Unsere Route: Stand 17. Juli 2022
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Unterwegs seit: 89 Tagen
Gefahrene km: 7’450 km
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19. – 21. April: Männedorf – Figuères
Das Wichtigste in Kürze:
Bereits in Spanien angekommen regnet es in Kübel. Wir warten mit der Weiterreise ab und sitzen die miserable Wetterlage ab.
19. – 21. April: Anreise nach Figuères
Wetter: Männedorf sonnig (aber eine lästige Bise geht bis auf die Knochen), in Figuères regnet es in Kübeln: 9 – 12°C
Obwohl wir Hannibal nicht zum ersten Mal beladen, zieht sich diese Prozedur in die Länge. Nach 4 Tagen schichten und umschichten sind wir startbereit. Spaniens Wetterprognosen sind alles andere als rosig: seit Wochen regnet es häufig und die Temperaturen verbinden wir eher mit Island als mit der sonnigen iberischen Halbinsel. Wir haben genug gewartet. Jetzt wo „coronamässig wieder alles seine gewohnten Bahnen geht“, möchten wir keine weitere Reisezeit mit Warten versäumen.
Beim Verlassen unserer Wohnung sind wir nachdenklich gestimmt. Für uns bedeutet das „Verlassen“ der Anfang eines neuen Abenteuers, die Entdeckung und Erforschung neuer Gebiete und auch die Vorfreude, wieder in den sicheren Hafen unserer Gemeinde zurückkehren zu können. Nicht so weit weg von der Schweiz, verlassen Millionen von Menschen gezwungenermassen hastig ihre Wohnungen, ihre Häuser, ihr Zuhause und machen sich in eine unsichere, düstere Zukunft auf. Wir sind uns bewusst, wie privilegiert wir sind!
«Stop and go» ist angesagt! Die «never ending» Baustellen auf der Autobahn zwischen Zürich und Bern sind wie gewohnt nervig. Wir haben diese Strecke seit 40 Jahren noch nie ohne Verkehrsbehinderungen erlebt. Bauen wir in der Schweiz so schlecht, dass wir ständig am Flicken sind? Oder neigen wir etwa zum übertriebenen Perfektionismus? Oder verfügen wir über unendliche finanzielle Ressourcen und wissen damit nichts Besseres anzufangen?
Im Dorf Neydens (kurz nach Genf auf der französischen Seite) schlagen wir erstmals unsere Zelte auf (Camping La Colombière, sehr empfehlenswert), essen zum ersten Mal in unserem Leben Rösti aus der Verpackung und tauschen uns mit Manfred und Margrit (zwei sehr sympathische Ostschweizer auf der Durchreise nach Avignon) aus.
Die erste Nacht ist kalt (ca. 5-7°C). Hannibals Standheizung rettet und vereinfacht uns den Einstieg in den neuen Tag. Wie weit sollen wir heute fahren? Bis Nîmes oder sogar bis Figuères? Da in Figuères der Campingplatz Masnou grosszügig angelegt ist (was bei schlechtem Wetter sicherlich von Vorteil ist) und die Einkaufsmöglichkeiten (unser Kühlschrank ist leer) zu Fuss erreichbar sind, nehmen wir heute die knapp 650 km lange Strecke bis Spanien unter die Räder.
Um 15:00, kurz nach Valence, beginnt es zu regnen. Der Himmel wird je südlicher wir fahren zusehends dunkler und bedrohlicher. Regenschauer-Zellen entleeren sich in regelmässigen Abständen auf die Autobahn. Hannibal pflügt sich stoisch durch das Unwetter, wie ein Containerschiff durch die Wellen eines aufgebrachten Meers.
Gegen 19:00 treffen wir in Figuères ein. Petrus meint es gut mit uns und legt eine kurze Regenpause ein. Dies erlaubt es uns, unser Camp im Trockenen einzurichten. Die Freude ist von kurzer Dauer. Starke Böen lassen die Seitenblachen unserer Markise wie zerrissene Segel im Wind flattern. Fabrizio rennt im strömenden Regen mit einem Hammer herum und versucht die losen Seitenwände mit Schnüren und Heringen zu fixieren. Immer wieder werden ihm die Blachen von einem heftigen Windstoss aus den Händen gerissen. Doch schlussendlich bleibt er Sieger im Kampf mit den Naturelementen und unser Wind- und Regenschutz ist sturmfest montiert. Kurz danach entleert sich der Himmel und Regen in biblischer Menge prasselt von Blitz und Donner begleitet zu Boden.
Nach 15’ ist der Spuck vorbei. Zurück bleiben Wasserpfützen, abgerissene Äste und Blätter. Die Luft ist merklich kühler geworden. Nach einer wohltuenden warmen Dusche und einer schmackhaften Pizza, schlüpfen wir in unsere wohligen Schlafsäcke und lassen uns ohne Widerstand in den Schlaf gleiten.
21. – 25. April: Figuères und Umgebung
Das Wichtigste in Kürze:
Der Regen und die unstabile Wetterlage sind unsere treue Begleiter während der Woche, die wir in Empuriabrava verbracht haben. Wir nutzen die zufälligen Schönwetterperioden um die Umgebung zu erkunden. So gelingt es uns, die nahegelegene Stadt Empuriabrava, das Dorf Castello de Empuries und die Grossstadt Girona zu besuchen.
21. – 25. April: Figuères und Umgebung
Wetter: die ganze April-Wetterpalette: vom Regen zu Wind zu Sonne und nochmals zu Regen: 9 – 17°C
Endlich … heute scheint die Sonne … wieder und es ist praktisch windstill! Dies hilft uns, die Kälte, die sich in unseren Knochen in den letzten Tagen hartnäckig eingenistet hat, loszuwerden. Hannibals Standheizung ist während dieser unerwarteten Kältewelle unsere treue Begleiterin gewesen.
Seit letztem Mittwoch harren wir südlich von Figuères auf einem Campingplatz aus, auf besseres Wetter wartend. Die Spitzen der umliegenden Berge sind mit Puderzucker – oder etwa Schneebedeckt. Die grossen Regenmengen der letzten Wochen zwingen uns, unsere weitere Route anzupassen. Sind die Pisten in den Bergen noch problemlos befahrbar? Da wir diesbezüglich über keine aktuellen Informationen verfügen, werden wir dies wohl oder übel vor Ort selbst überprüfen müssen.
Während einer seltenen Schönwetterphase statten wir am Freitag Empuriabrava einen Besuch ab. Darf man diesen Ort bereits als Stadt bezeichnen oder handelt es sich immer noch um ein Dorf? Gemessen an der Anzahl von Einkaufzentren, Schiffs- und Bootsverkaufshallen, Werkstätten, Autowaschanlagen und sonstigem Kleingewerbe sowie den vielen teilweise heruntergekommenen Bauten kommt vor dem inneren Auge eher das triste Bild einer Vorstadt auf. Auch die von unzähligen Kleinvillen gesäumten, künstlich angelegten Wasserkanäle (erinnern uns sehr vage an die Villen in Fort Lauderdale, Florida – abgesehen vom Luxus der dortigen Häuser) täuschen nicht darüber hinweg, dass es sich hier um einen gescheiterten Versuch der 70iger-Jahre handelt, eine glamouröse Welt vorzugaukeln, die es so längst nicht mehr gibt … oder nie gegeben hat. Einzig der lange Sandstrand gleicht den Bildern aus dem Hochglanz-Reiseprospekt, der die Augen von «Nordländern» immer wieder magisch zum Leuchten bringt.
Samstag regnet es wieder. Wir verbringen den Tag hauptsächlich in Hannibals Bauch, spielen eine Runde Jass und werden grausig verschifft, als wir einen kurzen Ausflug nach Castello d’Empuries (ein kleines Dorf mit einer Mächtigen Burg in der Nähe des Campingplatzes) wagen.
Es ist bereits Sonntag (auch bei schlechtem Wetter rasen die Tage an einem vorbei) und wir entscheiden uns, nach Girona – einer grösseren Stadt 50 km südwestlich von Figuères – mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren und erleben so Lustiges mit der spanischen Bahn. Als Schweizer sind wir in Bezug auf Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit unserer Bahn verwöhnt und, ich wage zu sagen, stolz. Unser Zug fährt von Figuères nach Girona «offiziell» um 12:59 ab. Als er um 12:54 auf Perron 2 ankommt, steigen wir, ohne gross zu überlegen, ein. Nicht einmal 1 Minute später fährt er bereits weiter. Als Fabrizio die Zeitangabe auf der elektronischen Zeigetafel anschaut, zeigt diese 12:55! Augenblicklich sagt er, «wir sind im falschen Zug eingestiegen!». «Es kann nicht sein, dass er bereits 4 Minuten zu früh abgefahren ist!». «Doch» sagt uns eine ältere Dame, die sich neben uns gesetzt hat. Sie bestätigt uns, dass wir im «richtigen» Zug sind. Fabrizio antwortet ihr, «… aber was machen die, die pünktlich zum Bahnhof kommen?». Ein müdes Lächeln ist ihre verlegene «Antwort».
Wir erleben nochmals das Gleiche am Abend. Die Zugabfahrt von Girona ist gemäss Fahrplan um 19:50. Als wir um 19:30 am Bahnhof eintreffen, informiert die Anzeigetafel den Reisenden, dass «unser» Zug erst mit ca. 10’ Verspätung von Barcelona eintreffen wird (d.h. um 20:00). 10’ später teilt uns eine kreischende und schwer zu verstehende Stimme mit, dass der Zug verspätet um 19:55 ankommen wird (obwohl auf der Anzeigetafel immer noch 20:00 steht). Nach diesem Zeitangaben-Wirrwarr, begeben wir uns als «Vorsichtmassnahme» schleunigst auf Perron 2. Tatsache ist, der Zug fährt pünktlich um 19:50 ein und erreicht Figuères ca. 10’ früher als geplant. Hätten wir uns auf die Angaben der Anzeigetafel verlassen, hätten wir wahrscheinlich den Zug verpasst und wären in Girona gestrandet. Die Moral der Geschichte … nächstes Mal, wenn in der Schweiz der Zug nicht auf die Minute «genau» ankommt/abfährt, versuchen wir, etwas mehr Toleranz und Verständnis zu zeigen.
Heute ist «Sant Jordi Tag» in Katalonien. Sant Jordi ist der Schutzpatron dieser Region. Rote Rosen werden an die Frauen verschenkt. «Eine Art San Valentinstag» sagt uns eine junge Frau auf dem Bahnhofsplatz von Girona mit einem grossen Lächeln. Und so sind ganze Familien in den Strassen und in den Restaurants unterwegs. Alle sind fein herausgeputzt und parfümiert und schlendern wie wir durch die Gassen der Altstadt und tauschen sich laut untereinander aus. Kinder rennen wild umher, Hunde verwickeln sich mit der Leine in den Beinen ihrer Besitzer … und in die Ferne hört man eine Kapelle Spielen. Sonntagsatmosphäre … eben.
Da es Sonntag ist, sind die wichtigsten Attraktionen der Stadt zu. Na und? In dieser Situation tun wir, was wir immer bei Stadtbesuchen tun … wir laufen uns die Beine in den Bauch.
26. April – 01. Mai: Figuères – Vic – Tarragona
Das Wichtigste in Kürze:
Das Bergdorf Rupit überrascht uns mit seinem grossartigen Wasserfall „El Salt del Salent“. Wir geniessen die Sonne auf der wunderschönen Plaça Major von Vic beim Biertrinken und Tapas essen. Im „Parc Natural de la Muntanya de Montserrat“ besuchen kurz das dortige Benediktiner Kloster und lassen uns die Waden beim Wandern zwischen den steilen Bergfelsen „massieren“.
26. – 29. April: April: Figuères – Vic
Wetter: Aprilwetter (sonnig alternierend mit Regenschauern). Ein lästiger Wind zerzaust frech unsere Frisur und ist unser ständiger Begleiter: 11 – 17°C
Nach knapp einer Woche auf dem Campingplatz „Mas Nou“ in Empuriabrava ist es Zeit aufzubrechen. Die wenigen Tage haben gereicht, uns an das Leben in und mit Hannibal zu gewöhnen. Die Handgriffe sitzen wieder und die Organisation unserer «Zweitwohnung» (was wo in Hannibal versorgt ist) funktioniert fast reibungslos. Wir verbringen relativ wenig Zeit mit dem Suchen von Unterhosen, Hemden, Brotmesser etc.
Im nahegelegenen Einkaufszentrum haben wir uns mit Proviant für die nächsten Tagen eingedeckt und Hannibal hat seinen Bauch mit Diesel gefüllt bekommen. Los geht’s!
Wir fahren nach Rupit. Rupit liegt verloren in den Bergen, ist auf einem Felsenvorsprung errichtet und erinnert uns mit seinen massiven Steinhäusern und engen Gassen wage an das schmucke Pyrenäendorf Beget. Hier unternehmen wir unsere erste, leichte Wanderung, die uns nach ca. 1 Std. zu einem grossartigen Wasserfall mit mehr als 100m Fallhöhe namens El Salto del Salent führt. Was für eine Aussicht. Dem Regen sei Dank führt der Fluss ausreichend Wasser, um vor unseren Augen ein grossartiges Spektakel zu veranstalten. Die Wassermassen schäumen und spritzen. Darüber hinaus strahlt die Natur in einem satten Grün und das Abendlicht färbt die grauen Felswände des Wasserfalls in ein zartes Orange. Wir können uns kaum von diesem Bild losreissen. Es ist bereits nach 17:00 als wir Rupit in Richtung Vic verlassen.
Die Wetterprognosen sind wieder einmal schlecht. Wir schlagen unsere Zelte im Camping La Vall in Taradell, einem Vorort von Vic, auf. Auf der Anlage verweilen (uns inbegriffen) nicht einmal eine Handvoll Touristen. Viele der Campingplätze erwachen erst jetzt aus dem Winterschlaf. Ihre Organisation ist noch sehr träge und die Infrastruktur kommt erst jetzt langsam auf Touren. In den Gemäuern der Sanitäranlagen sitzt die Kälte des vergangenen Winters noch fest, als ob sie der sich ankündigenden Sommerwärme noch keinen Platzt machen wollte. Hier in Taradell sieht der Campingplatz wie eine verlassene Stadt aus. Dutzende von grauen Wohnwagen stehen in Reih und Glied und warten sehnsüchtig darauf, wieder belebt zu werden. Ihre Mieter zögern noch, angesichts der nicht enden wollenden Schlechtwetterperiode, sie für den kommenden Sommer auf Vordermann zu bringen.
Wir kommen mit einigen Touristen ins Gespräch. Sie (wie wir) versuchen, dem schlechten Wetter zu entfliehen. Kurzfristig wird entschieden, sich in der Nähe einer Stadt niederzulassen. Hier lässt sich das Schlechtwetterprogramm „einfacher“ gestalten als irgendwo „am Ende der Welt“ – insbesondere, wenn man im Fahrzeug wenig Platz zur Verfügung hat.
Entgegen allen Prognosen wachen wir am nächsten Morgen auf und … der Himmel ist blau. Keine Wolken am Horizont … gar nichts … ausser, dass es saukalt ist! Wer hat die Prognosen vorausgesagt? Einer, der die gleiche Trefferquote hat wie ein Sechser im Lotto. So packen wir unser Wetterglück, schnüren die Wanderschuhe, schultern die Rucksäcke und fahren zum Espai Natural de Guilleries – Savassona, um vom Salt de la Minyona zum «Puig del Far» zu wandern. Eine Wanderung, die uns auf der Krete von einem Aussichtspunkt zum andern führt und wieder zurück. Leichten Schrittes wandern wir durch lichte, an einem Wochentag einsame Pinienwälder. Auch hier beginnt die Natur zu erwachen: Bei den Laubbäumen stossen die Blätter, einzelne Pflanzen blühen und orangegelbe Schmetterlinge flattern durch die lauwarme Luft.
Nach diesem dreistündigen, lustwandlerischen Spaziergang haben wir noch genügend Energie, um das über dem Staudamm von Sau thronende ehemalige Benediktinerkloster Sant Pere de Casserres zu besuchen. War es den rund 70 km langen Umweg wert? Einerseits ist es beeindruckend, was die Mönche vor über 1000 Jahren an diesem gottverlassenen Ort zustande brachten – Glauben versetzt Berge – andererseits ist die Anlage relativ klein und die Geschichte des Ortes wurde mit eher bescheidenen Mitteln wieder aufgearbeitet.
Da Fabrizio nicht gern mit Hannibal in und durch eine Stadt fährt, steigen wir in einen Bus und lassen uns nach Vic fahren. Vic liegt etwas 70 km nördlich von Barcelona und verfügt über einen sehr schönen mittelalterlichen Stadtkern, der sich um die Plaça Major anordnet. Mit einem Stadtplan ausgerüstet führt uns Sabine mit gekonntem Orientierungssinn durch die engen Gassen der Altstadt.
Die Plaça Major ist mit Sand bedeckt und die tiefe Sonne des späten Nachmittags gibt ihr ein verträumtes Gesicht. Sie ist von ockerfarbenen und ziegelroten Herrenhäusern gesäumt. Ein echtes Juwel! Wir geniessen diese Atmosphäre in einem der zahlreichen Restaurants zwei Stangen Bier trinkend und einen Teller Papas Bravas und eine Portion Hummus mampfend.
30. April – 01. Mai: Vic – Tarragona
Wetter: Aprilwetter (sonnig alternierend mit Regenschauern). Der lästige kalte Wind folgt uns weiterhin wie ein hungriger herrenloser Hund.
Temperatur: 9 – 21°C
Voller Unternehmungslust fahren wir am nächsten Morgen ins Landesinnere vorbei an beeindruckenden weissen Schutthalden der immensen Kaliumminen – hier wird noch das in Batterien oder Dünger verwendete Salz abgebaut – zum ebenso imponierenden Castell de Cardona. Es thront hoch oben auf einem Felsvorsprung und galt aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage als einer der wichtigsten Orte für Katalonien. Das Schloss war uneinnehmbar, hielt wochenlangen Belagerungen stand, während unten in der Ebene sich die Soldaten bekriegten und einen leidvollen Tod starben.
Die schroffe und kantige Bergkette des Parc Natural de la Muntanya de Montserrat hat uns bereits letzten September auf dem Rückweg in die Schweiz von weitem in ihren Bann gezogen. Damals verglichen wir sie mit den Unterkieferzähnen eines Haies. Als wir die Bergformationen nun von nah betrachten, sehen sie für uns eher wie eine Reihe gigantischer Meerrettichwurzeln aus, die von unbekannter Hand in die Erde gesteckt wurden. In dieser unwirklichen Landschaft haben Benediktiner ein kolossales Kloster errichtet.
Wir entscheiden uns am späten Samstagnachmittag dem Kloster einen Besuch abzustatten. Auf Empfehlung des Besitzers des Camping Montserrat nehmen wir die Seilbahn Aeri de Montserrat, die ca. 3 km südlich von Monistrol de Montserrat liegt. In einem sehr steilen Anstieg bringt uns die gut 90-jährige Bahn bis zur Klosteranlage. Da die letzte Rückfahrt bereits um 17:15 ist, sind wir vermutlich auch die letzten Gäste, die nach oben transportiert werden. Uns bleibt kaum Zeit, die ganze Anlage zu besichtigen. Oben angekommen, vergessen wir diesen Vorhaben sehr schnell. Uns präsentiert sich eine Stadt mit Souvenirläden, Hotels und Restaurants. Es ist kein Ort der Besinnung, der Ruhe und des Glaubens. Hier hat «Big Business» Einzug genommen! So sprinten wir beinahe zum rund 2.5 km entfernten Aussichtpunkt Creu de Sant Miquel, machen die obligaten – zugegebenermassen auch eindrücklichen – Erinnerungsfotos um 1 ¼ Stunden später in die letzte Bahn zu springen. Monasterio de Montserrat adios!
Wir Übernachten in der Nähe des Dorfes Sant Salvador de Guardiola im Camping Montserrat. Diese sehr grosszügige Anlage wurde während der Covid-Zeit neu errichtet. Der Besitzer, ein hagerer Mann um die 50, empfängt uns im strömenden Regen. Er spricht spanisch und dies sehr schnell, sodass wir kaum etwas verstehen. Als er dies merkt bemüht er sich um ein etwas moderateres Tempo.
Wir teilen uns die grosszügige Anlage mit einem Hardcore-Fahrradfahrer. Martijn ist sein Name. Er ist Holländer und hat sich in den Kopf gesetzt, die Strecke von Südportugal bis an die Grenze Norwegen-Russland in drei Monaten zurückzulegen. Er verrät uns, dass sich seine durchschnittliche Tagesstrecke zwischen 80 und 120 Kilometer beläuft. «Es hängt stark von den Strassenbedingungen ab» erklärt er uns mit einem breiten Lächeln. Wir staunen nur noch. «Ich habe Mühe, meinen täglichen Kalorienbedarf zu decken» verrät er uns bei einem Bier im Restaurant des Campingplatzes. «Meine Frau beklagt sich bereits, dass ich zu viel Gewicht verloren habe» ergänzt er, und schiebt sich fröhlich ein Stück Pizza in den Mund. Mensch, denke sich Fabrizio. Ich wünschte, ich hätte dasselbe Problem! Bei mir bleiben die Kalorien wie Kletten an meinem Körper kleben … so wie ein unerwünschtes WG-Mitglied, das sich weigert, die Wohnung zu verlassen.
Plötzlich klingelt Martijns Smartphone … seine Frau ist am anderen Ende der Leitung. «Sie ruft mich immer um 21:00 an» sagt er leise, schirmt dabei sein Telefon mit der Hand ab, und dreht sich von uns weg. Wir verabschieden uns mit einer Handbewegung, verlassen das Restaurant und laufen zu Hannibal. Es regnet immer noch. Auf der Parzelle in unserer Nähe hat Martijn seine Nachtlager aufgeschlagen. Ein kleines flaches Zelt, nicht grösser als ein Sarg, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. «Wie kann er sich nach einem strapaziösen Tag auf dem Fahrrad in diesem Zelt ausreichend erholen?» sagen ich und Sabine fast unisono.
Der kalte Atem der Nacht lässt uns unsere Standheizung für einen kurzen Moment einschalten. «Martijn wäre sicherlich froh, er hätte auch so eine in seinem Zelt».
Samstag, 31. April
Wetter: Leicht bewölkt und Windig (wir werden ihn nicht los!).
Temperatur: 12 – 20°C
Heute ist Samstag. Um 08:30 haben sich ein paar Sonnenstrahlen einen Weg durch unsere Thermoschutzmatten, die wir als Kälteschutz an den Fenstern angebracht haben, bis in Hannibals Innere gebahnt. Es sind gute News! Draussen wartet die Sonne auf uns. Fabrizio macht die Hintertüre vorsichtig auf … dann schreit er, mit einer aufgeregten Stimme «Sie ist da!» Nicht ganz so prächtig wie wir es uns gewünscht hätten, aber es ist immerhin ein zuversichtlicher Tagesbeginn.
Um die Schönheit des Parc Natural de la Muntanya de Montserrat richtig zu geniessen, muss man ihn zu Fuss erkunden. Knapp 4 Stunden wandern wir durch die erstaunlichen Bergformationen (Meerrettichwurzeln oder auch in sich versunkene Buddhas) und überwinden im steten auf und ab knapp 150 Stockwerke. Die Sonne heizt zum ersten Mal so richtig ein. Eine Wohltat für unsere «alten» Knochen. Hundemüde kehren wir gegen 18:00 zum Campingplatz zurück. Wir sind allein. Keine Gäste weit und breit. Der hagere Besitzer scheint diesbezüglich nachdenklich zu sein. Sein Gesichtsausdruck spiegelt gewisse Zweifel am Erfolg seines neuen Geschäfts.
Morgen werden wir Richtung Tarragona fahren und uns auf dem Weg die Stadt Montblanc anschauen. Gemäss Reiseführer soll sie über einen hübschen mittelalterlichen Stadtkern mit einem ausserordentlich interessanten Gebäudeensemble verfügen und die Stadtmauern gehören zu den am besten erhaltenen in Katalonien.
Sonntag, 01. Mai
Wetter: Leicht bewölkt und windig (schon wieder!).
Temperatur: 12 – 22°C
Das Wetter scheint sich stabilisiert zu haben. Die Langzeitprognosen sind erfreulich. Mindestens ist kein Regen in Sicht. Auf dem Weg nach Tarragona stoppen wir am frühen Nachmittag in Montblanc. Was wir hier antreffen, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Es ist nicht nur 1. Mai (Arbeiter- und Muttertag zugleich), es ist auch der letzte Tag der Mittelalterwoche. Was dazu führt, dass alle Parkplätze im Radius von 3 km vom Dorfzentrum bereits besetzt sind. Wir finden, nach langer Suche, ein Plätzchen für Hannibal und machen uns dann zu Fuss ins Stadtzentrum auf. Bereits von weit weg sind die Trommeln und die Dudelsäcke der Fanfaren zu hören. Je näher wir dem Geschehen kommen, desto stärker wird auch der herbe Geruch des Pferdedungs vermischt mit dem Rauch der Grillöfen. Wir wagen nicht zu denken, wie es hier vor fünfhundert Jahre gerochen haben mag.
Entlang der Burgmauern sind Holz- und Strohhütten aufgebaut. Sie bilden das Ambiente für die Darstellung der Berufe der Handwerker von anno dazumal. Hier ein Steinmetz … dort spinnt eine alte Frau einen Knäuel Wolle … und noch ein Stand mit Kräutern und Räucherstäbchen … hinter uns werkelt ein verschwitzter Mann mit einem Bauchumfang von 3 m am Grill und kehrt die Würste, Koteletts, Gigots und das Gemüse regelmässig über den Flammen. Dem Rauch des Schweinefetts ist kein Entkommen. Einem Kind kippt seine Glace aus der Hand zu Boden. Es schaut seiner Leckerei mit weit offenen, entsetzten Augen hinterher und muss beobachten, wie sich das Eis unter Hitze der Sonne verflüssigt und einen klebrigen unappetitlichen Klecks hinterlässt.
Eine von Trompetenmusik begleitete Gruppe Jugendlicher schwenkt gefolgt von Reitern in Mittelalterrüstung farbige Fahnen durch die engen Gassen der Altstadt. Links und rechts stehen hunderte von Schaulustigen und knipsen bzw. filmen mit ihren Smartphones das Geschehen. Am Ende dieser Prozession treffen sich allesamt auf dem Hauptplatz. Hier wird das «Ritterturnier» zur Krönung der Woche von einem offiziellen Touchmaster eröffnet.
Neben mittelalterlichen Tänzen von Teenagern interpretiert, versuchen sich diverse Ritter hoch zu Ross im spektakulären sogenannten «Tjost». Dabei galoppieren zwei mit Lanze und Schild bewaffnete Reiter auf zwei Seiten einer Schranke aufeinander zu. Sie versuchen dabei, sich gegenseitig aus dem Sattel zu heben oder zumindest einen Treffer am Schild oder Helm des Gegners zu landen. Am Schluss wird der stolze Sieger gekrönt.
Danach gilt es für uns, das Erlebte auf unsere Art zu feiern. Wir erstehen vor der Kathedrale zuerst zwei Weingläser und lassen sie danach mit einem vorzüglichen regionalen Cava füllen. Leicht torkelnd machen wir uns dann auf die Suche nach etwas Festem. In einem zügigen Vorgarten setzten wir uns zu Einheimischen und bestellen Grillspiesse und Broschetten mit grillierten Auberginen. Vorzüglich. Gesättigt und zufrieden schlendern wir zurück zu Hannibal, nicht ohne uns zum Dessert noch eine saftige und mit Vanillecrème gefüllte 30 cm lange Apfeljalousie (1.50 Euro) zu gönnen. Was für ein Schlaraffenland.
In Tarragona quartieren wir uns auf dem Camping Las Salinas ein. Dieser gleicht am Sonntagabend einem Schlachtplatz! Das Muttertag-Wochenende hat unzählige Spanier dazu animiert, ihrer Festlaune freien Lauf zu lassen. Die Wohnwagen sind eng aneinander parkiert, die Musik hat Discothek-Lautstärke und es wird auf dem engen Platz grilliert, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Gegen 2 Uhr Morgen lässt jemand nochmals seinen Ghettoblaster für eine halbe Stunde aufheulen (spätesten jetzt wissen alle Bewohner des Campingplatzes, dass er der stolze Besitzer eines «mächtigen» Radiorekorders ist). Danach kehrt Ruhe ein … die Wellen, die rhythmisch am Strand auflaufen, helfen uns, den Schlaf schnell wieder zu finden.
Montag, 02. Mai
Wetter: Regnerisch und kühl. Temperatur: 12 – 18°C
Mit dem Bus machen wir uns in das ca. 7 km entfernte Tarragona auf, vorbei an zum Teil heruntergekommenen und verbarrikadierten Feriensiedlungen. Wer möchte hier die beste Zeit seines Jahres verbringen? In der Altstadt sind wir einmal mehr von den Spuren des vergangenen Reichtums beeindruckt: begrüsst werden wir von der mit Mosaiken geschmückten Via del Imperio Roma und der mächtigen Stadtmauer. Per Zufall besuchen wir in den Gebäuden des Seminari, dass uns Schutz vor dem kräftigen Regen bietet, die prächtig restaurierte Kapelle von Sant Pau, bevor wir es vor der Mittagspause gerade noch schaffen, die Kathedrale mit ihren eindrücklichen Schätzen zu besichtigen.
Nach dem Besuch des Gotteshauses sind wir hungrig und müde (diese Kombination ist bei uns bekanntlich «Dynamite»). Wir schlendern den Hügel der Altstadt hinunter und lassen uns in dem sich in einer Seitengasse versteckten Restaurant Filosofia verwöhnen: Tempura von Auberginen und gebratener Spinat mit Pinienkernen und Rosinen zu Beginn, dann butterzarte auf der Zunge zergehende Rindsfilets an einer Chimichurri- bzw. Sauce des Hauses. Der Service ist professionell und zugleich persönlich und lässt uns, mit seiner Fürsorge wieder zu Kräften kommen.
Gestärkt machen wir uns gegen 16.00 auf die Suche nach einem Geschenk. Denn am nächsten Abend sind wir bei unseren Nachbarn Ursula und Peter, die in Cambrils ein Ferienhaus besitzen, eingeladen. Dies gestaltet sich nicht so einfach. Zum einen ist es Montag und zum anderen öffnen die Geschäfte am Nachmittag erst gegen 17.30, wenn sie öffnen. Auch der Mercat ist mehrheitlich geschlossen. Internet sei Dank werden wir auf eine Weinhandlung aufmerksam, die auch geöffnet ist. Der professionelle deutsche Besitzer verhilft uns zu einem biologisch und speziell gekelterten «Cava» der Region sowie zu einem Reislikör, einer Tarragoner Spezialität. Mit dem Tag zufrieden begeben wir uns zurück zu unserem trauten Heim, zu Hannibal.
03. – 11. Mai: Tarragona – Valderrobres
Das Wichtigste in Kürze:
Unser Besuch bei Ursula und Peter in deren Ferienhaus in Cambrils, wo wir nach Strich und Faden mit lokalen Köstlichkeiten verwöhnt werden. Die langen Fussmärsche im «Parc Natural de la Serra de Montsant» rund um Ulldemolins. Das Burgdorf Siurana, das auf einem Felsenvorsprung wie ein Adlerhorst liegt. Ein von rotem Mohn durchsetztes Getreidefeld auf dem Weg nach Valderrobres. Die Altstadt von Valderrobres mit ihrem monumentalen Bischofspalast und der gotischen Kirche «Santa María la Mayor».
Dienstag – Mittwoch 03. – 04. Mai: Cambrils
Wetter: Aprilwetter (sonnig alternierend mit Regenschauern). Der lästige kalte Wind folgt uns weiterhin wie ein hungriger herrenloser Hund.
Temperatur: 9 – 21°C
Cambrils, ein im Frühling noch verschlafener Ferienort an der Küste. Kilometerlange Strände zum Teil gesäubert, zum Teil naturbelassen und gesäumt von Ferienanlagen mit noch herunter gelassenen Jalousien. Vereinzelt promenieren verlorene Touristen und Einheimische mit Ihren Hunden an der Uferpromenade. Die geöffneten Geschäfte und Restaurants buhlen um ihre Gäste. Kellner und Kellnerinnen stehen mit der Menükarte ihres Restaurants auf dem Trottoir und versuchen die vorbeilaufenden Touristen von den Vorzügen «ihrer» Küche zu überzeugen.
Gänzlich verlassen ist der alte Kern von Cambrils. Der Mercat ist bereits um 13.00 geschlossen und viele Geschäfte scheinen ihre Geschäftstätigkeit eingestellt und die Tore und Fenster für immer verbarrikadiert zu haben. Eine Entwicklung, die sich vor allem im Zuge von Corona, in den historischen Zentren beschleunigt zu haben scheint. Darüber hinweg tröstet uns auch das vorzügliche und preiswerte Menü in einem italienischen Ristorante nicht.
Das eigentliche Highlight ist jedoch unser Besuch bei Ursula und Peter, deren Ferienhaus sich in einer rund 50-jährigen Migros-Siedlung, die von Hotelplan gebaut wurde, befindet. Hier werden wir nach Strich und Faden mit lokalen Köstlichkeiten verwöhnt: grillierte Spargeln mit Mandeln, dann leckere Gambas a la Plancha gefolgt von einem Pulpo-Risotto und zum Abschluss Schokolade Mandeln und Flûtes. Que Rico! Nach angeregten Gesprächen und vielen Informationen über die lokalen Gegebenheiten machen wir uns zu Fuss auf den Nachhauseweg. Hannibal wartet im luxuriösen Camping la Llosa auf uns.
Donnerstag – Montag 05. – 09. Mai
Wetter: Schleierwolken am frühen Morgen, dann sonnig mit vorüberziehenden Wolken, Temperatur: 10 – 23°C (es wird merklich wärmer … endlich!)
Als wir diese Zeile schreiben, befinden wir uns bereits in der Nähe von Valderrobres (Hauptort der Comarca Matarraña Franja de Aragón am Rio Matarraña). Wir haben die letzten 4 Tage im «Parc Natural de la Serra de Montsant» verbracht. Ulldemolins mit seinem gemütlichen Campingplatz «Montsant Park» war unsere Basis, von der aus wir die Umgebung in teilw. langen Fussmärschen erkundet haben.
Die Landschaft ist von Rebbergen (wir befinden uns im Weingebiet von Montsant an der Grenze zum berühmteren Priorat), Mandeln- sowie Haselnussplantagen und den unverzichtbaren Oliven Heinen geprägt. Vor Ulldemolins erstreckt sich eine Talsenke, die von Bergen mit fast senkrechten Felsformationen «umzingelt» ist. Ein Paradies für Kletterer! In der Mitte hat sich der Fluss Riu de Montsant in Jahrmillionen eine tiefe Schlucht «gefräst». Am Freitag erwandern wir diese Schlucht auf einer Gesamtlänge von 10 km (nur Hinweg!) bis zum Congost de Fraguerau. Bizarre Felsenformationen formen die Wände der Schlucht. Sie erinnern uns je nach Ausprägung an die zwiebelförmigen Dächer von russisch-orthodoxen Kirchen oder an einen Turban tragenden Mauren, aber auch an gigantische Murmeln sowie an die runden, dickgewölbten Bäuche von Buddhastatuen. Wir sind allein unterwegs … den ganzen Tag treffen wir nur auf singende Vögel, pfeifende Steinböcke, quakende Frösche und surrende Insekten. Weit über den Felsen unterhält sich ein Kuck-Kuck mit einem Specht. Ob sie sich verstehen?
Grösstenteils befindet sich der Wanderweg im Schatten der Bäume und des Gebüschs. Es ist angenehm kühl. An den sonnenexponierten Stellen, versorgt uns der Fluss mit einer frischen Brise. Nach knapp 21 km kehren wir etwas «geschafft» zum Camping zurück. Die Waden schmerzen ein wenig und der Magen knurrt. Mit einer Portion «Papas Brava», zwei Tellern frischem gemischten Salat, einem grosszügigen Glas Wermuth (einer Spezialität der Gegend, die mit einem Martini mit einem Schuss Portwein vergleichbar ist) und einem Glas Bier lassen wir den Abend ausklingeln.
Nachdem wir schon am Vortag von Morera de Montsant eine haarsträubende, Kraft raubende Kletterpartie unternommen und auch abgebrochen haben (Glaube nie vollumfänglich den Wikiloc-Bewertungen) brauchen wir am Samstag ein Schonprogramm. Wir fahren ins nächste Dorf einkaufen und dann hoch zu der spektakulären Siedlung Siurana. Sie liegt wie ein Adlerhorst auf einem Felsvorsprung. Die Anzahl Parkplätze lässt uns den Touristenansturm im Sommer erahnen. Dennoch war dieser pittoreske Weiler den 16 km langen Umweg wert.
Die Erkundung hat Spass gemacht und dem Schrittzähler-App knapp 10’000 Einheiten hinzugefügt. Tagesziel wieder erreicht! Bereits nach zweieinhalb Wochen merken wir, dass wir unser Temperament zügeln müssen. Die vielen Eindrücke und Emotionen können von uns sonst nicht verarbeitet werden. So wandern wir am Sonntagnachmittag einfach drei Stunden durch das wunderschöne Tal und lassen unsere Seele baumeln.
Montag – Donnerstag 09. – 12. Mai: Valderrobres und Umgebung
Wetter: Fast wolkenloser blauer Himmel.
Temperatur: 12 – 24°C
Mit dem Wochenbeginn reissen wir uns von diesem idyllischen Tal los. Als wir langsam entlang der engen und kurvenreichen Strasse gondeln, fragen wir uns, ob wir Katalonien nach knapp drei Wochen nicht zu schnell den Rücken kehren und uns Richtung Aragon mit seinen vielen (verlassenen) hübschen und geschichtsträchtigen Dörfern aufmachen. In Gedanken versunken fahren wir am ersten zur Besichtigung empfohlenen Dorf, Calaceite, nonchalant vorbei.
Mit dem Herzen sind wir erst wieder bei der Reise, als wir ca. nach 100 km auf einen Landweg abbiegen, der uns entlang von kleinen Feldern, Haselnuss- und Mandelpflanzungen führt. Wow, ein von rotem Mohn durchsetztes Getreidefeld lässt uns abrupt stoppen. Monet hätte hier seine Staffelei ausgepackt und eines seiner wunderbaren Landschaftsgemälde gemalt. Wir zücken unsere I-Phones und versuchen, die Natur auf Filme und Fotos zu bannen.
Ebenso hübsch ist das kleine an einen Hang gebaute Dorf Fresneda. Für die Grösse des Dorfes (knapp 450 Einwohner) sind die palastartigen Bauten und die Arkadengänge entlang der Hauptgasse beeindruckend. Wir geben uns aber mit der Besichtigung der Calle Mayor nicht zufrieden und kämpfen uns hinauf bis zum höchsten Punkt, wo eine zerfallene Eremita steht. Von da aus überblicken wir das verlassene Dorf. Zwischen 14.00 und 16.00 sind die Gassen leer und die Geschäfte geschlossen. Wir rätseln, ob sich die verriegelten Fensterläden der Häuser am Abend öffnen werden oder es sich vor allem um Wochenend- oder Ferienbehausungen handelt, die erst im Sommer wieder zum Leben erwachen.
Da in Fresneda der gleichnamige, hübsche Campingplatz bis auf die letzte Reihe besetzt ist (an den Anzahl NL-Nummernschildern handelt sich hier um eine niederländische Enklave) fahren wir bis zum 10 km entfernten Valderrobres. Wir haben dieses Dorf im letzten September auf unsere Rückfahrt in die Schweiz im Regen rechts liegen gelassen und sind an ihm nachlässig vorbeigefahren.
Dienstag, 10. Mai: Valderrobres
Wetter: Wieder wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 12 – 27°C (wir kommen erstmals ins Schwitzen!)
Valderrobres wird von einem monumentalen Bischofspalast gekrönt, der mit der gotischen Kirche Santa María la Mayor über eine enge und sehr steile Treppe verbunden ist. Unzählige Stufen und steile Gassen gilt es zu überwinden bzw. hinaufzusteigen, wenn man bis zum Palast vordringen will. Man muss fit sein, um dieses aragonische Dorf zu besichtigen. Die Plaça Mayor mit dem Rathaus und mehrerer palastartigen Herrenhäuser erreicht man hingegen bequem über eine prächtige „Steinbrücke“.
Der Bischofspalast und die Kirche sind in einem sehr guten Zustand. Es sind zwar nicht sehr viele Exponate in den Räumen ausgestellt, aber ein Besuch wert sind sie allemal. Übrigens: von der Terrasse des Bischofspalasts geniesst man eine prächtige Fernsicht auf die umliegende Landschaft.
Wir haben Hunger … What else! In Elías Bodega Bar, etwas ausserhalb des Zentrums, geniessen wir zur Vorspeise eine Portion Tomatensalat, die mit einem exzellenten Olivenöl beträufelt ist, danach lassen wir uns «Confit de Pato» (Ente-Confit) und «Escabeche de Conejo» (Kaninchen mariniert) kredenzen. Beide Gerichte riechen und munden köstlich. Wir schliessen das Mittagsessen mit einer Glace aus Vanille und Jogurt mit einem «Sprutz» Honig ab.
Mittwoch, 11. Mai: Béceite und El Parrizal
Wetter: Wieder wolkenloser blauer Himmel.
Temperatur: 12 – 28°C
In unserem Roadbook ist für heute eine Wanderung zur Schlucht El Parrizal vorgesehen. Diese ist bekannt, da sie teilweise nur über Holzstege, die in den Felsenwänden verankert sind, zu bewandern ist. Unser niederländischer Nachbar auf dem Campingplatz macht uns aufmerksam, dass es nötig sei, ein Ticket für die Zulassung zum Wanderweg online und im Voraus zu erwerben. Das tun wir.
Da die Holzstege eng sind, werden pro Tag nur wenige Besucher zur Schlucht zugelassen. Gegen 14:30 machen wir uns auf den Weg und besuchen zuerst das kleine Dorf Béceite, das sich gerade 6 km vor dem Schluchtzugang befindet.
Die Wanderung ist sehr schön. Unter den Holzstegen machen sich an manchen Stellen kristallklare türkisblaue Wasserteiche breit und kurz darauf strömt das Wasser rauschend unter uns hinweg. Langbeinige Insekten schweben, dank der Oberflächenspannung, auf der Wasseroberfläche. Sie scheinen Schlittschuh zu fahren. Die Sonne projiziert ihren stark vergrösserten Schatten auf den Teichgrund und lässt sie wie Wesen von einem anderen Planeten erscheinen. Die Atmosphäre ist idyllisch. Es sind wenige Besucher unterwegs, was das Kreuzen auf den Holzstegen einfacher macht. Wir wagen nicht zu denken, wie es hier im Sommer zu und her gehen mag, wenn mehr als 500 Personen zugelassen werden. Nach knapp 2 Stunden sind wir am Ende der 4km langen Schlucht angelangt. Ein kleiner Wasserfall und ein älteres belgisches Paar empfangen uns. Von hier aus ist der Wanderweg gesperrt. Hoch über unseren Köpfen sonnen sich die gezackten Bergspitzen in den letzten Strahlen der Abendsonne. Die Felszacken wirken wie die Zähne eines gigantischen Krokodiles.
Auch heute haben wir unser Ziel von 10’000 Schritten bei Weitem übertroffen. Unser Wochendurchschnitt liegt zurzeit bei 15’000 Schritten. Nicht um sonst schmerzen uns die Beine und Knie.
12. – 18. Mai: Valderrobres – Albarracin
Das Wichtigste in Kürze:
In der Nähe des kleinen Dorfes Pobla de Benifassà treffen wir inmitten von terrassierten Berghügeln auf das Gesamtkunstwerk «Jardìn de Peter». Eine kleine Oase der Magie, der Fantasie, eine eigene Welt, die von Fabelwesen belebt ist. Das Dorf Mirambel mit seinen schönen, gut erhaltenen mittelalterlichen Häusern und Schutzmauern. In Formiche Alto stolpern wir per Zufall auf das Dorffest «La Peña Taurina», eine Art Corrida, die auf dem Plaza Major stattfindet. Südlich von Teruel wandern wir durch die Bergformationen «Las Muelas» und fühlen uns nach Utah versetzt.
Donnerstag, 12. Mai, Valderrobres – Morella
Wetter: Wieder wolkenloser blauer Himmel.
Temperatur: 12 – 27°C
Seit letztem September, als wir uns in Begleitung von Dauerregen auf die Heimreise machten, wollen wir die Stadt Morella mit ihrer majestätischen Burg (Castell de Morella) genauer unter die Lupe nehmen. Heute packen wir diese Gelegenheit und fahren dorthin. Wir entscheiden uns für die Variante «über Stock und Stein». So geben wir Hannibal die Möglichkeit, sich wieder als zuverlässiger «Partner im Feld» zu beweisen.
Etwas ausserhalb von Béceite beginnt die ca. 80 km lange Piste. Anfänglich schlängelt sie sich sanft durch den Pinienwald aber nach knapp 3 km beginnen die Auswaschungen und der Track führt steil den Berghang hinauf. Die Naturstrasse ist mit viel Schotter belegt, was in den engen und steilen Kurven Hannibal zum «Scharren» zwingt. Abgesehen von einer Gruppe Motocross Fahrern, die in höllischem Karacho an uns vorbeisausen, sind wir allein unterwegs. Wir sichten unseren ersten Adler, der über unseren Köpfen seine «Runden» auf der ewigen Suchen nach Futter dreht.
Wir befinden uns in der Nähe des Parc Natural de la Tinença de Bènifassa als wir uns entscheiden die Piste zu verlassen und ins Pobla de Benifassà, ein kleines Dorf, das sich inmitten von terrassierten Berghügeln eingenistet hat, zu fahren. Nicht weit weg von hier hat sich der deutsche Künstler Peter Buch in dreissig Jahren akribischer Arbeit (… und mit seinen 84 Lenzen arbeitet er immer noch daran) seinen Traum verwirklicht, den Jardìn de Peter oder auf Deutsch «Peters Garten». Eine Kleinoase der Magie, der Fantasie, eine eigene Welt, die von Fabelwesen belebt ist. Eine Mischung von Gaudì und Niki de Saint Phalle.
Wir treffen den Künstler und seinen Gehilfen unter einem Baum, sich vor der Hitze der Mittagssonne schützend. Auf einem kleinen Gartentisch sind die spärlichen Reste des Mittagsessen zu sehen. Brotkrumen, eine halbe Zwiebel, eine Tomate und ein Paar Gurkenscheiben. Wir kommen kurz mit Peter ins Gespräch. Er ist auf einem Ohr taub, aber als Fabrizio sein Werk mit dem «Tarot Garden» von Niki de Saint Phalle vergleicht, spiegelt sich Aufregung in seinen Augen. «Ja, sie (Niki) hat aber viel mehr Geld zur Verfügung gehabt …. und viele Gehilfen» ist seine etwas entnervte Antwort. «ICH … ich habe alles allein aufgebaut!»
Wir belassen es bei diesem Wortaustausch und Zahlen ihm die Eintrittsgebühr von 3.5 EUR. Wir verweilen mehr als 2.5 Stunden in diesem magischen Garten und wandeln wie in einem Traum durch und an den vielen Kunstwerken vorbei – nicht nur Redbull verleiht Flügel… An jeder Ecke, unter jedem Strauch entdecken wir etwas Neues. Einfach faszinierend. Wir sinnieren über die Wirkung dieses Ortes auf uns. Peter scheint an seinem Werk finanziell nicht reich geworden zu sein. Ist das wichtig? Dabei reich zu werden …. meinen wir. Muss dies immer das Ziel, der Antrieb seines Handelns sein? Oder wird man auch «reich», indem man seinem Traum, seine Visionen realisiert … oder mindestens daran arbeitet. In jedem Fall ist die Welt mit dieser Perle, dem «Jardin de Peter», sicherlich bereichert worden.
Nach dieser «Overdose» an Emotionen fahren wir auf dem direktesten Weg nach Morella. Die Stadt empfängt uns kurz vor Sonnenuntergang bereits von Weitem mit ihrer mächtigen Burg, die hoch oben auf einem Felsen die ganze Stadt überragt, und mit ihren gewaltigen achteckigen Türmen den Hauptzugang zur Stadt schützt.
Wir parkieren Hannibal auf dem ca. 1 km vor den Stadtmauern liegenden Stellplatz (wir werden zum ersten Mal auf einem Stellplatz übernachten) und laufen zu Fuss in die Stadt. Was von Weitem majestätisch wirkt, erweist sich aus der Nähe etwas enttäuschend. Die Burg ist eine Ruine, die Stadt verfügt zwar über historisch schöne Gebäude, die meisten sind aber nicht zugänglich und wieder einmal ist die Mehrheit der Geschäfte geschlossen.
Wir schlendern durch die Gassen auf der Suche nach einem Restaurant, der Hunger hat sich bei uns bereits vor einiger Zeit angemeldet. Die Suche erweist sich als schwierig. Alle Empfehlungen, die Sabines Smartphone zum Besten gibt, sind entweder nicht mehr im Geschäft oder geschlossen oder öffnen erst am nächsten Tag (FR). Wir fragen die Besitzerin einer Bäckerei. Sie sagt uns «Gerade um die Ecke hat ein Restaurant geöffnet». Ein anwesender Kunde doppelt nach «Man isst sehr gut dort … und das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt auch. Ich bin ein Handwerker und habe nicht sehr viel Geld, aber ich gehe gerne dorthin».
Gesagt getan. Wir werden nicht enttäuscht. Die Atmosphäre ist zwar kalt und der Besitzer «furztrocken», das Essen ist jedoch ziemlich gut. Als wir das Restaurant verlassen ist es bereits 22:30. Die Dunkelheit hat ihre Nachschicht bereits begonnen. Die spärliche Beleuchtung in den Gassen wirkt etwas gespenstisch. Begleitet von einem Konzert bellender Hunde, zirpender Grillen, gukuhender Kuckucks sowie grunzender und quietschender Schweine aus den umliegenden Mästereien laufen wir zum Stellplatz. Eine frische Brise weht und der unerträgliche Geruch des Schweinemists hängt schwer in der Luft. Das Wort «armes Schwein» bekommt hier in Spanien eine ganz neue Bedeutung für uns.
Bis zum heutigen Tag haben wir noch keine «moderne» Mästerei ausgemacht. Diejenigen, die man im Vorbeifahren sehen (und riechen) kann, haben eher das Flair von Internierungscamps. Mehrheitlich handelt es sich um unfertige Bachsteinbaracken mit einem Eternitdach und Fenstern, die geschlossen scheinen. Die Schweine verfügen über keinen Auslauf – wofür denn? Die Ferkel sollen gefälligst schnell fett werden! Ein Zaun schliesst das Ganze «sicher» ein. Ein Versuch, die ungebetenen Beobachter fernzuhalten. Die Schweine dürfen uns nur zwei Gesichter zeigen: die des fröhlichen und verspielten Ferkels und die des saftigen Sonntagsbratens. Was dazwischen geschieht soll uns nichts angehen.
Wie überdimensionale Infusionsbeutel stehen die unzähligen Futtersilos auf dem Areal der Mästerei. Von diesen «schieben» Förderbänder oder Förderschnecken den Futtermix, der die Schweine schnell zum Schlachtgewicht führen soll, zu den immer vollen Futtertrögen. Jedes Mal, wenn Sabine und ich auf einer Wanderung genüsslich in ein Schinkenbrot reinbeissen, erscheint uns dieses Bild vor Augen. Dabei läuft uns ein kalter Schauder den Rücken hinunter. Die Schinkenbrote schmecken trotzdem immer köstlich.
Als wir beim Stellplatz ankommen, ist dieser bis auf unseren Hannibal leer. Das flackernde Licht einer Strassenlaterne beleuchtet schwach das Areal.
Freitag, 13. Mai, Morella – Formiche Alto
Wetter: Schleierwolken, die im Laufe des Morgens der Sonne Platz machen, Temperatur: 12 – 27°C
Die Nacht hat sich unruhig angefühlt. Wir konnten lange den Schlaf nicht finden. Ist dies so, weil wir zum ersten Mal ausserhalb der beruhigenden Umgebung eines Campingplatztes geschlafen haben? Wohl kaum. Am Nachtessen kann es auch nicht gelegen haben. Es ist Vollmond. Ja, der Schuldige ist schnell gefunden.
Aus der Idee, heute bis nach Albarracin zu fahren, wird nichts, da wir viel Zeit in die Besichtigung der typisch aragonischen Dörfer, die sich entlang unserer vorgesehenen Route befinden, investieren. Am Ende erweist sich unser Entscheid, in Formiche Alto einen Stopp auf dem Campingplatz des Casa Fausto zu machen, als purer Glückstreffer.
Aber nun von Anfang an. Das erste Dorf, das wir besuchen (wird uns für immer auch als «das schönste» in Erinnerung bleiben) ist Mirambel. Ein schmuckes mittelalterliches Dorf ohne Firlefanz und Billig-Souvenirläden. Die Wege sind allesamt mit runden Pflastersteinen belegt. Die meisten Gebäude sind renoviert, haben aber trotzdem ihren ursprünglichen Charme behalten.
Als wir in Mirambel ankommen, ist es bereits 09:00. Es sind keine Menschen zu sehen. Nur aus einer Bar strömen uns laute Gespräche durch die weit geöffnete Tür entgegen. Wir erkunden das ganze Dorf und kommen aus dem Staunen nicht mehr hinaus. Die wildesten Gedanken gehen uns durch den Kopf. «Was wenn wir das ganze Dorf aufkaufen könnten und es zu einem Ferien Resort für gut Betuchte entwickeln würden?» sage ich plötzlich aus dem Nichts. Sabine macht grosse Augen und scheint mein Vorhaben nicht verstehen zu wollen. «Ja, so etwas wie in Andermatt» dopple ich nach. «Ein Resort, wo sich die Kundschaft während ihres Aufenthaltes ins Mittelalter zurückversetzt glaubt und die Atmosphäre in sich aufsaugen kann.» Sabine zückt das Portemonnaie … und ich muss kapitulieren.
Wir kehren zu der Bar mit den lauten Stimmen zurück und fragen, ob es möglich sei, ein «Café con leche» zu bestellen. «Klar!» ist die kurze und zackige Antwort der etwas übergewichtigen Serviertochter und sie lächelt dabei verschmitzt. Am Tisch neben uns sitzen bereits zwei «Locals» und frühstücken. Dem einen scheint etwas auf dem Magen zu liegen. Er redet laut, schnell und gestikuliert mit den Händen in der Luft, als möchte er das Bildnis der heiligen Madonna malen. Vor ihnen zwei Teller mit Aufschnitt, Spiegelei, Würsten, Speck und Käse sowie eine Flasche Wein.
Sie giessen sich in regelmässigen Abständen die Gläser mit Wein nach und füllen diese anschliessend bis zum Rand mit Wasser auf. Im Laufe der Zeit wird die Menge des beigefügten Wassers immer kleiner, dafür die des Weines immer grösser. Eine zweite Flasche Wein wird auf den Tisch gestellt. Das Gesicht des aufgeregten Locals hat jetzt bereits eine schöne rote Farbe bekommen. Er schiebt sich ein Stück Brot mit Wurst in den Mund und zerkaut dieses zu einem Knäuel, der kurz in der linken Gesichtsbacke «parkiert» wird, damit er seiner nächsten Tirade freien Lauf lassen kann. Essen und reden «gleichzeitig». Dies ist eine wahre Kunst.
Knapp 15 km später folgt das nächste Dorf, Cantavieja. Auch wenn der historische Stadtkern unter Denkmalschutz gestellt wurde und das Rathaus mit seinem Säulengang an der Plaza Mayor durchaus sehenswert ist, mögen wir nicht allzu lang in der Stadt verweilen. Auf uns wartet ein leckeres Mittagessen in Linares de Mora … Allerdings wird aus diesem nichts. Die Bar «La Venta» ist infolge Gerantenwechsel geschlossen.
So befassen wir uns damit, wo wir die Nacht verbringen wollen. Der nächste offene Campingplatz ist die Casa Fausto in Formiche Alto, in einer wilden und einsamen Gegend gelegen, wo die Temperaturen im Winter weit unter 0 °C fallen können. Wir sind die ersten Gäste, die einchecken. Nach uns folgen noch drei spanische Parteien, zwei mit Kindern. Wir scheinen die Nachbarn wie die Fliegen anzuziehen. Obwohl alle Parzellen frei sind, platzieren sie sich vor und direkt neben uns. Bis sie sich eingerichtet und gekocht haben wird es 22:00. Die Kinder müssen sich wahrscheinlich nach einer langen Fahrt erstmal austoben. So rennen sie schreiend über den ganzen Zeltplatz. Die Eltern ermahnen sie, leiser zu sein. Allerdings sind auch ihre Diskussionen sicherlich noch in 500 m Entfernung zu hören. Fabrizio und ich sind müde. Bereits vor 22:00 Uhr begeben wir uns in unsere Attika, decken uns mit unseren wollig warmen Schlafsäcken zu, stecken uns die Ohropax in unsere «Lauscher» und begeben uns unmittelbar in unsere Traumwelt, wo wir das Erlebte ein erstes Mal verarbeiten können.
Samstag, 14. Mai, Formiche Alto
Wetter: Sommerwetter, blauer Himmel mit einem Gewitter am Abend, Temperatur: 12 – 27°C
Am Samstag brechen wir zum 2 km entfernten Dorf auf. Wir wollen am Dorffest «Peña Taurina» teilnehmen. Gemäss Wikipedia leben 150 Menschen im Dorf. Gemäss Fausto 85 und im Winter etwa 20.
Am Morgen hüpfen sich die Kinder auf einer aufblasbaren Kunststoffburg und -rutsche die Seele aus dem Leib, während die Eltern bzw. vor allem die Mütter vor diesen Chilbi-Attraktionen schwatzen. Auf 14:00 wird in zwei riesigen Pfannen eine Paella gekocht. Bereits um 12.00 Uhr kitzelt uns der verführerische Geruch von angebratenem Fleisch und Gemüse in der Nase und um 17:00 sollen junge Stiere durch die Gassen getrieben werden. Wir sind gespannt, was uns erwartet.
Bereits vor Mittag wird konstant Bier gebechert. Gegen 12:00 wird unter den Arkaden des Ratshauses ein üppiger Apéro aufgetischt. Es sieht lecker aus. Gerne möchten wir auch an diesem Gelage teilnehmen, aber wie? Fabrizio fragt beim Bierausschank nach. Aber «que lastima» (wie schade) die Teilnahme ist ausschliessliche für Dorfbewohner und um keinen Preis der Welt für Aussenstehende möglich! Das gleiche gilt für das Paella-Essen. So gehen wir zum Dorfladen, der drei Mal die Woche für jeweils zwei Stunden geöffnet ist. Dieser kann Konserven, Bier sowie die regionalen Würste und Käse anbieten, allerdings ohne Brot. Die freundliche Verkäuferin bemerkt unsere enttäuschten, hungrigen Blicke und rät uns zu einem Essen in der örtlichen Bar, die auch tatsächlich für Touristen geöffnet ist. Beim Betreten werden wir von einem halben Dutzend Augenpaaren scheu gemustert. Wir kommen uns wie Marsmenschen vor. Auf unsere Frage, ob wir hier auch essen können, zählt uns die ältere Dame hinter der Bar die Varianten auf – nicht ohne sich vorher bei der Köchin, wahrscheinlich ihre Mutter, abgesichert zu haben. Wir bestellen «un ensalada para compartir», je einen typischen spanischen «Plato Combinado», sowie zwei Cerveza. Der Salat ist frisch und reichlich, die Tagesteller bestehen aus einem Schweinsplätzli sowie einem -Rippli und -Wurst und werden mit Pommes und gedämpften Peperoni serviert. Es ist gute Hausmannskost! So probieren wir auch noch den hausgemachten Flan aus und bestellen zwei Kaffees. Satt und zufrieden verlangen wir die Rechnung. 25 EUR. Wir können es kaum glauben. Doch die Bedienung lässt keine Widerrede zu und lehnt auch die 2 EUR Trinkgeld ab. Allerdings sind wir hier überzeugender und sie steckt das Geldstück in die Tasche.
Nach 16:00 steigt die Spannung. Immer mehr Leute laufen zur Plaza Mayor. Es werden massive Schutzgitter, hinter der sich das Publikum in Sicherheit bringen kann, aufgestellt und Zu- und Abgänge gesperrt. Vor der Plaza Mayor ist eine Ambulanz postiert und zwei Polizisten kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. In einem aufgeregten Gespräch gehen sie mit zwei Organisatoren einen Stapel Papier durch und überprüfen gemeinsam eine unendlich lange Checkliste. Einer der Polizisten beharrt auf einem Detail, das nicht «koscher» sein soll.
Derweil werden von Tiertransportern Stiere und Rinder abgeladen. Alles ist bereit. Punkt 17:00 geht eine Sirene los … alle Anwesenden begeben sich in Deckung – mit Ausnahme jener mit überhöhtem Testosteronspiegel (vor allem junge Männer bzw. Torreros). Diese bleiben nonchalant ausserhalb der Schutzgitter stehen. Ein Käfig wird behutsam geöffnet und … ein gewaltiger schwarzer Stier bricht aus seinem engen Gefängnis aus. Er mustert kurz die neue Umgebung … und geht sofort zum Angriff über. Das Publikum raunt und schreit sich die Seele aus dem Leib. Junge aus dem Dorf messen sich gegenseitig in akrobatischen (und nicht immer ungefährlichen) Einlagen. Es geht darum, den Stier so zu reizen, dass er zum Angriff übergeht … um sich dann mit schnellen und agilen Bewegungen aus der Angriffslinie zu begeben. Ab und zu greift der Stier die Schutzkäfige an und versucht die dort verschanzten Personen mit den langen Hörnern aufzuspiessen.
Nach 15 Minuten läutet erneut die Sirene und der Stier wird von seinem «Leiden» befreit, indem er aus der Plaça Mayor «hinausbegleitet» wird. Es sind wahrscheinlich Tierschutzvorschriften, die dafür sorgen, dass die Tiere nicht länger als eine Viertelstunde geplagt werden dürfen.
Wir fragen eine junge Frau, ob es dies gewesen sei mit der «Peña Taurina» nun. Sie lächelt uns an und antwortet: «Nein, jetzt werden nacheinander die Rinder reingelassen.» Die Spiele werden bis um 20:00 dauern». Irgendwie freuen wir uns, dass es noch «etwas» zu sehen gibt. Und tatsächlich gehen die Rinder viel wilder ihre Show an. Sie sind flinker als der Stier und bei Weitem viel aggressiver. Gegen 19:00 haben wir genug gesehen und machen uns auf den Weg zum Campinglatz. Der Himmel ist jetzt schwarz und verheisst nichts Gutes. Wir möchten später um 21:00 zurückkommen. Es soll ein Stier, dem ein Feuerwerk an den Hörnern befestigt wurde, durch die Plaça Mayor gejagt werden. Wir verpassen leider dieses Spektakel. Infolge des erwarteten Gewitters haben die Organisatoren diese Einlage vorverlegt. Als wir im Dorf ankommen, beginnt es zu hat es regnen. Die Leute verlassen massenweise die Plaza Mayor und suchen unter den Vordächern der Häuser Schutz.
Wir trinken in der Dorfbar noch zwei Bier und schauen (ohne ein Wort zu verstehen … am Nachbartisch spielt eine Gruppe Jugendlicher Tischfussball und ist VOLL bei der Sache) die Austragung des Eurovision Song Contest aus Turin. Viel nackte Haut sowie ein paar kurlige Musiker in Wolfsmontur sind zu sehen.
Um 22:30 ist das Gewitter vorbei. Die Luft ist jetzt merklich kühler geworden. Den Grillen und Kuckucks scheint dies kalt am Arsch vorbeizugehen. Sie singen, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Es ist erstaunlich, welche Tiere man in der Nacht antrifft: Eine 70 cm lange Schlange, müht sich mit der Strassenüberquerung ab. Die Kälte hat sie träge gemacht. Sie schleicht langsam vorwärts, als ob sie unsicher wäre, ob sie sich auf dem «richtigen Weg» befände. Der Starke Lichtkegel unserer LED-Taschenlampe lässt sie glänzend erscheinen. Wir beobachten sie aus sicherer Entfernung (man weiss ja nie …), leider wird sie unmittelbar danach von einem vorbeifahrenden Auto überfahren. Eine riesige Grüne Kröte versucht, uns zu ignorieren und ein Centipedes, der auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit ist, kreuzt kurz danach unseren Weg.
Sonntag, 15. Mai, Formiche Alto – Albarracin
Wetter: Weiterhin «langweiliger» blauer Himmel.
Temperatur: 14 – 30°C
Nächster Halt Albarracin! Diese Stadt hat uns letzten September unglaublich beeindruckt. Wir wollen nochmals dorthin fahren und uns ein paar Tage in dieser schönen Umgebung ausruhen, da wir bereits seit einem Monat unterwegs sind. Ziel ist es, unseren Blog auf Vordermann zu bringen, die ersten Filmsequenzen zu bearbeiten und sonst … nichts tun was uns Mühe bereiten könnte.
Fabrizio hat in Wickiloc einige Pisten ausgesucht, die er auf dem Weg nach Albarracin, erkunden möchte. Hoffen wir, dass diese zugänglich sind … und so ist es. Gut … nein super! Die erste Piste führt uns durch Getreidefelder entlang der «Muelas», Bergformationen, die wage an die Tafelberge Südafrikas erinnern. Dank dem ergiebigen Frühjahresregen erscheinen die bestellten Felder in einem satten Grün. Allerdings ist ersichtlich (Fabrizios ex Agronomen-Auge bestätigt es), dass die Bauern nicht mit dem Düngen gegeizt haben. Man erkennt dies an den dunkleren, grünen Streifen, die die Getreidefelder wie Bahnen durchziehen.
Es gibt eine warme und angenehme Brise. Abgesehen von einem Bauern, der am Düngen ist, treffen wir auf niemanden. In der Nähe vom Dorf Villel steigt die Piste steil die Bergflanke hinauf. Wir treffen auf die ersten «ernsthaften» Auswaschungen. Da der Untergrund bereits ausgetrocknet ist, bewältigt Hannibal sie mit einem müden Lächeln. Ganz oben angelangt breitet sich vor unseren Augen die ganze Talebene mit den «Muelas» und der Stadt Teruel im Hintergrund aus. Das Licht ist fahl. Die sonst sehr gesättigten Farben der «Muelas» erscheinen trübe, wie durch ein Milchglas betrachtet. Schade! Zu einer anderen Tageszeit (z.B. zur goldigen Stunde) hätte das Panorama ein schönes Fotomotiv gegeben. Aber eben … wir reisen und müssen akzeptieren, dass wir nicht immer (fotografisch gesehen) zum Richtigen Zeitpunkt dort ankommen, wo es schöne Fotomotive und gutes Licht gibt. Fabrizio hatte zu Beginn unseres Reiseabenteuers damit etwas Mühe. Heute nimmt er es (häufig) gelassen … er.
Auf der Hochebene treffen wir auf weite Lavendelfelder, die aber noch nicht blühen. Wir streifen mit den Händen über die Büsche und riechen danach an unseren Fingern. Das Aroma ist betörend.
Die Talfahrt erweist sich als «easy», die Piste ist breiter geworden und Auswaschungen bleiben aus. Kurz vor Teruel möchten wir noch (als Krönung des Tages) eine 12 km lange Wanderung durch die «Muelas» unternehmen. Sie führt uns durch eine unglaubliche Landschaft. Orangefarbige senkrechte Felsenwände säumen den Wanderweg (eher eine Piste) bis wir zur Hochebene gelangen. Bauern haben das Dach der «Muelas» mit Getreidefeldern bestellt. Wir werden durch Schwärme von lästigen Fliegen willkommen geheissen. Einzig die regelmässigen Böen, die durch die Thermik die Felsenwände hinaufsausen, bringen etwas Entlastung. Der Wanderpfad schlängelt sich jetzt entlang der Felsenwand. Wir gucken hinunter mit der Hoffnung einen Steinbock zu sichten. Dieser Wunsch bleibt uns aber verwehrt.
Müde und verschwitzt kehren wir nach etwa 3 Stunden zu Hannibal zurück. Ein Regenschauer, der uns glücklicherweise um einige Kilometer verfehlt hat, lässt am Horizont ein Regebogen zurück.
Um 19:00 treffen wir auf dem Campingplatz in Albarracin ein. Nachdem wir uns den Staub abgewaschen haben, begeben wir uns mit schnellen Schritten zum Campingrestaurant. Wir haben keine grossen Erwartungen was die Speisequalität anbelangt … wir werden aber glücklicherweise des Besseren belehrt. Ein sehr schmackhafter gemischter Salat mit karamellisiertem Schafkäse gefolgt von grillierter Lammschulter und Pommes (Fabrizio) sowie grilliertem Poulet mit Pommes (Sabine). Drei Biere runden das Ganze ab.
Gute Nacht!
19. – 31. Mai: Albarracin – Valencia
Das Wichtigste in Kürze:
Wir besuchen den «Parque Natural del Alto Tajo» mit seiner wilden Landschaft. Folgen auf schönen Pisten den Rio Tajo auf eine Gesamtlänge von fast 130km. Klettern um den roten Felsenformationen, die das Dorf Chequilla wie eine Burgmauer schützen. Die Stadt Cuenca verschlägt uns mit seinem «Casco Historico» die Sprache und erleben in Valencia, neben ihren Schätzen, die Hektik einer Grosstadt.
Donnerstag, 19. Mai, Albarracin – Peralejos de las Truchas
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 32°C
Gestern Nacht hat es heftig geregnet. Es hat nicht lange gedauert … aber das Gewitter hatte es in sich. Wir müssen deshalb am Morgen noch eine Weile warten, bis die Markise und unser Dachzelt in der Morgensonne ausreichend trocknen, bevor wir sie zusammenfalten und versorgen können.
Der Tag fühlt sich gut an. Er fühlt sich so an wie eine Katze, die in leichtem Galopp zu dir kommt, um gestreichelt zu werden … was du auch selbstverständlich machst … bis sie plötzlich die Krallen ausfährt und dir ohne Vorwarnung eine schmerzhafte Erinnerung verpasst.
Und so kommt es … leider. Sabine ist kurz weggegangen, um das Morgengeschirr abzuwaschen, ich bereite Hannibal für die Abfahrt vor … so wie jeden Morgen. Dies ist unser Ritual, unsere Routine. Ich habe bereits alle Spanngurte der Markise entfernt, um sie reinfahren und zusammenfalten zu können als plötzlich ein heftiger Windstoss sie vom Boden abhebt und wie die Seite eines Buches über das Dach von Hannibal faltet. Dabei gehen zwei Gelenke (dank denen wir die Markise wie ein Fledermausflügel 270° um Hannibal ausfahren können) an ihren Sollbruchstelle kaputt.
Die Markise (ohne sie zu beschädigen) von Hannibals Dach herunterzufalten, erweist sich als ein schwieriges Unterfangen. Der Wind bläst jetzt unablässig und bei jedem Versuch die Markise anzuheben, füllt sie sich wie das Segel von einem von Christophorus Columbus Schiffes. Irgendwie, nach etlichen Versuchen gelingt es uns, sie zusammenzufalten. Glücklicherweise haben wir genau zwei neue Gelenke in unserem Ersatzteillager und … nach reichlicher Überlegung, finden wir auch heraus, wie wir sie ersetzten können. Danach schauen wir uns schweissgebadet an, seufzen tief und sagen unisono «Uff!»
Gegen 12:00 verlassen wir Albarracin in Richtung Tragacete. Die Strasse schlängelt sich entlang einer mächtigen Schlucht. Wir treffen kaum auf Gegenverkehr. Ziel der heutigen Fahrt über eine Piste, die Fabrizio von Wikiloc heruntergeladen hat, ist der «Parque Natural del Alto Tajo». Der Track folgt dem Rio Tajo. Er ist anfänglich breit und problemlos zu befahren. Wir holpern fröhlich durch dichte Wälder.
Das Sonnenlicht «flackert» durch die Baumkrone, eine warme Brise wärmt die Umgebungsluft auf sowie Hannibals Standheizung unseren «tiny room» aufwärmt. Wir befinden uns in den Vorposten des «Parque Natural del Alto Tajo». Bereits jetzt kündigen sich die gewaltigen Bergformationen an, die uns in den kommenden Tagen so faszinieren werden.
Manchmal begnügen sich die Katzen nicht nur mit einem Angriff … sie wiederholen ihn … vielleicht aus reinem Spass. Und so rasseln wir unerwartet in das zweite Tagesunheil hinein. Am Rand der Piste sichten wir, etwas von den Büschen abgedeckt, eine Warntafel: «Achtung, 30% Gefälle!». Fabrizio stellt den Motor ab und besichtigt kurz, was auf uns zukommen wird. Sein Verdikt: «Es ist machbar! Die Piste hat einen festen Untergrund, ist steinig aber eben … machbar». Wir schalten die Untersetzung ein und fahren mit Vorsicht den Berghang hinunter. Es rüttelt und schüttelt, kleine und grosse Steine spicken unter dem Druck der Räder weg. Plötzlich ist die Piste durch einen Steinschlag teilweise versperrt. Für Hannibal ist hier kein Durchkommen. Fabrizio steigt aus, analysiert kurz die Lage und beginnt, den Weg von den blockierenden Steinen zu befreien. Jetzt schleichen wir langsam vorwärts und es gelingt uns problemlos, diese kritische Stelle zu passieren. Weiter unten treffen wir auf sehr tiefe Auswaschungen. Diese laufen teilweise parallel, teilweise mit einem fast rechten Winkel zur Piste. Die Konzentration in Fabrizios Kopf ist spürbar. «Nur keinen Schaden an Hannibal verursachen» ist das Mantra, das sich in seinen Hirnwindungen wie ein Sommerhit festgesetzt hat.
Endlich haben wir die Talsohle erreicht. Vor uns ein Fluss, der überquert werden muss. Fabrizio durchwatet ihn, um die Tiefe zu messen (knapp 80cm), die Festigkeit des Untergrundes zu prüfen (steinig und kompakt) sowie die Fliessgeschwindigkeit (mässig) zu spüren zu Fuss. Bäume, falls wir die Winde einsetzen müssten, sind zur Genüge vorhanden.
Wir schalten in den zweiten Gang mit Untersetzung und, … um «sicher zu gehen», auch die hintere Differentialsperre ein. Der ARB-Luftkompressor brummt, das Licht der hinteren Differentialsperre leuchtet jetzt blau auf … «Lets go!». «A piece of cake!». Nach nicht einmal 30 Sekunden tauchen wir am gegenüberliegenden Flussufer wieder auf. Fabrizio schaltet die Sperre aus und lässt zu Sicherheit Hannibal kurz zurückrollen (so sollte sich die Sperre jetzt «unlocked» haben). Leider merken wir auf der Weiterfahrt, dass etwas mit den hinteren Rädern nicht stimmt. Beim Kurvenfahren schleifen sie ein wenig. Beweis genug, dass die Räder sich immer noch «synchron» drehen. Wir stoppen, schalten die Sperre nochmals ein und aus. Sie bleibt blockiert. Wir wiederholen diese Prozedur mehrmals. Fahren ein wenig vorwärts und rückwärts, um das «Entsperren» zu unterstützen. Nichts passiert! Etwas Panik macht sich breit. «So dürfen wir nicht auf Teerstrassen fahren!», sagt Fabrizio. «Dies würde die Sperre zerfetzen!». Als wir in Peralejos de las Truchas ankommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Garagisten in der Schweiz anzurufen und ihn, um Rat zu bieten. Es ist 19:45! Wir haben Glück, er ist bereit, sich mit uns über unser Problem zu bücken. Wir folgen seiner Empfehlung auf Schritt und Tritt. Trotzdem bleibt die Differentialsperre blockiert.
Im Schneckentempo fahren wir die 5 km bis zum nächsten Campingplatz. Er ist geschlossen! Wir sichten jedoch jemanden auf der anderen Seite des eingezäunten Geländes. «Disculpe» ruft Fabrizio. «Tenemos un problema tecnico y no podemos manejar el coche». «Es possible de quedarnos aqui por la noche?» Er antwortet uns, dass das Camping erst morgen aufgehe, aber wir den Besitzer fragen können der gegen 21:00 vorbeikommen wird. In der Zwischenzeit, auf den «dueño» wartend, «werkelt» Fabrizio am Problem Differentialsperre. Irgendwann beim Rückwärtsfahren (Fabrizio bewegt Hannibal auf dem Parkplatz hin und her und schaltet die Sperre ein und aus) hören wir ein lautes «Knacken». Die Sperre hat sich endlich gelöst.
Wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob das «Knacken» ein gutes bzw. schlechtes Omen ist. Gegen 21:30, der «dueño» ist noch nicht aufgetaucht, können wir auf den Campinglatz fahren. Der Stellvertreter des Besitzers (es stellt sich später aus, dass er der Koch ist) entschuldigt sich für die Wartezeit und informiert uns, dass wir erst am kommenden Morgen über warmes Wasser in den Duschen verfügen werden. Uns ist dies egal. Wir kochen eine Portion Teigwaren und legen uns zu Bett. In kurzer Zeit schlafen wir erschöpft ein. Nur ein Kuckuck in der Ferne legt noch eine Nachtschicht ein. Übrigens, für diese Nacht müssen wir nichts bezahlen! «Que generosidad! Muchas gracias!»
Freitag, 20. Mai, Peralejo de las Truchas
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 32°C
Der gestrige Tag lastet am Morgen noch schwer auf uns. Im Zweifel, ob nicht tatsächlich etwas kaputt gegangen ist, bockt Fabrizio Hannibal nach dem Frühstück auf und versucht zu prüfen, ob die Differentialsperre korrekt arbeitet. Er examiniert insbesondere, ob die Sperre «gegriffen» hat oder nicht, und schaltet sie immer wieder ein und aus, dabei dreht er das freiliegende Rad. Vergebens. Um auf anderen Gedanken zu kommen, entscheiden wir uns kurzerhand eine Wanderung zur Schlucht «Estrecho del Horcajo» in Angriff zu nehmen. Vom Campingplatz aus sind es ca. 13 km retour und ca. 600 Höhemeter sind zu bewältigen. Unterwegs treffen wir auf zwei Schlangen (der Koch wird uns bei unserer Rückkehr bestätigen, dass sie nicht giftig sind). Die Schlucht ist bombastisch. Unter einem mächtigen Felsenvorsprung, der gerade noch von der letzten Abendsonne erwärmt wird, geniessen wir die Sicht und verdrucken dabei einen Müeslistengel.
Nach den gestrigen Emotionen lassen wir uns nach dem Eindunkeln vom Restaurant des Zeltplatzes verwöhnen. Mit Niedergar geschmorte Schweinebacken und dazu weiche Pommes (Fabrizio), Involtini di Manzo mit Salat (Sabine). Als Vorspeise kredenzt uns die Küche ein unvergessliches Ratatouille (Pistou) mit Spiegelei. Begleitet wird das Ganze von einem herb-süsslichen Wein aus der Gegend mit 13% Alc. (gewöhnungsbedürftig aber durchaus trinkbar).
Samstag, 21. Mai, Pistenfahrt im Parque Natural del Alto Tajo
Wetter: Schleierwolken, Temperatur: 15 – 34°C
Heute wird Piste gefahren. Wir «begleiten» den Rio Tajo auf einer Strecke von ca. 120 km durch teilweise atemberaubende Schluchten. Ca. 5 km südlich von Peralejos de las Truchas beginnt die Piste. Der Fluss Tajo mäandriert gemütlich zwischen brachialen Felsenformationen. Hie und da bildet er einen kleinen Teich und dann wieder überwindet er einen Geländestufe mit einem kleinen Wasserfall. Seine smaragd-grüne Farbe leuchtet in der Morgensonne. Unterwegs treffen wir auf die ersten (und bis am Abend werden es nicht die Letzten sein) Hardcore Velofahrer. Mit ihren beladenen Mountainbikes kämpfen sie sich durch die unebene und teilweise steinige Piste. Glücklicherweise wurden für sie und die Wanderer in regelmässigen Abständen Trinkwasserbrunnen und Pausenplätze eingerichtet. Nichts destotrotz beugen wir uns voller Respekt vor diesen modernen Gladiatoren. Was sie auf dieser Strecke körperlich leisten, überlassen wir getrost Hannibal und seinen 123 Pferden.
In der Nähe von Zaorejas möchten wir zu Fuss den «Mirador del Tajo», eine Aussichtsplattform, die auf einer Felsspitze errichtet wurde und die eine Weitsicht über den Parque natural bieten soll, erklimmen. Daraus wird nichts. Nach den ersten Hundert Metern wird der Wanderweg zu einem reissenden Bach und ist nicht mehr begehbar. Wir kehren zum Parkplatz zurück, wo wir Hannibal im Schatten einer Rottanne zurückgelassen haben. Auf dem Weg nach unten gleitet Fabrizio auf einer dicken Schicht getrockneter Blätter, die den Wanderweg wie ein Teppich überziehen, aus und fliegt kopfvoran den Berghang hinunter. Nach ca. 10 m Flugweg landet er etwas abgedämpft auf Sträuchern. «Nichts passiert!» Schreit er von unten hoch, selber noch vom Geschehenem überrascht.
Nach genauem Studium unserer Topokarte merken wir, dass der «Mirador del Tajo» AUCH bequem per Auto zu erreichen ist. Nach dem Schreck über Fabrizios Sturz, lassen wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen. Die Sicht von oben ist zwar schön, reisst uns aber nicht aus den Socken. Die Sonne steht noch hoch am Himmel und bleicht mit ihrer Kraft die Farben aus. Zudem trüben die Schleierwolken die Weitsicht und …. nicht zuletzt lässt die horrende Hitze, die beinahe die Steine zum Schmelzen bringt, eine gemütliche Pause nicht zu.
Bis zu diesem Zeitpunkt führte uns die Piste entlang der Talsohle. Links und rechts des Weges stehen kerzengerade gewachsene Kiefern (hauptsächlich Rottannen) und spenden uns angenehmen Schatten. Für den Rückweg nach Peralejos de las Truchas wählen wir eine andere Route, die sich vom Dorf Cuevas Labradas auf einer Krete entlangschlängelt. Obwohl die Landschaft hier oben flach ist, treffen wir kaum auf bestellte Felder (sowie zum Beispiel in den «Muelas» südlich von Teruel). Wir kreuzen eine Handvoll Bauernhofruinen, die für die selten «Vorbeifahrenden» als Zeugen einer harten Vergangenheit stehen. Die flachen Felder sind mit Steinen übersäht (sie erinnern eher an einen Steinbruch als an einen Acker) und scheinen kaum über den für das Gedeihen von Kulturpflanzen notwendigen Humus zu verfügen. Falls hier in der Vergangenheit etwas angebaut wurde, dann nur in mühseliger Arbeit und mit mickrigen Erträgen. Ein Bauer in Orea bestätigte uns dies ein paar Tage später. Um von der Landwirtschaft leben zu können sind mind. 300 Hektaren nötig.
Sonntag, 22. Mai, Pistenfahrt im Parque natural del Alto Tajo (Peralejos de las Truchas – Orea)
Wetter: Bewölkt, Temperatur: 15 – 23°C
Wir setzen unsere Rundfahrt durch den «Parque natural del Alto Tajo» fort. Kurz vor dem Dorf Chequilla parkieren wir Hannibal in einer Waldlichtung und besichtigen die bizarren Felsenformationen, die das Dorf wie Wachtürme einer längst verschwundenen Burg beschützen, zu Fuss. Vom Vogelgezwitscher und dem Zirpen der Grillen begleitet, betreten wir diese «terra incognita». Ein kaum ersichtlicher Pfad windet sich durch versteinerte «Riesen». Uns kommen Bilder der südlich von Darwin und vom «Litchfield National Park» gelegenen «Lost City vor Augen.
Bis zum Dorf Orea und seinem gleichnamigen Campingplatz fahren wir durch dichte Wälder und offenes Grasland. Eine breite und einfach zu befahren Piste. Alles in Allem bereits bekannte Landschaften.
Wir teilen uns den riesigen Campingplatz mit einem jungen Paar und ihrem putzigen Hund sowie einer kleinen Gruppe von französischen Offroadern, die erst bei Eindunkeln eintreffen. Es ist noch «temporada baja» (Tiefsaison). Der Campingplatz ist zwar geöffnet, aber es sind keine Service vorhanden. Nur die sanitären Anlagen sind zugänglich und es gibt warmes Wasser fürs. Morgen werden ich und Sabine hier die alleinigen «Herrscher» sein. Es wird bis zu unserer Abfahrt kein weiterer Kunde einchecken. Ein beklemmendes Gefühl, um ehrlich zu sein. Dafür herrscht aber hier Ruhe pur!
Montag, 23. Mai, Orea
Wetter: Bewölkt mit blauen «Fetzen», Temperatur: 9 – 25°C
Die Nacht war kalt! Gemäss Wettervorhersage werden die Temperaturen in den kommenden Nächten nahe am Gefrierpunkt liegen. Brrrr! Um dies zu überstehen, werden wir heute die wärmenden Sonnenstrahlen wie Eidechsen «einsaugen». Nach einer wundervollen, 16 km langen Wanderung zur «Laguna de Salobreja», sind unsere Batterien wieder mit Wärme aufgeladen.
Die Lagune liegt umgeben von Wiesen in einer kleinen Talsenke und ist Heimat von tausenden quakender Frösche. Ein Teppich weisser Wasserblumen breitet sich wie ein Kranz am Teichrand aus. «Es ist friedlich hier», sagt Sabine. Ich nicke zustimmend mit dem Kopf und vertilge genüsslich meinen zweiten Energy-Bar.
Dienstag, 23. Mai, Orea – Cuenca
Wetter: Blauer Himmel mit zunehmender Bewölkung, Temperatur: 6 – 25°C
Die Nacht war wieder kalt! Zum Glück verfügen wir über eine Standheizung. Sie erleichtert uns am Morgen «das sich aus den warmen Schlafsäcken Herausschälen» ungemein. In einer 170 km Fahrt erreichen wir heute die Weltkulturerbe-Stadt Cuenca. Wir folgen dem Fluss Jucar von seiner Quelle in der Schlucht «Estrecho del Infierno» in der Nähe von Tragacete bis nach Cuenca. In Jahrmillionen hat das Wasser sich durch das Muttergestein hindurchgefräst und eine Landschaft der Superlative hinterlassen. Steile und glatte Felsenwände, Felsenwände, die wie gigantische Schwämme oder wie aufgetürmten Focaccia-Brote aussehen.
Mittwoch, 24. – Donnerstag, 25. Mai, Cuenca
Wetter: Blauer Himmel mit zunehmender Bewölkung, ein sehr kalter Wind zerzaust uns ständig die Frisur, Temperatur: 4 – 30°C
Nach Tagen der Einsamkeit, tauchen wir wieder in die Betriebsamkeit einer Kleinstadt (55’000 Einw.) ein. In Hannibals Kühlschrank hat sich eine gähnende Leere eingenistet, die es verdient, endlich beseitigt zu werden. Wir gehen einkaufen. Dabei handelt sich immer um einen Seiltanz. Unser Kühlschrank ist mit einem Volumen von 26 Litern eher klein. Wir versuchen, Frischprodukte so häufig wie möglich zu kaufen, sodass wir sie ohne lange Lagerungszeit verzehren können. In Spanien greifen wir immer gerne zum leckeren «Convenience-Food-». Dieses ist durchaus von guter bis sehr guter Qualität und benötigt in der Vorbereitung wenig Zeit und verbraucht zudem wenig Gas. Darunter fallen die «Tortillas con cebollas», die Ravioli der Marke «Rana», der fertige Couscous-Salat der Marke «Hacendado» sowie unterschiedlicher Hummus, Frischkäse und «embutidos» (Wurstwaren … kann man hier in Spanien nicht, nicht essen) und zu guter Letzt die bereits gekochten Hülsenfrüchte im Glas. Das im Supermarkt angebotene Gemüse und die Früchte leiden auch in Spanien unter dem gleichen Problem wie in der Schweiz, sie werden häufig unreif verkauft und benötigen noch eine gewisse Zeit bis sie ihren vollen Geschmack entwickeln. Und dies, obwohl wir uns im «Erzeugerland par excellence» befinden.
«Ich habe gemeint, in Spanien sei es immer warm»! sagt Fabrizio zu einer Kassiererin in Cuencas Supermarkt «Mercadona». Sie antwortet mit einem breiten Lächeln «Ja, an der Küste mag dies wahr sein, hier in Zentralspanien frieren wir uns häufig die Nüsse ab.»
Nach dem Einkaufen lassen wir Hannibal auf dem Parkplatz des Supermarkets zurück und begeben uns zum historischen Zentrum (Casco Historico) Cuencas. Was für ein Weltwunder! Was für eine pittoreske Lage! Zum wiederholten Male eine Stadt, die auf einem schützenden Felsplateau (in diesem Fall zwischen den Schluchten der beiden Flüsse Júcar und Huécar) errichtet wurde.
Als die Mauren am Anfang des 8. Jahrhunderts die Region eroberten, erkannten sie die strategisch günstige Lage dieses Standortes und erbauten eine Festung. Die Altstadt dominiert heute von oben über die neu entstandenen Quartiere in der Ebene. Wir schleichen uns den Hügel hinauf. Durch die engen Gassen bläst ein eisiger Wind. Obwohl man an der prallen Sonne sehr schnell zum Schwitzen kommt, herrschen im Gassengewirr des historischen Kerns noch «sibirische» Temperaturen.
Die alte Bausubstanz ist in einem sehr guten Zustand und sieht auch nach mehr als einem Jahrtausend prächtig aus. Ein Markenzeichen sind die «casas colgadas» (hängenden Häuser) sowie unzähligen farbigen Gebäude in der Calle Alfonso VIII, die zur Plaza Mayor führt. Über eine Eisenbrücke (Puente de San Pablo) gelangen wir auf die Gegenseite der Schlucht, von wo die Altstadt in seiner ganzen Pracht gut zu sehen ist. Die Sonne liegt, fotografische gesehen, günstig und die Gebäude leuchten in einer hellen orangen Farbe. Im Innenhof des «Parador de Cuenca», der gleich in der Nähe der Brücke liegt, geniessen wir zwei Gläser vorzüglichen Verdejo aus der Region und erholen uns von den «Strapazen» des Morgens. Nach Flüssigem muss unbedingt etwas Festes in unseren Magen (ja … wir sind fast immer hungrig unterwegs!).
In der Calle de Julian Romero befinden sich diverse «gute» Restaurants, die aber entweder sehr teuer, noch nicht offen oder bereits geschlossen sind. Am Ende der Strasse gelangen wir zum «Castillo», regionaler Hauptsitz der ehemaligen Inquisition. Ein düsteres Kapitel der menschlichen Geschichte. Ein kalter Schauder (bei 30° Lufttemperatur) läuft uns den Rücken hinunter. Bilder aus «Der Name der Rose» tauchen vor unserem inneren Auge auf. In diesem Gebäude wurden «Andersdenkende», Menschen die die «alleinige und einzige Wahrheit» der katholischen Kirche angezweifelt haben und solche die zu eigenständig oder emanzipiert waren, geläutert bzw. bekehrt. Die angewendeten Methoden dazu unterscheiden sich unwesentlich von denen, die noch heute von einschlägigen Regierungen angewendet werden, um politische Widersacher zum Schweigen oder zum Verschwinden zu bringen sowie «lästige Ethnien» zu verscheuchen oder auszurotten. Mensch ist Mensch und bleibt Mensch.
Trotzt dieser düsteren Gedanken finden wir ein Restaurant (Piola Gastrobar). Wie es sich herausstellen wird, ist es leider ein Reinfall. Obwohl die sehr schicke Innendekoration und Beleuchtung auf ein gehobenes Lokal schliessen lassen, sind die von uns ausprobierten Speisen eher von mittelmässiger bis schlechter Qualität. Sabine bestellt einen Salatteller mit «Wachteln in Escabeche», grünem Salat und roten Früchten. Ich bestelle Weissfisch (die Kellnerin konnte mir nicht sagen, um welchen Fisch es sich handelt) im Backofen gebacken mit Gemüse. Na ja, … der Salatteller ist zur Hälfte in einer dicken Cumberlandsauce ertränkt (den sogenannt und einzigen «roten Früchten») und die andere Hälfte enthält etwas Wachtelfleich, ganze Datterini Tomaten und ein Paar grüne Salatblätter, die durch die Cumberlandsauce «zermanscht» sind. Obendrauf «thront» ein «Gitter» aus reduziertem Aceto Balsamico (Anfängerdekoration), als ob das Ganze noch zusammengehalten werden müsste. Der Teller hat eine Temperatur, die Nahe am Nullpunkt liegt und scheint direkt per Express vom südlichen Polarkreis zu kommen. Gemessen an der Menge Cumberlandsauce hätte dieser Teller eher zum Frühstuck mit Brot und Butter als zu einem leichten Mittagsessen gepasst. Sabine weigert sich, dieses Gericht zu essen. Ich muss daran glauben und mich selbst ans Werk machen! … Ach ja, fast vergessen! Mein Fisch war geniessbar, aber kalt. Vermutlich hatte der Koch vergessen, den Backofen anzumachen. Als Gemüse werden drei Streifen Peperoni zum Fisch serviert. Fazit: es war das erste Mal, dass wir in Spanien überhaupt so schlecht gegessen haben. Es gibt nichts was uns noch mehr enttäuscht und in Rage bringt als schlechtes, teures Essen!
Es ist Donnerstagmorgen um 08:00 und in Hannibals Bauch herrscht eine eisige Temperatur von 4°C. Die Standheizung leistet das, wofür sie gebaut wurde … sie heizt! Heute haben wir einen Ruhetag eingeplant. Sabine mach sich an die Wäsche … nicht meine … ich schreibe Tagebuch und bearbeite die Bilder für unsere Internetseite.
Freitag, 25. – Montag, 28. Mai, Cuenca – Valencia
Wetter: Blauer Himmel und sehr warm (wir erleben unsere erste tropische Nacht in Spanien in Valencia), Temperatur: 18 – 33°C
Valencia steht schon seit geraumer Zeit auf unserer Wunschliste. Die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» des berühmten Architekten Calatrava zieht alle, die eine Fotokamera in der Hand halten können, magisch an. Wir fahren auf dem direktesten Weg zum 230 Kilometer entfernt liegenden Camping und erreichen Valencia am frühen Nachmittag. Nach so viel Wildnis im «Parque Natural de Alto Tajo» ein echtes Kontrastprogramm. Dem gemütlichen Pistenfahren durch die Wälder des Nationalparks haben wir heute Morgen «tschüss, adieu, hasta la vista» sagen müssen. In den Aussenquartieren von Valencia wird nun gehupt, gedrängelt und Kolonne gefahren. Hierher verliert sich auch kein Reh, kein Schmetterling, keine Eidechse. Keine Adler oder kreisende Bartgeier sind am Himmel zu sehen. Wie eine Burgmauer umgeben diese modernen Ballungszentren mit ihren «üblichen» Einkaufs-Mekkas, Doit-Yourself-Zentren, Werkstätten, Gartenzentren, Autoverkaufspalästen … und viel … zu viel Verkehr die City. Leute, die zum Kaufen animiert werden, bekommen bekanntlich auch schnell Hunger. Und so stehen etliche Fast-Food-Oasen als sichere Rettungsanker vor dem Verhungern inmitten dieses gigantischen Souks. Saftige Burgers und Steaks lachen einem von den hohen Werbetafeln entgegen und … verfehlen nicht ihre Wirkung … unser Magen meldet sich mit einem kleinen Knurren.
Im Camping «Devesa Gardens», einer Mischung aus Campingplatz, Event-Centre und Vergnügungspark am Rand des Albufera Naturparks lassen wir uns für die nächsten Tage nieder. Von hier aus können wir bequem mit dem Bus (die Haltestelle liegt günstig direkt vor dem Campingplatz) das Stadtzentrum in einer 40-minutigen Fahrt erreichen. Die Fahrt kostet «läppische» 1.5 EUR/Person. Hannibal freut sich, sich nicht durch den Stadtverkehr kämpfen zu müssen und geniesst so auch ein Paar Momente der Ruhe.
Gleich am ersten Abend besichtigen wir die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias». Die gigantischen Bauten Calatravas sind bereits von weit weg zu sehen und dominieren die Skyline der Stadt. Fabrizio jucken bei dieser einzigartigen Stadtsilhouette – im Vordergrund die vom Stararchitekten kreierten Museen sowie das Opernhaus und im Hintergrund die anonymen Häuserschluchten einer Grossstadt – die Hände und er greift schnell zu seiner Kameraausrüstung.
Diverse Zonen sind für das Publikum vorübergehend gesperrt, da Vorbereitungsarbeiten für ein Konzert (Bühne und Technik werden aufgebaut) laufen. Wie zu erwarten, «hängen» hier viele Touristen herum. Eine Schar Italiener läuft lärmend an uns vorbei. Es wird animiert übers Essen geredet, what else. Sie haben am Mittag eine schlechte Paella kredenzt bekommen und jetzt wird laut darüber lamentiert. Eine Klasse Primarschüler in Uniform strömt wie eine unbändige Lavine aus einem Gebäude heraus und breitet sich kreischend um uns herum aus. Die mahnenden Worte der Lehrer bleiben ungehört.
Man kann sich selbstverständlich streiten, ob die von Calatrava entworfenen Gebäude «schön» bzw. «ansprechend» sind oder nicht. Aber wenn ich die Bilder von der «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» sehe, weiss ich sofort, dass es sich um Valencia handelt.
Was anderen Städten gewagt haben, hat Zürich als «Weltstadt» meines Erachtens komplett versäumt. Hamburg hat, trotz aller Widerstände und Kosten die Elbphilharmonie errichtet, die die Besucher in Scharen anzieht. Bilbao hat sich ein Museum der Superlative geleistet und sich damit selbst vor dem finanziellen Ruin gerettet. Kopenhagen hat einen architektonisch sehr ansprechenden Neustadtteil gebaut und Calatrava hat sich in Valencia mit der Ciudad ein Denkmal gesetzt. Und Zürich? Ach ja, … die Betonwüste der Europaallee ist das erste was ein Besucher vor die Augen bekommt, wenn er in den Hauptbahnhof einfährt und aussteigt. Hochgradiges Bünzlitum, ohne Mut und ohne Visionen. Es gilt die Devise: «jeder Quadratzentimeter muss Rendite abwerfen, auf Teufel kommt raus.»
Am zweiten Tag (es ist Samstag, der 28. Mai) entscheiden wir uns, den Hafen zu besichtigen. Von der «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» ist es ein ca. 3.5 km langer Spaziergang entlang Valencias Peripherie. Es ist zwar bereits später Nachmittag aber die Hitze hat sich in den Strassen und Gassen Valencias fest eingenistet. Wir kommen gehörig ins Schwitzen. Der Hafen (mit zwei Bauten des Architekten Chipperfield) und der Strand haben sich zu einer Art Partymeile entwickelt. Laute Musik und festende Leute geniessen unbekümmert die sommerliche Hitze und suchen Abkühlung mit einem Sprung ins kühle Wasser des Hafenbeckens.
Eine Gruppe leicht beschwipster junger Männer feiert eine Junggesellen-Party. Der künftige Bräutigam ist mit einer silbrigen Perücke und einem grün leuchtenden Borat-Bikini ausstaffiert. Er scheint dabei nicht verlegen zu sein, «Alkohol verleiht bekanntlich Flüügel» … oder war es etwas Anderes? Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbecken treffen wir auf die künftige Braut und Ihre Junggesellinnen-Abschiedsparty. Hier geht es etwas gesitteter zu. Zwar ist auch hier der Alkoholpegel nahe an der unteren Explosionsgrenze, aber im Moment wird nur gekichert und laut gesungen.
Es fällt uns auf, dass viele Personengruppe im Ausgang eine Art Uniform tragen. Eine Art «Erkennungszeichen». Damit keiner im Suff verloren geht? Oder aus Zugehörigkeitsgefühl? Oder aus anderen Gründen? So sehen wir zum Beispiel eine Gruppe Frauen, die allesamt eine rote Rose in die Haare gesteckt haben. Weiter vorne trägt eine Gruppe Menschen das gleiche gestreifte T-Shirt. Unter den Palmen in der Nähe des Strandes trägt eine Gruppe junger Frauen das gleiche orangefarbige Stretchkleid.
Als das Gedränge für uns zu gross wird, machen wir uns auf die Suche nach einer Bar. Im «Grand Martinez», einer Bar mit einem sehr schönen Jugendstil-Dekor, bestellen wir uns zwei Gläser Verdejo aus der Region und lauschen dem Gespräch unseres telefonierenden Tischnachbars. Er scheint für die Logistik eines der grossen Kreuzfahrtschiffe, die im Hafen vor Anker liegen, verantwortlich zu sein. Offenbar erzählt ihm seine Frau von den Schulproblemen des gemeinsamen Sohnes. Der Vater bemüht sich, aus der Ferne allerhand Empfehlungen, wie man jetzt das Problem «Sohn-Schule» lösen könnte, abzugeben. Aber eben … Ratschläge ersetzen keine Präsenz. Er scheint überfordert …
Als wir gegen 21:00 wieder in die Nähe der Ciudad kommen, ist das Open-Air-Konzert in vollem Gange. Von der Auto- und Fussgängerbrücke «Pont l’Assut de l’Or» hören wir die Musik und erhaschen einen Blick in das innere der Veranstaltung, auf die Menschenmenge, die Licht- und Videoshows und die Künstler in der Grösse einer Stecknadel. Auf der Brücke stauen sich der Verkehr und die mit jeder Minute stärker animierten Fans. Wir beobachten für eine gute Weile dieses Getümmel und besteigen dann müde und mit Eindrücken gesättigt den Bus zurück zu Hannibal.
Diesen Sonntag möchten wir wie die Spanier feiern: Wir putzen uns raus und reservieren einen Tisch in einem Restaurant in Valencia auf 14:00 und begeben uns eine gute Stunde vorher auf den Weg. Mit uns wartet eine telefonierende Frau auf den Bus. Sie schaut immer wieder nervös auf die Uhr. Der Bus erscheint nicht. Er ist im dichten Verkehr stecken geblieben. Alle Spanier wollen an diesem heissen Frühlingswochenende an den Strand und von dort über Mittag essen gehen. So stauen sich die Autos dicht an dicht auf der vor Hitze flirrenden Strasse. Die Blechbüchsen verteidigen wacker ihre Position. Kein Zentimeter wird hergegeben, schon gar nicht gegenüber dem ÖV. Nach ca. 25 Minuten taucht unser Bus in der Kolonne auf…
Mit ¼ Stunde Verspätung erreichen wir das kleine Restaurant der Arrosseria Boscà 29, eine ruhige Oase wie von einem anderen Planeten. Wir entspannen uns bei einer Flasche Albariño und einem vorzüglichen Reisgericht. Die professionelle Bedienung trägt zu unserem Wohlbefinden bei.
Nach gut zwei Stunden stellen wir uns und wieder dem Asphalt und der Hitze. Auf unserem Jugendstilspaziergang schlendern wir durch das Russafa-Quartier (ein sicherlich an Werktagen und abends sehr lebendiges und interessantes Gebiet mit vielen Restaurants und kleinen Läden) zur Estacion del Norte mit anschliessender Stierkampfarena und dann weiter zur ehemaligen Markthalle «Mercado de Colon», in der nun viele Restaurants und Bars sich installiert haben. Hier scheint sich die halbe Stadt, die nicht am Strand ist, versammelt zu haben und diskutiert animiert. Wir benötigen nach dem Streifzug durch die leeren und heissen Strassenzüge eine Pause und mischen uns unter die vielen Gäste, die sich einen Apéro mit oder ohne Tapas genehmigen. Wir bestellen uns unseren ersten «Sangria», der in einem grossen, sehr grossen Glas serviert wird. Er ist sehr fruchtig, mit wenig Alkohol und sehr erfrischend. Als wir aufstehen spüren wir die Müdigkeit. Die Erkundung des eigentlichen Altstadtkerns verschieben wir auf Montag oder Dienstag. Wir haben ja Zeit …
Am Montag legen wir einen Ruhetag ein. D.h. Fabrizio verarbeitet Fotos, wir beide arbeiten am Blog, machen etwas «Haushalt», gehen eine leckere Paella im Restaurant des Campings essen, Sabine spielt Coiffeur mit Fabrizio, der danach gegen Abend zum Fotoshooting in die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» aufbricht.
01. Juni – 03. Juli: Valencia – Antequeras
Das Wichtigste in Kürze:
Die „Sierra Espuña“ mit seinem gewaltigen Berg „El Berro“ und den „Barranco de Gebas“. Die „Sierra Maria“ mit dem Dorf Vélez Blanco und seiner beeindruckenden Burg. Die Wüste von Tabernas wo die „Spaghetti-Western“ geboren wurden und die Wanderung entlang „La Senda de Agua“ von Nijar nach Huebro.
Das hochgelegene Dorf Trévelez (Hauptzentrum des Jamon Serrano) in der Sierra Nevada. Der Besuch des kleinen aber feinen Restaurants „Betula Nana“ in Granada. Und zum Schluss der Naturparl „El Torcal“ in Antequera.
Mittwoch, 1. Juni, Valencia – El Berro
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 16 – 32°C
«Baby come! Babyy?» «Baby come! Babyy?» Was sich wie die Aufforderung aus einem billigen Sexfilm anhört, sind in Tat und Wahrheit die verzweifelten Rufe einer Holländerin, die ihren vierbeinigen Sonntagsbraten auf dem Campingplatz verloren hat. Der Köter ist anscheinend ein Meister im «Ausbüxen» und schleicht sich ständig aus dem Wohnwagen seiner Herrin weg und erkundet auf eigene Faust die weite Welt des Campinglatzes. Als ob die peinlichen Rufe nicht genug wären, versucht sie, den Flüchtigen mit einer Schachtel Hundebiskuit zu ködern. Sie schüttelt die Schachtel mit einer solchen Kraft, dass man meinen könnte, eine Klapperschlange sei aufgescheucht worden. Wir beobachten dieses Treiben und lachen verschmitzt hinter vorgehaltener Hand. Einer der holländischen Campingplatzgäste ruft plötzlich so etwas wie «Hier ist er! Kommen Sie hierher!» Alles umsonst. Kaum kommt die Besitzerin angerannt, schon ist der Hund wieder verschwunden. Das Katz und Maus- oder besser Hund und Herrinnen-Spiel zieht sich über eine satte Stunde hinweg, bis wieder Ruhe einkehrt.
Dies war unsere letzte Nacht in Valencia. Nach vier herrlichen Paellas, etlichen Kilometern zu Fuss durch die Strassen dieser Metropole, verlassen wir diese reizende Stadt und fahren in Richtung Südwest. Unser Ziel ist der «Parque Regional de la Sierre Espuña».
Zuerst durqueren wir den Reisgürtel, südlich des «Parque Natural de Albufera». Hier sind die Bauern bereits daran, die Felder maschinell so vorzubereiten, dass die nächste Reis Saat ausgebracht werden kann. Mit schwerem Geschütz bearbeiten sie den trockenen Boden und verursachen dabei Staubwolken von biblischer Grösse.
Wir umfahren Alicante und nehmen im Dorf Ricote (nördlich von Murcia) die Piste in Angriff, die bis nach Lissabon führt, wenn wir ihr bis an ihr Ende folgen würden, was zurzeit noch nicht entschieden ist.
Das enge Tal von Ricote könnte durchaus was die aride Landschaft und den Städtebau betrifft in Marokko oder im Oman liegen. Die kleinen erdfarbenen (von rot bis beigegelb) Häuser schmiegen sich sanft an die Berghänge. Im Talboden fliesst immer noch ein dünnes Rinnsal, um die noch üppige Natur und die Gärten zu bewässern. In der Ferne machen wir die imposante Mauer eines Stausees aus. Während die hier bis 1614 heimischen Mauren ein ausgeklügeltes Zisternen- und Bewässerungssystem über die Jahrhunderte aufgebaut und gepflegt haben, werden in der Neuzeit die Flüsse schon nahe der Quelle gestaut und an ihrem natürlichen Lauf gehindert. Mit dem Wasser aus den Stauseen werden in den Ebenen Zitrus-, Mandel- und Olivenplantagen sowie Reben bewässert. Wir machen hier einen grossen Wiederspruch zwischen was die sensible Wüstenlandschaft bietet und was wir Menschen aus ihr herausholen aus. Selbst in den sogenannten Naturparks wird Landwirtschaft betrieben. Dennoch müssen wir uns eingestehen, dass die türkisblauen Stauseen und die in regelmässigen Mustern bepflanzten Plantagen dem Auge schmeicheln. Dazwischen machen wir vereinzelt technisch modernste Schweine- und Rindermästereien aus. Von irgendwoher müssen die «Jamons, Chorizos y Chuletons» für die in rauen Mengen Fleisch essenden Spanier kommen. Nach wie vor haben wir nicht die sich von Eicheln ernährenden Schweine, die so gern von den spanischen Fleischproduzenten zur Werbung herangezogen werden, in den Eichenwäldern angetroffen.
Die Piste gleicht einem Schweizer Waldweg. Sie führt uns durch Kieferwälder zum intensiv bewirtschafteten Talboden und weist ausser einer Engstelle (hier wurde der Weg durch einen Erdrutsch verschüttet) keine nennenswerten Schwierigkeiten auf. Ein starker Geruch von Harz liegt schwer in der Luft. Nach ca. 50 km verlassen wir die Route und fahren nach El Berro, einem Dörfchen, das idyllisch in den Bergen der «Sierra Espuña» liegt. Nach Rund 300 km Fahrt richten wir uns auf dem gut unterhaltenen Campingplatz ein und lassen bei einem kühlen Bier den Tag ausklingen und Revue passieren.
Donnerstag – Freitag, 2. – 3. Juni, El Berro – «Sierra Espuña»
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 16 – 31°C
Am ersten Tag verausgaben wir unsere Kräfte bei einer 20 km langen Wanderung durch die Wälder und Schluchten des Naturparks – und dies bei einer Hitze von rund 30 – 34 °C – so dass wir am nächsten Tag einen sogenannten Ruhetag einlegen müssen, den wir aber nach dem Mittagessen ad acta legen.
Gegen 15:00 brechen wir zur archäologischen Ausgrabung «Yacimiento de La Almoloya», die hoch oben auf einem uneinnehmbaren Tafelberg mit fantastischem Weitblick liegt, auf. Ein schweisstreibender, steilansteigender Weg führt uns zu den Ruinen dieses Dorfes aus der Bronzezeit hoch. Hannibal hingegen wartet unten im Schatten einer riesigen, alten Kiefer. Wir ziehen den Hut vor der Leistung dieser Menschen, die vor rund 3000 Jahren für rund drei Jahrhunderte hier gelebt haben. Wir versuchen uns vorzustellen, was es bedeutet haben muss, die grossen Steinbrocken für den Bau der Häuser hier hochzutransportieren, wie arbeitsintensiv der Alltag gewesen sein muss, um der Natur das notwendigste abzutrotzen und … dennoch blieb Zeit für das Schmiden von Schmuck und die Verzierung von Alltagsgegenständen, die in den zahlreichen Grabstätten gefunden wurden. Und heute … beklagen wir uns trotz der technischen Unterstützung über Zeitknappheit und Stress … Eine Verkehrte Welt. Es scheint verrückt, dass wir mit all den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem Wissen – das wir uns über Jahrtausende akkumuliert haben, um uns das Leben zu vereinfachen bzw. zu erleichtern – nichts Besseres anzufangen wissen, als uns ständig zu beklagen, uns fehle die Zeit.
Genug der trüben Gedanken … wir fahren weiter zu den geschützten «Barrancos de Gebas». Anstatt der geplanten Rundwanderung machen wir die Besichtigung dieser durch Erosion entstandenen, spektakulären Landschaft auf Spanisch: Wir fahren mit Hannibal so weit, bis uns eine Barriere bzw. eine Auswaschung den Weg versperrt. Was uns die Natur hier bietet, verschlägt uns den Atem… Es sind genau diese zerklüfteten Schluchten und erodierten Berghänge, das Farbspiel und das sanfte Licht warum wir die Wüste so lieben. Als Sahnehaube dürfen wir die Blumenpracht, die ein verregneter Frühling mit sich bringt, erleben.
Samstag, 4. Juni, El Berro – «Sierra Maria»
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 29°C
Bevor wir den Track fortsetzen, besichtigen wir eine weitere Attraktion der Sierra Espuña die sogenannten «Pozos de la Nieve» (Schneebrunnen). In diesen wurde über vier Jahrhunderte Eis auf 1’400 m produziert. 1926, als in Totana eine Eisfabrik gebaut wurde, erübrigte sich diese Knochenarbeit. Für die Schneebrunnen musste erstmals eine 7 m tiefe Grube ausgehoben, mit Steinen und Holz befestigt und mit einer Kuppel abgeschlossen werden. Zur Isolation wurden sie mit Laub, Stroh und Gras ausgekleidet. Ab November, Dezember wurden Sie mit Schnee gefüllt, der von bis zu neun Männern in Eiseskälte gestampft werden musste. Ab Mai konnte das Eis «geerntet» und in die Stadt für die Kühlung von Lebens- und Arzneimitteln sowie die Herstellung von Eiscrème gebracht werden. Auf dem Transport gingen bis zu 50% des Gewichts verloren. Diese harte Arbeit beschäftigte mehrere Hundert Männer. Ihre Entbehrungen sind für uns heute nicht mehr vorstellbar.
Die erste Hälfte des Tracks führt uns im Talboden durch von der Wüste abgetrotztes Landwirtschaftsland und ist nicht besonders attraktiv. In regelmässigen Abständen wurden künstliche Weiher zur Bewässerung der Kulturen ausgebaggert. Wir fahren erstmals an bereits reifen Getreidefeldern vorbei. Erst die zweite Hälfte führt uns durch ein coupiertes, reizvolles Gelände, auf dem es noch gewisse Naturräume und für unsere Mittagspause wichtig auch einen schattenspenden Baum gibt.
Gegen Abend treffen in der «Sierra Maria» auf dem gleichnamigen Zeltplatz, eine noch nicht bezogene Wohnwagenstadt, ein. Das Bild ist ziemlich desolat. Die Spanier scheinen ihr Sommerquartier grösstenteils noch nicht wieder bezogen zu haben. So sind die Zäune der Parzellen zum Teil eingedrückt, schon lange nicht mehr genutzte Quads rosten vor sich hin, es liegt Unrat herum. Kein Ort zum Verweilen. Eine Holländerin und wir teilen vielleicht mit einem Dutzend Spaniern den riesigen Platz. Mehr los ist im Restaurant. Hier wird ein Familienfest gefeiert. Als wir das Restaurant betreten, herrscht Chaos pur. Ein junger Kellner sowie ein Mann hinter dem Tresen versuchen den Bergen von benutztem Geschirr, Gläsern und Flaschen Herr zu werden.
Denselben Kellner treffen wir wieder beim Abendservice, wo es weitere Gruppen zu bewirten gilt, die nur noch mehr zum Chaos, das vom Mittagsservice noch nicht beseitigt werden konnte, beitragen. Eine zwölfköpfige Gruppe für die draussen getischt wurde, entscheidet sich aufgrund der aufkommenden frischen Brise spontan, nun doch im Innenraum zu speisen. Der Kellner behält die Nerven, zerschneidet in der Mitte das Papiertischtuch, das über zwei Tischplatten gespannt ist, die wiederum über drei quadratische Tische gelegt sind, und transportiert die Tischplatten samt Gedeck in den Speisesaal. Wir möchten nicht mit der jungen Servicekraft tauschen. Neben den komplizierten Gästen erleichtert auch die Infrastruktur nicht gerade die Abläufe. Er muss für sein Geld hart schuften und dennoch bedient er jeden Gast mit viel Geduld und hat immer eine Antwort bereit. Wir stärken uns für den nächsten Tag mit einem Entrecôte und Bratkartoffel, denn es sollen rund 1000 Höhenmeter und 16 km überwunden werden.
Sonntag – Dienstag, 5. – 7. Juni, «Sierra Maria» – Vèlez Blanco
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend, Temperatur: 16 – 31°C
Am späteren Nachmittag machen wir uns vom Dorf Maria zur einer von Wikiloc heruntergeladen Wanderung auf. Sie ist ca. 15,3 km lang und über 840 Höhenmeter müssen überwunden werden. Nach ein paar km führt die Route plötzlich in freies Gelände und über die Hälfte des Verlaufes soll dies auch so bleiben. In Anbetracht des steilen Geländes, scheint uns dies etwas gewagt und wir entscheiden uns, dem Wanderweg, der auf den vor uns liegenden Peñon de San Blasco zu führen scheint, zu folgen. Aber anstatt hinauf verläuft der Weg unmerklich abwärts auf den Berg zu, bevor er dann mit einer Richtungsänderung wieder ins Tal hinunterführt. Ein anderer Weg auf den Gebirgskamm hinauf ist aus Naturschutzgründen für Fussgänger gesperrt. Apropos Schutz der Natur. Vor kurzem scheint hier ein Mountainbike-Rennen unter dem Motto «la montagna es tuya» stattgefunden zu haben. Die Reste davon – rotweisse Absperrbänder, Hüllen von Energy Bars und Spuren durch den Wald bleiben als «Erinnerung» zurück – Fussgänger werden mit Warnschildern gebeten, auf dem Weg zu bleiben und keinen Abfall zurückzulassen.
Unser vermeintlicher Wanderweg endet im Talboden abrupt und wir laufen über Felder und nicht auf Feldwegen in Richtung Hannibal. Dies ist eine sehr unwegsame, staubige und kratzige Angelegenheit. Die Äcker sind übersät mit grossen Steinen und stacheligem Unkraut, die die Fussgelenke massieren und Sabines Waden zerkratzen.
Fazit: Überprüfe unbedingt die Wegführung von Wikiloc-Trails und hinterfrage Veranstaltungen unter Labels wie «naturnah», «eco» etc.
Die nächsten beiden Tage verbringen unter den Kiefern auf dem grosszügigen und aufgeräumten Zeltplatz von «Velez-Blanco» fast allein bzw. mit zwei-, drei anderen Reisenden. Erst gegen Abend, als die Hitze erträglich wird (es scheint, dass eine Hitzewelle auf Spanien zurollt), besuchen wir das ca. 2.5 km entfernte hübsche «weisse» Städtchen, dessen weisse Häuser mit schmideisernen Balkonen sich eng (wie die Katze an die Beine ihres Besitzers) an einen Hang schmiegen, auf dem ein monumentales Schloss thront, das unsere fotografische Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ebenso will der gegenüberliegende Tafelberg und der Talboden bewundert und fotografiert werden. Nach Stunden der Suche der besten Blickwinkel und Fotomotive steigen wir hinunter ins Stadtzentrum.
Dort ergattern wir uns gerade noch einen Tisch – es ist Montag und die Restaurants sind mehrheitlich geschlossen – in einer einfachen und sehr gut besuchten Beiz und lassen uns «dos cañas» (zwei Stangen Bier) und verschiedene Tapas bringen. Das Schweinsvoressen geschmort mit viel Olivenöl, frischen Tomaten und Paprika ist eine Wucht, die «Papa bravas» nicht schlecht und das danach von Fabrizio bestellte Blutwurst-Sandwich sehr lecker. Am nächsten Tag wiederholen wir das Vortagesprogramm, einfach weil es so erholsam war. Dies erfreut nicht nur unsere Seele, sondern auch die Bedienung der Beiz. Er schenkt uns sofort ein Lächeln, berät uns bei der Tischauswahl (es hat viele lästige Mücken) und stellt uns sogar die etwa 75-80-jährige Köchin vor, als Fabrizio nochmals das Voressen mit der Bemerkung bestellt, es sei so lecker wie das «Spezzatino» seiner Nonna. Die Köchin stellt sich verlegen und scheu an unseren Tisch und nimmt das Lob mit ineinander verschränkten Händen entgegen. Dann zeigt sie uns die mit Gicht gezeichneten Finger, wie um zu sagen, wie viel Mühe ihr die Arbeit bereite.
Als wir am zweiten Abend nach dem Eindunkeln auf den Zeltplatz zurückkommen, haben wir eine neue Nachbarin. Ein Fahrradfahrerin mit muskulösem Körper und einem grauen Lockenkopf. Wie sich am nächsten Tag herausstellt, reist sie seit 4, 5 Jahren (seit 59) mit dem Velo um die Welt. So hat sie den Iran, die Seidenstrasse, die sogenannten STAN-Länder mit ihren hohen Pässen, bereist und auch den afrikanischen Kontinent mit eigener Muskelkraft durchquert. Eine Frau mit einer unglaublichen Ausstrahlung, eine Frau, mit der man sich stundenlang hätte weiter austauschen können. Wir bedauern fast, den gestrigen Abend nicht auf dem Campingplatz mit ihr verbracht zu haben. Aber eben, wir beide wollen die Gunst der Morgenkühle nutzen und brechen so kurz nach 10 Uhr auf.
Mittwoch, 8. Juni, Vèlez Blanco – Tabernas
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend, Temperatur: 16 – 36°C
Dieser Teilabschnitt aus Vibractions Roadbook Nr. 21 ist spannend. Er führt uns durch eine einsame, hüglige Gegend und immer wieder folgen wir ausgetrockneten Flussbeeten. Auch heute wieder begleiten uns Mandelplantagen, ab und zu ein Olivenhain und immer wieder die Ruinen von aufgegebenen Bauernhöfen. Wir haben Mühe, für die Mittagspause ein geeignetes Plätzchen zu finden. In den um diese Tageszeit ausgestorbenen Dörfern finden wir keine für den Reisenden eingerichteten Picknick-Plätze wie sonst in Spanien üblich – allenfalls verliert sich hierher kaum ein Tourist. Schliesslich werden in einem ausgetrockneten Bachlauf mit grossen Bäumen fündig. Nach Stunden der Einsamkeit fahren wir «in the midle of nowhere» plötzlich auf einen Hügel mit grossen Villen zu, deren Gärten Swimmingpools, Jacarandas und Flieder schmücken. Wir fragen uns, wer kann sich dies in dieser gottverlassenen Gegend leisten? Sind es etwa Ferienhäuser. Die Antwort bleibt offen. Kurz darauf treffen wir am Anfang eines Dorfes auf Zeugen der im Jahr 2008 besonders in Spanien heftigen grassierenden Immobilienkrise: Es sind die Skelette von mindestens einem Dutzend kleinen Einfamilienhäusern, die seit Jahren im Rohbau verharren und bereits am Verfallen sind. Ein desolates Bild. So viel Verschwendung an Material und Land.
Ein weiteres Merkmal der heutigen Fahrt ist die schwierige und nicht immer eindeutige Wegführung. Ohne die super Vorbereitung Fabrizios, der die von Vibraction gelieferten elektronischen Wegpunkte in stundenlanger Arbeit verbunden und zu einem eindeutigen Routenverlauf zusammengefügt hat, und nur anhand des Road Books wäre der Weg kaum ausmachbar gewesen. Auch so mussten wir mehrere Male zurücksetzen, da der vom Road Book 2008 gewählte Weg mittlerweile nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich oder die Strasse aus einem anderen Grund gesperrt war. So überqueren wir den Pass «El Pilarico» nach Uleila dem Campo zweimal, da die auf der Passhöhe abzweigende Strasse nach Benizalon gesperrt ist und treffen beide Male auf einen Afrikaner mit Zylinder und Stock, der eine Herde Ziegen hütet. Wir begrüssen uns winkend und mit einem Kopfnicken. Schliesslich treffen wir am Abend doch noch bei dem von uns gestecktem Tagesziel, Tabernas und dem von einer englischen Familie geführten einfachen Camping «Little Texas», ein. Zur Feier des Tages leisten wir uns im campingeigenen Saloon je eine Stange Bier für insgesamt 2 EUR und trinken sie genüsslich auf dem erhöhten Pool mit Weitblick.
Donnerstag – Samstag, 9. – 11. Juni, Tabernas
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend und heftigem Wind, Temperatur: 19 – 33°C
Erst am Abend machen wir uns jeweils auf eine Spritzfahrt und eine kurze Wanderung oder Besichtigung auf. Den Tag geniessen wir in Hannibals Schatten oder auch am Pool. Es ist brütend heiss und wir danken dem starken Wind, der die hohen Temperaturen erträglicher macht.
Am ersten Tag erkunden wir den Naturpark der «Desierto de Tabernas», der die Kulisse für Filme wie Lawrence of Arabia oder Sergio Leones Western «Für eine Handvoll Dollar» mit Clint Eastwood bildete. Und tatsächlich glauben wir beim Durchfahren dieser Landschaft Ennio Morricones Filmmusik zu hören und machen auf den Anhöhen der Schluchten herunterspähende Indianer aus. Gegen 19:30 wagen wir uns auf eine zweistündige Wanderung, erspähen dabei einen Fuchs und unzählige kleine Hasen machen sich vor uns aus dem Staub.
Zurück beim «Little Texas» kochen wir uns gegen 22:00 Uhr eine Portion Ravioli und geniessen dabei die Kühle der Nacht (26°C).
Am Freitag harren wir ebenfalls bis gegen 17:30 in «Little Texas» aus. Unser Versuch in Tabernas einkaufen zu gehen, ist ernüchternd. Im Spar finden wir ausser ein paar Pfirsichen und Tomaten nichts, womit wir unseren Kühlschrank auffüllen könnten. Die Auswahl ist sehr bescheiden und die Produkte nah am Ablaufdatum. Wir fragen uns, was sich die Spanier in dieser Gegend ausser Fleisch, Tiefgefrorenes aus dem Meer, Kartoffeln und Pizza zubereiten. Wir machen einen zweiten Versuch bei Dia. Dieses Lebensmittelgeschäft ist etwas besser alimentiert und wir erweitern unseren Vorrat mit Äpfeln, Karotten, Hummus, Aufschnitt, Frischkäse und Bier.
Dann fahren wir in die Berge der «Sierra Alhamilla» wo wir kurz vor dem weissen Dorf «Lucainena de las Torres» auf Zeitzeugen der Vergangenheit treffen: Schmelzöfen zur Eisenerzgewinnung. Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in den Steinbrüchen der Umgebung – bei genauerer Betrachtung machen wir in den Felswänden riesige Löcher aus – täglich 50 Tonnen Eisenerz abgebaut und in den Öfen geschmolzen. Für den Transport des Erzes zum nächsten Hafen wurde eine Zugverbindung gebaut. Der Rohstoff wurde dann hauptsächlich in die USA verschifft. Nun verstehen wir auch, warum die vor 150 Jahren noch mit Kiefern bewachsenen Wälder rund um Tabernas alle abgeholzt sind. Die Öfen mussten gefüttert werden.
Zur ca. 2-stündigen Rundwanderung bis zum scheinbar sehr hübschen Dorf, das ebenfalls als Filmkulisse für diverse Western gedient hat, können wir uns nicht motivieren. Die Hitze des Tages hat uns schlapp und träge gemacht. «Lucainena de las Torres hasta mañana».
Als wir über die Hügel der Sierra zum Campingplatz zurückfahren, machen wir in der Ebene die eventuell bereits über ihren Zenit gekommenen, wasserintensiven und mit Plastik überzogenen landwirtschaftlichen Flächen aus, die immer mehr durch zukunftsversprechende Photovoltaikanlagen, die zudem kein Wasser benötigen, ersetzt werden.
Montag, 13. Juni, Nijar
Wetter: Blauer Himmel, Temperatur: 19 – 35°C
Gestern waren wir in der Sierra de Alhamilla unterwegs. Eine alte, steile und sehr schlecht unterhaltene Bergstarasse hat uns von Tabernas (Start hinter «Mini Hollywood») nach Nijar geführt. Grossartiges Panorama über die Wüste von Tabernas, etwas weniger grossartig der Fernblick über das Plastikmeer von Almeria.
Das Dorf Nijar mit seinen engen Gassen und den mit Blumenvasen geschmückten Häusern hat bei uns gestern Interesse geweckt. Da es aber bereits später Nachmittag war und wir von der Fahrt müde waren, entschieden wir uns, heute nochmals vorbeizukommen. Fabrizio hat im Internet recherchiert, ob es eine Wanderung in der Nähe gibt und ist fündig geworden. «El sendero de l’agua» führt uns mit einer Höhendifferenz von knapp 500 m von Nijar aus durch eine enge Schlucht bis nach Huebro, einem kleinen Dorf, das in sich der Sierra de Alhamilla eng an eine Felsenwand schmiegt. Es werden Bilder vom Oman und von Marokko wach. In dieser Schlucht wurden mehr als zwanzig Wassermühlen gebaut (sie blieben bis in den 70-gern in Betrieb), um das Getreide der Region zu mahlen. Es handelt sich um eine wahre Ingenieurleistung. Um die Kraft des knappen Wassers zu erhöhen, wurden Falltürme gebaut. Das Wasser wurde zu diesen via schmale Kanäle geleitet und dann durch die Türme hindurch auf die darunter stehenden Mühlen «fallen gelassen». Leider sind von diesen Mühlen nur noch die Gemäuer übrig. Die Mahlwerke sind verschwunden. Was aber übriggeblieben ist, ist das fantastische Landschaftsbild: Die steilen und terrassierten Schluchtwände, die üppig blühenden dem Wasserlauf folgenden rosa Oleander und die Ruinen der Wassermühlen. Fast ein biblisches Bild. Es ist unverkennbar, dass die Mauren dieser Gegend ein noch heute prägendes Erbe hinterlassen haben.
Wir erreichen Huebro gegen 12:00. Der vertraute Geruch von Feigenbäumen und Jasminsträuchern empfängt uns mit breiten und freundlichen Armen. Im Hintergrund plätschert klares und kaltes Wasser in einen Brunnen. Ein Dorfbewohner, von drei Jagdhunden begleitet, füllt gerade eine Plastikflasche mit Wasser und gönnt sich selber einen grosszügigen Schluck direkt von der Wasserleitung.
Wir erreichen das Dorfzentrum, das gleichzeitig auch der Kirchplatz ist. Unter einem Feigenbaum unterhalten sich laut drei Spanier. Wir begrüssen sie mit «Hola», worauf sie antworten: «Haben sie vom feinen Wasser am Brunnen schon probiert» (selbstverständlich in Spanisch)? Als sie merken, dass wir mit der Antwort zögern, fragen sie uns: «Woher kommt ihr»? «Nosotros somos suizos» antwortet Fabrizio. «Ah, vous parlez français, allemand, italien» frohlockt eine der dreien. «Wir sprechen alle drei Sprachen» antworten wir unisono … und dann geht es los. Sie erzählen uns in Französisch, dass sie alle drei hier (in Huebro und Umgebung) geboren, dann in die weite Welt auf Arbeitssuche ausgezogen … und jetzt als Pensionierte hierher zurückgekehrt sind.
Der sich ewig abspielende Zyklus. Im Gespräch spüren wir ihre grosse Nostalgie nach den vergangenen Zeiten in Sätzen wie « … es war einmal …» und eine gewisse Traurigkeit, dass sie, um zu überleben, das eigene Dorf haben verlassen müssen. Jetzt freuen sie sich aber wie Maikäfer, dass sie das Leben fern der Heimat einigermassen gesund überstanden und den Weg hierher zurückgefunden haben.
Im kleinen Restaurant «Enriqueta» bestellen wir etwas zu trinken. Obwohl die Hitze sich noch in Grenzen hält, haben wir bereits alles, was wir an Flüssigkeit zu uns genommen haben, wieder hinausgeschwitzt. Enriqueta, die Besitzerin hinter der Theke, mustert uns argwöhnisch. Ein Vogel in einem zu kleinen Käfig, singt sich sein erbärmliches Schicksal aus der Seele und versucht, in einem Akt der Verzweiflung, zwischen dem Käfiggestänge hindurch einen Weg in die Freiheit zu erzwingen.
Auf dem Kochherd hinter der Wirtin brutzelt ein Kanincheneintopf (einer der drei Spanier hat es uns im Gespräch verraten). Der Geruch ist verlockend. Eine oberhalb der Theke installierte UV-Lampe verrät ihre Existenz durch das in rhythmischen Abständen ertönende «Tsch … Tsch». Schon wieder haben sich zwei zu neugierigen Fliegen von den UV-Strahlen anziehen lassen und sind mit einem Elektroschock ins Jenseits befördert worden. «Tsch … Tsch» … und noch zwei weitere!
Nachdem wir wieder zu Kräften gekommen sind, laufen wir auf der Bergstrasse nach Nijar hinunter. Knapp eine Stunde später kommen wir dort an. Wir schauen uns auf der Suche nach einem Restaurant noch etwas herum (es ist Montag und viele Restaurant ssind geschlossen und die, die offen sind, überzeugen uns wenig). Gesagt … getan. Wir fahren zurück zum Campingplatz und lassen es uns bei einer üppigen, selbst gekochten Portion «Chili con Carne» gut gehen.
Dienstag, 14. Juni – Mittwoch, 15. Juni: Fahrt in Richtung Sierra Nevada (Almocita)
Wetter: Blauer Himmel, Temperatur: 20 – 35°C
Wir versuchen, der Hitze zu entfliehen, indem wir uns Richtung Sierra Nevada bewegen. Dort sollen die Temperaturen etwas milder als hier in der Wüste sein. Zu Beginn führt uns die Fahrt entlang von ausgedörrten und mit leuchtend gelbem Gras bedeckten Feldern und dann über eine steinige Piste an den Ruinen von unzähligen Bauernhöfen vorbei. Von diesen Gehöften bleiben nur noch die von der Sonne versengten Mauern und die unter dem Gewicht der Schieferplatten in sich zusammengefallenen Dächer. Unseren Weg säumen auch die allgegenwärtigen Terrassen und hie und da ein paar in ihrer vollen Pracht blühenden Oleander. Im Hintergrund verstummt das laute Zirpen der Zikaden für einem kurzen Moment, wenn Hannibal mit seinem Brummen der Welt zeigt, wer hier der Lautestete ist. Kaum sind wir vorbeigefahren, setzen die Zikaden unbekümmert ihr Konzert fort, als ob wir nie da gewesen wären.
Im malerischen Dorf Velifique endet der erste Pistenabschnitt und ein Aufstieg auf 1800 m ü. M. (1000 Höhenmeter innerhalb von ca. 13 km) beginnt. Hannibal kämpft sich im zweiten Gang und mit einem Durchschnittstempo von 20 km/h den Berg hinauf. Der diesjährige Frühlingsregen hat viele Schäden hinterlassen – seit 1927 hat es nicht mehr so viel geregnet. An vielen Stellen haben Erdrutsche die Fahrbahn stark beschädigt, an anderen musste eine Spur oder sogar die ganze Strasse gesperrt werden. So werden wir abrupt von einer Baustelle gestoppt, wo ein gewaltiger Erdrutsch die Strasse unbefahrbar gemacht hat. Wir beobachten aus der Ferne, wie ein Bagger, die Strasse räumt und einen Lastwagen belädt. Nach circa 20 Minuten warten, macht Fabrizio sich auf den Weg zum Baggerfahrer und fragt ihn, ob es überhaupt möglich/erlaubt sei weiterzufahren (die am Strassenrand aufgestellte Verbotstafel für jeglichen Verkehr ist diesbezüglich nicht eindeutig). Der Fahrer signalisiert Fabrizio mit einem Handzeichen, dass wir weiterfahren dürfen.
Auf der Passhöhe zweigen wir auf eine Forststrasse entlang der «Sierra de los Filabres» ab. Es handelt sich dabei um eine technisch sehr einfache Piste. Die Fahrt durch die Kieferwälder ist relativ monoton. Höhepunkt ist das Observatorium «Calar Alto». Die weissen Teleskopkuppeln sind von Weitem sichtbar. Wir legen hier oben (2350 m ü.M.) eine kurze Mittagspause ein und unterhalten uns kurz mit einem jungen Franzosen, der mit einem Nissan Patrol unterwegs ist, über das Pistenfahren und die Ferienpläne allgemein.
Erst kurz vor dem Dorf Ohanes zieht uns der Ausblick wieder in seinen Bann. Wir geniessen die Weitsicht über das Andarax-Tal, wo sich der Fluss durch das Schiefergestein und die rote Erde gefräst und dabei eine wunderbare Schlucht geschaffen hat. Im Dorf Almócita schlagen wir beim gleichnamigen Campingplatz unsere Zelte auf. Es ist bereits 17:00 und die Hitze ist immer noch unerträglich. Hannibal ist mit puderähnlichem Staub ganzflächig «paniert». Dieser Staub ist so fein, dass er sich durch jede noch so klitze kleine Öffnung gezwängt hat. Alles ist mit einer dünnen Staubschicht überzogen: Kleider, Nahrungsmittel, Oberflächen … wir – the monkeys.
Ausser uns sind nur noch zwei Spanier mit ihrem alten Labrador auf dem Zeltplatz. Ein paar streunende und erschöpfte Katzen suchen verzweifelt nach Schatten und etwas Wasser. Die Hitzewelle hat Südspanien völlig in seinen Klauen. Noch nie ist es so früh im Jahr so heiss gewesen.
Wir unterhalten uns mit dem sehr sympathischen Campingmanager, der gerade mit Besen und Putzkessel aus der Männertoilette herausspaziert. Seine ruhige und belegte Stimme wirkt vertrauenswürdig und gleichermassen bodenständig. Er empfängt uns mit einem breiten Lächeln.
Wir begleiten ihn zur Reception, erledigen die Papierarbeit und bestellen zwei Bier. Sabine und ich schauen uns kurz an und entscheiden, dass wir heute Abend keineswegs selber kochen werden. Glücklicherweise kann uns der Campingmanager zwei Fertigpizzas kredenzen, die wir, ohne zu zögern auch verschlingen (übrigens … sie schmecken gar nicht mal so schlecht).
Erst gegen 23:00 kühlt sich die Temperatur auf ca. 20 C ab. Wir begeben uns in unser Attikageschoss und starten einen Versuch, einzuschlafen. Die Wärme hat sich fest in den Matratzen eingenistet und wärmt uns von unten auf. Es dauert lange, bis wir endlich einschlummern.
Am Morgen erwachen wir mit den ersten Sonnenstrahlen mit tiefen Augenringen gezeichnet. Es fühlt sich so an, als hätte wir die ganze Nacht in einem Warmluftofen verbracht. Heute steht «Sich-nicht-körperlich- bewegen» auf dem Programm. Wir schlängeln uns «nur» auf einer 62 km langen Piste durch die Sierra de Gador. Zu Beginn führt sie uns auf den Talboden der Andarax-Schlucht. Hier sowie auf den umliegenden Bergflanken haben die Bauern Terrassen angelegt: Tomaten, Auberginen, Mandelbäume, Zitrusfrüchte belegen wie ein gigantisches Puzzle die so gewonnenen Landwirtschaftsflächen. Ein hagerer Esel schaut uns verdutzt an, als wir langsam an seinem Gehege vorbeifahren.
Ein Versuch auf einem engen Track zu den von der Sonne versengten Ruinen der Bleiminen von Beires zu gelangen, wird sofort ad Acta gelegt, als uns eine sehr tiefe und unüberwindbare Auswaschung an der Weiterfahrt hindert. Fabrizio und Hannibal managen es mit Untersetzung und im Rückwärtsgang, gute 500 m der steilen und kurvige Piste bis zu ihrem Anfang zurückzulegen. Bravo! Nochmals gut gegangen!
Den Nachmittag verbringen wir auf dem Campinglatz. Es hat zwar schattige Plätze aber der warme Wind macht die Suche nach einer kühlen Ecke zunichte. Als der Campingmanager merkt, wie wir langsam dahinschmelzen, bietet er uns an, ins Restaurant (auch ohne Konsumation) zu gehen. «Dort habe ich bereits für sie die Klimaanlage eingeschaltet». Wir lassen uns nicht zweimal bitten.
Donnerstag, 16. Juni – 24. Juni: Trévelez
Wetter: Milchiger Himmel, Temperatur: 20 – 35°C
Heute fahren wir nach Trévelez, eine 170 km lange, monotone und technisch einfache Pistenfahrt durch die Sierra Nevada. Einzige Besonderheit sind die vielen Wasserreservoirs, die für die Bewässerung der Landwirtschaftsflächen bis auf knapp 2000 m ü. M. gebaut wurden. Die Bauern versuchen in künstlich geschaffenen Becken, das durch die Schneeschmelze gewonnene Wasser für die Sommerperiode zu speichern. Wir treffen noch auf dieser Höhe auf Tomaten- und Auberginenplantagen. Hie und da sehen wir Mandelbäume. Augenfällig sind die vielen verlassenen Bauernhöfe und Bauerndörfer. Die Häusergerippe zeugen von einer Besiedelung der Sierra Nevada hoch über dem fruchtbaren Talboden.
Trevelez ist ein wichtiger regionaler Drehpunkt für die Rohschinkenproduktion. Unzählige Metzgereien/Trocknereien säumen die Dorfstrasse. Ein Paar Plastikschweine «dekorieren» den Dorfeingang und den zentralen Dorfbrunnen.
Doch wir werden hier nicht nur einige Tage zu Ehren des Schinkens verbringen, sondern weil Trévelez mit seinen rund 1’450 m ü. M. das höchstgelegene Dorf Spaniens ist und wir uns etwas Abkühlung erwarten. Tatsächlich ist es um einige Grade kälter als im Talboden oder etwa in Granada oder Sevilla, aber während der ersten beiden Tage zeigt das Barometer immer noch etwa 33°C. So drücken wir uns während des Tages im Schatten auf dem Zeltplatz herum und machen uns erst gegen Abend zu einer 2-3-stündigen Wanderung auf. Dennoch zollen wir der Hitze Tribut und wir kommen zum Schluss, dass wir unser Reisetempo nochmals rigoros drosseln müssen: So entscheiden wir uns am Sonntag zu einem Ruhetag und da die Wetteraussichten Temperaturen deutlich unter 30°C voraussagen ziehen wir in Betracht, ein paar weitere Tage in der Rohschinkenmetropole zu verweilen.
Bei den Beschreibungen der Wanderungen wird oft das Erbe der Mauren in den Vordergrund gerückt. Was wir auf den Wanderungen erleben, ist vor allem der starke Zerfall der Terrassierungsmauern sowie der Gebäude. Dasselbe Schicksal teilen die unzähligen Bewässerungskanäle, die durch Plastikleitungen ersetzt wurden und viele der Gemüse- und Obstgärten sind verwildert oder liegen brach, was nicht weiter verwunderlich ist, da die steilen Berghänge schwer zugänglich sind und keine maschinelle Bearbeitung zulassen. Uns schmerzt ob der Vernachlässigung dieses über Jahrhunderte und Generationen mit viel Schweiss aufgebauten und gepflegten Kulturgutes das Herz, aber eben … Und auch die weissen Dörfer der Alpujarras blenden vor allem von weitem. Aus der Vogelperspektive oder beim Spaziergang durch die engen und steilen Gassen ist der Verfall unverkennbar. Viele Häuser stehen leer und nur die Fassade wird zum Schein mit weisser Dispersion überpinselt. Apropos weiss, dieses Jahr haben viele Hausmauern eine rötliche Färbung abbekommen. Dies ist den starken Frühlingsschauern, die Saharastaub mit sich trugen, geschuldet. Dass die Dörfer langsam aussterben, erkennt man auch daran, dass viele der zahlreichen Bars für immer geschlossen sind und an den Fenstern der Häuser viele Plakate «SE VENDE» kleben. Die wenigen Dorfbewohner, die wir antreffen sind alt und zum Teil betagt.
Montag, 20. Juni
Heute werden wir es wagen: die Wanderung zu den «Sietes Lagunas» (Sieben Lagunen) steht auf dem Programm, knapp 1600 Höhenmeter und eine ca. 8-stündige Wanderung erwarten uns. Wir haben Respekt vor dieser Herausforderung. Als wir um 07:00 die Strecke unter unsere Bergschuhe nehmen ist der Himmel milchig und ein frischer Wind schleicht sich das Tal hinunter. Trévelez scheint noch zu schlafen. Nur ein Paar scheue Katzen und ein hinkender Hund schenken uns einen desinteressierten Blick. In der Luft liegt schwer der süssliche und nussige Duft der Rohschinken, die in den Trocknereien ihr Veredelungsprozess durchlaufen. Vor uns ist bereits ein Deutscher gestartet. Er legt die Strecke bis zum Gipfel des Bergs Alcazaba (3’360 m ü. M.) rennend zurück. Dies zum Thema «Motivationsspritze».
Der Wanderweg schlängelt sich unaufhörlich und unendlich lang den Berg hinauf. Fabrizios «Motor», der unter optimalen Umständen ca. 30 Minuten braucht, bis er rund läuft, kommt heute nicht auf Touren und hat sichtlich Mühe. Nach ca. 3 Stunden Aufstieg benötigt er in regelmässigen Abständen eine kurze Pause. Über den letzten Kamm – eine unglaublich steile Geröllhalde – schleppt er sich nur durch reine Willenskraft. Wir sind auf 3000 m ü. M. angelangt. Eine andalusische Bergziege mit ihrem jungen Kitz mustert uns mit neugierigen Augen und schleicht sich danach vorsichtshalber in eine sichere Distanz.
Ein sehr kalter und starker Wind fegt über das Hochplateau. Wir suchen hinter einem grossen Findling Schutz und geniessen beim Mittagsessen das schöne Panorama. Im Hintergrund thronen wie Wachtürme die 3000-tausender Mulhacén und Alcazaba. Vor uns liegt die erste und die grösste der sieben Lagunen (Bergseen) und die Einzige, die wir heute zu Gesicht bekommen werden. Für die restlichen sechs müssten wir nochmals ca. 400 Höhenmeter zurücklegen, dafür fehlt uns die Energie.
Der Rückweg erweist sich tückisch und ermüdend. Insbesondere für die Fussgelenke und Knie stellt der teilweise steinige und unwegsame Wanderweg eine Belastungsprobe dar. Wir legen etliche «Foto-Stopps» ein und betrachten die wunderschönen Wasserfälle, die aus dem Ablauf der ersten Lagune entspringen.
Als wir nach knappen 10 Stunden zurück zum Campingplatz gelangen, lechzen wir nach einem kalten Bier. Der Himmel ist dunkler geworden, die Luft ist feucht und klebrig, Regen ist angesagt. Die Fliegen und Moskitos freut’s. Unablässig versuchen sie uns beim Geniessen unseres wohlverdienten Biers zu stören. Vergebens.
Ohne zu kochen, gehen wir schlafen. Schnell gelangen wir in «Alices Wunderland».
Dienstag, 21. Juni
Man könnte meinen, dass je müder man ist, desto besser man schlafen kann. Dem ist nicht so. Obwohl wir schnell eingeschlafen sind, ist die gestrige Nacht sehr unruhig gewesen. Ob es sich um eine Nachwirkung unseres Aufenthaltes auf 3000 M. ü. M. gehandelt hat oder eine Folge der noch heute schmerzenden Muskeln ist?
Jedenfalls werden wir uns heute erholen und nur bis zum Restaurant «Meson la Fragua» zu Fuss bewegen. In unserem Kühlschrank herrscht gähnende Leere und wir haben keine Lust, die letzte Portion Tortilla oder die aus der Schweiz mitgenommenen Migros-Rösti zu vertilgen. Wir möchte uns verwöhnen lassen, wir haben es uns nach den gestrigen Strapazen mehr als verdient! Der Himmel ist bedeckt und es fallen bereits einige Regentropfen als wir uns gegen 13:30 zum Restaurant aufmachen. Obwohl wir mit dezidiert schnellem Schritt unterwegs sind, erwischt uns ein Wolkenbruch, der einen herben Geruch von nassem Asphalt in der Luft zurücklässt.
Ein schweigsamer und netter Kellner begrüsst uns und weist uns zu einem Tisch nahe der Terrasse mit einem Blick über das Trevelez-Tal. Nur noch drei andere Gäste haben den Weg hierher gefunden. Draussen sind die «Regenschleusen» mittlerweile aufgegangen und es regnet aus vollen Kübeln. «Schön sind wir hier» sagt Sabine. Ich nicke zustimmend.
«Was essen wir heute?» fragt mich Sabine erwartungsvoll.. «The full monty» antworte ich. «Vorspeise, Hauptgang, Dessert … Wein und Kaffee». Und so bestellen wir zum Einstieg einen Teller gerösteten Paprikas mit frischen Stockfisch- Streifen garniert (hammermässig), zum Hauptgang ein grilliertes Kaninchen mit Kartoffeln und grünen Peperoni (das Kaninchen ist butterzart) sowie eine Portion Auberginenlasagne (gut aber etwas pampig) und zum krönenden Abschluss eine Mandelmousse mit Zimtbiskuit (traumhaft). Das Ganze wird von einer Flasche rotem Hauswein (gut und unkompliziert) begleitet.
Mittlerweile ist dem Himmel oben das Wasser ausgegangen und es hat aufgehört zu regnen. Gegen 16:30 verlassen wir La Mason de Fragua, «trotteln» zurück zum Campingplatz, legen eine Runde Verdauungsschlaf ein und lassen den Tag zufrieden ausklingen.
Mittwoch, 22. Juni
Das letzte Kapitel unseres Trévelez -Aufenthaltes wird heute geschrieben. Im «Barranco del Poqueira» gibt es einen Pfad (16 km lang mit knapp 1000 Höhenmeter), der die Dörfer Pampaneira, Bubion und Capileira (schmucke Dörfer der Alpujarra) miteinander verbindet. Ein historischer Weg, der gemäss Wanderführer einen Einblick in die Geschichte des Tals geben soll. Es wird ein auf und ab der Gefühle. Der Wanderweg ist mit seinen steilen Auf- und Abstiegen, die dem zerklüfteten, engen sowie tiefen Tal folgen, sehr anstrengend. Wir treffen auf etliche Ruinen von ehemaligen «Fincas», auf verlassene Dreschplätze und einsame abgemagerte Katzen, die nach etwas Futter betteln. Der Weg vermag uns kaum in seinem Bann zu ziehen. Einzig die gut erhaltenen Dörfer mit ihren gepflegten weissen Häusern sind eine Augenweide. In Capileira entdecken wir das Restaurant «El Gato» (tatsächlich werden wir hier von vielen schönen und ausnahmenweise gut ernährten Katzen beim Biertrinken beobachtet). Die Füsse schmerzen und die Knie melden störrisch, dass sie nicht mehr gewillt sind, weiter zu laufen. Und so achten wir auf diese Signale und lassen einen Teil der Wanderung «sausen».
Zurück in Trévelez besuchen wir wieder das Restaurant «Meson la Fragua» und lassen uns nach Strich und Faden verwöhnen.
Donnerstag, 23. Juni: Trévelez – Güéjar Sierra
Wetter: Türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 28°C
Nach einer Wochen Trévelez ist die Zeit gekommen, uns zu verabschieden. Es waren gute Tage hier, der Campingplatz ist gemütlich auch wenn nicht sehr gepflegt. Wir spüren, dass bei Ricardo, dem sympathischen Besitzer, das «innere Feuer» ausgegangen ist. Er scheint – getrieben von der Vergangenheit – in einer parallelen Welt zu leben. Im Campingrestaurant hängen unzählige Bilder, die ihn und seine Kumpel auf Bergtouren in allen Weltgegenden zeigen: Feuerland, Europa, Tansania, Nepal, USA … Ein Leben in Freiheit … bis er vor knapp siebzehn Jahre den Campingplatz übernommen hat. Die Gründe, die ihn zu diesem Entscheid geführt haben, verrät er uns – auch nach langen Gesprächen – nicht.
Obwohl er ständig von seiner temperamentvollen Frau «angefeuert» wird, lässt er (zum Missmut seiner Partnerin) anscheinend die Sachen doch allzu sehr «schlittern». Mit Sachen meinen wir etliche Reparaturen, Renovationsarbeiten, die der Campingplatz nötig hätte, um wieder auf Vordermann gebracht zu werden. Solange sich hierher nur wenige Touristen verlieren, vermag die gebrechliche Infrastruktur den «Druck» wohl noch auszuhalten. Ricardo teilt uns aber mit, dass sich im August um die 300 Personen hier aufhalten werden. Sabine und ich schauen uns ungläubig an.
Auf einer unspektakulären Fahrt lassen wir Granada südwestlich liegen und schlagen unsere Zelte im vorzüglich geführten Camping «Las Lomas» in Güéjar Sierra auf. Von hier aus werden wir in den kommenden Tagen die Sierra Nevada von ihrer westlichen Seite erkunden.
Freitag, 24. Juni: Stippvisite nach Granada
Wetter: Türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 32°C
Der Besuch von Granada war nicht geplant. Vor dem Campingplatz-eingang liegt aber die Haltestelle einer direkten Busverbindung … und so lassen wir uns diese Gelegenheit nicht entgehe. 1989 waren wir zum ersten und letzten Mal in dieser Stadt. Ich (Fabrizio) im Gegensatz zu Sabine hege nur noch sehr vage Erinnerungen. Ausser der wundervollen Anlage der Alhambra ist bei mir Granada eine Blackbox.
Ohne grosse Vorbereitung tauchen wir ins Stadtgetümmel ein. Sabine muss zum Friseur und ich versuche mich wieder mit Streetfotografie. Dann schlendern wir durch die Gassen rund um den Botanischen Garten, statten der Kathedrale einen schnellen und oberflächlichen Besuch ab und vertreiben uns die Zeit bis das Restaurant «Betula Nana» für den Mittagsservice öffnet (14:00) mit einem Bier auf dem Platz vor dem Eingang der Universität. Heute scheint Prüfungstag zu sein. Die Studenten strömen in Scharen aus dem Gebäude. Die einen haben ein ziemlich zerknirschtes Gesicht und andere wiederum werden von den wartenden Eltern in Empfang genommen und herzlichst umarmt. Ein weiterer Meilenstein im Leben der jungen Leute!
Was jetzt kommt übertrifft all unsere Erwartungen, was «gutes Essen» anbetrifft. Das Restaurant «Betula Nana» ist ein kleines kulinarisches Juwel. Mit nur 16 Sitzplätzen, einer sehr kleinen und übersichtlichen Menükarte, einem angenehmen, aber nicht aufdringlichem Dekor, entspricht es dem Konzept, welches Fabrizio 1995 für sein eigenes Restaurant hatte … aber aus unterschiedlichen Gründen nicht realisierte. Die Kellnerin, die auch Köchin ist und der «offizielle» Koch sind die beiden Druiden, die hinter den wunderbaren Gerichten stehen. Sie entwickeln und verfeinern gemeinsam jedes Gericht, das für den Gast sorgsam zubereitet wird.
Wir bestellen zum Hauptgang «gedämpfter Kabeljau auf einem Bett von süssen pürierten Paprikas und geräucherten Auberginen, dekoriert mit Kabeljau-Haut-Chips» (Sabine), «Risotto mit Meeresfrüchten, verfeinert mit asturischem Zitronen-Saffranbutter und Manchego-Käse» (Fabrizio). Zum Dessert bekommen wir eine «Pistazien-Torte», direkt aus Neapel importiert, die alle Dämme der Begeisterung weit öffnet. Sie schmeckt «majestätisch». Es ist wie ein Sprung ohne Fallschirm aus 10000 m Höhe … eine Wucht. Fabrizio sagt der Kellnerin zum Spass «Es sollte verboten sein, eine solche Torte überhaupt zu produzieren … so gut ist sie!». Sie lacht herzhaft.
Um ein Paar wenige Kalorien zu verbrennen und unser Gewissen wieder zu besänftigen, erkunden wir den an einem steilen Hang gelegenen ehemaligen maurischen Stadtteil «Albayzin» und klettern zum Mirador San Nicolas hinauf. Von hier aus geniesst man eine uneingeschränkte Sicht auf die Alhambra. Entsprechend teuer fallen die Preise in den Restaurants für ein Mineralwasser aus (3.70 EUR)!
Samstag, 25. Juni: Wanderung «La Veleda de la Estrella»
Wetter: Weiterhin türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 30°C
«La Veleda de la Estrella» im Tal des Rio Genil gehört zu den reizvollsten Wanderwegen der Sierra Nevada – 21.2 km lang mit einer Höhendifferenz von ca. 800 m. Er ist ebenfalls der Zugang für die Besteigung des Alcazaba und Mulhacén von der Nordseite her. Zum Startpunkt führt vom kleinen Dorf Güéjar Sierra aus eine sehr enge und sich windende Bergstrasse. Diverse unbeleuchtete und schmale Tunnels (Hannibal kommt wegen seiner Breite nur knapp durch) müssen überwunden werden. Bis vor knapp 30 Jahren war auf dieser Strecke noch eine «Tramverbindung» im Dienst. Was es nicht alles gab!
Abgesehen von der Distanz ist es eine leichte Wanderung. Nach einer kurzen Steigung schmiegt sich der Weg an die stark zerklüftete Bergwand und steigt langsam in die Höhe. Es ist bereits nach 10:30 und wir laufen immer noch im Schatten. Von Weitem sehen wir die Bergspitzen der zwei höchsten Gipfel der Sierra Nevada, des Alcazaba und des Mulhacén. Das Panorama ist majestätisch. Beim Aufstieg treffen wir auf diverse Bergsteiger-Gruppen, die sich auf dem Rückweg befinden. Offensichtlich haben sie in einem der diversen «Refugios» übernachtet. In regelmässigen Abständen rennen Ultramarathon-Sportler an uns vorbei. Flink wie Gämsen, schnell wie der Teufel springen sie auf dem engen Wanderweg von Stein zu Stein, als ob sie bereits zu spät zur nächsten Zugverbindung wären. «Wie halten sie das Gleichgewicht?» fragen wir uns staunend.
Eine durch einen Ultramarathon-Sportler aufgescheuchte Schlange schleicht zischend, mit erhobenem Kopf und im Eiltempo fast über Fabrizios Füsse. Das Blut friert ihm für einen kurzen Moment in den Venen.
Es sind diese «Begegnungen», auf die wir auf einer solche Wanderung vorbereitet sein müssen. Was wir aber nicht erwarten können, ist eine Frau, die sich mit einem sehr engen und kurvenbetonten Stretchkleid, einem breiten Strohhut mit blauem Band, feuerroten Lippen und Schuhen mit einem hohen Absatz den Wanderweg hinaufkämpft. Sie versucht, sich wie auf einem Laufsteg zu bewegen, was ihr aufgrund des steinigen Bodens kaum gelingt. «Wie konnte sie bis hierher gelangen?». Ihre «Montur» ist eher für einen Spaziergang am Hafen von Saint Tropez als für hier oben geeignet. Die Welt ist voll von Überraschungen.
Als wir um 17:00 wieder beim Startpunkt zurück sind, treffen wir auf Scharen von Spaniern, die sich zu einem Mittagsessen im örtlichem Bergrestaurant getroffen haben. Die Sonne steht immer noch hoch über dem Horizont und ihre Hitze liegt jetzt wie ein Todestuch dicht über dem Tal.
Sonntag – Montag, 26. – 27. Juni: Ruhetage
Wetter: Weiterhin türkisblauer Himmel, Temperatur: 18 – 30°C
Heute ist «Nichtstun» und Biertrinken angesagt.
Dienstag, 28. Juni: Guejar Sierra – Fornes
Wetter: Etwas Dunst liegt in der Luft, Temperatur: 18 – 32°C
Der Campingplatz «Las Lomas» liegt bereits hinter uns. Der Morgenverkehr von Granada überleben wir ohne grossen Stress. In Mondujar, ca. 30km südlich von Granada, suchen wir nach einem Ersatz für unsere Gasflasche. Nach knapp zehn Wochen läuft sie bereits seit Tagen am Limit. Die Suche gestaltet sich als die sprichwörtliche «Suche nach der Nadel im Heuhaufen». Wir werden von einem Laden zum nächsten weitergeleitet bis wir, nach einer gefühlten Stunde, in einer kleinen Tankstelle fündig werden. Wir sind erleichtert. Danach stocken wir in einem nahegelegenen Supermarkt unseren Provianten auf.
Nun sind wir bereit, den nächsten Abschnitt unserer Route in Richtung Sevilla in Angriff zu nehmen, was sich zu Beginn als eine nervenaufreibende Angelegenheit erweist. Die GPS-Koordinaten, die wir für diese Teilstrecke zur Verfügung haben, sind ungenau und lückenhaft. So zirkeln wir mit Hannibal durch die sehr engen Gassen eines Bergdorfes und folgen einem sehr engen und sehr steilen Landweg. Fabrizio hasst diese Situationen zutiefst. Insbesondere die Möglichkeit eines entgegenkommenden Fahrzeuges beurteilt er als Supergau. Ausweichplätze gibt es kaum und der Pistenrand ist steil abfallend und alles anderes als stabil.
Zum Glück sind die Bauern bereits in der Mittagspause und wir kommen ohne Schrammen davon. Nach dem Dorf Albuñuelas steigt die Piste auf 1’100 m ü. M. und schlängelt durch einen schönen Wald von Nadelhölzern. Wir kommen easy vorwärts, die Piste ist leicht und in einem guten Zustand. Gegen 16:00 stoppen wir für die Nacht im Camping «Los Bermejales» am Ufer des gleichnamigen Staudammes und zu Füssen des «Parque Natural de Sierras de Tejeda».
Na ja, er erweist sich als Reinfall. Der Zeltplatz ist grösstenteils von Dauermietern besetzt. Sie haben hier ihre Wohnwagen und haufenweise Unrat deponiert. Die Wohnwagen (alle mit vorgelagertem Zelt) sind nah aneinander aufgereiht wie die Verkaufsstände eines überfüllten Weihnachtsmarktes. Im weitesten Sinn ähnelt das Gesamtbild jenem eines Slums.
Mittwoch, 29. Juni – Freitag, 1. Juli: Fornes – Finca La Meica
Wetter: Schöner blauer Himmel (schon wieder), Temperatur: 18 – 32°C
Die heutige Etappe hat es in sich. Nicht wegen der Länge oder des Schwierigkeitsgrades, aber aufgrund der gewählten Pistenführung. Wir tauchen tief in die Hügel Andalusiens ein. Wir folgen steilen und ebenso abfallenden Pisten durch unzähligen Olivenheine und Mandelplantagen. Hannibals Bremsen werden heute stark in Anspruch genommen.
Kleine renovierte Fincas schmücken unseren Weg. Es scheint, dass die Spanier (nach dem Covid-Schock) die Grossstädte verlassen, wo sie während der Pandemie in ihren kleinen Wohnungen teilweise «eingesperrt» waren, und diese verlassenen Gegenden wiederentdecken, wo das Wort «Lockdown» relativ unbekannt ist.
Zwischen den Dörfern Colmenar und Casabermeja klettert unsere Piste hinauf durch die Wälder. Hier, inmitten der Natur haben Hilde und Chris (ein belgisches Paar) ein kleines, aber schönes B&B eröffnet.
Hilde ist eine joviale Frau. In Belgien war sie Besitzerin eines Blumen- und Geschenkladens. Kurz vor einem Burnout, verkaufte sie 2016 ihr Geschäft und zog mit Ihrem Mann nach Spanien. Chris ist ein IT-Spezialist und arbeitet seitdem Covid-Lockdown im Homeoffice von Andalusien aus. In den Bergen von Casabarmeija kauften sie dann die «Finca La Meica» und renovierten sie in einem Kraftakt, sodass sie die Türen 2017 für ihre Gäste öffnen konnten.
Wir sind während drei Tage die einzigen Gäste und geniessen die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt, in vollen Zügen
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Freitag, 1. – Montag, 4. Juli: Finca La Meica – Antequeras
Wetter: Warm bis sehr warm, Temperatur: 18 – 35°C
Der Entscheid steht fest, wir fahren nicht nach Malaga. Eine neue Hitzewelle ist angekündigt und wir möchten diese nicht in einer Grossstadt durchstehen müssen. Deshalb machen wir eine Planänderung: Wir steuern als nächste Ziele den «Paraje Natural El Torcal de Antequera» und die Stadt Antequera, die gemäss Führer über unzählige weitere Attraktionen verfügen soll, an. Da es in der Nähe keine Campingplätze hat, buchen wir drei Nächte im Hotel «Los Dolmenes» in Antequerra.
Der Naturpark Torcal – ein verwittertes Karstgebirge mit skurrilen Türmen, das uns an die «Lost Cities» in Australien erinnert – ist pittoresk, von weitem und von nahem. Bereits auf dem Parkplatz posieren auf den Felsformationen vor uns ein paar Steinböcke. Sie kennen keine Scheu und lassen sich seelenruhig fotografieren. Wir folgen dem ausgeschilderten Wanderweg. Vor allem der erste Teil mit seinen zerklüfteten Felsformationen bzw. horizontal geschichteten oder mit einer Elefantenhaut überzogenen Felstürmen ist spektakulär. Wir wandeln, wie durch die Kulissen einer von HR Giger gestalteten Filmwelt voll von Kobolden und Fantasiewesen. Immer wieder zücken wir verzaubert die Kamera.
Antequera beeindruckt uns mit seiner Alkazaba vor allem von weitem. Die einst von den Mauren gebaute Burg überragt die dicht aneinander gedrängten weissen Häuser dieser andalusischen Stadt. Auf den ersten Blick ist das Stadtbild dieser seit bereits 5000 Jahren besiedelten Gegend intakt. Allerding durchfahren wir beim Näherkommen zuerst einmal anonyme Wohnsiedlungen, kommen dann an den unzähligen Mekkas der heutigen Zivilisation (Aldi, Lidl & Co.) vorbei bevor wir zu unserem in der Industriezone gelegenen charakterlosen Hotel «Los Dolmenes» gelangen – obwohl wir uns dies bewusst waren, eine Ernüchterung. Wir brauchen, bevor wir den «Casco Historico» besichtigen können, eine Abkühlung. So strecken wir uns nach einer erfrischenden Dusche auf den kühlen Leinen des riesigen Bettes im klimatisierten Zimmer aus.
Um 19.00 Uhr bestellen wir ein Taxi und lassen uns zur Alcazaba bringen. Der Blick auf die Stadt und die sie umgebende Natur ist bei Sonnenuntergang umwerfend. Das sanfte Licht der untergehenden Sonne lässt die unzähligen mit Backstein gebauten Kirchen und Klöster nochmals aufleuchten. Wir ergötzen uns an diesem Bild. Allerdings ermahnt uns unser knurrender Magen – wir haben seit dem Frühstück nichts mehr Festes zu uns genommen – an den für diesen Abend vorgesehenen Restaurantbesuch. Tripadvisor sei dank haben wir im «Abrasador Bodegas Triana» eine vorzügliche Wahl getroffen. Die Atmosphäre ist zeitgemäss schick, die Bedienung professionell freundlich und das Essen vorzüglich. Mangels offener Alternativen – einige weitere Restaurants sind ferienhalber geschlossen – kommen wir in den nächsten beiden Tagen wieder hierher zurück und werden nicht enttäuscht.
Die Dolmen, die zum UNSECO-Weltkulturerbe ernannt wurden, sind aus kulturhistorischem Gesichtspunkt bestimmt eine gewaltige Leistung. Allerdings ist man als profaner Besucher, der über die komplexe Bedeutung dieser Bauwerke nichts weiss, eher ein wenig enttäuscht. So ergeht es uns nach der Besichtigung. Etwas Verständnis und Bewunderung keimt in uns jedoch nach dem Besuch des modernen und stylischen Museums auf.
Zum Abschluss unseres Aufenthaltes in Antequera holen wir nach, was uns letztes Jahr in der Sierra de Culebra verwehrt war, der Besuch eines Lobos-Parks (Wolfsparks). Unsere Erwartungen sind bescheiden. Werden wir aufgrund der Hitze Wölfe zu Gesicht bekommen? Handelt es sich um einen Erlebnispark oder um eine wissenschaftlich fundierte Haltung von einer vom Aussterben bedrohten Tierart? Unser Fazit am Ende des Besuchs: Es hat sich durchaus gelohnt, auch wenn wir nur etwa eine Handvoll der insgesamt 30 ausgewachsenen Tiere zu Gesicht bekommen haben. Sie machen Eindruck, auch wenn sie aufgrund des Sommers 8 – 10 kg an Körpergewicht und einen Grossteil ihres üppigen Pelzes verloren haben. Die Führerin ist engagiert und weiss viel über die Verhaltensmerkmale der einzelnen Wölfe zu erzählen. Die 1 ½ Stunden waren wirklich sehr kurzweilig.
4. – 17. Juli: Antequeras – Ronda – Figuères
Das Wichtigste in Kürze:
Die atemberaubende Wanderung entlang des „Caminito del Rey“ (trotz Höhenangst). Die vom Dorf Tolox beginnende steile und steinige Piste entlang des «Parque Natural de la Sierra de las Nieves». Die Stadt Ronda mit seinem imposanten „Puente Nuevo“ und sehr schöne „Plaza de Toros“.
Montag, 4. Juli: Antequeras – Ardales
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 37°C
«Mensch sieht DAS gfürchig aus!» entweicht Fabrizio spontan, als wir zum ersten Mal vom Strassenrand aus den Wanderpfad «El Caminito del Rey» erblicken. Eine senkrechte Wand mit einem schmalen Steg, der wie durch ein Wunder an ihr «festzukleben» scheint, … so präsentiert sich uns die Konstellation von weitem. «Morgen werden wir selbst da drüben sein …». Eine gewisse Unsicherheit ist in Fabrizios Stimme unüberhörbar. Er, der unter Höhenangst leidet, denkt… hoffentlich kommt morgen alles gut hinaus.
Als wir den Camingplatz «Parque Ardales», der schön am Stausee «Embalse del Conde de Guadalhorce» in einem Pinienwald versteckt liegt, erreichen, haben wir eine ca. 70km lange und sehr kurzweilige Fahrt hinter uns: Diese hat oberhalb des Dorfes Valle de Abdalajis begonnen und führt uns auf einer steinigen und relativ steilen Piste zuerst durch eine Schlucht und klettert dann eine Bergflanke hinauf. Technisch ist sie einfach. Keine nennenswerten Auswaschungen, fester Untergrund … das Panorama ist «erste Sahne». Von hier oben betrachten wir die unendlich grossen Olivenhaine, die hie und da durch bereits abgeerntete Getreidefelder unterbrochen werden. Die geometrischen Formen, der auf den Feldern durch die Mähdrescher hinterlassenen Spuren, erinnern uns an Kornkreise in Maisfeldern.
Die Hitze ist heute unerträglich. Sie klebt regelrecht an unseren Körper wie eine zweite Haut. Auch im Schutz der Pinienbäume ist sie unbarmherzig. Nicht einmal die leichte Brise, die einen Weg durch den Wald gefunden hat, bringt eine spürbare Erleichterung. So bleibt uns nichts anders übrig, als uns so wenig wie möglich zu bewegen. Wir «frieren» unsere geplanten Aktivitäten ein und warten auf die abendliche Abkühlung (falls es eine solche überhaupt geben wird).
Gegen 20:00 entscheiden wir uns für einen kurzen Ausflug zur Felsenkirche von Bobastro. Sie liegt nicht einmal 8 km vom Campingplatz entfernt. Wir geniessen während der Fahrt die wohltuende Abkühlung, die uns Hannibals Klimaanlage beschert. Die Felsenkirche von Bobastro steht für eine lange Geschichte der Auflehnung gegen die Obrigkeit, die in einen «Guerrillakrieg» mündete. Die «Abtrünnigen» versteckten sich in den Felsen des «Tajo de Buitre» und errichteten dort ihre Basis samt Kirche und schützender Burg. Wieder einmal staunen wir über die Willenskraft der Menschen, die hier aus den Felsen eine Kirche beachtlicher Grösse herausgehauen haben.
Dienstag, 5. Juli: Wanderung entlang des «Caminito del Rey»
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 37°C
Der «Caminito del Rey» scheint eine sehr beliebte Destination zu sein. Die Eintrittskarten haben wir deshalb bereits vor 5 Tagen in der Finca La Meica gekauft. Als einer der gefährlichsten Wege weltweit abgestempelt, hat er zwar seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2015 nichts von seiner brachialen Wirkung verloren, ist aber durch die baulichen Vorkehrungen «sicherer» geworden. Ursprünglich wurde der Caminito del Rey als «Service-Weg» für die Angestellte des Wasserkraftwerkes errichtet (die Schlucht wurde nördlich vom Dorf El Chorro mit einer Staumauer abgeriegelt). Nachdem das Wasserkraftwerk modernisiert wurde, verlor der Weg seine «Bestimmung», wurde aber von Kletterern, Bunging-Jumpern und sonstigen Abenteurern entdeckt. Nach mehreren Todesfällen sperrten die Behörden im Jahr 2000 den Weg «definitiv».
Um der ärgsten Hitze des Tages zu entfliehen, haben wir eine geführte Tour für 17:00 gebucht. Der Caminito del Rey befindet sich zu dieser Tageszeit im Schatten. Eine junge und «sehr» dynamische Frau (hätte eher zu einer Aerobic-Session gepasst) führt uns durch die Schlucht, erzählt uns Facts & Figures über den Caminito del Rey und macht uns regelmässig auf die Gefahren, die wir auf dem Weg antreffen, aufmerksam.
Wenn man Bilder vom Caminito del Rey im Internet anschaut, erhält man zwar eine gewisse Idee wie es in Realität aussehen könnte, ist man aber selbst vor Ort, verschlägt es einem richtiggehend die Sprache. Der Steg ist direkt an der senkrechten Schluchtwand angebracht. Beugt man sich über den Handlauf und schaut hinunter, stockt einem der Atem. So ein Blick haben nur Adler und Geier (à apropos: in dieser Schlucht lebt die grösste Geierkolonie Spaniens). Fabrizio friert das Blut in den Adern. Mit einer Hand hält er sich am Stahlseil, das an der Schluchtwand angebracht ist, fest und mit der anderen fotografiert bzw. filmt er. Mit sehr kleinen Schritten läuft er wie auf Eiern und versucht nicht runterzuschauen. Unter uns sehen wir noch Bruchteile des «alten» Caminito del Rey. Er war sehr viel schmaler als der Neue. «Hier liefen sogar Menschen begleitet von Mauleseln durch» erzählt uns «Jane Fonda» und lacht dabei etwas verschmitzt.
Der absolute «Hit» kommt aber gegen Ende: Eine Hängebrücke, die über einem Abgrund von 130 Meter die linke mit der rechten Schluchtwand verbindet, muss überquert werden. Durch diese Engstelle pfeift ein zügiger Wind und bringt die Brücke zum Schwingen. Fabrizio überlegt sich für einen kurzen Moment, ob er nicht besser bis zum Anfang des Caminito zurücklaufen soll als auf allen Vieren darüber zu «kriechen». Wir überleben dieses «Abenteuer» ohne Schrammen und kehren unversehrt zum Campingplatz zurück.
Mittwoch, 6. Juli: Ardales – Ronda
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 35°C (weit und breit keine Wolken und kein Regen in Sicht!)
Wir verlassen den Campingplatz früh am Morgen in Richtung Ronda. Die aufsteigende Sonne liegt noch tief über dem Horizont und lässt die frisch abgeernteten Getreidefelder goldig leuchten. Es ist praktisch windstill. Die Hügel spiegeln sich im ruhigen Wasser des Stausees «Embalse del Conde de Guadalhorce» und bieten ein sehr gutes Fotomotiv (welches Fabrizio sich nicht entgehen lässt).
Im Dorf Carratraca steigt unsere Piste in die «Sierra Pietra» hinauf. Vorbei an ehemalige Diamantenminen geniessen wir von oben eine uneingeschränkte Sicht über die Ebene rund um die Dörfer Casarbonela und Alozeina. Die Stadt Marbella wäre in Sichtweite. Jedoch versperrt uns der Dunst oder Staub, der in der Luft liegt, den Blick zum Meer.
Im für seine Thermalbäder bekannten Dorf Tolox beginnt der zweite Teil unserer heutigen Route. Diese führt uns über eine Steigung von 600 Höhenmeter innerhalb von 10 km zum «Parque Natural de la Sierra de las Nieves». Die Piste ist sehr steil, steinig und teilweise ausgesetzt. Hannibal macht es nichts aus. Flott und unermüdlich wie eine Bergziege klettert er die Bergflanke hinauf ohne zu murren. Das Panorama ist jede Anstrengung Wert. Wir fühlen uns in die Pyrenäen versetzt. Aber auch auf knapp 1300 m ü. M. ist die Hitze immer noch unerträglich. Als wir eine kurze Pause einlegen möchten, empfängt uns ein heisser Wind. Der Schweiss fliesst in Strömen und wir suchen schnell Schutz in Hannibals klimatisierter Kabine.
Heute peilen wir die berühmte Stadt Ronda an. Wir haben noch wage Erinnerungen aus unserem Erstbesuch im Jahr 1989. Im grosszügig angelegten Camping «El Sur», 1.5 km ausserhalb von Ronda, schlagen wir unser Camp auf.
Donnerstag, 7. Juli: Ronda
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 36°C (die zweite Hitzewelle ist bereits unterwegs)
Nach knapp zwölf Wochen Reisen ist der Moment gekommen, um eine Zäsur zu machen. Die sehr hohen Temperaturen (die im Inland und teilweise auch an der Küste bis zu 40°C und mehr erreichen) zwingen uns, unsere Reisepläne zu hinterfragen. Die angekündigte zweite Hitzewelle heisst nichts Gutes für uns. Eigentlich wollten wir viel wandern, aber unter diesen Umständen liegt dies nicht mehr drin. Darüber hinaus steht Anfang August Spaniens Hauptferienzeit an, was bekanntlich zur «Verstopfung» der Campingplätze führt und unsere, meist sehr spontane Tagesplanung, erschweren bzw. verunmöglichen wird. Also … «Quo Vadis»? Oder sitzen wir die Hitzewelle aus und warten auf eine Abkühlung der Temperaturen oder versuchen wir etwa, bis zur atlantischen Küste Portugals zu gelangen, um dort die kalte Meeresbrise zu geniessen (zurzeit herrschen dort auch teuflischen Temperaturen)? Vor allem beschäftigt uns jedoch die Frage, ob wir überhaupt noch nach Marokko (im Moment liegen dort die Temperaturen auch um/über 40°C) fahren sollen. Andere Möglichkeiten wären auch, die restliche Reisezeit in den Pyrenäen (hier liegen die Temperauen um die 30°C) zu verbringen oder nach Hause zurückzukehren und dort unsere Reisen im 2023 vorzubereiten und zu finalisieren?
Fragen über Fragen.
Nach langem Überlegen haben wir die «ideale» Lösung gefunden: wir kehren zurück in die Schweiz und besuchen Marokko erst im Oktober, November. So haben wir Zeit, das Visum für die USA zu beantragen und unseren Kopf für die kommende Abenteuer freizumachen. Darüber hinaus möchten wir Hannibals Differentialsperre nach dem Zwischenfall im Parque Natural de Alto Tajo überprüfen lassen.
Freitag, 8. Juli: Ronda
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 36°C (die zweite Hitzewelle ist angekommen)
Gegen 19:30 machen wir uns zu Fuss in Richtung Stadtzentrum auf. Der Campingplatz ist gut gelegen, das Stadtzentrum von Ronda liegt nur ca. 1.5km entfernt. Wir beide haben, ausser dem Bild der gigantischen römischen Brücke, nur noch wage Erinnerungen von unserem ersten Besuch im Jahr 1989. Fabrizio will unbedingt die Brücke bei Sonnenuntergang fotografieren. Kaum überqueren wir den grossen Eingangsbogen zu Füssen der Altstadt, schon klingt von Weitem rhythmische Musik. Trommeln, Elektrobeats und eine weibliche Stimme aus einem Lautsprecher. Wir sind wie Jagdhunde, die Witterung von einer Spur aufgenommen haben. Wir beschleunigen unsere Schritte (man könnte ja etwas Wichtiges verpassen) … wir rennen fast!
Vor uns ein Umzug: Menschen auf Stelzen schwingen im Rhythmus der Musik farbige Fahnen, andere ziehen Trolleys mit überdimensionalen Figuren, die an solche von Niki de Saint Phalle erinnern, hinter sich her. Es ist Kulturabend. Das Picasso-Museum steht für Besucher offen, ein Flamenco-Gitarrist spielt virtuos im Schatten von rosaroten Oleanderbäumen, ein Tenor singt auf dem Gemeindeplatz eine Arie aus einer uns unbekannten Oper, zwei junge DJs legen Trance-Musik unter der Kuppel einer Gazebo am Rand der schützende Felsenwand von Ronda auf … eine Handvoll wohlernährter Katzen liegen im Schatten von Oleandern und beobachten die vorbeiziehenden Menschen mit Indifferenz (wir rufen sie mit «Maus», «Mietze, Mietze» aber sie machen nicht einmal ihre Augen ganz auf) und einem Hauch Verachtung (sie wissen ganz genau, dass sie kein Futter kredenzt bekommen … so why bother?).
Vom «Mirador La Hoya del Tajo» lässt sich die Brücke «Puente Nuevo» bei Sonnenuntergang am besten ablichten. Wir steigen die gefühlten 300 Höhemeter in die Schlucht hinunter (es sind knapp 50) bis zum Mirador. Die Tageshitze hat sich hier häuslich niedergelassen und erwartet uns mit weit offenen Armen. Wie aus einem lecken Wasserhahn perlen uns Schweisstropfen von der Stirn über das Gesicht. Die Augen brennen. Durch den Sucher der Fotokamera zu fokussieren, erweist sich unter solchen Umständen als schwierig. Liegt die Brücke im «goldigen Schnitt»?
Eine Gruppe Asiaten hat sich – ohne gross zu fragen – vor das von uns gewählte Fotomotiv gestellt. Einer nach dem anderen lässt sich mit dem «Victory Zeichen» und der Brücke im Hintergrund fotografieren. Ein besonders «eifriger» junger Japaner (von der Aussprache her scheint uns sein Herkunftsland Japan zu sein) stolpert den Kopf voran über einen Felsvorsprung und wird von seinen Kumpels um Haares Breite vor dem Absturz in die Schlucht gerettet. Noch etwas unter Schock lacht er verlegen. Als ihm aber die erlebte Situation bewusst wird, setzt er sich hin und starrt eine Weile in den Abgrund hinunter ohne ein Wort zu sagen. Sein noch junges Leben hätte sich schneller vor seinem inneren Auge abgespielt als der Sturzflug gedauert hätte.
Nach unserer Fotosession kehren wir zu Hannibal zurück. Es ist 23:00. Der Asphalt ist immer noch warm. Grillen und Zikaden zirpen laut, ein Hund erschreckt uns als er uns aus dem Nichts anbellt.
Samstag, 9. Juli: Ronda
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 36°C (die Hitzewelle hält Ronda weiterhin in seinen Klauen)
Am frühen Morgen (ca. 10.00) besichtigen wir die Stierkampfarena mit seinem aufschlussreichen Museum, das die Geschichte des Stierkampfs seit den Zeiten der Mauren beleuchtet. Es geht dabei um Ehre, Stolz und Manneskraft. Heute werden nur noch einmal im Jahr Kämpfe ausgetragen, in Erinnerung an die guten alten Zeiten und zur Bewahrung der Tradition.
Auch wenn uns der Grund für die weitere Ausübung dieses Brauches verschlossen bleibt – der Stress für die Stiere und Rinder scheint uns zur Belustigung und für den Nervenkitzel von jungen Männern und Publikum ungerechtfertigt – ist die Arena selbst ein architektonisches Juwel und das Museum birgt viele kunsthandwerkliche Schätze, wie die reich verzierten und bestickten Gewänder der Toreros, die in uns Staunen und Bewunderung auslösen.
Den Rest des Tages verbringen wir im Schatten der Sonnenschirme am Pool und ertragen die kreischenden, lärmenden und völlig überdrehten Kinder. Niemand gebietet Ihnen Einhalt, auch dann nicht als ein Deutscher Tourist sie auf die Poolregeln (Spring-, Matratzen- und Ballspielverbot) aufmerksam macht.
Sonntag, 10. Juli: Ronda
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 20 – 36°C (die Hitzewelle hält Ronda weiterhin in seinen Klauen)
Ruhetag.
Wir wären gerne noch zwei bis drei Tage länger in Ronda geblieben. Allerdings verfügt der Campingplatz über eine miserable Internetverbindung. So sind wir gezwungen, den ganzen Tag untätig im Schatten zu sitzen und erst gegen 20:00 können wir uns in die weite Welt aufmachen. Dies entspricht auf die Länge nicht unserer Vorstellung von Reisen.
Montag, 11. Juli: Ronda – Grazalema
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 18 – 33°C
Den vor Tagen getroffene Entscheid nach Hause zu fahren, wird mit einem kleinen Umweg über Grazalema (aus Nostalgiegründen), einem Stopp in Velez-Blanco, einem weiteren Umweg über Albarracin (an der Küste gelten auf den Campingplätzen Mindestaufenthalte von 4 – 7 Tagen) und dem bereits gewohnten finalen Stopp in Empuriabrava, Figuères, umgesetzt.
Grazalema ist ein hübsches «Pueblo blanco» in einer wilden Berggegend. Beim ersten Besuch Andalusiens einen Ausflug wert. Eine Wiederholung drängt sich nicht unbedingt auf, zumal der Campingplatz der Gemeinde sehr bescheiden und schlecht unterhalten ist. Zur weiteren Erkundung der Gegend – Fabrizio hat im Voraus mehrere Wanderrouten recherchiert – ist es einmal mehr viel zu heiss.
Dienstag, 12. Juli: Grazalema – Velez-Blanco
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 18 – 34°C (keine Wolke in Sicht)
Hannibal spult unermüdlich und ohne zu murren Kilometer um Kilometer auf dem heissen Asphalt ab. Total werden es heute über 370 km sein. Als Belohnung werden am Abend seine beiden Tanks mit günstigem Diesel aufgefüllt und die Kühlerhaube für eine gute Weile gelüftet, damit der Motor abkühlen kann.
Die Fahrt über die Provinzen von Sevilla und Granada führt uns vor Augen, wie sehr wir Spanien für seine landschaftliche Vielfalt, seine historischen Städte («cascos historicos») und nicht zuletzt seiner Küche schätzen.
Auf der A-92 kurz vor Guadix verschlägt uns die Canyon-Landschaft den Atem. Nur allzu gern würden wir diese Wüstenlandschaft erkunden, doch die Temperatur an der Frontscheibe lässt diesen Wunsch wie ein der Sonne ausgesetztes Cornet-Glacé zerschmelzen.
Für die Nacht richten wir uns auf dem immer noch beinahe leeren Zeltplatz von Velez-Blanco ein und gehen (heute mit dem Auto) in der «Bar Social» für 21 EUR Tapas essen bevor wir uns erschöpft in Hannibals warme Eingeweihte zurückziehen.
Mittwoch, 13. Juli: Velez-Blanco – Albarracin
Wetter: Sehr warm, Temperatur: 18 – 37°C (keine Wolke in Sicht)
Am Abend werden weitere 590 km auf Hannibals Tacho zu Buche stehen. Eine lange Reise aufgrund der an der Küste geforderten Langaufenthalte und der im Landesinnern vielen «auf unbestimmte Zeit geschlossenen» Campingplätze. Vermutlich haben sie die Corona-Zeit nicht überlebt.
Auf unserer Fahrt sehen wir zur rechten Hand die Silhouetten der von uns überquerten bzw. durchfahrenen Gebirgsketten entlang der Mittelmeerküste. Unmerklich werden die Landstriche «grüner» bzw. die kargen Oliven- und Mandelhaine werden durch Pfirsichplantagen und Getreidefelder abgelöst. Die Pinienwälder werden immer weniger, während vermehrt Eichen- und Fichtenwälder die Bergkuppen säumen. Auch heute keine langweilige Fahrt. Kurz vor Teruel wird die Strasse entlang des sich schlängelnden Flusses Turia nochmals kurvenreich und eng. Auf der Flussebene wurden Mais angepflanzt und Pappelplantagen angelegt. Ein heutzutage scheinbar nicht mehr einträgliches Geschäft. Davon zeugen die heruntergekommenen mit vielen verlassenen Häusern gezeichneten Dörfer.
Für einen Stopp bei den sich im besten Fotolicht präsentierenden Muelas reicht die Kraft nicht mehr. Wir ziehen unsere Fahrt direkt bis zum Glutofen Albarracin durch. Als Trost und zur Ablenkung leisten wir uns beim Camping-Restaurant einen köstlichen Salat mit gebratenem Ziegenkäse sowie eine butterzarte Ziegenkeule.
Mittwoch, 13. Juli: Albarracin – Empuriabrava
Wetter: Sehr warm (what else?), Temperatur: 18 – 37°C (wer hat die Wolken gestohlen?)
Punkt 08:00 drehen wir die Zündschlüssel. Hannibal springt wie ein junger Gepard an und hat noch keine Ahnung, dass die heutige Strecke 590km lang sein wird. Endstation Empuriabrava, Camping Mas Nou, unser Startpunkt vor 87 Tagen. Unser Weg führt uns von Albarracin nach Teruel, dann über die N-420 nach Alcañiz. Von hier aus nehmen wir die N-211 Richtung Lleida. Von Lleida trotteln wir hauptsächlich entlang der Autovia Mediterranea in Richtung Girona und Figuères.
Das Morgenlicht ist klar und die Strasse bis Teruel noch leer. Nur die Bauern nutzen die noch tiefe Temperatur aus und beginnen, die Getreidefelder zu ernten. Die N-420 erweist sich als Glücksfall. Die Landschaft nach Teruel ist im Morgenlicht einfach grandios. Parallel zur Strasse liegt eine alte und heute nicht mehr benutzte Bahntrassee. In regelmässigen Abständen stehen inmitten vom Gestrüpp und Unrat die Ruinen der Bahnhofsgebäude. Diese Bauten strahlen eine unverfälschte Schönheit aus. Sie wurden architektonisch sehr schön gebaut. Die Bahnlinie muss von grosser Wichtigkeit gewesen sein, obwohl sie, infolge des Bürgerkrieges, praktisch nie benutzt wurde. Im Dorf Alfambra stoppen wir kurz, um das «Castillo Templario de Alfambra» zu fotografieren. Die rote Erde der umliegenden Berge leuchtet wie frisch ausgelassenes Blut.
Von hier an treffen wir auf unzählige entgegenkommende Lastwagen. Sie holen das von den Feldern geerntete Getreide ab und transportieren dieses zu den Genossenschaftssilos. Als sie uns auf der Strasse kreuzen, schwankt Hannibal kurz hin und her wie ein Besoffener auf dem Weg nach Hause.
Nach Alfambra ändert sich das Panorama allmählich. Die bis jetzt so fotogenen Felsen werden durch eine flache und eintönige Landschaft ersetzt. Die Getreidefelder dominieren. Im Dorf Utrillas, kurz bevor wir rechts in die N-211 abbiegen, sichten wir die Stahlkonstruktion des Minenschachtes «Pozo de Santa Bárbara». Hier wurde Kohle im grossen Stil abgebaut. Auf der gegenüberliegenden Talseite ragt ein gewaltiges Kohlenkraftwerk aus dem Boden hinaus. Ob es noch im Betrieb ist, wissen wir nicht. Es würde sich jedoch als hervorragende Kulisse für einen Science-Fiction-Film eignen.
Nochmals ändert sich nach den Minen die Landschaft. Die flachen Getreidefelder machen den engen und steilen Bergflanken Platz. Dass hier die Erde reich an Rohstoffen ist, verraten die farbigen Erdschichten, die wie die Schichten einer aufgeschnittenen Torte unsere Strasse links und rechts säumen.
Wir erreichen Alcañiz und staunen über das «Castillo de Calatravos», das die Stadt überragt. «Nächstes Mal» sagt Fabrizio mit einem grossen Seufzen. «Vielleicht wenn wir von Marokko via Spanien zurückreisen, machen wir hier einen Stopp» ergänzt er mit enttäuschten Augen. «Für eine Besichtigung ist es wirklich zu heiss!»
Gegen 18:00 erreichen wir Empuriabrava. Wir werden von den noch heissen Sonnenstrahlen und von hungrigen Moskitos sehnsüchtig erwartet. In drei Tagen reisen wir endgültig Richtung Nachhause. Jetzt heisst es noch den Kühlschrank leeren, Olivenöl einkaufen und Hannibal reinigen.
Hasta luego Spanien!