kindern und Hunden vor der Rezeption. Alle suchen mit inquisitorischem Blick nach einem freien Sitzplatz. Vergebens! Die einen sind weiss im Gesicht, ein klares Kennzeichen einer unruhigen Nacht – das Meer war verstimmt und hat uns mit seinen hohen Wellen seinen Gemütszustand offenbart.

Wir steigen auf das obere Deck, um frische Luft zu schnappen. Am Eingang des Fjords von Seydisfjördur begrüsst uns ein üppiger Regenbogen mit einem breiten Lächeln. 

Die Zollformalitäten sind schnell erledigt und so können wir zügig nach Eglisstadir fahren, um Proviant einzukaufen. Dort nehmen die Neuankömmlinge beide Einkaufszentren wie die Horden von Dschingis Khan unter Belagerung. Hungrige Wölfe! Es wird geschupst, gedrängt, geflucht … und die COVID-19 Sicherheitsregeln werden einfach ignoriert.

Tagesziel ist die kleine Ortschaft Bakkagerdi ca. 80km nördlich von Eglistadir. Hier er-warten uns gemäss Reiseführer schöne Wanderungen und ein interessanter 4×4-Track. Unerwartet werden wir von schönem Wetter begleitet. Ist dies ein positives Omen? Nein, wie sich später erweisen wird! Bakkagerdi verfügt über einen geräumigen Campingplatz mit sehr guter Infrastruktur und liegt in einer vom Wind gebeutelten Bucht. Die Stimmung ist „noch“ gelassen und friedlich als wir dort ankommen – morgen wird es in Kübeln regnen! Vorerst jedoch regiert eine goldige Abendstimmung. Die umliegenden farbenfrohen und majestätischen Basalt- und Rhyolith-Berge erstrahlen in unterschiedlichsten Beige- und Schwarzschattierungen sowohl als auch in Rotnuancen in der Sonne, die Wiesen wetteifern in Ihrer Farbigkeit mit einem Blumengarten von Monet. Nichts lässt erahnen, dass uns eine stürmische Nacht erwartet.

Freitag, 17. Juli

Wetter: Grauer Himmel und mittelstarker kalter Wind, der von Nieselregen begleitet ist, Temperatur um 10°C

Geschüttelt und nicht gerührt wachen wir auf. Nieselregen und Nebel haben uns fest im Griff. Wollen wir es trotzdem auf den 4×4-Track „Bakkagerdi Loop“ wagen? Wir wagen es! Es geht steil zwischen Felsenwänden und Kieshalden bergauf und -hinunter. Die Sicht auf die Bucht von Bakkagerdi – noch lässt es das Wetter zu – ist atemberaubend. Wir rasten an einer idyllischer Senke mit mehreren Moortümpeln. Mystische Nebelschwaden dominieren das Landschaftsbild. Die Elfen, Feen, Gnome und Trolle haben definitiv die Herrschaft übernommen.

 
Den Nachmittag verbringen wir durchaus zivilisiert in einem Café mit Berichte schreiben, Kommunizieren mit unseren Freunden via WhatsApp sowie Optimierung unserer booking.com-Buchungen. Am Abend geniessen wir in Hannibal’s Bauch bei Kerzenschein und Bier Fabrizio‘s aufgepeppten Tikkamasala-Pouletcurry. Zum Dessert gibt es eine gut schweizerische Jassrunde. Danach steigen wir ins Obergeschoss. Hannibal‘s Flanken werden von starken Windböen und Regenstössen traktiert. Da wir sein schmerzverzerrtes Gestöhne und Trompeten nicht mehr ertragen können, dichten wir unsere Ohren mit Oropax ab. Hannibal und unserer Regenschutz halten dem Sturm stand. Wir erwachen am Morgen wollig, warm und vor allem trocken in unserem Attikageschoss.
 
 
Samstag, 18. Juli

Wetter: Dauerregen mit sehr starkem kaltem Wind, Temperatur um 6°C

Der gestrige Sturm ist in einen garstigen Dauerregen übergegangen. Wir wärmen uns mit der Standheizung auf. Auch diese funktioniert! Nach Frühstück, Abwasch und der obligaten Beratung „was fangen wir mit dem Tag an“ brechen wir auf. Wir retten uns für ein paar Stunden vor den ungestümen Wetterelementen Islands und flüchten in den warmen Schoss des gestrigen Alfacafés.


Wir bestellen je einen Kaffee und ein Stück Bananencake (der übrigens sehr lecker schmeckt). Wir checken unsere EMail, Fabrizio fügt unserer Internetseite die letzten Berichte und Bilder hinzu und verbessert hie und da das Erscheinungsbild sowie die Lesbarkeit diverser Seiten. Immer wieder beobachten wir die neu ankommenden Gäste. Meistens sind es Einheimische. Isländer mit mächtiger Statur und Umfang. Männer sowie Frauen scheinen in einer Dauerschwangerschaft zu sein. Sie sind leutselig. Es ist unmöglich, sie nicht zu bemerken, insbesondere weil sie auch von Scharen von Kinder begleitet sind (nicht selten 3 bis vier). Und die haben Temperament!

Für unsere Verhältnisse sind die Isländer sehr leicht bekleidet. Nicht selten tragen sie nur kurze Hosen und ein einfaches T-Shirt (es ist ja Sommer hier im Norden!!). Insbesondere scheint das garstige Wetter den Kindern nichts anzuhaben. Gestern trafen wir auf ein junges Mädchen in Hotpants und Tanktop. Als Gegenpol trugen wir Thermounterwäsche, ein Windbreaker, eine Regenjacke und dazu noch zwei Lagen Gänsehaut.

Nach ca. 4 Stunden bestellen wir noch eine Fischsuppe (die auch sehr lecker war) und essen dazu ein Dutzend Brotscheiben. Gegen 17:00 Uhr (ja … wir haben fast den ganzen Tag im Café gesessen …) bewegen wir uns widerwillig zum Campingplatz. Der Wind ist mittlerweile so stark geworden, dass der Regen horizontal über den Boden fegt. Unter solchen Bedingungen kommt es gar nicht in Frage, dass wir Hannibal‘s Hubdach aufmachen.

Wir werden auf dem Sitzbank die Nacht verbringen müssen (96cm x 196cm). Wir nennen dies „Synchronschlafen“. D.h wir kehren uns gleichzeitig nach links und nach rechts. Auf dem Rücken zu schlafen ist aus Platzmangel nicht möglich. Wir haben diese Art zu schlafen im 2004 in Australien gelernt, als wir mehr als 2 Monaten in der Wüste verbrachten und die Temperatur in der Nacht nicht selten nahe am Gefrierpunkt war.

Sonntag 19. Juli
Wetter: es Regnet weiter in Strömen. Der kalter Wind bläst weiter mit unheimlicher Stärke. Temperatur (gefühlt) -20°C

Die Nacht war wie zu erwarten … Sch…sse. Zerknittert wie ein Abwaschlump kriechen wir um 07:00 Uhr aus den Schlafsäcken und begeben uns in die Gemeinschaftsküche des Campingplatzes. Sie ist leicht geheizt und glücklicherweise winddicht. Unsere Rücken schmerzen und uns wird bewusst, dass sich eine gewisse Abnutzung in unserem Körper breitgemacht hat. Gegen 08:00 Uhr taucht die Campingaufseherin auf. Sie ist eine etwas burschikose Wahl-Isländerin aus Holland. Sie hat vor Jahren ihrer Heimat den Rücken gekehrt und ist hierher ans Ende der Welt ausgewandert. Im Sommer ist sie Campingaufseherin, im Winter arbeitet sie in der Fischfabrik von Höfn und hilft überall dort, wo Not am Mann ist. Sie scheint glücklich zu sein. Wir reden lang mit ihr und kommen dabei mehrmals in Versuchung, sie über die Gründe ihrer Auswanderung nach Island zu fragen. Wir stellen diese Frage schlussendlich nicht.

Wir vergiessen keine Träne als wir gegen 10:00 Uhr Bakkagerdi Richtung Vopnafjördur verlassen. Die Strecke folgt teilweise der Ostküste und führt über einen sehr steilen Pass zu unserem Tagesziel. Der Wind ist so stark, dass sogar Hannibal seine echte Mühe hat nicht von der Strasse gefegt zu werden. Ein Augenblick Unaufmerksamkeit und schon bist du Schnee von gestern.

Während einer 2-stündigen Wanderung entlang eines felsigen Küstenabschnitt konnten wir uns von den Windböen regelrecht tragen lassen und uns für einen zu kurzen Moment wie Vögel fühlen.

In Vopnafjördur erwartet uns ein kleiner, sauberer Campingplatz mit geheizter Dusche und WC und vor allem auch ohne Wind. Was für ein Luxus! Wie relativ doch die Beurteilung von Erstrebenswertem während des Reisens wird. Unser Glück steigern wir noch, als wir uns im gemütlichen Kauvangskaffi einen Kaffee mit einem Kecks gönnen. Etwas neidisch sind wir dann schon, als an uns riesige dünn gebackene Pizzas und riesige Teller mit lecker aussehendem Fisch vorbeigetragen werden, hinterher.

Montag 20. Juli
Wetter: es Regnet nicht! Eine anämische Sonne schaut scheu hinter den Wolken hervor. Temperatur 10°C.

Unser Ausflug nach Bakkafjördur lohnt nicht. Die Sicht ist schlecht und die gegenüberliegende Halbinsel Langanes ist nicht sichtbar. So kehren wir nach einer Runde im verlassen und etwas heruntergekommenen Dorf nach Vopnafjördur zurück. Diesmal ein Novum, ein Teil der Strecke lenke ich (Sabine) Hannibal. Er wehrt sich nicht und brummt sanft schnurrend mit 60 Sachen über die gute Teerstrasse.

Den Weg zum Tveragil Canyon übernimmt Fabrizio wieder. Die Wanderung (ca. 7-8 km) zum farbenfrohen Canyon ist bis auf die schlammigen Passagen ein einfacher Spaziergang. Diese überwinden wir, indem wir vom Pfad auf die Wiese ausweichen und von einem weichen Graskissen zum anderen Hüpfen. Wir treffen auf keine weiteren Wanderer und werden einzig von windzerzausten Schafen argwöhnisch beobachtet.

In Bustafell erwartet uns neben einem Blitzblanken Café ein interessantes Museum über das Leben in den einst üblichen Torfhäusern. Wir erhalten eine persönliche Führung von einem exzellent sprechenden jungen Isländer (er schwärmt vom schweizer Humor), der seit Jahren seine Sommerferien auf diesem Hof arbeitet.

Dienstag 21. Juli
Wetter: Die Sonne scheint und es ist absolut windstill! Temperatur 15 – 20°C. Freude herrscht.

Viele Schönheiten der Natur offenbaren sich nicht auf Anhieb, so auch beim Studlagil Canyon. Wir wandern die ersten 2-3 km entlang eines von Wiesen umgebenen Feldweges – die Bauern sind bei diesem super Tag fleissig am Heuen – bevor wir zu einem hübschen Wasserfall gelangen. Obligater Fotostopp. Allerdings ist dies noch nicht die Hauptattraktion, wofür die in ganzen Familienclans angereisten Isländer gekommen sind. Die steilen von Basaltsäulen eingerahmten Wände des Canyons sind nun sichtbar, auch die für manche Touristen zwingenden, tollkühnen Kletteraktionen. Am Endpunkt erwarten uns türkisblaues Wasser und von schwarz bis beige kolorierte, unterschiedlich hohe Basaltsäulen, mal gerade mal mit sanftem Schwung. Kein Hollywood-Bühnenbildner hätte diese Kulisse besser hingekriegt.

In Eglisstadir versuchen wir unsere Vorräte aufzustocken bevor es Richtung Hochland geht. Die Regale sind wie leergefegt. Im Gegensatz dazu ist der Zeltplatz in Hallomsstadur übervoll für die vier Toiletten und zwei Duschen. Für uns ein Zwischenstopp, für die Isländer ein Platz für einen Strandurlaub. Der Platz hat direkten Strandanstoss und die Einheimischen scheinen anhand der zum Trocknen aufgehängten Badekleidern auch Gebrauch davon zu machen. Brrrr …, uns friert es nur schon beim Gedanken daran.

Mittwoch, 22. Juli
Wetter: Frühmorgendlicher dichter Nebel, Nieselregen, die Sonne scheint für ein paar kurze Augenblicke bevor sich der Himmel wieder mit dichten Wolkenfeldern überzieht. Temperatur 6 – 10°C

Am Abend in den Hotpots von Laugarfell der Höhepunkt, im prallen Sonnenschein erstrahlt der teilweise mit Schnee bedeckte Snäfelljökull. Laugarfell ist für sein Waterfall-Circle bekannt. Eine 7.3 km lange Rundwanderung führt entlang eines Pfades zu mächtigen Wasserfällen. Zu Beginn ist der Himmel bedeckt und es regnet phasenweise. Wir entscheiden, die Wanderung trotzdem zu wagen. Was für ein Glück. Nach kurzer Zeit scheint die Sonne (leider nur kurz!) und der erste Wasserfall ist in Sicht. Was für eine Spektakel! Klares Wasser fliesst über Basaltsäulen und stürzt in einen engen Canyon. Der betörende Lärm zeugt von der Kraft des Wassers. Ein bekanntes Ritual findet nun statt: Fotokamera-Rucksack abstreifen, Stativ aufstellen und wagerecht stellen, Kamera auspacken und das „richtige“ Objektiv wählen, Passender ND-Filter aussuchen, „mit oder ohne POL-Filter-Entscheidung“ treffen … und endlich ein Bild „knipsen“. Diesen Ablauf wiederholen wir bis zum Ende der Wanderung unzählige Male. Nach knapp 4 Stunden sind wir zurück beim Parkplatz, erfüllt von den überwältigenden Eindrücken. Wie vorher erwähnt, die Sonne war eine kurze Erscheinung. Danach hat es fast ununterbrochen geregnet und wir waren bis auf den Knochen durchnässt.

Wir entscheiden direkt bei der Berghütte in Laugarfell auf dem Parkplatz zu campen. Hier können wir unsere durchgefrorene Knochen in einem Hotpot (ca. 30°C) aufwärmen und, da wir absolut keine Lust haben, selber draussen im Wind zu kochen, verwöhnen wir uns mit Lammfrikadellen, dazu Rosmarin-Bratkartoffeln, Brokkoli und grillierten Karotten, alles liebevoll von der Hüttenwartin zubereitet. Ihr Name ist Olga. Sie liebt „Auberginen Parmigiana“, sie ist eine zierliche Person mit der Energie eines D10-Doozer von Caterpillar, sie ist zuvorkommend, scheut keinen Aufwand um die Gäste glücklich zu machen und hat einen schelmischen Humor.

Olga ist … eine seltene Perle.

Donnerstag, 23. Juli
Wetter: Dichter Nebel von Nieselregen begleitet, Windböen. Temperatur 4 – 6°C

Auf Empfehlung von Olga, brechen wir erstmals in Richtung Hochland auf. Olga verrät uns ein kleines Geheimnis über einen Standort, der in einer wunderschönen Landschaft liegt. Leider machen dichter Nebel und Regen jegliche Weitsicht zu Nichte. Wir fahren nach einer kurzen Mittagspause in Richtung Snaefell, wo man der Gletscherzunge des Vatnajökull sehr nahe kommt. Auf dem Weg dorthin deponieren wir ein paar von Olga frisch gebackene Zimtschnecken bei der Snaefellsskali-Hütte. Leider ist dort kein Mensch weit und breit zu sehen. Wir rufen mehrmals „Hallo“. Unser Rufen bleibt unbeantwortet. Nach kurzem Warten fahren wir weiter. Der Vatnajökull-Gletscher ist erst am Ende der Piste zu sehen. Er lässt sich Zeit um sich den Eindringlingen zu offenbaren. Nach dem letzen überwundenen Hügel liegt er vor uns da. Mystisch, bedrohlich, von einem dichten Nebel geschützt. Sein kalter Atem ist bereits von weitem zu spüren. Er lässt einem wissen, dass er da ist und auf dich wartet. Schwarze Streifen, die durch die Asche vergangener Eruptionen entstanden sind, durchziehen den Gletscher in Schichten. Wir steigen aus Hannibal aus. Ein beklemmendes Gefühl übermannt uns. Bilder aus „Herr der Ringe“ gehen uns durch den Kopf. Haben wir vielleicht den Drachen geweckt?

Auf dem Weg zurück werfen wir einen flüchtigen Blick auf den Campingplatz der Snaefellsskali-Hütte. Er sieht ziemlich archaisch aus. Eine steinige Fläche inmitten einer trostlosen Landschaft. Das vereinsamte „WC-Hüsli“ inspiriert niemanden, dort sein „Geschäft“ zu verrichten. Der Entscheid ist schnell gefällt. Wir werden nochmals bei Olga in Laugarfell übernachten. Nicht, dass dort das Wetter uns besser gesinnt sein wird, aber uns erwarten saubere Toiletten und ein geheizter Raum, wo wir das unfreundliche Klima für einen Augenblick vergessen können.

Freitag, 24. Juli / Sonntag, 26. Juli
Wetter: Dichter Nebel von Niesel- bis heftigen Regenschauern und teilweise mit Schneeflocken durchsetzt, Windböen. Temperatur 0 – 4°C

Über die F910 erreichen wir knapp um die Mittagszeit den Staudamm von Halslon, ein in Island umstrittenes Projekt. Ökologische sowie sicherheitstechnische Bedenken und nicht zu letzt der zwiespältige Ruf der Baufirma, der Verbindungen zur italienischen Mafia nachgesagt wurden, haben den Bau des Staudammes begleitet. Wir verlassen hier die geteerte Strasse. Die Piste schlängelt sich abwechslungsweise über Bergkämme und begrünte Täler. Die Fahrt ist gemütlich. Hie und da gilt es einem Loch auszuweichen oder eine leichte Fuhrt zu überqueren. Gegen 14:00 Uhr treffen wir auf eine völlig erschöpfte und durchnässte Wanderin. Wir fragen sie, ob sie ok sei. Die Antwort kommt wie ein Flüstern: „darf ich für eine kurze Strecke mitkommen? Ich friere!“ Wir nehmen sie mit. Es gibt immer noch Menschen, die uns mit ihrem Willen, ihrer Überzeugung und Ausdauer faszinieren. Das Hochland zu Fuss unter diesen garstigen Wetterbedingungen zu überqueren ist entweder Wahnsinn oder Genie!

Nach ca. 2 Stunden Fahrt inmitten von erstarrten Lavaströmen laden wir sie an der Kreuzung F910 / F 902 aus. Sie setzt Ihren Weg weiter zu Fuss nach Askja fort (ca. 24km) und wir drehen nach Links über die F902 in Richtung Kverkfjöll. Mit einem Schlag ändert sich das „Bühnenbild“. Bizarre Felsformationen, senkrechte Lavakanten und die Piste, die sich durch diese erstaunliche Landschaft schlängelt. Eine Landschaft, die locker aus der morbiden Fantasie von H.W. Giger, der Schöpfer von Alien, hätte entstehen können. So muss es auf Mars aussehen. Die Erde hat sich hier aufgespaltet und seine Innereien ausgespuckt und zur Schau gestellt. Als wir bei der Berghütte von Kverkfjöll ankommen, hat es zu schneien begonnen.

Wir schauen uns gegenseitig stumm an. Dass wir diese Nacht campen werden, kommt gar nicht in Frage. Wir erkundigen uns bei der Hüttenwartin (es scheint Tradition zu sein, dass in Island die Hüttenwärter Frauen sind), ob es noch einen Bett für 2 Gestrandete gibt. Wir freuen uns ungemein über das „Ja“. Wir werden ein Zimmer mit 4 Italienern und gleich vielen Isländern teilen. Hauptsache, es ist warm.

In der Hütte geht es zu wie in einem richtigen Bazar: ein hin und her von Leuten, die sich mit ihrem Habe beladen (Schlafsäcke, Rollkoffer, Esswaren, nasse Kleider und sogar ein Hund) durch die Eingangstüre quetschen, sich im Korridor kreuzen und anrempeln. Unser Brillen laufen an und wir stolpern etwas unbeholfen über die beim Eingang deponierten Bergschuhe, innerhalb der Hütte herrscht Hausschuhpflicht.

In der Gemeinschaftsküche sind bereits diverse Bocuses am Werk. Es riecht nach Zwiebeln, gebratenem Speck und verbranntem Knoblauch. Morgen wird einer dieser Magier den Feueralarm beim „Verbrennen“ seiner Pancakes zweimal auslösen (genau um 06:54 Uhr).

Wir beziehen unser Quartier in der oberen Etage eines zweistöckigen Bettes. Unter uns ein bärtiger Isländer, der während der Nacht sicherlich zwei Ster Holz hacken wird. Ein grimmig scheinendes Individuum, das unter seinem zerzausten Bart eine gewisse Freundlichkeit ausstrahlt.

Im zweiten Stock der Hütte hat sich eine Gruppe Franzosen niedergelassen. An der Menge Wein, die sie mitgenommen haben, müssen wir uns heute Abend auf etwas gefasst machen. Die Stimmung ist ausgelassen. Wir freuen uns auf eine warme Mahlzeit (Tortellini Ricotta-Basilikum mit Arrabbiata-Sauce und Parmesan).

Um 09:30 Uhr erscheint wie von Zauberhand die Sonne. Die Hütte leert sich so schnell wie nach einem Feueralarm. Alle packen ihre Fotokameras und rennen in der Hoffnung nach draussen, noch ein schönes Bild von Kverkfjöll-Gletscher mit nach Hause nehmen zu dürfen.

Zurück in der Hütte zaubert jemand seinen IPod heraus und über einen Bluetooth-Lautsprecher ertönen die unvergesslichen Melodien von Abba, Bee Gees … Es wird getanzt und getrunken. Um 11:00 Uhr taucht die Hüttenwartin auf und danach ist Nachtruhe.

Am nächsten Tag: Es Regnet … what else? Zum Glück scheint es nicht gefroren zu sein.

Für den Weg zurück wählen wir die Piste F903. Sie verläuft parallel zur F902. Wir bereuen die Wahl. Die Strecke ist bei Weitem nicht so spektakulär wie die gestern gefahrene F902. Irgendwo unterwegs treffen wir eine junge Rangerin. Eine zierliche junge Frau mit roten Haaren und Sommersprossen. Sie erzählt uns unter anderem, dass sie als Parkrangerin zwei ganze Sommer alleine in einer kleinen Hütte ohne Verbindung zur Aussenwelt verbracht hat. Beim Erzählen leuchten ihre blauen Augen auf. Sie ist voll und ganz überzeugt von dem was sie tut. Mit etwas Wehmut ergänzt sie, dass heute alle Hütten via Funk erreichbar sind. Sie bedauert diesen Luxus. Ein Teil des Zaubers geht dadurch verloren. Wir staunen!

Wir peilen Askja über die F910 und F88 an. Askja ist ein explodierter Vulkan. Er hat zwei Kubikkilometer Gestein aus dem Erdinnern Richtung Himmel geschleudert! Übrig geblieben ist ein Krater, der für seinen See in der Mitte bekannt ist. Als wir ankommen ist der Nebel so dicht, dass wir sogar Mühe haben, das Toyota-Emblem auf der Motorhaube zu sehen. Wir bleiben nicht lange, auch weil uns die Hochlandpolizei-Patrouille, die uns stoppt, keine gute Nachrichten über das Wetter zu berichten hat: „ für die Nächsten Tage ist Schnee begleitet von sehr tiefen Temperaturen prognostiziert.“ Der der junge Polizist, der uns informiert, begleitet seine Aussage mit einem bedauerndem Lächeln.

Also nichts wie weg! Auch der geplante Ausflug zum Nationalberg Islands, Herdubreid, streichen wir ohne zu zögern. Wir bekommen vielleicht Ende August, wenn wir auf dem Rückweg über die F910 nach Seydisfjördur sind, eine zweite Chance.

Bis wir an unserem heutigen Etappenziel, Mördrudalur, eintreffen, liegen noch ca. 87 km Piste vor uns. Die Lage des Campingplatzes wäre nicht leid. Leider funktioniert die Duschen nicht und das einzige WC hat schon bessere Zeiten gesehen. Um uns aufzuwärmen, setzen wir uns für zwei Stunden in das lokale „Bistrot“ und trinken einige Tassen Filterkaffe. Hier in Island gilt das Motto „Pay one and drink as much as you want“. Wir sagen nicht nein und geniessen dabei die sehr bequeme und einladende Polstergruppe. Die 6-stündige Fahrt und das ständige konzentriert Sein – fahrtechnisch waren die Pisten jedoch unproblematisch – haben ihren Zoll gefordert: wir sind Hundemüde.

Am nächsten Tag: Es Regnet … what else? Sonntag, ein Wort ohne Bedeutung, da sich auch heute weit und breit keine Sonne zeigt. Im Gegensatz, es regnet in Kübeln und es ist weiterhin VERDAMMT KALT! Beim Aufpumpen der Reifen werden Fabrizio‘s Finger sehr schnell taub. Das Auf- und Zuschrauben der Luftventilkappen ist unter solchen Bedingungen eine Zerreissprobe. Immer wieder fallen diese verdammt winzigen Kunststoffteile zu Boden oder lassen sich nicht korrekt aufschrauben. Im Nacken fegt der Wind. Der Regen läuft mir den Nacken hinunter. Nach knapp 10 Minuten hat diese Tortur zum Glück ein Ende.

Bei unserer Reise im 2014 hatten wir den Asbyrgi Nationalpark, unser heutiges Tagesziel, nicht besucht. Es hatte zu viele Touristen. COVID-19 „sei Dank“ sieht die Lage heute anders aus. Als wir dort ankommen, werden wir nur auf wenige gestrandete Seelen treffen.

 

Wir folgen der Strasse Nr.1 bis knapp vor Mývatn, dann drehen wir Rechts in die F864 Richtung Norden. Wir möchten den bekannten Wasserfall Dettifoss von der östlichen Seite her bewundern. Dieser Wasserfall ist eine Ikone Island’s. Er ist der mächtigste seiner Art in Europa und inspirierte 2012 Ridley Scotts sogar die Anfangsszene des Alien Films „Prometheus“ hier zu drehen. Pro Sekunde stürzen ca. 400m3 Wasser in die Tiefe. Der dabei verursachte Lärm ist mit dem gleichzeitigem Vorbeifahren von 25 kilometerlangen australischen Güterzügen, die mit Eisenerz beladen sind, zu vergleichen. Ob es sich schlussendlich um 25 oder mehr Km handelt, ist Ansichtssache und hängt bekanntlich vom Hörvermögen des Einzelnen ab. Ohrenbetäubend ist es ohnehin. Wir sind von der Kraft der Natur überwältigt. Hier bekommt die Menschheit ihren richtigen Massstab und ihre Bedeutung zugewiesen.

 

Wir folgen der F864 bis zum Asbyrgi NP, ein gigantisches überdimensioniertes Amphitheater aus senkrechten Felswänden. Die Piste ist mit tiefen mit Wasser und Schlamm gefüllten Löchern übersät. Man merkt schnell, dass es hier in der letzten Zeit heftig geregnet hat.

 

Montag, 27. Juli / Dienstag, 28. Juli

Wetter: Nebel von Nieselregen begleitet. Die Sonne scheint nur für kurze Zeit (am Montagabend). Windböen. von Nieselregen begleitet. 4 – 8°C

 

Im Asbyrgi NP verbringen wir die nächsten 2 Tage mit Wandern. Die Wanderwege schlängeln sich durch Birkenwälder, Heidelbeer- und Erikastauden sowie schroffe Lavafelsen. Hinter diesem idyllischem Bild lauert jedoch ständig die brachiale Kraft von Islands Vulkangeschichte. Die Sicht von oben in das Amphitheater mit einem kleinen Weiher ist einfach atemberaubend.

 

 

Mittwoch, 29. Juli

Wetter: Dichter Nebel von Nieselregen begleitet. Leichte Windböen. Temperatur 4 – 8°C

 

Nachdem wir über 10 Tage unter der Kälte gelitten haben, entscheiden wir uns für ein warmes und wohltuendes Bad im Geothermal Sea Bath in Husavik. Dieses Städtchen ist an einer geschützten Bucht gelegen. Von hier aus verlassen fast im Minutentakt vollbeladene Touristenschiffe den Hafen zu sogenannten Whale-Watching-Touren. Haben die Touranbieter die Wale vorher angefragt, ob sie beobachtet werden möchten? Wir entscheiden uns für die sanfte Art diese Meeressäuger kennen zu lernen.  Wir besuchen das lokale Museum. Hier sind zu den unterschiedlichsten Walen Exponate ausgestellt und die Informationen sind für die Besucher sehr gut aufbereitet. Ein grosse Ansammlung von Skeletten, insbesondere ein 25m langes Blauwal-Skelett, bilden den Höhepunkt.

 

Wir gönnen uns einen Illy-Kaffe und begeben uns dann in die offenen Arme des Geothermal Sea Bath. Wir sind nicht die einzigen Personen, die diese Idee gehabt haben. Schon auf dem Parkplatz merken wir an der Anzahl parkierter Autos, dass hier die Hölle los sein muss. Und so ist es auch! An der Kasse sagt uns die junge Dame „Sie hätten im Voraus einen Platz online reservieren müssen“. Wir glauben schon, diesen schönen Ort unverrichteter Dingen verlassen zu müssen. Kaum haben wir angefangen, diesen grässlichen Gedanken zu spinnen, doppelt die Kassiererin nach „ .. aber wir haben noch ein Plätzchen für sie frei …“  Bingo, Halleluja, Gott sei Dank, nah endlich, super ….

 

10 Minuten später treffen wir uns im ca. 35°C warmen Salzwasser. Die Sicht auf das Meer ist einmalig. Mit uns schwimmen Wale unterschiedlichster Dimensionen. Wie wir schon früher berichtet haben, scheinen die Isländer die Bedeutung des Body-Mass-Indexes entweder nicht zu kennen oder zu ignorieren. Jedenfalls schwimmen einige Badende mit Index 30-35 an uns mit grossen Wellen vorbei. Wieso eine Whale-Watching-Tour buchen? Es genügt hierher zu kommen. Darüber hinaus ist es hier sehr angenehm warm und man wird nicht seekrank.

 

Nach ca. 30-45 Minuten merken wir an der sich weich anfühlenden Haut, dass wir den Garzustand von well done zu medium erreicht haben. Unser Kreislauf leidet unter der Hitze. Es wird Zeit, die warme Suppe zu verlassen.

 

In Husavik decken wir uns mit Proviant ein und fahren nach Laugar zum Camping Lifsmotum. Dieser liegt etwas abseits der Hauptstrasse und ist durch hohe Hecken vom Wind geschützt. Wir teilen uns den Campingplatz mit wenigen Gestrandeten.

 

 

Donnerstag, 29. Juli – Freitag, 31. Juli

Wetter: Bewölkt, die Sonnen erfreut uns mit einem kurzen Besuch (am Freitag regnet es wieder). Leichter Wind. Viele Mücken und Fliegen. Temperatur 10 – 18°C

 

Die Götter müssen verrückt sein! Wir haben uns in den Kopf gesetzt den Hildarfjall in Mývatn zu erklimmen. Der kegelförmige Berg hat es in sich. Ca. 5km nördlich von Mývatn gelegen ist er „leicht“ über einen Wanderweg zu erreichen. „Leicht“ bedeutet, dass der Wanderweg bis zum Bergfuss nicht anstrengend ist. „Leicht“ bedeutet aber nicht, dass der Weg dahin leicht zu finden ist. Hier in Island werden die Wanderwege mit kleinen Holzpfosten markiert. Diese Markierungen werden nach unserer Erfahrung kaum unterhalten. Sie sind teilweise verrottet, verschwinden in der dichten Vegetation, werden von den Bauern mit dem Gras niedergemäht oder liegen zerbrochen am Boden. Sie werden als Orientierungspunkte eingesetzt und sind somit selten direkt auf dem Wanderweg eingeschlagen. Da die Landschaft auch voll mit Pfaden der hier ansässigen Hoftiere (Schafe, Pferde und Rinder) durchsetzt ist, ist es leicht vom „richtigen Wanderweg“ abzukommen. Was uns bereits diverse Male passiert ist.

 

Wir stehen am Bergfuss. Vor uns eine fasst 500 m hohe senkrechte Geröllwand. Ein schmaler Weg, der eher für Bergziegen als für „Homos Erectus“ gedacht ist, ist in der Wand zu erkennen. Voller Elan nehmen wir die Herausforderung an. Noch ein Schluck Wasser und dann weg wie der Blitz … nah … ungefähr so. Ich bin mir nicht sicher, ob es an meiner 12 kg schweren Fotokamera-Ausrüstung oder an der fehlenden Kondition legt, aber nach ca. 30 Minuten brauche ich eine kurze Erholungspause. Und wir sind erst auf halbem Weg! Der unstabile steinige Grund verunmöglicht einen sicheren Tritt. Es ist so wie bei „Eile mit Weile“. Einen Schritt vorwärts und zwei zurück. Auf der Spitze des Berges angekommen ist das Panorama phänomenal. Das gesamte Gebiet um Mývatn mit seinen Seen und den brodelnden Fumarolen liegt vor uns. Sogar Askja und Heidubreid sind in der Weite auszumachen.

 

Wer hinauf klettert muss später auch wieder hinunter. Erst jetzt wird uns bewusst, wie steil diese Bergwand ist. Dank unserer Wanderstöcke bleiben unsere Kniescheiben dort, wo sie hingehören. Ohne Verletzungen erreichen wir nach mehrmaligem Verpassen des „richtigen“ Wanderwegs unseren Hannibal. Wir kaufen im Foodstore zwei marinierte Gigotsteaks und fahren zu den Laxadalur Cabins. Hier werden wir – geschützt vor den Wetterkapriolen – die nächsten zwei Tagen verbringen.

 


Ein Tag bei prächtigem Sonnenschein – hier wird gewaschen und unser Hannibal gestriegelt und repariert – und der andere bei Dauerregen –  passend, um unsere Homepage à jour  zu bringen und die nächsten Tage zu planen.

Samstag, 1. August
Wetter: Bewölkt, die Sonnen strengt sich an durch die dicke Wolkendecke zu dringen. Leichter Wind. Temperatur 10 – 18°C

Gestern haben wir viel Zeit in die Studie der Wetterkarten investiert. Tages- und Halbtagesprognosen, Prognosen im Stundentakt, Wochenprognosen, Prognosen nach Ortschaft, Prognosen nach Region. Aber das Bild bleibt immer dasselbe: es wird regnen und es bleibt kalt. Einzig an der Ostküste zwischen Raufarhöfn um Thorshöfn macht sich für kurze Zeit eine Schönwetter-Fenster auf. Wir werden heute dorthin fahren. Zuerst möchten wir die bizarren Lavaformationen von Dimmuborgir (Mensch! Diese isländischen Ortsnamen sind unaussprechbar!) kurz vor Myvatn besuchen. Dass es sich um eine Touristenattraktion handelt, merken wir bereits von Weitem. Der Parkplatz ist bist auf das letzte Plätzchen gefüllt. Hannibal macht sich doch noch etwas Platz frei. An uns rennen Kinder vorbei, auf ihren Fersen die fluchenden Eltern, dort bellt hysterisch ein Hund, nicht weit entfernten von uns sucht eine Mutter verzweifelt im Gewusel ihres Campers eine Windjacke. Alles in allen der normale Touristenwahnsinn.

Es werden diverse Wanderungen in unterschiedlicher Länge angeboten. Die Wanderwege sind teilweise geteert (vielleicht eine Konzession an die grosse Anzahl amerikanischen Touristen, die Island vor COVID-19 besucht haben). Wir treffen auf eine faszinierende und manchmal Angst einflössende Landschaft, die an eine Geisterbahn an einer Chilbi erinnert. Mit etwas Vorstellungsvermögen (oder ein paar Promillen im Blut) erscheinen die abgebrochenen Lavafelder wie Gesichter von Monstern vergangenen Zeiten. Hier eines mit aufgerissenen Maul, dort ein anderes das auf der Lauer liegt, um auf die vorbeilaufende Beute zu springen. Attackiert wurden wir nicht und wir kommen ohne einen Kratzer abzubekommen auf den Parkplatz zurück.

Wir folgen der F1 in Richtung Osten und biegen nach ca. 20 km links auf die F862. Die Strasse verläuft parallel zur F864, welche wir bereits vor einen paar Tagen, um zum Dettifoss zu gelangen, gefahren sind. Das Wetter ist schön. Wir holpern gemütlich in Richtung Norden bis Asbyrgi und dann über die F867 rechts in Richtung Raudanes.

Als wir in Raudanes ankommen ist es bereits 16:30 Uhr. Wir sind unsicher, ob wir noch Zeit und Mum haben, die 7.5 km lange Wanderung zum Raudanes-Point unter die Füsse zu nehmen. Wir überwinden uns und werden es nicht bereuen. Der Wanderweg folgt grösstenteils der Klippe die fast senkrecht ins Meer stürzt. Hier hat das Meer die Lavaströme gestoppt und mit biblischer Ausdauer darin Tunnel ausgefräst. Obwohl die Sonne immer noch hoch steht, verfärben sich die Wolken bereits mit einem orangegelbem Schleier. Das Herz des Fotografen frohlockt!

Hannibal freut sich wie ein treuer Hund, als wir hundemüde von der Wanderung beim Parkplatz ankommen. Die Letzen 3 km hatten wir einen starken Gegenwind und mittlerweilen waren wir auch sehr hungrig und deshalb leicht gereizt. Never fuck around with hungry monkeys!

Heute Abend werden wir uns in einem lokalen Restaurant verwöhnen lassen. In Thorshöfn, das ca. 45‘ südlich von Raudanes liegt, schlagen wir unsere Zelte auf und laufen mit sabbernden Mäulern zum Restaurant Baran.

Wenige hungrige Touristen und Locals“ sitzen bereits an Tischen und lassen sich bei unserem Kommen kaum ablenken. Am Eingang sitzt wie ein gestrandeter Wahl ein junger Musiker an einer Cola-Dose schlürfend. Dass er Musiker ist, erfahren wir wenig später als er mit seiner Gitarre Stücke von Jonny Cash und Elvis zum Besten gibt. Er quillt förmlich aus seiner Hose. Bei jeder Bewegung macht sein Bauch den Anschein, sich vom Körper zu trennen und sich selbständig zu machen. Er schwabbelt hin und her wie der volle Kuheuter einer überzüchteten Simmentalerkuh.

Der Kellner begleitet uns an unseren Tisch, den er vorher säuberlich mit Desinfektionsmittel gereinigt hat. Er händigt uns freundlich die Menükarte aus. Die Speisen gehen von „Catch of the day“ (Fangfrisches Fischgericht) bis zum traditionellem „Fish and chips“ und „Burger mit french fries“. Sabine entscheidet sich für Fisch, ich für Burger. In der Zwischenzeit sippen wir genüsslich an einem Weissbier, das leicht nach Holunderblüten schmeckt, beobachten neugierig das rege Treiben der lokalen Jugend und gehen den schönen Tag nochmals gedanklich durch. Das Restaurant scheint ein Treffpunkt zu sein. Ehrlich gesagt, es gibt in Thorshöfn kein anderes Lokal, das diesen Namen verdient. Es ist ein reges Kommen und Gehen von jungen Leuten. Die einen bestellen ein Bier, die anderen etwas hochprozentiges. Kein isst etwas. Die einen bleiben im Restaurant sitzen, die anderen gehen draussen eine Zigarette (oder mehrere) paffen.

Hurra! Unsere Speisen kommen. Sie sehen nicht nur gut aus, sie schmecken vorzüglich. Unser friedliches Schmatzen geht im Lärm der Gespräche und der Musik unter.

Punkt 21:30 Uhr beginnt der junge Musiker zu spielen. Die Musik ist Laut und der Verstärker der Gitarre krächzt und quietscht. Resultat … man erkennt ein Stück von Jonny Cash nur noch am Refrain. Es werden Stücke von Elvis in Isländisch gesungen, na ja … dies ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die anwesenden Personen sind von der Musik auch wenig beeindruckt. Nach jedem Stück wird der Musiker mit einem müden Applaus „belohnt“. Er spielt „leider“ unbeirrt weiter.

Mittlerweilen ist das Restaurant voll. Wir staunen immer wieder über die „leichte“ Bekleidung der Isländer. Draussen sind bereits zwei Polarbären erfroren und sie laufen in kurzärmeligen T-Shirts und kurzen Hosen rum. Uns friert das Blut in den Venen! Gegen 22:30 Uhr machen wir uns auf den Weg zurück zum Campingplatz, der am Dorfrand liegt und auf dem die Isländer noch stundenlang feiern. Gute Nacht.

PS: wir haben heute keine. 1. August-Raketen abgefeuert.

 

Sonntag, 2. August

Wetter: Bewölkt, starke Windböen. Temperatur 7 – 8°C

 

Miserables Wetter! Gemäss Wetterprognosen sollte es im Westen in den nächsten Tagen „besser“ sein (was auch immer „besser“ in Island bedeutet). Dies bedeutet für uns nichts wie weg! In Isländisch nennen sie dies „Sun chasing“ – auf der jagt nach der Sonne.

Hannibal äussert jedoch den Wunsch, wieder etwas „Gröberes“ als nur Teer unter den Rädern „spüren“ zu wollen. Deshalb führt uns der Weg führt zuerst östlich zur Landspitze der Halbinsel Langanes. Dort erwartet uns im nirgendwo ein Vogelbeobachtungsposten, eine Plattform die über eine 100 m senkrecht ins Meer abfallende Felswand konstruiert wurde. Spektakulär. Die ersten Kilometer der F869 verlaufen anfangs flach und gemütlich. Danach wird die Piste steinig und ist mit Löchern durchsetzt. Wir staunen über die Unmenge Unrat, die das Meer an den Strand gespült hat. Fischernetze, Plastikcontainer,  Bojen, Blachen … Nicht zu übersehen sind die unzähligen Baumstämme. „Die werden aus Sibirien hier her geschwemmt“ erzählt uns ein paar Tage später eine isländische Frau. “Für die Reise benötigen die Baumstämme ca. 7 Jahren“ doppelt sie nach.

 

Als wir bei der Vogelbeobachtungsplattform Störikarl ankommen, ist der Wind so stark, dass man kaum gerade stehen kann. Sabine muss Steine in ihren Rucksack füllen, um nicht weggeblasen zu werden. Als wir auf der Plattform aus Metallgittern stehen, präsentiert sich unter unseren Füssen das luftleere Nichts. Vor uns ein Felsmonolit, welcher von Seevögeln besiedelt ist. Ihnen scheint der starke Wind nichts anzuhaben. Sie gleiten ruhig und harmonisch dahin und landen mit chirurgischer Präzision vor ihren Nestplätzen.

 

Später nehmen wir die Küstenstrasse nach Raufarhöfn unter die Räder, wo wir eine kurze Mittagspause einlegen. Danach geht  es weiter nach Asbyrgi, wo wir bereits vor einigen Tagen gerastet haben. Der Campingplatz bietet sich an, da er über eine exzellente Infrastruktur verfügt -grosse saubere Toiletten und Duschen. Fabrizio legt sich auf dem Platz mit einem italienischen Paar an, das vorgibt, das gesamte Gelände für sich selbst gemietet zu haben. Zankapfel für die Auseinandersetzung war die vermeintliche Tatsache, dass wir Hannibal „zu nahe“ an ihrem Zelt parkiert hatten, was klar nicht stimmte. Sie fühlten sich in ihrer Intimität und Ruhe gestört. Fabrizio schaltet auf stur. Hannibal hat keine Lust sich nochmals zu bewegen und es hatte bereits begonnen zu regnen, worauf sich die Italiener für den Rest des Tages in ihrem Zelt verschanzten.

 

Montag, 3. August

Wetter: Regnerisch, leichte Windböen. Temperatur 7 – 8°C

 

Heute ist Fahren angesagt. „Sonne ….  wir kommen!“

Von Asbirgy über Akureyri bis nach Varmahlid. … Allerdings finden wir die Sonne „noch“ nicht. Wir besuchen einen sehr gut erhaltenen (und heute als Museum gestalteten) Bauernhof in Laufas. Wir nutzen die Gelegenheit, einen warmen Kaffee zu trinken und mehr über das Bauernleben vor 100 Jahren zu erfahren. Es ist erstaunlich, wie erfinderisch die Leute sein mussten, um den Widrigkeiten der Natur zu trotzen. Die Torfhäuser sind sehr gut gepflegt und einen Besuch Wert.

 

Akureyri statten wir einen kurzen Besuch ab. Obwohl es Montag ist, sind fast alle Geschäfte geschlossen. Anscheinend ist heute ein Festtag. Aus dem durch die Stadt „Strollen“ wird nichts. Die Kälte schneidet sich wie ein Skalpell den Weg zu unseren Knochen durch.

In Varmahlid übernachten wir. Aufs Kochen verzichten wir und begnügen uns mit einem alkoholfreien Apéro. 

 

Dienstag, 4. August

Wetter: Bewölkt und Regen. Temperatur 7 – 8°C

 

Die Sonne versteckt sich weiterhin. Dafür regnet es um sonst!

Wir fahren lustlos durch die Gegend. Sind wir bei jemandem in Ungnade gefallen? Ist der viele Regen eine Strafe für etwas, das wir verbrochen haben? Heute hängt der Haussegen schief.

Auch der Besuch des alten Bischofssitzes in Holar bringt keine wesentliche Besserung unserer Stimmung. Wir sitzen in einem verstaubten Restaurant und reden mit einem griechischen Kellner über seine Beweggründe nach Island zu ziehen. Als er antwortet „Mir gefällt das Wetter hier“ bleiben wir sprachlos und schauen uns mehrere Minuten an ohne einen Wort zu sprechen gegenseitig an. Einzig und allein als eine Gruppe von Italienern auf der Suche nach einem „guten Kaffee“ in das Restaurant „reindonnert“, erfreuen wir uns einige Momente der Heiterkeit.

 

Ein Chaos bricht aus, als sie sich entscheiden müssen, was bestellt werden soll. Wie eine Schar aufgescheuchter Schafe stehen sie vor der Theke und bombardieren den griechischen Keller mit Fragen und Wünschen. Er bleibt ruhig und stoisch wie ein Fels in der Brandung, antwortet präzis mit „ja“ oder „nein“ und manchmal mit „selbstverständlich“. Resultat der ganzen Aktion? „Es gibt kein Espresso hier so wie wir es gewöhnt sind!“ ist die mit Entsetzen ausgesprochene Sentenz der Italiener – das wussten wir schon im Voraus … sie aber offensichtlich nicht.

 

Das im Angebot stehende Menü scheint das Herz der Italiener nicht zu erwärmen. Suppe und ein Salat, der seine besten Zeiten längst hinter sich hat. „Wir haben noch Salami im Auto“ flüstert einer. Fünf Minuten später tauchen zwei Salami der Grösse eines Feuerlöschers auf … gefolgt von Käse und Brot. So schnell kann das Leben „lebenswert“ werden. Wir schauen dem Treiben amüsiert zu.

 

Als wir in Saudakrokür eintreffen ist es 13:00 Uhr. Wir haben geplant hier zu übernachten aber es ist noch zu früh, um die Zelte aufzuschlagen. Wir gehen in die nächste Bäckerei und verbringen dort den halben Nachmitttag. Unsere Vermutung über die Gründen der sehr robusten Isländer wird bestätigt. Junk-Food en masse!  Eine Mutter und ihre drei Kindern, von der Grossmutter begleitet, schaufeln sich reichlich mit Zuckerguss verzierte Donuts der Grösse eines Ersatzrades den Rachen hinunter. Um dem Reibwiderstand des Zuckergusses etwas entgegenzusetzen, trinken alle dazu eine Cola (nein nicht die 0, sondern die „richtige und einzige“). Als die Kinder infolge der Überzuckerung überaktiv werden, verlassen wir die Bäckerei.  Die andere Hälfte des Nachmittags verbringen wir in einem Thai-China-Mex-Italian Restaurant eine fade Nüdelisuppe bei offener Türe schlürfend (die isländischen Gäste scheine Säcke anstatt Türen in Ihren Häusern zu haben).

 

Mittwoch, 5. August

Wetter: Frag besser nicht! Temperatur? Vergiss es!

 

Die Nachricht, dass die Sonne ihre Ferien in der Schweiz verbringt und die Temperaturen im Bereich von 30°C sind, regt unser Gemüt auf. Deshalb werden wir zum heutigem Tag aus Gründen des Jugendschutzes besser nichts schreiben.

 

Donnerstag, 6. August
Wetter: Die Sonne scheint (wir wussten fast nicht mehr, wie sich das anfühlt). Temperatur 7 – 12°C

Westfjorde … wir kommen!

Eine lange Strecke liegt vor uns. Aus der Länge der zurückgelegten Kilometer pro Tag kann man mittlerweile das Wetter ableiten: je länger die gefahren Strecke desto schlechter das Wetter. Von Hvammstangi fahren wir entlang der F68 die Küste hinauf bis Holmavik. Hier biegen wir rechts auf die F645 nach Drangsnes ab und fahren dann via F643 hinauf nach Djupavik bis die Piste vor unseren Rädern ausgeht. In Holmavik gewähren wir uns eine Mittagspause und trinken einen Kaffee im lokalem Hexerei-Museum. Ja … auch in Island wurden Hexer und Hexen verbrannt (und dies trotzt Holzknappheit!). Mit der Kellnerin, die auch wie eine alte Hexe aussieht, unterhalten wir uns lang. COVID-19 ist in den letzten Tagen in Island ein wichtiges Thema geworden. Sie wirkt nachdenklich und hilflos. Da hilft auch keine Hexerei! Die steigende Anzahl der Neuansteckungen hat die Regierung dazu gebracht, strengere Massnahmen durchzusetzen. Das werden wir später in Isafjördur selber erleben als wir in einem Restaurant essen gehen möchten. „Es tut uns leid, wir dürfen nur die Hälfte der Sitzplätze besetzen“ sagt uns der Restaurantbesitzer, als er uns freundlich aber bestimmt zurückweist. Er begründet dies mit „die Polizei kontrolliert uns zweimal am Tag. Halten wir die Vorschriften nicht ein, dann schliessen sie unser Restaurant“.

20 km vor Djupavik wird das Panorama „breathtaking“! Für Fabrizio ist es schwierig, sich auf die Piste zu konzentrieren, da es so viel Schönes zu bestaunen gibt. Es ist ein „stop and go“. Fotokamera raus, aus Hannibal rausspringen, das warme Wetter geniessen, endlich einmal ein Bild knipsen können, bevor die Finger einfrieren. Wir nehmen uns Zeit … sehr viel Zeit. Wir entscheiden, auf dem Rückweg diese Strecken nochmals in seiner gesamten Länge zu befahren. Aus diesem Wunsch wird leider Nichts, da am nächsten Tag der Nebel und der strömende Regen die Sicht stark beeinträchtigen.

Djupavik ist ein fast ausgestorbenes Fischerdorf. Hier wurden gewaltige Mengen an Heringen zu Öl verarbeitet. In den 60-iger Jahren blieben die Heringe aus. Dies war konsequenterweise das Todesurteil für Djupavik. Die alte heruntergekommene Fischölfabrik und ein paar Häuser zeugen von den glorreichen Zeiten dieses Dorfes. Insbesondere das Hotel Djupavik strahlt noch den Glanz dieser vergangenen Zeit aus. Das Gesamtbild erinnert uns stark an Goldgräberstädte in der nordamerikanischen Wildnis. Der hohe Wasserfall, der hinter dem Dorf seine Wassermengen in die Tiefe stürzen lässt, fügt diesem Standort noch etwas Bedrohliches hinzu.

Ca. 20 km. nach Djupavik hört die Piste auf. Man könnte noch auf einem 4×4-Track weiterfahren aber wir sind zu müde. Hier am Ende der Welt gibt es 2 Campingplätze. Der erste steht fast vollständig unter Wasser. Frühere Besucher haben mit ihren Fahrzeugen tiefe Furchen im aufgeweichten Boden hinterlassen. 200 m weiter scheint der nächste Camping „better in shape“ zu sein. Es ist schwierig, ein flaches Stück Boden zu finden, aber … wir finden es. Hier steht sogar ein gedeckter Grillplatz zur Verfügung. Wer hat hier noch Lust zu grillieren? Kaum geht die Sonne hinter den Bergen unter, frieren die Flammen ein. Wir werden des Besseren belehrt …

In einer Abstellhalle sind zwei Toiletten, ein Kochherd und ein Abwaschbecken untergebracht. Ein Gas-Heizofen steht auch da!

Eine Gruppe hardcore Isländer ist mit dem Zelt unterwegs und hat ihr Lager unweit von Hannibal aufgestellt. Als wir um 22:00 Uhr zu Bett gehen ahnen wir noch nicht, was auf uns in der Nacht zukommen wird. Gegen 01:30 Uhr meldet sich ein Sturm mit ausserordentlich starken Windböen. Fabrizio ist das Ganze nicht geheuer. Kurzerhand wird entschieden das Hubdach herunter zu klappen. Sabine noch halb im Schlaf leistet anfänglich der Idee noch Widerstand. Es wird laut diskutiert. Aber die Vernunft gewinnt. Kurz danach haben wir uns „unten“ eingerichtet … zum Glück! Kurz danach trifft uns der Sturm mit seiner ganzen Wucht. Der starke Regen prasselt in regelmässigem Rhythmus auf Hannibal ein. Es hört sich wie Peitschenhiebe an und wird von Windböen begleitet, die das Fahrzeug stark zum Wanken bringen. So geht es die ganze Nacht weiter. Wir schlafen in den engen Verhältnissen (96 x 196 cm) entsprechend schlecht.

 

Freitag, 7. August

Wetter: Die Sonne ist definitiv weg. Es regnet in Strömen. Temperatur, saukalte 5°C

 

Als wir am Morgen nach draussen schauen, sagt uns eine Weltuntergangstimmung „Hallo!“ Es regnet wie aus Kübeln. Unser Campingplatz ist mittlerweile unter Wasser. Die hardcore Isländer sind auch bereits wach und laufen zwischen ihren Zelten und der Abstellhalle hin und her. Einmal tragen sie etwas, das wie eine nasse Decke aussieht (Zelt, Schlafsäcke oder Isolationsmatte), ein anderes Mal eine Kiste mit Lebensmitteln hinein. Sie sind bis auf die Knochen durchnässt und haben keine glücklichen Gesichter.

 

Widerwillig steigen wir nach einer akrobatischen Einlage aus Hannibal’s Bauch aus. „Mensch, warum sind wir überhaupt hierher gekommen?“ Eine laute (sehr laute!) innere Stimme macht auf sich aufmerksam. Schnell bringen wir unser Frühstück und das Geschirr in die Abstellhalle. Dort sind wir von Regen und Wind geschützt. Die Isländer sitzen bereits an einem improvisierten Tisch und sind über ihre dämpfenden Kaffeetassen gebückt als ob sie sich mit dem Kaffeedampf aufwärmen wollten. Sie scheinen direkt aus einer Waschanlage zu kommen, so durchnässt sind ihre Kleider. Der Vater empfängt uns mit einem Lächeln, das nicht darüber hinweg zu täuschen vermag, dass er über die Lage zutiefst verärgert ist.

 

Wir richten unseren Tisch (mit 2 Meter Abstand!) daneben ein. Nach dem Frühstück kommen wir ins Gespräch. Er ist ein Bergführer ohne Job. COVID-19 hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als wir ihn fragen, wie er über die Runde kommt, antwortet er unverfroren „Ich gebe weniger aus und habe gelernt, weniger zu essen“. Nicht dass er an Übergewicht leidet, eher das Gegenteil ist der Fall. Er ist ein drahtiger, muskulöser Mann, der sicherlich schon vor COVID-19 nicht viel auf den Rippen hatte. Wir reden über unsere Reisepläne und darüber, was wir an diesem versch….em Tag noch anstellen können.

 

Er empfiehlt uns, noch 5km weiter in Richtung Krossneslaug zu fahren. Dort liegt direkt am Strand ein Swimmingpool mit heissem Thermalwasser. Sabine und ich schauen uns in die Augen. Der Entscheid ist schnell gefallen. Es gibt (nach der gestrigen Nacht) nichts Besseres als ein warmes Bad, um die eingerosteten Muskeln und die schmerzenden Knochen wieder auf Vordermann zu bringen. Darüber hinaus verfügt die Anlage über grosse und saubere Toiletten sowie Duschen.

 

Welche Wohltat. Jetzt sind wir bestens gewappnet, um die ca. 330km Fahrt nach Isafjördur unter die Räder zu nehmen. Leider ist von der gestrigen bombastischen Sicht nichts mehr übrig geblieben. Eine tiefe Nebeldecke versperrt uns die Sicht. Der Regen trifft Hannibal mit regelmässigen Peitschenhieben. Die Scheibenwischer tanzen wie aufgescheuchte Moskitos vor unseren Augen.

 

Der Wasserfall in Dupavik führt jetzt sehr viel Wasser. Bedrohlich röhrt er im Hintergrund und zeigt, wer hier das Sagen hat. Uns beeindruckt die schiere Kraft, die der Wasserfall durch die nächtlichen Regenfälle erhalten hat. Im Hotel Djupavik verbringen wir eine kurze Mittagspause mit einer Peperonisuppe (exzellent!), einigen (zu vielen) Scheiben hausgemachtem Brot (köstlich) und einer Tasse heissem (Filter-) Kaffee. Unter unserem Tisch liegt eine fette schnarchende englische Dogge. Sein Schnarchen erinnert mich an meinem Vater. So wie er, bringt auch die Dogge eine Reihe Töne beim Schnarchen zusammen, die das ganze vom Menschen hörbare Spektrum abdecken. Bei diesen Gedanken, muss ich immer wieder schmunzeln.

 

Nach knapp 6 Stunden Fahrt kommen wir in Isafjördur an. Die Fahrt war sehr anstrengend. Die Pisten sind mit unzähligen Löchern versehen, die ein schnelles Vorwärtskommen verunmöglichen. Wir gehen eine Pizza essen und übernachten auf dem lokalen Camping im EG.

 

Samstag, 8. bis Dienstag 11. August

Wetter: Wechselhaft. Regenphasen mit seltenen Sonneneinlagen. Temperatur, saukalte 8-12°C

 

Ab heute haben wir für 4 Nächte eine kleine niedliche Wohnung (Sólheimar Studio Apartmentgemietet. Zeit, um den täglichen Rhythmus zu brechen, die Wäsche zu waschen und etwas länger im Bett zu bleiben. Die Wetterprognosen verheissen nichts Gutes. So müssen wir auch kein schlechtes Gewissen haben.

 

Wir kochen viel. Wir grillieren sogar im strömenden Regen. Wir erkunden Isafjördur sowie die Umgebung, sobald das Wetter dies zulässt. So besuchen wir das Artic Fox Museum in Südavic und diverse Fischerdörfer, die im Radius von 25-30km liegen.

 


Mittwoch, 12. August

Wetter: Zu Beginn schön (sogar mit blauem Himmel). Ab 16.00 Uhr starker Regen und Windböen. Temperatur 7-16°C

 

Endlich geht es nach vier Tagen wieder los, Richtung Süden. Erster Stopp ist der Botanische Garten von Skrudur. Dieser wurde von einem visionären Priester vor mehr als 100 Jahren mit seinen Schülern angelegt und liegt heute in einer „gottverlassenen Gegend“. Seit einigen Jahren nimmt sich die Stadt Isafjördur diesem Projekt wieder an und wurde bzw. der Garten wurde dafür 2013 mit dem Carlo Scarpa Prize für Gärten von der Benetton Stiftung ausgezeichnet.

 

Die Vision dieses Pfarrers – bessere Ernährung für die Kinder sowie das Erlebnis sich um die Natur kümmern zu müssen, damit etwas gedeiht, ist immer noch spürbar und beeindruckt uns. Wir verweilen gerne in dieser Atmosphäre und verinnerlichen diese Stimmung.

 

Gegen Mittag treffen wir im Touristenzentrum bzw. im Touristenshop von Thingereyri ein. Wir erkundigen uns nach den Strassenverhältnissen der entlang der Dyra- und Arnafjorde führenden Piste F622. Die Dame meint, dass die Strasse verbessert wurde und wir mit einem guten 4×4 nicht auf die Gezeiten achten müssten – eine Strecke muss entlang des Strandes gefahren werden – fügt jedoch an, um 14.00 Uhr sei eben Hightide. Wir beschliessen – da es gerade mal nicht regnet – die Strecke bis zur Strandpassage zu fahren und dann wieder denselben Weg zurückzufahren. Wir bereuen diesen Entscheid nicht. Das Panorama und vor allem die Lichtverhältnisse sind spektakulär. Die Fjorde scheinen lebendig und strahlen um die Wette, was unzählige Fotostopps mit sich bringt.

 

Als nächste Attraktion wartet der Dynjandi-Fall auf uns. Schon von weitem beeindruckt er uns durch seine Wassermassen – man sieht, dass es in den letzten Tagen und Wochen sehr viel geschüttet hat. Auf den gegenüber 2014 mächtig ausgebauten Parkplatz angekommen riechen und fühlen wir den aufkommenden Sturm. Mit jeder Minute, die wir benötigen dieses Naturphänomen abzulichten, wird das Wetter garstiger. Die rund 70 km und zwei Pässe bis nach Patreksfjördur, die es zu überwinden gilt, werden zu einer echten Herausforderung. Die Fahrt dauert ewig. Der Wind, der uns in die Seiten prescht, droht uns fast von der Piste zu stossen. In Patreksfjordur angekommen sind wir müde und hungrig. Nun heisst es Restaurant zu finden, dass noch offen hat und genügend Platz, um uns zu verpflegen. Im Tankstellen-Take-Away und Restaurant schnappen wir uns gerade noch den letzten Tisch und sind froh über die Convenience Fish-and-Chips sowie den Cheese Burger. Uns graut die Nacht im Bauch von Hannibal. Booking.com geöffnet und das Resultat es gibt noch ein einziges freies Hotelzimmer im Dorf, im Hotel neben der Tankstelle. Sabine lässt diesem Angebot gleich Taten folgen und geht zu Fuss zum Fosshotel. Wir kriegen das Zimmer beinahe zur Hälfte des vor einigen Tagen veröffentlichten Preises. Ende gut alles gut.

 

Freitag, 14. August

Wetter: Zu Beginn schön und am Ende auch noch! Temperatur 10-16°C

 

Welche Enttäuschung! Heute wollten wir die putzigen Papageientaucher in Latrabjarg fotografieren. „Sie sind bereits ausgeflogen“ erzählt uns eine ebenso enttäuschte Frau auf dem Parkplatz. Na ja, wir erkunden die steilen Felsen trotzdem … man weiss ja nie. Und tatsächlich finden wir noch 2 Exemplare dieser farbigen Vögel mit dem schelmischen Blick. Auf der Rückfahrt entscheiden wir spontan, die 12 km lange Piste bis nach Keflavik unter die Räder zu nehmen. Dort befinden sich die Ruinen eines alten Fischerdorfes. Die Fahrt ist zu Beginn einfach.  Die letzten 4 km sind dann aber ziemlich technisch. Eine steile Abfahrt mit einer engen Kehrtwende sowie tiefe Auswaschungen in einer Schräglage verlangen höchste Aufmerksamkeit. Das Panorama vor uns … einfach majestic!! Steile Klippen, die senkrecht ins Meer stürzen. Ein aufgewühltes Meer, das seine Wellen mit ungeheurer Kraft an den Strand spült. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Am Strand angekommen steht eine mit oranger Farbe gestrichene Schutzhütte, die den Wanderern im Notfall zur Verfügung steht. Die Hütte ist mit Kajütenbetten mit staubigen Decken, einem Funkgerät und einer Notfallapotheke ausgestattet.

 

Kurz vor dem Strand finden wir tatsächlich die Ruinen der Fischhäuser: dicke Mauern aus Steinblöcken und eingestürzte Dächer. Die Reste der Fischerausrüstung sind unordentlich vor den Häusern ausgebreitet.


Nüchtern betrachtet … was brachte die Menschen dazu, sich in dieser gottverlassenen, unwirklichen Gegend niederzulassen, ein Haus zu bauen und eine Familie zu gründen? Das nächste Dorf liegt zu Fuss knapp 60 km entfernt! Der Fischer konnte hier seiner Frau nicht einfach sagen „Schatz ich gehe noch schnell was einkaufen“. Dafür brauchte er mind. eine Woche (wenn er die Reise überhaupt überlebt hätte!). Was assen diese Leute überhaupt? Immer nur Fisch? Wie wurde dieser zubereitet? Welche Gewürze (falls welche es gab) wurden gebraucht? Das Ganze übersteigt unsere Vorstellungskraft. Wir beugen uns vor diesen Menschen, vor ihrem Mut (oder Wahnsinn), vor ihrer Kraft.

Welche Freude!
„Dort … schau mal … ein Artic Fox!“ schreit plötzlich Sabine aus dem Nichts. Tatsächlich … ein brauner Fuchs der Grösse eines Dackels durchquert rennend die Piste. Er bleibt kurz stehen, bemustert uns ruhig und akribisch und verschwindet danach in den Blaubeerstauden. Es gelingt uns irgendwie ein paar Bilder dieser seltenen Erscheinung zu knipsen – heute gibt es in Island nur noch ca. 8000 Exemplare.

Den Rest des Tages ist fahren wir. Knapp 300 km werden es in Reykhólar sein. Ein starker Wind heisst uns „Willkommen“ als wir von Hannibal aussteigen. Die reizende Bucht vor Reykhólar ist mit tausenden von kleinen Schäreninseln durchsetzt. Wir freuen uns über ein paar Bilder bei Sonnenuntergang.

 

Samstag, 15. August
Wetter: Es bleibt schön und „warm“! Temperatur 12-18°C

Bye bye Westfjorde.
Heute freuen wir uns auf die Piste 586, eine Abkürzung und Alternative zur Nebenstrasse 59. Sie beginnt südlich von Budardalür. Jeder Kilometer dieser an und für sich leicht zu fahrenden Piste lohnt sich. Anfänglich schlängelt sie sich durch ein breites Tal entlang des Sees Haukadalvatn und vorbei an einem nachgebauten Vikinger Hof in Eiriksstadir. Danach wird die Piste etwas holpriger und krallt sich einen Berghang hinauf. Ein schöner Wasserfall versüsst unsere Mittagspause in der Nähe eines alten Schafsgeheges. Die Wiese um unseren Hannibal ist voll mit Blaubeerstauden. Wir lassen uns nicht zweimal bitten … am Ende der Schlemmerei sind Finger und Zunge blau gefärbt.

In Hvammstangi schlagen wir die Zelte für die Nacht auf. Da wir nach der langen Fahrt nach einem Kaffee lechzen, gönnen wir uns im Sjávarborg Restaurant einen Capuccino und ein Stück Rüeblitorte. Als wir den Teller mit dem daraufliegenden Tortenstück erhalten staunen wir nicht schlecht. Es ist gross, sehr gross. Obendrauf ein mindestens 2 cm dicker karamelisierter Zuckerguss mit gerösteten Haselnüssen sowie auf der Seite 1 Liter geschlagener Rahm mit Kakaopulver und Schokosplittern dekoriert. Gesamtgewicht geschätzt ein Pfund. Die Kalorien dieses Desserts würden genügen, um bis nach Reykjavik zu laufen (und das liegt viele viele Kilometer entfernt!).

Der Campingplatz ist wie leergefegt. Die Sommerferien der Isländer sind bald vorbei und so bleiben nur noch ein paar Touristen übrig. Der Aufenthaltsraum ist leer und wir geniessen für wieder einmal das Kochen in einer Küche.

Sonntag, 16. August
Wetter: Es bleibt schön und „warm“! Temperatur 12-18°C

Die Nacht war für einmal ruhig. Kein Wind, keine lärmigen Nachbarn … einfach ruhig. Nach dem Frühstück entscheiden wir uns für ein Bad im naheliegenden Schwimmbad. Es ist eine willkommene Gelegenheit, uns eine warme Dusche zu gönnen und gleichzeitig die restliche Infrastruktur zu geniessen, in unserem Fall … ein Jacuzzi (mit 40°C warmem Wasser!). Vom Genuss bleibt wenig übrig, als eine Isländerin mit dem Körpervolumen eines Eisberges, der locker die Titanic hätte versenken können, sich zu uns in den Jacuzzi gesellt. Fertig mit „social distancing“. Bereits ihr Umfang überwindet die empfohlenen 2m locker.

Heute durqueren wir das Hochland auf der F578 bis Husafell. Diese Fahrt bringt uns dem Süden von Island näher.

Das Hochland offenbart sich uns im Sonnenschein neu – 2014 hatten wir dies zwei Mal einmal im strömenden Regen und einmal mit bedecktem Himmel durchquert. Bevor die Piste stetig ansteigt begegnen wir einigen Anglern, die einerseits die Schotterstrasse mit Ihren hochmotorisierten und breit bereiften Offroadern sowie die Flüsse für Lachse unsicher machen. Die Hochebene Arnavatnsheidi ist eine Sumpflandschaft mit tausenden von kleinen Seen – einige mit und einige ohne Namen aber alle begrüssen uns mit einer Kavallerie von Mücken. Aus dem geplanten Stehlunch im Freien wird deshalb nichts. Während der ganzen Fahrt haben wir eine gute Sicht auf den Gletscherberg Eiriksjökull und den Gletscher Langjökull in der Ferne.

Allmählich geht die Landschaft in eine typische Lavalandschaft über, mit dickem Moos überzogene Lavafelder, deren Decke immer wieder auf- bzw. eingerissen ist. Entlang der Piste liegen die Lavahöhlen Surtshellir und Stefanshellir. Als wir diese, ausgerüstet mit einer Stirnlampe besuchen, präsentieren sich uns diese als Erdlöcher mit einer Schutthalde, die von unzähligen zerbrochenen Basaltstücken in der Form eines Würfelzuckers geschmückt wird. Ein surreales, sehr pittoreskes Bild.

Bevor wir uns am Abend auf dem Camping in Husafell installieren, wollen wir diesen Prachttag vollumfänglich nutzen und besuchen die Wasserfälle von Hraunafossar. Die sich auf einer Länge von 900 m abstürzenden Wasserfälle und Kaskaden sind sehr hübsch und scheinen der Fantasie eines romantischen Kulissenbauers aus Hollywood zu entspringen. Das hübsche Bild lässt sich nicht auf ein Foto bannen.

Das eigentliche Highlight wartet jedoch auf uns am Abend. Das zweite Mal in 32 Tagen Island gönnen wir uns einen Apéro sowie ein Nachtessen unter freiem, sonnigem Himmel. Vis à vis bietet sich uns ein kostenloses Spektakel: Eine isländische Familie hat Ihren ganzen Hausrat im Freien ausgelegt (sieht nach garage sales aus) und versucht bzw. die Frau versucht zu packen, während die Kinder sich auf dem Rasen austoben und der Mann ein paar ungewürzte Hamburger und Würste brät und diese genussvoll in sich hineinschiebt. Die ganze nicht sehr koordinierte Prozedur dauert mindestens zwei Stunden.

 

Montag, 17. August
Wetter: Es bleibt weiterhin schön und „warm“! Temperatur 10-16°C

Vom Anfang unserer Bewegung von Westen nach Osten über die F338 erwarten wir wenig. Die zügig zu befahrende Schotterstrasse wird als eher unspektakuläre Verbindung zwischen Kaldidalur und Kjölur beschrieben, die entlang von Hochspannungsleitungen führt, oder als Anfahrt zur lohnenswerten Route F337 entlang des Berges Hlödufell.

Wir erleben dies anders. Die kleinflächig aufgebrochen und mit Flechten überzogenen Lavafelder erinnern uns an die Häute von versteinerten Mammuts, Dinosauriern, Elefanten und Rhinozerosse, die teilweise wie auf der Oberfläche schwimmen. Die Strommasten, die in regelmässigen Abständen stramm stehen, bilden dazu einen interessanten und gänzlich schrägen Kontrast. Das Licht ist sanft und lässt die Natur in vielfältigen beigegrauen Farbtönen erscheinen. Ein für uns sehr wohltuendes Gemälde, zu schade um mit 40 Sachen über die Piste zu brettern. Wir tuckern mit gemütlichen knapp 20 km/h durch die Landschaft. Hannibal nimmt dies mit einem zufriedenen Brummen zur Kenntnis.

Die Fahrt um den Hlödufell ist ein einziges Stop-and-go. Die Landschaft ist abwechslungsreich und verlangt nach unzähligen Fotosafaris. Und dann tut sich vor uns eine ausgedehnte Sandebene auf, die in der Ferne von anthrazitfarbenen, sanften Hügeln begrenzt wird. Über uns der dunkelblaue mit den unterschiedlichsten Wolkenformationen durchzogene Himmel. Wir sind sprachlos vor Glück und brennen das Bild und die damit verbundenen überschwänglichen Emotionen für immer auf unserer Speicherplatte ein. Dies sind die Momente, die vier Wochen kaltes und feuchtes Wetter und die Anstrengungen des Reisens mehr als wettmachen.

Überwältigt legen wir die vor uns liegenden Kilometer über extrem steile Berghänge in Richtung der Golden-Circle-Ebene zurück. Von der Einsamkeit in den Touristentrubel, zum Alltag, zum Erdenleben.

Unten angekommen spüren wir die leiblichen Bedürfnisse: Duschen und Hunger stillen. Allerdings ist unser Kühlschrank fast leer. Auf der Suche nach gesunden und leckeren Zutaten werden uns wieder einmal die Grösse und die geringe Bevölkerungsdichte von Island vor Augen geführt. Bis wir eingekauft und einen Zeltplatz mit den entsprechenden sanitären Einrichtungen gefunden haben sind rund 2 Stunden vergangen und zusätzliche 60 – 70 km zurückgelegt.

In Laugarvatn übernachten wir auf dem lokalen Campingplatz.

 

 

Dienstag, 18. August

Wetter: Es ist der dritte Tag infolge schön und „recht warm“! Temperatur 10-16°C


Nach der Hochlandpiste von gestern, nehmen wir heute die F349, die die zwei beeindruckende Wasserfälle Gullfoss und  Haifoss miteinander verbindet, unter die Räder. Die Piste ist leicht zu befahren. Es gilt nur eine relativ schwierige Fuhrt zu überqueren. Spannend an der Wegführung ist, dass sie uns von der östlichen, touristenabgewandten Seite zum Gulfoss bringt. Ein kurzer Wanderweg durch meterhohe Lupinenfelder bringt uns zum Wasserfall. Zum Leid für uns Fotografen wird der Blick auf den breiten, in zwei Kaskaden abfallenden Wasserfall von der Gischt beeinträchtigt. Wir sind innerhalb weniger Augenblicke völlig durchnässt. Unter solchen Bedingungen kommt ein Auspacken der Fotokamera – obwohl sich sehr fotogen ein Regenbogen über der Sehenswürdigkeit bildet – nicht in Frage. Die Linse des Objektivs würde sich innerhalb von Sekunden mit Wassertropfen belegen, was später auf der Foto unweigerlich zu sehen und auch durch Photoshop nicht weg zu retuschieren wäre.

 

Der wahre Hingucker des Tages ist für uns der Haifoss (hoher Wasserfall). Er beeindruckt mit seiner Fallhöhe von 120 m. Seine Wassermassen werden senkrecht in die Tiefe gespült. In der aufgewirbelten Gischt entstehen wunderbare Regenbogen. Von oben betrachtet ist das ganze Spektakel einfach atemberaubend. Von unten (ein steiler Wanderweg führt uns bis zum Fuss des Wasserfalls) sprengt es jede Vorstellungskraft. Es erinnert uns an die Anfangsszene des Films Jurassicpark I. Wir knipsen beim Fotografieren unsere Finger wund. Was aber die Magie ausmacht ist … wir sind hier völlig alleine. Keine Touristen, die frech vor deiner Kamera stehen bleiben oder wie Affen auf die Findlinge am Flussrand klettern, um ein Selfie mit dem Wasserfall im Hintergrund zu machen. Anscheinend ist der stark abfallende Pfad hinunter und später der steile Anstieg bis zum Parkplatz hinauf für viele zu anstrengend. Gegen 16:00 Uhr ziehen plötzlich dunkle Wolken auf. Wir verabschieden uns rasch vom Haifoss und erklimmen im Schnelltempo die faszinierende Schlucht. Oben angekommen haben wir Schweissperlen auf der Stirn und es beginnt zu regnen.

 

Wir schlagen unsere Zelte in Fludir im strömenden Regen auf.

 

Mittwoch – Donnerstag 19./20. August
Wetter: Es regnet. Temperatur 10°C

Wir verlassen den Campingplatz auf der Suche nach einem Kaffe. Kein einfaches Unterfangen in COVID-19-Zeiten. Viele Restaurants sind, da es an Kundschaft fehlt, geschlossen. Die anderen haben seltsame Öffnungszeiten. Wir versuchen es zuerst bei der lokalen Bäckerei, geschlossen. Nächste Möglichkeit das Restaurant Fludir-Grund. Die Besitzerin schaut uns grimmig an. „Hände desinfizieren bitte!“. Wir leisten Folge. Etwas eingeschüchtert fragen wir, ob es möglich sei, zu frühstücken. „Nein, das Frühstück ist nur für die Gäste des Hotels!“ Ist die rasche Antwort. „Nicht einmal ein Kaffee?“ fragen wir etwas aufsässig. „Na gut“ antwortet die Besitzerin mit einem schiefen Blick. „1000 ISK pro Person kostet es … und ihr dürft ans Frühstücks-Buffet“. Wir frohlocken und zahlen (ca. 14 CHF für uns beide) ohne zu murren.

Das Frühstück ist das was man überall auf der Welt bekommt. Ein Continental Breakfast. Anonyme Schinkenscheiben, die so verschwitzt aussehen, als ob das arme Schwein, das dafür sein Leben hat lassen müssen, immer noch im Begriffe ist, dem Metzger davon zuspringen. Beim Käse dasselbe. Viereckige Käsescheiben im Gelb der Schweizerpost vegetieren trostlos zusammengeklebt und aufgestapelt unter der Käseglocke dahin. Drei Sorten Toast liegen in Reih und Glied im Brotkorb: Weisstoast, Toast mit Körnern (1 Korn/100kg) und Vollkorntoast. Ein Toaster der Grösse eines Fiat 500 tut seinen Job, ohne sich zu beklagen. Omnipräsente 8-Minuten-Eier sind in einer kalten Schale eingepfercht. Stammen diese von glücklichen Hühnern? Wohl kaum. Ein Paar Scheiben wässrige Tomaten und Gurken teilen sich eine Chromstahlplatte wie Körperteile auf einem Tisch der Gerichtsmedizin. Um das ganze Bild abzurunden, dürfen die klein geschnittenen Würstchen, die wie gelangweilte Hippos in einem Bohnen-Tomaten-Sugo baden (der Sugo sieht so fettig aus, man könnte meinen, ein Öltanker sei hier auf Grund gelaufen) und die scrumbled Eggs – welche uns an eine Schaumstoffmatratze, die durch den Fleischwolf gedreht wurde, erinnern – nicht fehlen … Dazu kommt eine einsame Schale mit Aprikosenkonfitüre. Nichtsdestotrotz , uns schmeckt das Frühstück. Allerweil besser als verhungern. Der Kaffee ist stark und tut unserer Seele gut.

Da die Wetterprognosen schlecht sind, entscheiden wir uns spontan, ein Studio für 2 Tagen zu mieten. Die „jetzt“ nicht mehr grimmige Besitzerin offeriert uns einen guten Deal, den wir nicht ablehnen können. Um 13:00 Uhr ziehen wir ein und schlafen erst „ne Runde“.


Freitag, 21. August
Wetter: Sonnenschein bei 14°C

Ziel des heutigen Tages ist Landamannalaugar, ein Touristen-Magnet. Hier werden die berühmten farbigen mit Schneefeldern durchsetzten Berge aufgenommen. Wir wählen die Piste F225. Sie ist leicht zu befahren und wird deshalb auch von Touristen mit kleinen Fahrzeugen benutzt. Das Verkehrsaufkommen ist dementsprechend gross. Das Panorama ist zwar interessant, haut uns jedoch nicht aus den Socken. Vielleicht liegt es an der Sonne, die die Farben der Berge ausbleicht oder an dem durch die Autos aufgewirbelten Staub, der noch lange in der Luft schwebt und die Sicht trübt.

Ca. 20 km vor Landamannalaugar zweigen wir von der F225 nach rechts ab. Diese nicht gekennzeichnete Piste (einzig eine Warntafel weist auf mögliche Auswaschungen hin) dringt 10 km tief ins Hochland ein und soll zu einem interessanten Berg führen. Zu Beginn läuft alles ohne Probleme. In einer sehr steilen Passage müssen wir die Untersetzungen einschalten, um vorwärts zu kommen. Und ausgerechnet in diesem sehr steilen Abschnitt taucht aus dem Nichts eine extrem tiefe Auswaschung auf, die quer zur Steigung verläuft und dies auch noch in einer Kurve.

Fabrizio steigt aus, sichert Hannibal mit Steinen und analysiert die Lage. Es sieht nicht gut aus. Hannibal müsste sich hier wie eine Schlangenfrau verrenken, um uns aus der Patsche zu helfen. Fabrizio steigt wieder ein und geht die möglichen Lösungsvarianten durch: Rückwärts fahren, einfach versuchen, Hannibal abfackeln und nach Hause gehen … Fabrizio steigt wieder aus und betrachtet die Auswaschung aus verschiedenen Blickwinkeln. Er steig wieder ein und schickt Sabine raus, damit sie sich ebenfalls ein Bild zur Lage verschafft. Sabine steigt wieder ein und schüttelt den Kopf: „Da kommen wir nicht mehr raus“ ist ihr Kommentar.

Wir gehen alle mögliche Varianten miteinander durch, streichen aber „das Abfackeln von Hannibal aus der Liste. Wir entscheiden uns, die Auswaschung langsam zu durchfahren. Sabine steigt wieder aus und versucht, Hannibal durch die erodierte Querfurche zu dirigieren. 1. Untersetzung rein und dann legen wir langsam und mit Bedacht los. Hannibal taucht sein Gesicht tief in die Auswaschung ein und kommt auf der anderen Seite in einer Schräglage hoch. Das rechte Vorderrad schwebt ca. 60 cm über der Piste in der Luft, das linke Hinterrad ist komplett unter die Karosserie gequetscht. Die Stossdämpfer knarren, eine Büchse Pintobohnen rollt aus einer Plastikbox heraus und knallt mit voller Kraft gegen die Hintertüre. Eine Wolke Staub wird aufgewirbelt … Hannibal bleibt in der Mitte des Hindernisses stecken. Wir fahren ein paar Meter zurück. Der Schreck ist auf Sabine‘s Gesicht klar abzulesen. Fabrizio‘s Hände sind feucht.

Das zweite Mal versuchen wir es mit eingeschalteter Differentialsperre (ja .. ja wir wissen es, wir hätten sie bereits zu Beginn einschalten können). Beim zweiten Versuch durchquert Hannibal die Auswaschung mit der gleichen Leichtigkeit wie ein heisser Messer die Butter durchschneidet.

Nach ca. 5km. entscheiden wir uns zur Umkehr. Die Piste wird immer schlechter und das Risiko, etwas zu beschädigen, ist gross. Auf dem Rückweg lässt sich die Auswaschung ohne grosse Unannehmlichkeiten überwinden. Glücklich, dass wir das Ganze ohne Schaden überlebt haben, gönnen wir uns eine kurze Mittagspause. Geschälte Karotten, Philadelphia-Weichkäse und gesunde Crackers.

Um ca. 16:00 Uhr treffen wir in Landamannalaugar ein. Dass es sich um einen Hotspot handelt, ist sofort ersichtlich. Mindesten 100 Autos sind hier oben parkiert. Nur ein Bruchteil gehört den Campern, die anderen Gefährte stammen von Tagesausflüglern. Es ist ein Kommen und Gehen wie auf dem Hauptplatz von Marrakesch. Zu erwähnen gilt es insbesondere die Gruppe von Hartgesottenen: die „Manpower-Touristen“. Radfahrer und Wanderer, die den ganzen Weg in den Nationalpark aus eigener Kraft zurückgelegt haben. Wir bewundern diese Menschen, ihre Ausdauer, ihr Wille, ihre Entschlossenheit … ihr Wahnsinn! Ihre Gesichter sind von den durchgemachten Strapazen gezeichnet. An den Frisuren sieht man, wer Radfahrer ist und wer nicht. Ihre Rucksäcke und Fahrradtaschen sind aus Gewichtsgründen nur mit dem Notwendigsten gepackt. Ihre Zelte, die an den Rändern mit Lavabröcken befestigt und gesichert sind (der Wind kann hier oben sehr stark blasen), sehen aus wie Stoff-Särge und das Ganze erinnert mich an einen farbigen Friedhof. Zu den kleinen Zelten kommt, dass der Boden sehr steinig ist und wir sehr stark bezweifeln, dass die dünnen Luftmatratzen genügend Comfort bieten.

Wir checken beim Informations-Center ein. 8000 ISK für 2 Nächte. Soweit der teuerste Campingplatz. Mit diesem Preis sind Wunder zu erwarten, so glaubten wir mindestens … Die gesamte Infrastruktur (WC, Duschen, Campingküche, Gemeinschaftsräume) ist dem grossen Touristen-Andrang nicht gewachsen und ist sichtlich in die Jahre gekommen. Dazu wurden infolge COVID-19 irrwitzige Sicherheitsregeln eingeführt, die letztendlich niemand befolgt … oder befolgen kann. Die 2-m-Abstandsregel wird kaum beachtet. Da zu wenig Toiletten zur Verfügung stehen, bilden sich Schlangen von „ungeduldig“ Wartenden in und vor dem WC-Trakt. Offiziell stehen nur eine handvoll Toiletten für die Campers, die Hüttengäste und die Tagestouristen zur Verfügung. Die Signalisation der Regeln ist dürftig. Kein Wunder, dass keiner sich daran hält. Um Duschen zu können, bekommt man, wie bei den Fluglotsen, einen sogenannten Time-Slot. „Die Campers dürfen nur von 06:00 – 08:00 Uhr und 16:00 – 18:00 Uhr duschen. Unmögliche Zeiten

Na ja … die dahinterstehende Logik ist schwer zu verstehen.

Nachdem wir Hannibal neben den anderen motorisierten Touristen eingereiht haben (treffen wir auf Barbara und Urs von „Reifenspuren“, mehr davon später), bereiten wir uns auf eine kurze (2-3 h) Wanderung vor. Diese wird uns über einen Bergkamm und entlang eines Feldes mit erstarrten und mit Moos und Flechten überwachsenen Lavakegel wieder zurück zum Campingplatz führen. Es windet bereits sehr stark. Als wir den höchsten Punkt erreicht haben, wird Fabrizio von einer Windböe erfasst, die ihn fast mitreist (Nota bene: Fabrizio ist ein Brocken von einem Mensch!). Von oben ist die Sicht … einfach magisch! Sie ist ein Vorbote dessen, was uns morgen erwarten wird. Die Sonne legt sich langsam hinter dem Horizont zu Bett und die bis anhin faden Farben beginnen zu leuchten. Nicht weit weg von uns grasen einige Schafe. Sie heissen den schönen Sonnenuntergang – oder vielleicht auch uns mit einem lauten „Mäh-mäh-mäh“ willkommen.

Als wir zu Hannibal zurückkehren, treffen wir Barbara und Urs (www.reisespuren.ch). Sie sind seit 5 Jahren unterwegs und mussten infolge COVID-19 ihren Aufenthalt in Singapur abrupt abbrechen. Wir tauschen uns aus. Da sie bereits überall dort gewesen sind, wo auch wir hin möchten, bombardieren wir sie mit Fragen über Fragen. Sie antworten mit viel Enthusiasmus und Geduld, eine Geduld, die Zeuge der Fähigkeit ist, sich den widrigsten Situationen hinzugeben und sie zu meistern. Barbara scheint die „energiegeladene“ Person der beiden zu sein. Ihre Augen funkeln und strahlen Neugierde und Lebensfreude aus. Sie verrät uns, dass sie während des Fahrens strickt. Gerade jetzt ist sie daran, einen isländischen Pullover für Urs zu „lismen“. Urs dagegen scheint ein sehr ruhiger und bedachter Mensch zu sein, spricht leise und gibt genaue Antworten. Hinter der Brille verstecken sich zwei schelmische Augen. Da es bereits sehr kalt geworden ist, müssen wir das Gespräch auf den nächsten Tag verschieben.

Die letzte Nacht war echt „chilly“. Der Himmel war klar und so konnte die Temperatur auf ein leicht unangenehmes Niveau sinken. Das Kondenswasser, das sich auf den Metallflächen von Hannibal gebildet hat, fühlt sich sehr unangenehm an, wie kalter Schweiss.

„Was steht heut auf dem Programm?“ fragen wir uns unisono nach dem Frühstück. „Wir gehen nochmals wandern“ antworteten wir fast gleichzeitig. Wir entscheiden uns für die Skali-Wanderung (ca. 6-8 Stunden), die uns tief in die Bergwelt von Landamannalaugar führt.

Die ersten paar Kilometer verlaufen einige Routenführungen parallel. Erst als sich die Wege teilen, begegnen wir immer weniger Wanderern und ein paar wenigen Bikern, die Ihre Fahrräder viele unendlich steile Anstiege und unwegsame Passagen tragen müssen. Fabrizio und ich verstehen den Reiz dieser sportlichen Gratwanderung nicht. Denn einmal auf dem Gipfel angelangt, wagen sie ihren heilen Hals, indem sie sich die fast senkrecht abfallenden rutschigen und engen Pfade wie Falken hinabstürzen.

Das stundenlange durchstreifen dieser wunderbaren und abwechslungsreichen Natur löst eine beinahe meditative Ruhr in uns aus. Wir geniessen die Weite, die abwechslungsreiche Natur und die Ruhe, die nur durch den stark pfeifenden Wind beeinträchtigt wird. Worte wechseln wir nur wenige. Nach etwa 5 ½ Stunden sehen wir in der Ebene Landamannalaugar vor uns auftauchen. Nun beginnt der Wettlauf um den Dusch-Time-Slot für Camper. Sabine durchquert das steinige unendlich breite Flussbett im Laufschritt. Fabrizio folgt mit langen Schritten. Um 17.45 Uhr hält Sabine den Lohn für unsere Anstrengung in den Händen, zwei Duschtickets, die wir bis 18.00 Uhr mit Genuss einlösen werden.

Sonntag, 23. August
Wetter: Sonnenschein und blauer Himmel bei anfänglichen 4°C. Windstille.

Wir unterhalten uns noch kurz mit Barbara und Urs, unsere Frage sind aber zu viele, um sie in kurzer Zeit beantworten zu können. Wir tauschen unsere Telefonnummern und Mailadressen aus und vereinbaren ein Treffen in der Schweiz im Oktober. Wir freuen uns schon heute riesig darauf.

Über die F208 in Richtung Eldgjafoss werden wir heute versuchen, die F235 und eine Piste ohne Namen, die das Gebiet Faxasund durchquert, zu einem Rundkurs zu verbinden. Die F235 führt bis zum Langisjör-See, einem Ausläufer des Vatnajökull-Nationalparks mit Rangerstation, einem Campingplatz mit Toiletten und Trinkwasserversorgung. Danach folgt das weite Nichts …

Zur Route: Bei der F235 sind anfänglich diverse kleine Wasserfurten zu überqueren. Für Hannibal kein Problem. Nach zwei drittel der Strecke biegen wir nach rechts ab und folgen dem Sveinstindur-Track bis zur Rangerstation. Der Track ist aus feinem Geröll und führt sanft durch eine schwarz-grüne, unwirkliche Landschaft mit bizarren Felsformationen.

In der Rangerstation treffen wir auf die Rangerin und tauschen ein paar Worten über den Zustand der nicht gekennzeichneten Piste für den Rückweg zur F208 aus. Insbesondere interessiert uns die Tiefe der in unserem Offroad-Führer als „schwierig“ bewerteten Furten. „Kein Problem“ versicherte sie uns. „Ich bin zwar seit einen paar Tagen nicht mehr dort gewesen … aber es sollte ok sein“. Es wird sich erweisen, dass es nicht ok ist. Die erste „schwierige“ Furt nach ca. 10 km Piste ist mindestens 70 cm tief, mit sandigem und weichem Untergrund. Fabrizio durchwatet die Furt mit Fischerstiefeln mehrmals. Die Fahrspur in der Mitte der Furt ist sogar noch etwas tiefer. Da wir alleine in einem wenig befahrenen Gebiet unterwegs sind, keine Bäume oder Findlinge, wo wir unsere Seilwinde zur Bergung hätten anbringen können, zu sehen sind … falls … entscheiden wir uns, die Fahrt hier abzubrechen und über die F235 den gleichen Weg zurückzufahren. Schade, schade! Bis zu diesem Punkt ist die Landschaft einer der schönsten, die wir in Island bisher gesehen haben. Aber unsere Sicherheit und die von Hannibal haben Priorität!

Der Entscheid zwischen Durchfahren und Umkehren war nicht einfach zu treffen. Der Faktor, dass Fabrizio die Furt mindestens zehnmal zu Fuss durchquert, um einen „machbaren Weg“ zu finden, zeugt von der Schwierigkeit dieser Aufgabe. „Wir könnten es doch probieren“ sagen wir uns ohne grosse Überzeugung. „Aber was machen wir, wenn wir stecken bleiben?“ „Allerdings, Hannibal wurde für diese Situationen gebaut. Darüber hinaus ist er mit einer hinteren und einer vorderen Differentialsperre ausgerüstet“. „Wir müssen niemandem etwas beweisen, uns selber als erstes nicht“. Dies ist die Schlüsselaussage, die uns zu einem vernünftigen Entscheid führt und uns umkehren lässt.

Klar bereuen wir es sehr, den Rest der Piste nicht fahren zu wollen/können. Wir fühlen uns irgendwie „schuldig“, dass es so gekommen ist. „Wären wir in einem Konvoi gefahren, hätten wir sicherlich die Fuhrt durchquert … bestimmt … ohne zu zögern … aber eben …wir waren alleine“. Im Nachhinein stellen wir fest, dass auch Tage später das Ganze immer wieder in unseren Gesprächen zum Thema wird. Irgendwie, tief in unserem Bewusstsein, nagt es an unserem Stolz, dass wir es doch nicht gewagt haben.

Zurück auf der Piste F208 fahren wir rechts am Eldgja-Wasserfall vorbei und schlagen unsere Zelte beim Holaskjiol Campingplatz auf. Fabrizio legt sich hier mit einer Gruppe Landi-Besitzern an. Der Zankapfel ist immer dasselbe, welches Fahrzeug ist das beste, der Landrover oder der Toyota Landcruiser. Fabrizio und die Landi-Besitzer zünden sich gegenseitig an. Als etwas harschere Töne bzw. Andeutungen fallen, bricht Fabrizio das Gespräch ab. Wir werden sie wieder in Skaftafell-Nationalpark treffen.

Montag bis Dienstag 24./25 August
Wetter: Montag, bewölkt aber kein Regen. Temperatur 8°C. Dienstag, blauer Himmel und Sonne pur. Temperatur 12°C

Wir schlafen aussergewöhnlich lange. Um 09:00 Uhr stehen wir auf und merken, dass wir die letzten Campierenden sind. Wir machen uns gemächlich fertig und fahren über Kirjubaejarklaustur, wo wir Provianten einkaufen, weiter in den Skaftafell Nationalpark. Wir wollen die Gletscherzunge des Skaftafelljökull erkunden. 2014 mussten wir aufgrund des starken Regen und Nebels den Park unverrichteter Dinge verlassen.

Als wir dort ankommen, deckt der Nebel die Bergspitzen ab und der Gletscher ist nur teilweise sichtbar. Wir buchen zwei Nächte im Camping. Sabine „macht die Wäsche“ und Fabrizio faulenzt … wie üblich. Der Zeltplatz lässt keine Wünsche offen, ist sauber und grosszügig angelegt, die Duschen sind heiss und kostenlos, dasselbe gilt auch für die Waschmaschine und den Tumbler. Hecken schützen die Campinggäste vor den starken Windböen, die mit der Regelmässigkeit eines Metronoms in die Flanken des Platzes hinein donnern.

Am Montagmorgen begrüsst uns die Sonne mit einem breiten Lächeln. Der Himmel ist blau, keine Wolken … nicht mal ein einziges klitzekleines Wölkchen. Wir sind nicht unglücklich. Perfektes Wanderwetter. Zeit die schwere Fotoausrüstung und das noch schwerere Stativ zu schultern. Auf dem Programm stehen der Frangifoss und die Gletscherzunge. Die Wanderung dauert ca. 3 Stunden. Wir sind relativ früh unterwegs, was sich beim Fotografieren eines Wasserfallen als Vorteil erweist. Man fühlt sich von den „anderen“ nicht bedrängt, wenn man sich die Zeit für Langzeitaufnahmen nimmt. Der Svartifoss ist ein besonders fotogener Wasserfall: Der Fluss stürzt sich von der Höhe einer mit Basaltsäulen geschmückten Klippe in die Tiefe, die Sonne beleuchtet den Wasserfall von vorne, es gibt kein grosses Gefälle zwischen Licht und Schatten. Die Bilder gelingen selbst für den äusserst selbstkritischen Fabrizio sehr gut.

Wir verlassen den Svartifoss als eine Horde Touristen im Anmarsch ist. Fabrizio nimmt mit seinem Stativ sehr viel Platz in Anspruch und will keine „Lämpen“ heraufbeschwören.

Die Wanderung zur Gletscherzunge erweist sich als ein langsames Unterfangen. Mit reifen Früchten vollbeladene Heidelbeersträucher säumen den Wanderweg. Die Versuchung ist zu gross und so stoppen wir alle paar Meter, um uns die süssen Beeren in den Mund zu stopfen. Am Ende sind unsere Finger und der Gaumen dunkelblau eingefärbt.

Von der Höhe des Bergkamms breitet sich die ganze Schönheit des Gletschers zu unseren Füssen vor uns aus. Das Eis hat unterschiedliche Farben. Teile des Gletschers sind blau (zu vielen Beeren gegessen?), andere wiederum durch die Vulkanasche schwarz eingefärbt. Im vorgelagerten Gletschersee schwimmen kleine weisse Eisberge. Umwerfend schön …. Wie Eidechsen mit Entzugssymptomen räkeln wir uns auf den Felsen und geniessen die warmen Streicheleinheiten, die die Sonne uns gütig verteilt.

Der Rest des Tages ist „dolce far niente“. Wir haben es verdient …

Am Abend trifft Sabine beim Küchendienst die Landi-Besitzer. Sie wird warmherzig begrüsst. Der „Chef“ unter ihnen bleibt mit Fabrizio jedoch auf Kriegsfuss. Er macht ihm später eine falsche Angabe über die Tiefe einer Furt auf dem Weg zum Laki-Nationalpark.


Mittwoch, 26. August
Wetter: blauer Himmel und Sonne pur. Temperatur 13°C

Der Laki NP ist ein lang ersehntes Ziel von uns. Im 2014 war die Strecke für Mietautos gesperrt und nach Aussagen von Ortskundigen wären die Wasserfurten für den von uns gemieteten KIA zu tief bzw. eine zu grosse Challenge gewesen.

So machen wir uns mit viel Respekt auf den Weg . Ja … Vieles hat sich in den letzten sechs Jahren verändert. Die Zufahrt zum Park präsentiert sich heute in einem sehr guten Zustand. Abgesehen von den allgegenwärtigen Schlaglöchern ist der 4x4Track einfach zu befahren. Die einzige Wasserfurt, die zu einem Problem hätten werden können, ist aktuell nicht mehr als ein Rinnsal. Im Park selbst ist die Piste ein Einbahn-Circuit. Dadurch wird vermieden, dass bei Gegenverkehr das ausweichende Fahrzeug immer neue Fahrspuren neben der Fahrbahn in die Landschaft „fräst“. Clever! Aber … es gibt immer noch Idioten, die nicht genug schnell vorwärts kommen und uns durch verlassen der Piste überholen. F….. idiots.

Am Ende des Tages sind wir unschlüssig, ob uns der ca. 110 km-lange Ausflug nach Laki NP gefallen hat oder nicht. Eine gewisse Enttäuschung ist bei uns beiden spürbar. Wir hatten spektakuläre Bilder von den Vulkanen in Kopf, die wohl aus Flugzeugen oder von Drohnen aufgenommen worden sind. Nur von oben ist das grandiose Panorama der Vulkanketten richtig sichtbar. Einzig das kurze Gespräch, das wir mit der jungen Rangerin bei der Rangerstation führten, hallt uns noch im Kopf nach. Insbesondere als Fabrizio sie direkt fragt: „Warum sind die meisten Ranger Frauen?“ antwortet sie gar nicht überrascht. “Viele Leuten stellen mir die selbe Frage… Vielleicht weil Frauen die Einsamkeit besser ertragen“. Dies ist eine Aussage, über die wir noch lange Nachdenken werden.

Am Abend gehen wir im einzig geöffneten Restaurant von Kirkjubaejarklaustur essen. Das Angebot überrascht uns nicht und die Menükarte ist schnell gelesen. Sabine bestellt ein Rentier-Burger mit Frenchfries, Fabrizio ein Lammfilet-Sandwich mit Süsskartoffel-Fries. Der Koch hat an den Fritten nicht gespart. Wir bekommen einen Berg davon. Uns schmeckt es, auch wenn uns die Fritten langsam langweilen. Sie sind die Standardbeilage in vielen Restaurants: Sie sind einfach zu kochen, es gibt keine Rüstabfälle und keiner der Kunden beklagt sich, dass zu wenig Gemüse auf dem Teller zu finden ist. Ein grosses Glas Bier begleitet uns beim Nachtessen.

Donnerstag 27. August
Wetter: Der Morgen beginnt mit Sonne. Im Laufe des Tages gesellt sich eine kräftige Brise dazu. Gegen Abend bedeckt sich der Himmel mit einer dichten Wolkenschicht. Temperatur 10 – 13°C

Wir alle sind nervös und neugierig, als wir bei der grosszügigen für Touristen erstellten Design-WC-Anlage aus Holz an der Ringstrasse den Druck in Hannibal‘s Pneu verringern und uns an die Hochlandüberquerung über die Pisten F209, F210 und F269 machen. Was wird der Tag uns bringen, welche Eindrücke werden sich uns unwiderruflich in unserer Hirn brennen?

Links der Piste begleitet uns während einigen Dutzend Kilometern der Gletscher Myrdalsjökull mit seinen grünen Hügeln als Vorhut, vor uns die Weiten der braunen Kieselwüste und neben uns ein Wildbach, der manchmal sein weisses Wasser über bildschöne Kaskaden Niveauunterschiede überwinden lässt oder es der Ebene zur Bewässerung einer grün leuchtenden Oase spendet. Wir glauben uns im Paradies. Wir versuchen, das sich uns bietende Naturspektakel in Bildern festzuhalten. Wir wissen genau, das dies nur ein schwachen Abbild dessen sein wird, was wir wirklich gesehen, gehört, gefühlt, gerochen haben.

Als wir auf die F210 abbiegen, tut sich vor uns eine riesige anthrazitfarbene Sandebene auf. Die Luft ist milchig trüb. Im fernen Horizont machen wir einen Staubwirbel aus. Ein Isländer stoppt uns und fragt uns: „Wisst ihr was ihr da tut?“ Wir sind perplex, was meint er. „Da hinten gilt es einen mächtigen Wirbelsturm zu durchqueren, absolut keine Sicht …“ ergänzt er. Wir versichern ihm, dass wir gut ausgerüstet seien und wissen, was wir tun. Er lässt aber ich locker. „Ich bin eine Halbe Stunden durch den Sandsturm gefahren …“ Er sieht’s aus, als ob er von irgendwas auf der Flucht wäre.

Wir fahren los. Schon bald werden Hannibals Flanken mit sandigen, starken Windstössen traktiert. Die Sicht reduziert sich auf 5-10 m. Wir orientieren uns an den gelben die Piste markierenden Holzstöcken. Nur die Kamele fehlen noch … und bitte jetzt kein Gegenverkehr. Dieser wäre unter solchen Bedingungen nur im letztem Moment auszumachen, was sehr gefährlich werden könnte. Das ganze dauert etwa eine ohrenbetäubende halbe Stunde. Dann sind wir durch . Wir waren zwar technisch vorbereitet, allerdings wird die Wucht eines solchen Sturmes erst richtig fassbar, wenn man mitten drin war.

Wir lassen den Sandsturm hinter uns und die gewonnene klare Sicht bietet uns ein Panorama der Sonderklasse. Schwarzer Lavasand und leuchtend grüne Berge. Der Wahnsinn! Der Lavasand geht langsam in eine Steinwüste über. Wir überqueren eine tiefe Furt mit reissendem Gletscherwasser und sehen dann in der Ferne zwei Wanderer. Ein seltsames Bild. Am Horizont zwei farbigen Punkte, die sich in einer Mondkulisse im Schritttempo vorwärts bewegen. Unsere Wege kreuzen sich ein wenig später. Wir winken uns mit einer Hand freundlich zu.

Wir sind müde. Die Lange Fahrt und die ständige Konzentration beim Fahren verlangen langsam aber unaufhörlich ihren Zoll. Vor uns liegen noch ca. 45 km holprige Piste. „Ich hoffe, wir sind vor 20:00 Uhr durch, bevor es einzudunkeln beginnt“ sagt Fabrizio etwas nachdenklich. „Haben wir uns heute übernommen?“ Es ist der Zeitpunkt beim Offroaden, wo man der Versuchung, schneller zu fahren, widerstehen muss. Gibt man dieser Verlockung nach, sind Schäden am Fahrzeug vorprogrammiert.

Die enge Piste in Richtung Porsmörk windet sich nach der Passhöhe steil den Berg hinunter. Unten angekommen folgt sie rechterhand dem Fluss Markarfljot. Die Fahrt in einem ausgetrockneten ehemaligen Flussbett ist sehr holprig und ermüdend. Als wir dann gemäss Führer endlich am Trackende und wieder auf Asphalt sind, wird das Durchhaltevermögen wirklich getestet. Denn bis zum Campingplatz sind weitere 60 km zurückzulegen. Erst dort gibt es für Fabrizio die wohlverdiente Pause, allerdings muss beim Hubdach zuerst noch der Regenschutz angebracht werden, am Himmel hängen dunkle Regenwolken.

Freitag 28. August
Wetter: Dunkle Regenwolken mit einzelnen Schauern. Es bläst ein kühler Wind. Temperatur ca 10 – 11°C

Wir fahren entlang der Küste Richtung Halbinsel Reykanes. Wir erkunden noch einige einsame, alleine in der Landschaft stehenden kleine Kirchlein und verlassene Dörfer. Allenfalls möchten wir uns auch ein Bad in der blauen Lagune, einem weiteren Touristenmagnet, gönnen.

Beim Erkunden dieser kleineren und grösseren Sehenswürdigkeiten kommen wir nicht richtig auf Touren. Eigentlich verlangt unsere Seele nach Sonnenschein, Wärme und etwas Verwöhnt werden. Die beiden ersten Elemente fallen schon einmal weg und ein nettes Kaffee taucht vor 15.00 Uhr auch nicht auf. Wir begnügen uns gegen 16.00 Uhr schliesslich mit einem Filterkaffee in einer nüchternen altbackenen Bäckerei.

Unsere Lust auf die blaue Lagune lässt, je näher wir dem Thermalbad kommen, immer mehr nach. Schlussendlich suchen wir ein nettes Fischrestaurant und lassen uns mit einer verführerischen Krabben-Tempura sowie Fischsuppe und danach dem „Catch of the day“ verwöhnen. Die Speisen sind überraschend gut zubereitet und tragen zu einem versöhnlichen Tagesende bei.

Samstag 29. – Montag 31. August
Wetter: Bewölkt mit leichtem Regen. Temperatur 10 – 12°C

 Letzte Tage in Island
„Alea iacta est“ Die Würfel sind gefallen! Wir kehren Heim!

Wir sind seit drei Tagen in Reykjavik und warten auf schönes Wetter bzw. positive Prognosen. Wir haben ein kleines Studio inmitten der Touristenmeile gemietet. Hier brüten wir intensiv über die uns verbleibenden nächsten 2 ½ Wochen. Wir hätten so gerne das Hochland nochmals durchquert … daraus wird leider nichts. Blizzards sind für die nächsten Tage in breiten Teilen des Landes vorausgesagt, begleitet von Schnee und Minustemperaturen. Wir wollen uns diesen gefährlichen Wetterkapriolen nicht aussetzen und verschieben unsere Rückreise bei Smyrilline um zwei Wochen. Wir werden Island am 2. statt 16. September verlassen. Wir sind enttäuscht, dass wir unseren Plan nicht haben umsetzen können. Aber eben … Reisen bedeutet auch improvisieren und sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen.

In der Hauptstadt sind die Folgen des COVID-19-Lockdowns deutlich spürbar. Viele Restaurants und Geschäfte sind geschlossen. Wenige, warm gekleidete Touristen durchstreifen die Strassen. Gekauft wird wenig. Nur flüchtig und kurz werden die noch offenen Läden betreten. Ein grauer Schleier hat sich wie eine feine Schicht Vulkanasche auf die Umgebung gelegt. Welcher Unterschied zu 2014. Damals waren so viele Leuten unterwegs, dass ein Vorwärtskommen in den Gassen mühsam war. Von den Geschäften floss laute Musik auf die Gassen hinaus … heute … vernehmen wir nur ein Flüstern.

Auch wir schlendern wenig motiviert durch Reykjavik. Bestaunen die farbigen Wellblechhäuser, besuchen das Nordic House von Álvaro Aalto und lassen es uns mit riesigen Buttercroissants und Scones sehr gut gehen. Sonst verbringen wir die Abende mit Movies von Netflix und nutzen die Möglichkeiten einer richtigen Küche (Lammkarre mit Bratkartoffeln und Kohlsalat) und eines festen Tisches. Trotzdem … ja … wir sind zur Zeit etwas uninspiriert … Die Luft ist raus!

Dienstag 1. – Mittwoch 2. September
Wetter: es regnet, Temperatur 10°C

Ca. 750km liegen zwischen Reykjavik und Seydisfjördur, wenn man entlang der Südküste (inkl. ein paar Schlenker) fährt. Hannibal mag diese Strecke nicht an einem Stück fahren. Wir werden diese letzte Reise auf zwei Tage aufteilen müssen. Der Regen begleitet uns fast ohne Unterbruch. Wir stoppen nur noch bei zwei Gletscherzungen des Vatnajökulls, um Bilder von den Eisbergen in der Gletscherlagune Joküllsarlon zu machen. Hier treffen wir auf andere Schweizer, die sich wie wir für die Vorverlegen der Abreise entschieden haben. Genau genommen sind viele Autos in Richtung Seydisföjrdur unterwegs.

In Höfn übernachten wir im Hotel Milk Factory zu einem Sonderpreis, ca 80 CHF. Das Hotel ist sauber und gut unterhalten. Wir speisen in einem Fischrestaurant (Pakkhús Restaurant) am Hafen. Geräuchertes Lammrückenfillet mit Entenbrust-Streifen an einer Wasabi-Sauce (Starter) hübsch zubereitet gefolgt vom „Catch of the day“ (einem riesigen im Backofen gegarten Stück Kabeljau) als Hauptgang. Dazu geniessen wir einen frischen Sauvignon Blanc aus Argentinien.

Wir unterhalten uns kurz mit der Serviertochter. Sie spricht gebrochen Englisch. Mit einem breiten lächeln verrät sie uns: „Ich komme aus der Estremadura“ und mein Freund aus Alicante“. Fabrizio fragt sie: „Was führt eine junge Spanierin hierher in die Kälte?“. „Mein Freund ist Basketball-Coach und hat einen Vertrag für zwei Jahre bei einer Lokalmannschaft unterschrieben … ich bin ihm gefolgt“. Wir wechseln noch ein paar Wörter auf Spanisch, bevor wir das Restaurant – das bis vor Einführung der Quarantänepflicht vor wenigen Tagen, jeweils auf zwei Etagen ausgebucht war und am heutigen Tag gerade an vier Tischen hungrige Gäste verpflegt – zufrieden verlassen.

Die Sonne (ja die Sonne)! Irgendwie hat sie einen Weg gefunden, um uns noch einen schönen Abgang zu bescheren. Sie liegt tief über dem Horizont und überflutet den Hafen mit einem verführerisch goldenen Licht.

Von Höfn bis Seydisfjördur sind es noch 277 km. Die Küste ist rau. Berge in der Form burmesischer Pagoden, gezackte dunkle Bergkämme, steile Küsten und der ewige Wind sind unsere Kulisse. Es regnet in Kübeln. Die Sicht ist teilweise auf 20 m beschränkt. Was für ein Hundewetter! Man muss ein besonderer Schlag Mensch sein, um hier (über-) leben zu können. Ja selbstverständlich … die fantastische Natur kompensiert für alles was man hier erleiden muss … aber hei … wer möchte sein Leben schon ständig in einer Autowaschanlage verbringen müssen?

Um 15:00 Uhr treffen wir in Egilsstadir ein, essen noch eine Pizza, die echt lecker ist, wechseln die restlichen Kronen in Euro und legen dann die 25 km bis nach Seydisfjördur zurück. Wir reihen uns brav hinter die anderen Abreisenden am Hafen ein und warten bis wir Hannibal im Bauch der Fähre einparkieren dürfen.

See ya Iceland!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Felix

    Danke für die Berichte und vor allem für die Fotos! Unglaublich schön sind diese urchigen und mächtigen Landschaften. Auch wenn die Bilder nur einen kleinen Teil dieser Natur-Kraft wiedergeben, wie fühlt sich das erst an, wenn man mitten drin steht? Ich verstehe jetzt besser, warum Island als einer der Orte gilt, wo man die Naturgeister hautnah spürt.

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