Spanien 2022: Reisetagebuch
1. Juni - 3. Juli
Valencia - Antequeras
Das Wichtigste in Kürze:
Die „Sierra Espuña“ mit seinem gewaltigen Berg „El Berro“ und den „Barranco de Gebas“. Die „Sierra Maria“ mit dem Dorf Vélez Blanco und seiner beeindruckenden Burg. Die Wüste von Tabernas wo die „Spaghetti-Western“ geboren wurden und die Wanderung entlang „La Senda de Agua“ von Nijar nach Huebro.
Das hochgelegene Dorf Trévelez (Hauptzentrum des Jamon Serrano) in der Sierra Nevada. Der Besuch des kleinen aber feinen Restaurants „Betula Nana“ in Granada. Und zum Schluss der Naturparl „El Torcal“ in Antequera.
Mittwoch, 1. Juni, Valencia – El Berro
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 16 – 32°C
«Baby come! Babyy?» «Baby come! Babyy?» Was sich wie die Aufforderung aus einem billigen Sexfilm anhört, sind in Tat und Wahrheit die verzweifelten Rufe einer Holländerin, die ihren vierbeinigen Sonntagsbraten auf dem Campingplatz verloren hat. Der Köter ist anscheinend ein Meister im «Ausbüxen» und schleicht sich ständig aus dem Wohnwagen seiner Herrin weg und erkundet auf eigene Faust die weite Welt des Campinglatzes. Als ob die peinlichen Rufe nicht genug wären, versucht sie, den Flüchtigen mit einer Schachtel Hundebiskuit zu ködern. Sie schüttelt die Schachtel mit einer solchen Kraft, dass man meinen könnte, eine Klapperschlange sei aufgescheucht worden. Wir beobachten dieses Treiben und lachen verschmitzt hinter vorgehaltener Hand. Einer der holländischen Campingplatzgäste ruft plötzlich so etwas wie «Hier ist er! Kommen Sie hierher!» Alles umsonst. Kaum kommt die Besitzerin angerannt, schon ist der Hund wieder verschwunden. Das Katz und Maus- oder besser Hund und Herrinnen-Spiel zieht sich über eine satte Stunde hinweg, bis wieder Ruhe einkehrt.
Dies war unsere letzte Nacht in Valencia. Nach vier herrlichen Paellas, etlichen Kilometern zu Fuss durch die Strassen dieser Metropole, verlassen wir diese reizende Stadt und fahren in Richtung Südwest. Unser Ziel ist der «Parque Regional de la Sierre Espuña».
Zuerst durqueren wir den Reisgürtel, südlich des «Parque Natural de Albufera». Hier sind die Bauern bereits daran, die Felder maschinell so vorzubereiten, dass die nächste Reis Saat ausgebracht werden kann. Mit schwerem Geschütz bearbeiten sie den trockenen Boden und verursachen dabei Staubwolken von biblischer Grösse.
Wir umfahren Alicante und nehmen im Dorf Ricote (nördlich von Murcia) die Piste in Angriff, die bis nach Lissabon führt, wenn wir ihr bis an ihr Ende folgen würden, was zurzeit noch nicht entschieden ist.
Das enge Tal von Ricote könnte durchaus was die aride Landschaft und den Städtebau betrifft in Marokko oder im Oman liegen. Die kleinen erdfarbenen (von rot bis beigegelb) Häuser schmiegen sich sanft an die Berghänge. Im Talboden fliesst immer noch ein dünnes Rinnsal, um die noch üppige Natur und die Gärten zu bewässern. In der Ferne machen wir die imposante Mauer eines Stausees aus. Während die hier bis 1614 heimischen Mauren ein ausgeklügeltes Zisternen- und Bewässerungssystem über die Jahrhunderte aufgebaut und gepflegt haben, werden in der Neuzeit die Flüsse schon nahe der Quelle gestaut und an ihrem natürlichen Lauf gehindert. Mit dem Wasser aus den Stauseen werden in den Ebenen Zitrus-, Mandel- und Olivenplantagen sowie Reben bewässert. Wir machen hier einen grossen Wiederspruch zwischen was die sensible Wüstenlandschaft bietet und was wir Menschen aus ihr herausholen aus. Selbst in den sogenannten Naturparks wird Landwirtschaft betrieben. Dennoch müssen wir uns eingestehen, dass die türkisblauen Stauseen und die in regelmässigen Mustern bepflanzten Plantagen dem Auge schmeicheln. Dazwischen machen wir vereinzelt technisch modernste Schweine- und Rindermästereien aus. Von irgendwoher müssen die «Jamons, Chorizos y Chuletons» für die in rauen Mengen Fleisch essenden Spanier kommen. Nach wie vor haben wir nicht die sich von Eicheln ernährenden Schweine, die so gern von den spanischen Fleischproduzenten zur Werbung herangezogen werden, in den Eichenwäldern angetroffen.
Die Piste gleicht einem Schweizer Waldweg. Sie führt uns durch Kieferwälder zum intensiv bewirtschafteten Talboden und weist ausser einer Engstelle (hier wurde der Weg durch einen Erdrutsch verschüttet) keine nennenswerten Schwierigkeiten auf. Ein starker Geruch von Harz liegt schwer in der Luft. Nach ca. 50 km verlassen wir die Route und fahren nach El Berro, einem Dörfchen, das idyllisch in den Bergen der «Sierra Espuña» liegt. Nach Rund 300 km Fahrt richten wir uns auf dem gut unterhaltenen Campingplatz ein und lassen bei einem kühlen Bier den Tag ausklingen und Revue passieren.
Donnerstag – Freitag, 2. – 3. Juni, El Berro – «Sierra Espuña»
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 16 – 31°C
Am ersten Tag verausgaben wir unsere Kräfte bei einer 20 km langen Wanderung durch die Wälder und Schluchten des Naturparks – und dies bei einer Hitze von rund 30 – 34 °C – so dass wir am nächsten Tag einen sogenannten Ruhetag einlegen müssen, den wir aber nach dem Mittagessen ad acta legen.
Gegen 15:00 brechen wir zur archäologischen Ausgrabung «Yacimiento de La Almoloya», die hoch oben auf einem uneinnehmbaren Tafelberg mit fantastischem Weitblick liegt, auf. Ein schweisstreibender, steilansteigender Weg führt uns zu den Ruinen dieses Dorfes aus der Bronzezeit hoch. Hannibal hingegen wartet unten im Schatten einer riesigen, alten Kiefer. Wir ziehen den Hut vor der Leistung dieser Menschen, die vor rund 3000 Jahren für rund drei Jahrhunderte hier gelebt haben. Wir versuchen uns vorzustellen, was es bedeutet haben muss, die grossen Steinbrocken für den Bau der Häuser hier hochzutransportieren, wie arbeitsintensiv der Alltag gewesen sein muss, um der Natur das notwendigste abzutrotzen und … dennoch blieb Zeit für das Schmiden von Schmuck und die Verzierung von Alltagsgegenständen, die in den zahlreichen Grabstätten gefunden wurden. Und heute … beklagen wir uns trotz der technischen Unterstützung über Zeitknappheit und Stress … Eine Verkehrte Welt. Es scheint verrückt, dass wir mit all den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem Wissen – das wir uns über Jahrtausende akkumuliert haben, um uns das Leben zu vereinfachen bzw. zu erleichtern – nichts Besseres anzufangen wissen, als uns ständig zu beklagen, uns fehle die Zeit.
Genug der trüben Gedanken … wir fahren weiter zu den geschützten «Barrancos de Gebas». Anstatt der geplanten Rundwanderung machen wir die Besichtigung dieser durch Erosion entstandenen, spektakulären Landschaft auf Spanisch: Wir fahren mit Hannibal so weit, bis uns eine Barriere bzw. eine Auswaschung den Weg versperrt. Was uns die Natur hier bietet, verschlägt uns den Atem… Es sind genau diese zerklüfteten Schluchten und erodierten Berghänge, das Farbspiel und das sanfte Licht warum wir die Wüste so lieben. Als Sahnehaube dürfen wir die Blumenpracht, die ein verregneter Frühling mit sich bringt, erleben.
Samstag, 4. Juni, El Berro – «Sierra Maria»
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 29°C
Bevor wir den Track fortsetzen, besichtigen wir eine weitere Attraktion der Sierra Espuña die sogenannten «Pozos de la Nieve» (Schneebrunnen). In diesen wurde über vier Jahrhunderte Eis auf 1’400 m produziert. 1926, als in Totana eine Eisfabrik gebaut wurde, erübrigte sich diese Knochenarbeit. Für die Schneebrunnen musste erstmals eine 7 m tiefe Grube ausgehoben, mit Steinen und Holz befestigt und mit einer Kuppel abgeschlossen werden. Zur Isolation wurden sie mit Laub, Stroh und Gras ausgekleidet. Ab November, Dezember wurden Sie mit Schnee gefüllt, der von bis zu neun Männern in Eiseskälte gestampft werden musste. Ab Mai konnte das Eis «geerntet» und in die Stadt für die Kühlung von Lebens- und Arzneimitteln sowie die Herstellung von Eiscrème gebracht werden. Auf dem Transport gingen bis zu 50% des Gewichts verloren. Diese harte Arbeit beschäftigte mehrere Hundert Männer. Ihre Entbehrungen sind für uns heute nicht mehr vorstellbar.
Die erste Hälfte des Tracks führt uns im Talboden durch von der Wüste abgetrotztes Landwirtschaftsland und ist nicht besonders attraktiv. In regelmässigen Abständen wurden künstliche Weiher zur Bewässerung der Kulturen ausgebaggert. Wir fahren erstmals an bereits reifen Getreidefeldern vorbei. Erst die zweite Hälfte führt uns durch ein coupiertes, reizvolles Gelände, auf dem es noch gewisse Naturräume und für unsere Mittagspause wichtig auch einen schattenspenden Baum gibt.
Gegen Abend treffen in der «Sierra Maria» auf dem gleichnamigen Zeltplatz, eine noch nicht bezogene Wohnwagenstadt, ein. Das Bild ist ziemlich desolat. Die Spanier scheinen ihr Sommerquartier grösstenteils noch nicht wieder bezogen zu haben. So sind die Zäune der Parzellen zum Teil eingedrückt, schon lange nicht mehr genutzte Quads rosten vor sich hin, es liegt Unrat herum. Kein Ort zum Verweilen. Eine Holländerin und wir teilen vielleicht mit einem Dutzend Spaniern den riesigen Platz. Mehr los ist im Restaurant. Hier wird ein Familienfest gefeiert. Als wir das Restaurant betreten, herrscht Chaos pur. Ein junger Kellner sowie ein Mann hinter dem Tresen versuchen den Bergen von benutztem Geschirr, Gläsern und Flaschen Herr zu werden.
Denselben Kellner treffen wir wieder beim Abendservice, wo es weitere Gruppen zu bewirten gilt, die nur noch mehr zum Chaos, das vom Mittagsservice noch nicht beseitigt werden konnte, beitragen. Eine zwölfköpfige Gruppe für die draussen getischt wurde, entscheidet sich aufgrund der aufkommenden frischen Brise spontan, nun doch im Innenraum zu speisen. Der Kellner behält die Nerven, zerschneidet in der Mitte das Papiertischtuch, das über zwei Tischplatten gespannt ist, die wiederum über drei quadratische Tische gelegt sind, und transportiert die Tischplatten samt Gedeck in den Speisesaal. Wir möchten nicht mit der jungen Servicekraft tauschen. Neben den komplizierten Gästen erleichtert auch die Infrastruktur nicht gerade die Abläufe. Er muss für sein Geld hart schuften und dennoch bedient er jeden Gast mit viel Geduld und hat immer eine Antwort bereit. Wir stärken uns für den nächsten Tag mit einem Entrecôte und Bratkartoffel, denn es sollen rund 1000 Höhenmeter und 16 km überwunden werden.
Sonntag – Dienstag, 5. – 7. Juni, «Sierra Maria» – Vèlez Blanco
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend, Temperatur: 16 – 31°C
Am späteren Nachmittag machen wir uns vom Dorf Maria zur einer von Wikiloc heruntergeladen Wanderung auf. Sie ist ca. 15,3 km lang und über 840 Höhenmeter müssen überwunden werden. Nach ein paar km führt die Route plötzlich in freies Gelände und über die Hälfte des Verlaufes soll dies auch so bleiben. In Anbetracht des steilen Geländes, scheint uns dies etwas gewagt und wir entscheiden uns, dem Wanderweg, der auf den vor uns liegenden Peñon de San Blasco zu führen scheint, zu folgen. Aber anstatt hinauf verläuft der Weg unmerklich abwärts auf den Berg zu, bevor er dann mit einer Richtungsänderung wieder ins Tal hinunterführt. Ein anderer Weg auf den Gebirgskamm hinauf ist aus Naturschutzgründen für Fussgänger gesperrt. Apropos Schutz der Natur. Vor kurzem scheint hier ein Mountainbike-Rennen unter dem Motto «la montagna es tuya» stattgefunden zu haben. Die Reste davon – rotweisse Absperrbänder, Hüllen von Energy Bars und Spuren durch den Wald bleiben als «Erinnerung» zurück – Fussgänger werden mit Warnschildern gebeten, auf dem Weg zu bleiben und keinen Abfall zurückzulassen.
Unser vermeintlicher Wanderweg endet im Talboden abrupt und wir laufen über Felder und nicht auf Feldwegen in Richtung Hannibal. Dies ist eine sehr unwegsame, staubige und kratzige Angelegenheit. Die Äcker sind übersät mit grossen Steinen und stacheligem Unkraut, die die Fussgelenke massieren und Sabines Waden zerkratzen.
Fazit: Überprüfe unbedingt die Wegführung von Wikiloc-Trails und hinterfrage Veranstaltungen unter Labels wie «naturnah», «eco» etc.
Die nächsten beiden Tage verbringen unter den Kiefern auf dem grosszügigen und aufgeräumten Zeltplatz von «Velez-Blanco» fast allein bzw. mit zwei-, drei anderen Reisenden. Erst gegen Abend, als die Hitze erträglich wird (es scheint, dass eine Hitzewelle auf Spanien zurollt), besuchen wir das ca. 2.5 km entfernte hübsche «weisse» Städtchen, dessen weisse Häuser mit schmideisernen Balkonen sich eng (wie die Katze an die Beine ihres Besitzers) an einen Hang schmiegen, auf dem ein monumentales Schloss thront, das unsere fotografische Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ebenso will der gegenüberliegende Tafelberg und der Talboden bewundert und fotografiert werden. Nach Stunden der Suche der besten Blickwinkel und Fotomotive steigen wir hinunter ins Stadtzentrum.
Dort ergattern wir uns gerade noch einen Tisch – es ist Montag und die Restaurants sind mehrheitlich geschlossen – in einer einfachen und sehr gut besuchten Beiz und lassen uns «dos cañas» (zwei Stangen Bier) und verschiedene Tapas bringen. Das Schweinsvoressen geschmort mit viel Olivenöl, frischen Tomaten und Paprika ist eine Wucht, die «Papa bravas» nicht schlecht und das danach von Fabrizio bestellte Blutwurst-Sandwich sehr lecker. Am nächsten Tag wiederholen wir das Vortagesprogramm, einfach weil es so erholsam war. Dies erfreut nicht nur unsere Seele, sondern auch die Bedienung der Beiz. Er schenkt uns sofort ein Lächeln, berät uns bei der Tischauswahl (es hat viele lästige Mücken) und stellt uns sogar die etwa 75-80-jährige Köchin vor, als Fabrizio nochmals das Voressen mit der Bemerkung bestellt, es sei so lecker wie das «Spezzatino» seiner Nonna. Die Köchin stellt sich verlegen und scheu an unseren Tisch und nimmt das Lob mit ineinander verschränkten Händen entgegen. Dann zeigt sie uns die mit Gicht gezeichneten Finger, wie um zu sagen, wie viel Mühe ihr die Arbeit bereite.
Als wir am zweiten Abend nach dem Eindunkeln auf den Zeltplatz zurückkommen, haben wir eine neue Nachbarin. Ein Fahrradfahrerin mit muskulösem Körper und einem grauen Lockenkopf. Wie sich am nächsten Tag herausstellt, reist sie seit 4, 5 Jahren (seit 59) mit dem Velo um die Welt. So hat sie den Iran, die Seidenstrasse, die sogenannten STAN-Länder mit ihren hohen Pässen, bereist und auch den afrikanischen Kontinent mit eigener Muskelkraft durchquert. Eine Frau mit einer unglaublichen Ausstrahlung, eine Frau, mit der man sich stundenlang hätte weiter austauschen können. Wir bedauern fast, den gestrigen Abend nicht auf dem Campingplatz mit ihr verbracht zu haben. Aber eben, wir beide wollen die Gunst der Morgenkühle nutzen und brechen so kurz nach 10 Uhr auf.
Mittwoch, 8. Juni, Vèlez Blanco – Tabernas
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend, Temperatur: 16 – 36°C
Dieser Teilabschnitt aus Vibractions Roadbook Nr. 21 ist spannend. Er führt uns durch eine einsame, hüglige Gegend und immer wieder folgen wir ausgetrockneten Flussbeeten. Auch heute wieder begleiten uns Mandelplantagen, ab und zu ein Olivenhain und immer wieder die Ruinen von aufgegebenen Bauernhöfen. Wir haben Mühe, für die Mittagspause ein geeignetes Plätzchen zu finden. In den um diese Tageszeit ausgestorbenen Dörfern finden wir keine für den Reisenden eingerichteten Picknick-Plätze wie sonst in Spanien üblich – allenfalls verliert sich hierher kaum ein Tourist. Schliesslich werden in einem ausgetrockneten Bachlauf mit grossen Bäumen fündig. Nach Stunden der Einsamkeit fahren wir «in the midle of nowhere» plötzlich auf einen Hügel mit grossen Villen zu, deren Gärten Swimmingpools, Jacarandas und Flieder schmücken. Wir fragen uns, wer kann sich dies in dieser gottverlassenen Gegend leisten? Sind es etwa Ferienhäuser. Die Antwort bleibt offen. Kurz darauf treffen wir am Anfang eines Dorfes auf Zeugen der im Jahr 2008 besonders in Spanien heftigen grassierenden Immobilienkrise: Es sind die Skelette von mindestens einem Dutzend kleinen Einfamilienhäusern, die seit Jahren im Rohbau verharren und bereits am Verfallen sind. Ein desolates Bild. So viel Verschwendung an Material und Land.
Ein weiteres Merkmal der heutigen Fahrt ist die schwierige und nicht immer eindeutige Wegführung. Ohne die super Vorbereitung Fabrizios, der die von Vibraction gelieferten elektronischen Wegpunkte in stundenlanger Arbeit verbunden und zu einem eindeutigen Routenverlauf zusammengefügt hat, und nur anhand des Road Books wäre der Weg kaum ausmachbar gewesen. Auch so mussten wir mehrere Male zurücksetzen, da der vom Road Book 2008 gewählte Weg mittlerweile nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich oder die Strasse aus einem anderen Grund gesperrt war. So überqueren wir den Pass «El Pilarico» nach Uleila dem Campo zweimal, da die auf der Passhöhe abzweigende Strasse nach Benizalon gesperrt ist und treffen beide Male auf einen Afrikaner mit Zylinder und Stock, der eine Herde Ziegen hütet. Wir begrüssen uns winkend und mit einem Kopfnicken. Schliesslich treffen wir am Abend doch noch bei dem von uns gestecktem Tagesziel, Tabernas und dem von einer englischen Familie geführten einfachen Camping «Little Texas», ein. Zur Feier des Tages leisten wir uns im campingeigenen Saloon je eine Stange Bier für insgesamt 2 EUR und trinken sie genüsslich auf dem erhöhten Pool mit Weitblick.
Donnerstag – Samstag, 9. – 11. Juni, Tabernas
Wetter: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken am Abend und heftigem Wind, Temperatur: 19 – 33°C
Erst am Abend machen wir uns jeweils auf eine Spritzfahrt und eine kurze Wanderung oder Besichtigung auf. Den Tag geniessen wir in Hannibals Schatten oder auch am Pool. Es ist brütend heiss und wir danken dem starken Wind, der die hohen Temperaturen erträglicher macht.
Am ersten Tag erkunden wir den Naturpark der «Desierto de Tabernas», der die Kulisse für Filme wie Lawrence of Arabia oder Sergio Leones Western «Für eine Handvoll Dollar» mit Clint Eastwood bildete. Und tatsächlich glauben wir beim Durchfahren dieser Landschaft Ennio Morricones Filmmusik zu hören und machen auf den Anhöhen der Schluchten herunterspähende Indianer aus. Gegen 19:30 wagen wir uns auf eine zweistündige Wanderung, erspähen dabei einen Fuchs und unzählige kleine Hasen machen sich vor uns aus dem Staub.
Zurück beim «Little Texas» kochen wir uns gegen 22:00 Uhr eine Portion Ravioli und geniessen dabei die Kühle der Nacht (26°C).
Am Freitag harren wir ebenfalls bis gegen 17:30 in «Little Texas» aus. Unser Versuch in Tabernas einkaufen zu gehen, ist ernüchternd. Im Spar finden wir ausser ein paar Pfirsichen und Tomaten nichts, womit wir unseren Kühlschrank auffüllen könnten. Die Auswahl ist sehr bescheiden und die Produkte nah am Ablaufdatum. Wir fragen uns, was sich die Spanier in dieser Gegend ausser Fleisch, Tiefgefrorenes aus dem Meer, Kartoffeln und Pizza zubereiten. Wir machen einen zweiten Versuch bei Dia. Dieses Lebensmittelgeschäft ist etwas besser alimentiert und wir erweitern unseren Vorrat mit Äpfeln, Karotten, Hummus, Aufschnitt, Frischkäse und Bier.
Dann fahren wir in die Berge der «Sierra Alhamilla» wo wir kurz vor dem weissen Dorf «Lucainena de las Torres» auf Zeitzeugen der Vergangenheit treffen: Schmelzöfen zur Eisenerzgewinnung. Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in den Steinbrüchen der Umgebung – bei genauerer Betrachtung machen wir in den Felswänden riesige Löcher aus – täglich 50 Tonnen Eisenerz abgebaut und in den Öfen geschmolzen. Für den Transport des Erzes zum nächsten Hafen wurde eine Zugverbindung gebaut. Der Rohstoff wurde dann hauptsächlich in die USA verschifft. Nun verstehen wir auch, warum die vor 150 Jahren noch mit Kiefern bewachsenen Wälder rund um Tabernas alle abgeholzt sind. Die Öfen mussten gefüttert werden.
Zur ca. 2-stündigen Rundwanderung bis zum scheinbar sehr hübschen Dorf, das ebenfalls als Filmkulisse für diverse Western gedient hat, können wir uns nicht motivieren. Die Hitze des Tages hat uns schlapp und träge gemacht. «Lucainena de las Torres hasta mañana».
Als wir über die Hügel der Sierra zum Campingplatz zurückfahren, machen wir in der Ebene die eventuell bereits über ihren Zenit gekommenen, wasserintensiven und mit Plastik überzogenen landwirtschaftlichen Flächen aus, die immer mehr durch zukunftsversprechende Photovoltaikanlagen, die zudem kein Wasser benötigen, ersetzt werden.
Montag, 13. Juni, Nijar
Wetter: Blauer Himmel, Temperatur: 19 – 35°C
Gestern waren wir in der Sierra de Alhamilla unterwegs. Eine alte, steile und sehr schlecht unterhaltene Bergstarasse hat uns von Tabernas (Start hinter «Mini Hollywood») nach Nijar geführt. Grossartiges Panorama über die Wüste von Tabernas, etwas weniger grossartig der Fernblick über das Plastikmeer von Almeria.
Das Dorf Nijar mit seinen engen Gassen und den mit Blumenvasen geschmückten Häusern hat bei uns gestern Interesse geweckt. Da es aber bereits später Nachmittag war und wir von der Fahrt müde waren, entschieden wir uns, heute nochmals vorbeizukommen. Fabrizio hat im Internet recherchiert, ob es eine Wanderung in der Nähe gibt und ist fündig geworden. «El sendero de l’agua» führt uns mit einer Höhendifferenz von knapp 500 m von Nijar aus durch eine enge Schlucht bis nach Huebro, einem kleinen Dorf, das in sich der Sierra de Alhamilla eng an eine Felsenwand schmiegt. Es werden Bilder vom Oman und von Marokko wach. In dieser Schlucht wurden mehr als zwanzig Wassermühlen gebaut (sie blieben bis in den 70-gern in Betrieb), um das Getreide der Region zu mahlen. Es handelt sich um eine wahre Ingenieurleistung. Um die Kraft des knappen Wassers zu erhöhen, wurden Falltürme gebaut. Das Wasser wurde zu diesen via schmale Kanäle geleitet und dann durch die Türme hindurch auf die darunter stehenden Mühlen «fallen gelassen». Leider sind von diesen Mühlen nur noch die Gemäuer übrig. Die Mahlwerke sind verschwunden. Was aber übriggeblieben ist, ist das fantastische Landschaftsbild: Die steilen und terrassierten Schluchtwände, die üppig blühenden dem Wasserlauf folgenden rosa Oleander und die Ruinen der Wassermühlen. Fast ein biblisches Bild. Es ist unverkennbar, dass die Mauren dieser Gegend ein noch heute prägendes Erbe hinterlassen haben.
Wir erreichen Huebro gegen 12:00. Der vertraute Geruch von Feigenbäumen und Jasminsträuchern empfängt uns mit breiten und freundlichen Armen. Im Hintergrund plätschert klares und kaltes Wasser in einen Brunnen. Ein Dorfbewohner, von drei Jagdhunden begleitet, füllt gerade eine Plastikflasche mit Wasser und gönnt sich selber einen grosszügigen Schluck direkt von der Wasserleitung.
Wir erreichen das Dorfzentrum, das gleichzeitig auch der Kirchplatz ist. Unter einem Feigenbaum unterhalten sich laut drei Spanier. Wir begrüssen sie mit «Hola», worauf sie antworten: «Haben sie vom feinen Wasser am Brunnen schon probiert» (selbstverständlich in Spanisch)? Als sie merken, dass wir mit der Antwort zögern, fragen sie uns: «Woher kommt ihr»? «Nosotros somos suizos» antwortet Fabrizio. «Ah, vous parlez français, allemand, italien» frohlockt eine der dreien. «Wir sprechen alle drei Sprachen» antworten wir unisono … und dann geht es los. Sie erzählen uns in Französisch, dass sie alle drei hier (in Huebro und Umgebung) geboren, dann in die weite Welt auf Arbeitssuche ausgezogen … und jetzt als Pensionierte hierher zurückgekehrt sind.
Der sich ewig abspielende Zyklus. Im Gespräch spüren wir ihre grosse Nostalgie nach den vergangenen Zeiten in Sätzen wie « … es war einmal …» und eine gewisse Traurigkeit, dass sie, um zu überleben, das eigene Dorf haben verlassen müssen. Jetzt freuen sie sich aber wie Maikäfer, dass sie das Leben fern der Heimat einigermassen gesund überstanden und den Weg hierher zurückgefunden haben.
Im kleinen Restaurant «Enriqueta» bestellen wir etwas zu trinken. Obwohl die Hitze sich noch in Grenzen hält, haben wir bereits alles, was wir an Flüssigkeit zu uns genommen haben, wieder hinausgeschwitzt. Enriqueta, die Besitzerin hinter der Theke, mustert uns argwöhnisch. Ein Vogel in einem zu kleinen Käfig, singt sich sein erbärmliches Schicksal aus der Seele und versucht, in einem Akt der Verzweiflung, zwischen dem Käfiggestänge hindurch einen Weg in die Freiheit zu erzwingen.
Auf dem Kochherd hinter der Wirtin brutzelt ein Kanincheneintopf (einer der drei Spanier hat es uns im Gespräch verraten). Der Geruch ist verlockend. Eine oberhalb der Theke installierte UV-Lampe verrät ihre Existenz durch das in rhythmischen Abständen ertönende «Tsch … Tsch». Schon wieder haben sich zwei zu neugierigen Fliegen von den UV-Strahlen anziehen lassen und sind mit einem Elektroschock ins Jenseits befördert worden. «Tsch … Tsch» … und noch zwei weitere!
Nachdem wir wieder zu Kräften gekommen sind, laufen wir auf der Bergstrasse nach Nijar hinunter. Knapp eine Stunde später kommen wir dort an. Wir schauen uns auf der Suche nach einem Restaurant noch etwas herum (es ist Montag und viele Restaurant ssind geschlossen und die, die offen sind, überzeugen uns wenig). Gesagt … getan. Wir fahren zurück zum Campingplatz und lassen es uns bei einer üppigen, selbst gekochten Portion «Chili con Carne» gut gehen.
Dienstag, 14. Juni – Mittwoch, 15. Juni: Fahrt in Richtung Sierra Nevada (Almocita)
Wetter: Blauer Himmel, Temperatur: 20 – 35°C
Wir versuchen, der Hitze zu entfliehen, indem wir uns Richtung Sierra Nevada bewegen. Dort sollen die Temperaturen etwas milder als hier in der Wüste sein. Zu Beginn führt uns die Fahrt entlang von ausgedörrten und mit leuchtend gelbem Gras bedeckten Feldern und dann über eine steinige Piste an den Ruinen von unzähligen Bauernhöfen vorbei. Von diesen Gehöften bleiben nur noch die von der Sonne versengten Mauern und die unter dem Gewicht der Schieferplatten in sich zusammengefallenen Dächer. Unseren Weg säumen auch die allgegenwärtigen Terrassen und hie und da ein paar in ihrer vollen Pracht blühenden Oleander. Im Hintergrund verstummt das laute Zirpen der Zikaden für einem kurzen Moment, wenn Hannibal mit seinem Brummen der Welt zeigt, wer hier der Lautestete ist. Kaum sind wir vorbeigefahren, setzen die Zikaden unbekümmert ihr Konzert fort, als ob wir nie da gewesen wären.
Im malerischen Dorf Velifique endet der erste Pistenabschnitt und ein Aufstieg auf 1800 m ü. M. (1000 Höhenmeter innerhalb von ca. 13 km) beginnt. Hannibal kämpft sich im zweiten Gang und mit einem Durchschnittstempo von 20 km/h den Berg hinauf. Der diesjährige Frühlingsregen hat viele Schäden hinterlassen – seit 1927 hat es nicht mehr so viel geregnet. An vielen Stellen haben Erdrutsche die Fahrbahn stark beschädigt, an anderen musste eine Spur oder sogar die ganze Strasse gesperrt werden. So werden wir abrupt von einer Baustelle gestoppt, wo ein gewaltiger Erdrutsch die Strasse unbefahrbar gemacht hat. Wir beobachten aus der Ferne, wie ein Bagger, die Strasse räumt und einen Lastwagen belädt. Nach circa 20 Minuten warten, macht Fabrizio sich auf den Weg zum Baggerfahrer und fragt ihn, ob es überhaupt möglich/erlaubt sei weiterzufahren (die am Strassenrand aufgestellte Verbotstafel für jeglichen Verkehr ist diesbezüglich nicht eindeutig). Der Fahrer signalisiert Fabrizio mit einem Handzeichen, dass wir weiterfahren dürfen.
Auf der Passhöhe zweigen wir auf eine Forststrasse entlang der «Sierra de los Filabres» ab. Es handelt sich dabei um eine technisch sehr einfache Piste. Die Fahrt durch die Kieferwälder ist relativ monoton. Höhepunkt ist das Observatorium «Calar Alto». Die weissen Teleskopkuppeln sind von Weitem sichtbar. Wir legen hier oben (2350 m ü.M.) eine kurze Mittagspause ein und unterhalten uns kurz mit einem jungen Franzosen, der mit einem Nissan Patrol unterwegs ist, über das Pistenfahren und die Ferienpläne allgemein.
Erst kurz vor dem Dorf Ohanes zieht uns der Ausblick wieder in seinen Bann. Wir geniessen die Weitsicht über das Andarax-Tal, wo sich der Fluss durch das Schiefergestein und die rote Erde gefräst und dabei eine wunderbare Schlucht geschaffen hat. Im Dorf Almócita schlagen wir beim gleichnamigen Campingplatz unsere Zelte auf. Es ist bereits 17:00 und die Hitze ist immer noch unerträglich. Hannibal ist mit puderähnlichem Staub ganzflächig «paniert». Dieser Staub ist so fein, dass er sich durch jede noch so klitze kleine Öffnung gezwängt hat. Alles ist mit einer dünnen Staubschicht überzogen: Kleider, Nahrungsmittel, Oberflächen … wir – the monkeys.
Ausser uns sind nur noch zwei Spanier mit ihrem alten Labrador auf dem Zeltplatz. Ein paar streunende und erschöpfte Katzen suchen verzweifelt nach Schatten und etwas Wasser. Die Hitzewelle hat Südspanien völlig in seinen Klauen. Noch nie ist es so früh im Jahr so heiss gewesen.
Wir unterhalten uns mit dem sehr sympathischen Campingmanager, der gerade mit Besen und Putzkessel aus der Männertoilette herausspaziert. Seine ruhige und belegte Stimme wirkt vertrauenswürdig und gleichermassen bodenständig. Er empfängt uns mit einem breiten Lächeln.
Wir begleiten ihn zur Reception, erledigen die Papierarbeit und bestellen zwei Bier. Sabine und ich schauen uns kurz an und entscheiden, dass wir heute Abend keineswegs selber kochen werden. Glücklicherweise kann uns der Campingmanager zwei Fertigpizzas kredenzen, die wir, ohne zu zögern auch verschlingen (übrigens … sie schmecken gar nicht mal so schlecht).
Erst gegen 23:00 kühlt sich die Temperatur auf ca. 20 C ab. Wir begeben uns in unser Attikageschoss und starten einen Versuch, einzuschlafen. Die Wärme hat sich fest in den Matratzen eingenistet und wärmt uns von unten auf. Es dauert lange, bis wir endlich einschlummern.
Am Morgen erwachen wir mit den ersten Sonnenstrahlen mit tiefen Augenringen gezeichnet. Es fühlt sich so an, als hätte wir die ganze Nacht in einem Warmluftofen verbracht. Heute steht «Sich-nicht-körperlich- bewegen» auf dem Programm. Wir schlängeln uns «nur» auf einer 62 km langen Piste durch die Sierra de Gador. Zu Beginn führt sie uns auf den Talboden der Andarax-Schlucht. Hier sowie auf den umliegenden Bergflanken haben die Bauern Terrassen angelegt: Tomaten, Auberginen, Mandelbäume, Zitrusfrüchte belegen wie ein gigantisches Puzzle die so gewonnenen Landwirtschaftsflächen. Ein hagerer Esel schaut uns verdutzt an, als wir langsam an seinem Gehege vorbeifahren.
Ein Versuch auf einem engen Track zu den von der Sonne versengten Ruinen der Bleiminen von Beires zu gelangen, wird sofort ad Acta gelegt, als uns eine sehr tiefe und unüberwindbare Auswaschung an der Weiterfahrt hindert. Fabrizio und Hannibal managen es mit Untersetzung und im Rückwärtsgang, gute 500 m der steilen und kurvige Piste bis zu ihrem Anfang zurückzulegen. Bravo! Nochmals gut gegangen!
Den Nachmittag verbringen wir auf dem Campinglatz. Es hat zwar schattige Plätze aber der warme Wind macht die Suche nach einer kühlen Ecke zunichte. Als der Campingmanager merkt, wie wir langsam dahinschmelzen, bietet er uns an, ins Restaurant (auch ohne Konsumation) zu gehen. «Dort habe ich bereits für sie die Klimaanlage eingeschaltet». Wir lassen uns nicht zweimal bitten.
Donnerstag, 16. Juni – 24. Juni: Trévelez
Wetter: Milchiger Himmel, Temperatur: 20 – 35°C
Heute fahren wir nach Trévelez, eine 170 km lange, monotone und technisch einfache Pistenfahrt durch die Sierra Nevada. Einzige Besonderheit sind die vielen Wasserreservoirs, die für die Bewässerung der Landwirtschaftsflächen bis auf knapp 2000 m ü. M. gebaut wurden. Die Bauern versuchen in künstlich geschaffenen Becken, das durch die Schneeschmelze gewonnene Wasser für die Sommerperiode zu speichern. Wir treffen noch auf dieser Höhe auf Tomaten- und Auberginenplantagen. Hie und da sehen wir Mandelbäume. Augenfällig sind die vielen verlassenen Bauernhöfe und Bauerndörfer. Die Häusergerippe zeugen von einer Besiedelung der Sierra Nevada hoch über dem fruchtbaren Talboden.
Trevelez ist ein wichtiger regionaler Drehpunkt für die Rohschinkenproduktion. Unzählige Metzgereien/Trocknereien säumen die Dorfstrasse. Ein Paar Plastikschweine «dekorieren» den Dorfeingang und den zentralen Dorfbrunnen.
Doch wir werden hier nicht nur einige Tage zu Ehren des Schinkens verbringen, sondern weil Trévelez mit seinen rund 1’450 m ü. M. das höchstgelegene Dorf Spaniens ist und wir uns etwas Abkühlung erwarten. Tatsächlich ist es um einige Grade kälter als im Talboden oder etwa in Granada oder Sevilla, aber während der ersten beiden Tage zeigt das Barometer immer noch etwa 33°C. So drücken wir uns während des Tages im Schatten auf dem Zeltplatz herum und machen uns erst gegen Abend zu einer 2-3-stündigen Wanderung auf. Dennoch zollen wir der Hitze Tribut und wir kommen zum Schluss, dass wir unser Reisetempo nochmals rigoros drosseln müssen: So entscheiden wir uns am Sonntag zu einem Ruhetag und da die Wetteraussichten Temperaturen deutlich unter 30°C voraussagen ziehen wir in Betracht, ein paar weitere Tage in der Rohschinkenmetropole zu verweilen.
Bei den Beschreibungen der Wanderungen wird oft das Erbe der Mauren in den Vordergrund gerückt. Was wir auf den Wanderungen erleben, ist vor allem der starke Zerfall der Terrassierungsmauern sowie der Gebäude. Dasselbe Schicksal teilen die unzähligen Bewässerungskanäle, die durch Plastikleitungen ersetzt wurden und viele der Gemüse- und Obstgärten sind verwildert oder liegen brach, was nicht weiter verwunderlich ist, da die steilen Berghänge schwer zugänglich sind und keine maschinelle Bearbeitung zulassen. Uns schmerzt ob der Vernachlässigung dieses über Jahrhunderte und Generationen mit viel Schweiss aufgebauten und gepflegten Kulturgutes das Herz, aber eben … Und auch die weissen Dörfer der Alpujarras blenden vor allem von weitem. Aus der Vogelperspektive oder beim Spaziergang durch die engen und steilen Gassen ist der Verfall unverkennbar. Viele Häuser stehen leer und nur die Fassade wird zum Schein mit weisser Dispersion überpinselt. Apropos weiss, dieses Jahr haben viele Hausmauern eine rötliche Färbung abbekommen. Dies ist den starken Frühlingsschauern, die Saharastaub mit sich trugen, geschuldet. Dass die Dörfer langsam aussterben, erkennt man auch daran, dass viele der zahlreichen Bars für immer geschlossen sind und an den Fenstern der Häuser viele Plakate «SE VENDE» kleben. Die wenigen Dorfbewohner, die wir antreffen sind alt und zum Teil betagt.
Montag, 20. Juni
Heute werden wir es wagen: die Wanderung zu den «Sietes Lagunas» (Sieben Lagunen) steht auf dem Programm, knapp 1600 Höhenmeter und eine ca. 8-stündige Wanderung erwarten uns. Wir haben Respekt vor dieser Herausforderung. Als wir um 07:00 die Strecke unter unsere Bergschuhe nehmen ist der Himmel milchig und ein frischer Wind schleicht sich das Tal hinunter. Trévelez scheint noch zu schlafen. Nur ein Paar scheue Katzen und ein hinkender Hund schenken uns einen desinteressierten Blick. In der Luft liegt schwer der süssliche und nussige Duft der Rohschinken, die in den Trocknereien ihr Veredelungsprozess durchlaufen. Vor uns ist bereits ein Deutscher gestartet. Er legt die Strecke bis zum Gipfel des Bergs Alcazaba (3’360 m ü. M.) rennend zurück. Dies zum Thema «Motivationsspritze».
Der Wanderweg schlängelt sich unaufhörlich und unendlich lang den Berg hinauf. Fabrizios «Motor», der unter optimalen Umständen ca. 30 Minuten braucht, bis er rund läuft, kommt heute nicht auf Touren und hat sichtlich Mühe. Nach ca. 3 Stunden Aufstieg benötigt er in regelmässigen Abständen eine kurze Pause. Über den letzten Kamm – eine unglaublich steile Geröllhalde – schleppt er sich nur durch reine Willenskraft. Wir sind auf 3000 m ü. M. angelangt. Eine andalusische Bergziege mit ihrem jungen Kitz mustert uns mit neugierigen Augen und schleicht sich danach vorsichtshalber in eine sichere Distanz.
Ein sehr kalter und starker Wind fegt über das Hochplateau. Wir suchen hinter einem grossen Findling Schutz und geniessen beim Mittagsessen das schöne Panorama. Im Hintergrund thronen wie Wachtürme die 3000-tausender Mulhacén und Alcazaba. Vor uns liegt die erste und die grösste der sieben Lagunen (Bergseen) und die Einzige, die wir heute zu Gesicht bekommen werden. Für die restlichen sechs müssten wir nochmals ca. 400 Höhenmeter zurücklegen, dafür fehlt uns die Energie.
Der Rückweg erweist sich tückisch und ermüdend. Insbesondere für die Fussgelenke und Knie stellt der teilweise steinige und unwegsame Wanderweg eine Belastungsprobe dar. Wir legen etliche «Foto-Stopps» ein und betrachten die wunderschönen Wasserfälle, die aus dem Ablauf der ersten Lagune entspringen.
Als wir nach knappen 10 Stunden zurück zum Campingplatz gelangen, lechzen wir nach einem kalten Bier. Der Himmel ist dunkler geworden, die Luft ist feucht und klebrig, Regen ist angesagt. Die Fliegen und Moskitos freut’s. Unablässig versuchen sie uns beim Geniessen unseres wohlverdienten Biers zu stören. Vergebens.
Ohne zu kochen, gehen wir schlafen. Schnell gelangen wir in «Alices Wunderland».
Dienstag, 21. Juni
Man könnte meinen, dass je müder man ist, desto besser man schlafen kann. Dem ist nicht so. Obwohl wir schnell eingeschlafen sind, ist die gestrige Nacht sehr unruhig gewesen. Ob es sich um eine Nachwirkung unseres Aufenthaltes auf 3000 M. ü. M. gehandelt hat oder eine Folge der noch heute schmerzenden Muskeln ist?
Jedenfalls werden wir uns heute erholen und nur bis zum Restaurant «Meson la Fragua» zu Fuss bewegen. In unserem Kühlschrank herrscht gähnende Leere und wir haben keine Lust, die letzte Portion Tortilla oder die aus der Schweiz mitgenommenen Migros-Rösti zu vertilgen. Wir möchte uns verwöhnen lassen, wir haben es uns nach den gestrigen Strapazen mehr als verdient! Der Himmel ist bedeckt und es fallen bereits einige Regentropfen als wir uns gegen 13:30 zum Restaurant aufmachen. Obwohl wir mit dezidiert schnellem Schritt unterwegs sind, erwischt uns ein Wolkenbruch, der einen herben Geruch von nassem Asphalt in der Luft zurücklässt.
Ein schweigsamer und netter Kellner begrüsst uns und weist uns zu einem Tisch nahe der Terrasse mit einem Blick über das Trevelez-Tal. Nur noch drei andere Gäste haben den Weg hierher gefunden. Draussen sind die «Regenschleusen» mittlerweile aufgegangen und es regnet aus vollen Kübeln. «Schön sind wir hier» sagt Sabine. Ich nicke zustimmend.
«Was essen wir heute?» fragt mich Sabine erwartungsvoll.. «The full monty» antworte ich. «Vorspeise, Hauptgang, Dessert … Wein und Kaffee». Und so bestellen wir zum Einstieg einen Teller gerösteten Paprikas mit frischen Stockfisch- Streifen garniert (hammermässig), zum Hauptgang ein grilliertes Kaninchen mit Kartoffeln und grünen Peperoni (das Kaninchen ist butterzart) sowie eine Portion Auberginenlasagne (gut aber etwas pampig) und zum krönenden Abschluss eine Mandelmousse mit Zimtbiskuit (traumhaft). Das Ganze wird von einer Flasche rotem Hauswein (gut und unkompliziert) begleitet.
Mittlerweile ist dem Himmel oben das Wasser ausgegangen und es hat aufgehört zu regnen. Gegen 16:30 verlassen wir La Mason de Fragua, «trotteln» zurück zum Campingplatz, legen eine Runde Verdauungsschlaf ein und lassen den Tag zufrieden ausklingen.
Mittwoch, 22. Juni
Das letzte Kapitel unseres Trévelez -Aufenthaltes wird heute geschrieben. Im «Barranco del Poqueira» gibt es einen Pfad (16 km lang mit knapp 1000 Höhenmeter), der die Dörfer Pampaneira, Bubion und Capileira (schmucke Dörfer der Alpujarra) miteinander verbindet. Ein historischer Weg, der gemäss Wanderführer einen Einblick in die Geschichte des Tals geben soll. Es wird ein auf und ab der Gefühle. Der Wanderweg ist mit seinen steilen Auf- und Abstiegen, die dem zerklüfteten, engen sowie tiefen Tal folgen, sehr anstrengend. Wir treffen auf etliche Ruinen von ehemaligen «Fincas», auf verlassene Dreschplätze und einsame abgemagerte Katzen, die nach etwas Futter betteln. Der Weg vermag uns kaum in seinem Bann zu ziehen. Einzig die gut erhaltenen Dörfer mit ihren gepflegten weissen Häusern sind eine Augenweide. In Capileira entdecken wir das Restaurant «El Gato» (tatsächlich werden wir hier von vielen schönen und ausnahmenweise gut ernährten Katzen beim Biertrinken beobachtet). Die Füsse schmerzen und die Knie melden störrisch, dass sie nicht mehr gewillt sind, weiter zu laufen. Und so achten wir auf diese Signale und lassen einen Teil der Wanderung «sausen».
Zurück in Trévelez besuchen wir wieder das Restaurant «Meson la Fragua» und lassen uns nach Strich und Faden verwöhnen.
Donnerstag, 23. Juni: Trévelez – Güéjar Sierra
Wetter: Türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 28°C
Nach einer Wochen Trévelez ist die Zeit gekommen, uns zu verabschieden. Es waren gute Tage hier, der Campingplatz ist gemütlich auch wenn nicht sehr gepflegt. Wir spüren, dass bei Ricardo, dem sympathischen Besitzer, das «innere Feuer» ausgegangen ist. Er scheint – getrieben von der Vergangenheit – in einer parallelen Welt zu leben. Im Campingrestaurant hängen unzählige Bilder, die ihn und seine Kumpel auf Bergtouren in allen Weltgegenden zeigen: Feuerland, Europa, Tansania, Nepal, USA … Ein Leben in Freiheit … bis er vor knapp siebzehn Jahre den Campingplatz übernommen hat. Die Gründe, die ihn zu diesem Entscheid geführt haben, verrät er uns – auch nach langen Gesprächen – nicht.
Obwohl er ständig von seiner temperamentvollen Frau «angefeuert» wird, lässt er (zum Missmut seiner Partnerin) anscheinend die Sachen doch allzu sehr «schlittern». Mit Sachen meinen wir etliche Reparaturen, Renovationsarbeiten, die der Campingplatz nötig hätte, um wieder auf Vordermann gebracht zu werden. Solange sich hierher nur wenige Touristen verlieren, vermag die gebrechliche Infrastruktur den «Druck» wohl noch auszuhalten. Ricardo teilt uns aber mit, dass sich im August um die 300 Personen hier aufhalten werden. Sabine und ich schauen uns ungläubig an.
Auf einer unspektakulären Fahrt lassen wir Granada südwestlich liegen und schlagen unsere Zelte im vorzüglich geführten Camping «Las Lomas» in Güéjar Sierra auf. Von hier aus werden wir in den kommenden Tagen die Sierra Nevada von ihrer westlichen Seite erkunden.
Freitag, 24. Juni: Stippvisite nach Granada
Wetter: Türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 32°C
Der Besuch von Granada war nicht geplant. Vor dem Campingplatz-eingang liegt aber die Haltestelle einer direkten Busverbindung … und so lassen wir uns diese Gelegenheit nicht entgehe. 1989 waren wir zum ersten und letzten Mal in dieser Stadt. Ich (Fabrizio) im Gegensatz zu Sabine hege nur noch sehr vage Erinnerungen. Ausser der wundervollen Anlage der Alhambra ist bei mir Granada eine Blackbox.
Ohne grosse Vorbereitung tauchen wir ins Stadtgetümmel ein. Sabine muss zum Friseur und ich versuche mich wieder mit Streetfotografie. Dann schlendern wir durch die Gassen rund um den Botanischen Garten, statten der Kathedrale einen schnellen und oberflächlichen Besuch ab und vertreiben uns die Zeit bis das Restaurant Betula Nana für den Mittagsservice öffnet (14:00) mit einem Bier auf dem Platz vor dem Eingang der Universität. Heute scheint Prüfungstag zu sein. Die Studenten strömen in Scharen aus dem Gebäude. Die einen haben ein ziemlich zerknirschtes Gesicht und andere wiederum werden von den wartenden Eltern in Empfang genommen und herzlichst umarmt. Ein weiterer Meilenstein im Leben der jungen Leute!
Was jetzt kommt übertrifft all unsere Erwartungen, was «gutes Essen» anbetrifft. Das Restaurant «Betula Nana» ist ein kleines kulinarisches Juwel. Mit nur 16 Sitzplätzen, einer sehr kleinen und übersichtlichen Menükarte, einem angenehmen, aber nicht aufdringlichem Dekor, entspricht es dem Konzept, welches Fabrizio 1995 für sein eigenes Restaurant hatte … aber aus unterschiedlichen Gründen nicht realisierte. Die Kellnerin, die auch Köchin ist und der «offizielle» Koch sind die beiden Druiden, die hinter den wunderbaren Gerichten stehen. Sie entwickeln und verfeinern gemeinsam jedes Gericht, das für den Gast sorgsam zubereitet wird.
Wir bestellen zum Hauptgang «gedämpfter Kabeljau auf einem Bett von süssen pürierten Paprikas und geräucherten Auberginen, dekoriert mit Kabeljau-Haut-Chips» (Sabine), «Risotto mit Meeresfrüchten, verfeinert mit asturischem Zitronen-Saffranbutter und Manchego-Käse» (Fabrizio). Zum Dessert bekommen wir eine «Pistazien-Torte», direkt aus Neapel importiert, die alle Dämme der Begeisterung weit öffnet. Sie schmeckt «majestätisch». Es ist wie ein Sprung ohne Fallschirm aus 10000 m Höhe … eine Wucht. Fabrizio sagt der Kellnerin zum Spass «Es sollte verboten sein, eine solche Torte überhaupt zu produzieren … so gut ist sie!». Sie lacht herzhaft.
Um ein Paar wenige Kalorien zu verbrennen und unser Gewissen wieder zu besänftigen, erkunden wir den an einem steilen Hang gelegenen ehemaligen maurischen Stadtteil «Albayzin» und klettern zum Mirador San Nicolas hinauf. Von hier aus geniesst man eine uneingeschränkte Sicht auf die Alhambra. Entsprechend teuer fallen die Preise in den Restaurants für ein Mineralwasser aus (3.70 EUR)!
Samstag, 25. Juni: Wanderung «La Veleda de la Estrella»
Wetter: Weiterhin türkisblauer Himmel, Temperatur: 14 – 30°C
«La Veleda de la Estrella» im Tal des Rio Genil gehört zu den reizvollsten Wanderwegen der Sierra Nevada – 21.2 km lang mit einer Höhendifferenz von ca. 800 m. Er ist ebenfalls der Zugang für die Besteigung des Alcazaba und Mulhacén von der Nordseite her. Zum Startpunkt führt vom kleinen Dorf Güéjar Sierra aus eine sehr enge und sich windende Bergstrasse. Diverse unbeleuchtete und schmale Tunnels (Hannibal kommt wegen seiner Breite nur knapp durch) müssen überwunden werden. Bis vor knapp 30 Jahren war auf dieser Strecke noch eine «Tramverbindung» im Dienst. Was es nicht alles gab!
Abgesehen von der Distanz ist es eine leichte Wanderung. Nach einer kurzen Steigung schmiegt sich der Weg an die stark zerklüftete Bergwand und steigt langsam in die Höhe. Es ist bereits nach 10:30 und wir laufen immer noch im Schatten. Von Weitem sehen wir die Bergspitzen der zwei höchsten Gipfel der Sierra Nevada, des Alcazaba und des Mulhacén. Das Panorama ist majestätisch. Beim Aufstieg treffen wir auf diverse Bergsteiger-Gruppen, die sich auf dem Rückweg befinden. Offensichtlich haben sie in einem der diversen «Refugios» übernachtet. In regelmässigen Abständen rennen Ultramarathon-Sportler an uns vorbei. Flink wie Gämsen, schnell wie der Teufel springen sie auf dem engen Wanderweg von Stein zu Stein, als ob sie bereits zu spät zur nächsten Zugverbindung wären. «Wie halten sie das Gleichgewicht?» fragen wir uns staunend.
Eine durch einen Ultramarathon-Sportler aufgescheuchte Schlange schleicht zischend, mit erhobenem Kopf und im Eiltempo fast über Fabrizios Füsse. Das Blut friert ihm für einen kurzen Moment in den Venen.
Es sind diese «Begegnungen», auf die wir auf einer solche Wanderung vorbereitet sein müssen. Was wir aber nicht erwarten können, ist eine Frau, die sich mit einem sehr engen und kurvenbetonten Stretchkleid, einem breiten Strohhut mit blauem Band, feuerroten Lippen und Schuhen mit einem hohen Absatz den Wanderweg hinaufkämpft. Sie versucht, sich wie auf einem Laufsteg zu bewegen, was ihr aufgrund des steinigen Bodens kaum gelingt. «Wie konnte sie bis hierher gelangen?». Ihre «Montur» ist eher für einen Spaziergang am Hafen von Saint Tropez als für hier oben geeignet. Die Welt ist voll von Überraschungen.
Als wir um 17:00 wieder beim Startpunkt zurück sind, treffen wir auf Scharen von Spaniern, die sich zu einem Mittagsessen im örtlichem Bergrestaurant getroffen haben. Die Sonne steht immer noch hoch über dem Horizont und ihre Hitze liegt jetzt wie ein Todestuch dicht über dem Tal.
Sonntag – Montag, 26. – 27. Juni: Ruhetage
Wetter: Weiterhin türkisblauer Himmel, Temperatur: 18 – 30°C
Heute ist «Nichtstun» und Biertrinken angesagt.
Dienstag, 28. Juni: Guejar Sierra – Fornes
Wetter: Etwas Dunst liegt in der Luft, Temperatur: 18 – 32°C
Der Campingplatz «Las Lomas» liegt bereits hinter uns. Der Morgenverkehr von Granada überleben wir ohne grossen Stress. In Mondujar, ca. 30km südlich von Granada, suchen wir nach einem Ersatz für unsere Gasflasche. Nach knapp zehn Wochen läuft sie bereits seit Tagen am Limit. Die Suche gestaltet sich als die sprichwörtliche «Suche nach der Nadel im Heuhaufen». Wir werden von einem Laden zum nächsten weitergeleitet bis wir, nach einer gefühlten Stunde, in einer kleinen Tankstelle fündig werden. Wir sind erleichtert. Danach stocken wir in einem nahegelegenen Supermarkt unseren Provianten auf.
Nun sind wir bereit, den nächsten Abschnitt unserer Route in Richtung Sevilla in Angriff zu nehmen, was sich zu Beginn als eine nervenaufreibende Angelegenheit erweist. Die GPS-Koordinaten, die wir für diese Teilstrecke zur Verfügung haben, sind ungenau und lückenhaft. So zirkeln wir mit Hannibal durch die sehr engen Gassen eines Bergdorfes und folgen einem sehr engen und sehr steilen Landweg. Fabrizio hasst diese Situationen zutiefst. Insbesondere die Möglichkeit eines entgegenkommenden Fahrzeuges beurteilt er als Supergau. Ausweichplätze gibt es kaum und der Pistenrand ist steil abfallend und alles anderes als stabil.
Zum Glück sind die Bauern bereits in der Mittagspause und wir kommen ohne Schrammen davon. Nach dem Dorf Albuñuelas steigt die Piste auf 1’100 m ü. M. und schlängelt durch einen schönen Wald von Nadelhölzern. Wir kommen easy vorwärts, die Piste ist leicht und in einem guten Zustand. Gegen 16:00 stoppen wir für die Nacht im Camping «Los Bermejales» am Ufer des gleichnamigen Staudammes und zu Füssen des «Parque Natural de Sierras de Tejeda».
Na ja, er erweist sich als Reinfall. Der Zeltplatz ist grösstenteils von Dauermietern besetzt. Sie haben hier ihre Wohnwagen und haufenweise Unrat deponiert. Die Wohnwagen (alle mit vorgelagertem Zelt) sind nah aneinander aufgereiht wie die Verkaufsstände eines überfüllten Weihnachtsmarktes. Im weitesten Sinn ähnelt das Gesamtbild jenem eines Slums.
Mittwoch, 29. Juni – Freitag, 1. Juli: Fornes – Finca La Meica
Wetter: Schöner blauer Himmel (schon wieder), Temperatur: 18 – 32°C
Die heutige Etappe hat es in sich. Nicht wegen der Länge oder des Schwierigkeitsgrades, aber aufgrund der gewählten Pistenführung. Wir tauchen tief in die Hügel Andalusiens ein. Wir folgen steilen und ebenso abfallenden Pisten durch unzähligen Olivenheine und Mandelplantagen. Hannibals Bremsen werden heute stark in Anspruch genommen.
Kleine renovierte Fincas schmücken unseren Weg. Es scheint, dass die Spanier (nach dem Covid-Schock) die Grossstädte verlassen, wo sie während der Pandemie in ihren kleinen Wohnungen teilweise «eingesperrt» waren, und diese verlassenen Gegenden wiederentdecken, wo das Wort «Lockdown» relativ unbekannt ist.
Zwischen den Dörfern Colmenar und Casabermeja klettert unsere Piste hinauf durch die Wälder. Hier, inmitten der Natur haben Hilde und Chris (ein belgisches Paar) ein kleines, aber schönes B&B eröffnet.
Hilde ist eine joviale Frau. In Belgien war sie Besitzerin eines Blumen- und Geschenkladens. Kurz vor einem Burnout, verkaufte sie 2016 ihr Geschäft und zog mit Ihrem Mann nach Spanien. Chris ist ein IT-Spezialist und arbeitet seitdem Covid-Lockdown im Homeoffice von Andalusien aus. In den Bergen von Casabarmeija kauften sie dann die Finca La Meica und renovierten sie in einem Kraftakt, sodass sie die Türen 2017 für ihre Gäste öffnen konnten.
Wir sind während drei Tage die einzigen Gäste und geniessen die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt, in vollen Zügen
.
Freitag, 1. – Montag, 4. Juli: Finca La Meica – Antequeras
Wetter: Warm bis sehr warm, Temperatur: 18 – 35°C
Der Entscheid steht fest, wir fahren nicht nach Malaga. Eine neue Hitzewelle ist angekündigt und wir möchten diese nicht in einer Grossstadt durchstehen müssen. Deshalb machen wir eine Planänderung: Wir steuern als nächste Ziele den «Paraje Natural El Torcal de Antequera» und die Stadt Antequera, die gemäss Führer über unzählige weitere Attraktionen verfügen soll, an. Da es in der Nähe keine Campingplätze hat, buchen wir drei Nächte im Hotel Los Dolmenes in Antequerra.
Der Naturpark Torcal – ein verwittertes Karstgebirge mit skurrilen Türmen, das uns an die «Lost Cities» in Australien erinnert – ist pittoresk, von weitem und von nahem. Bereits auf dem Parkplatz posieren auf den Felsformationen vor uns ein paar Steinböcke. Sie kennen keine Scheu und lassen sich seelenruhig fotografieren. Wir folgen dem ausgeschilderten Wanderweg. Vor allem der erste Teil mit seinen zerklüfteten Felsformationen bzw. horizontal geschichteten oder mit einer Elefantenhaut überzogenen Felstürmen ist spektakulär. Wir wandeln, wie durch die Kulissen einer von HR Giger gestalteten Filmwelt voll von Kobolden und Fantasiewesen. Immer wieder zücken wir verzaubert die Kamera.
Antequera beeindruckt uns mit seiner Alkazaba vor allem von weitem. Die einst von den Mauren gebaute Burg überragt die dicht aneinander gedrängten weissen Häuser dieser andalusischen Stadt. Auf den ersten Blick ist das Stadtbild dieser seit bereits 5000 Jahren besiedelten Gegend intakt. Allerding durchfahren wir beim Näherkommen zuerst einmal anonyme Wohnsiedlungen, kommen dann an den unzähligen Mekkas der heutigen Zivilisation (Aldi, Lidl & Co.) vorbei bevor wir zu unserem in der Industriezone gelegenen charakterlosen Hotel «Los Dolmenes» gelangen – obwohl wir uns dies bewusst waren, eine Ernüchterung. Wir brauchen, bevor wir den «Casco Historico» besichtigen können, eine Abkühlung. So strecken wir uns nach einer erfrischenden Dusche auf den kühlen Leinen des riesigen Bettes im klimatisierten Zimmer aus.
Um 19.00 Uhr bestellen wir ein Taxi und lassen uns zur Alcazaba bringen. Der Blick auf die Stadt und die sie umgebende Natur ist bei Sonnenuntergang umwerfend. Das sanfte Licht der untergehenden Sonne lässt die unzähligen mit Backstein gebauten Kirchen und Klöster nochmals aufleuchten. Wir ergötzen uns an diesem Bild. Allerdings ermahnt uns unser knurrender Magen – wir haben seit dem Frühstück nichts mehr Festes zu uns genommen – an den für diesen Abend vorgesehenen Restaurantbesuch. Tripadvisor sei dank haben wir im «Abrasador Bodegas Triana» eine vorzügliche Wahl getroffen. Die Atmosphäre ist zeitgemäss schick, die Bedienung professionell freundlich und das Essen vorzüglich. Mangels offener Alternativen – einige weitere Restaurants sind ferienhalber geschlossen – kommen wir in den nächsten beiden Tagen wieder hierher zurück und werden nicht enttäuscht.
Die Dolmen, die zum UNSECO-Weltkulturerbe ernannt wurden, sind aus kulturhistorischem Gesichtspunkt bestimmt eine gewaltige Leistung. Allerdings ist man als profaner Besucher, der über die komplexe Bedeutung dieser Bauwerke nichts weiss, eher ein wenig enttäuscht. So ergeht es uns nach der Besichtigung. Etwas Verständnis und Bewunderung keimt in uns jedoch nach dem Besuch des modernen und stylischen Museums auf.
Zum Abschluss unseres Aufenthaltes in Antequera holen wir nach, was uns letztes Jahr in der Sierra de Culebra verwehrt war, der Besuch eines Lobos-Parks (Wolfsparks). Unsere Erwartungen sind bescheiden. Werden wir aufgrund der Hitze Wölfe zu Gesicht bekommen? Handelt es sich um einen Erlebnispark oder um eine wissenschaftlich fundierte Haltung von einer vom Aussterben bedrohten Tierart? Unser Fazit am Ende des Besuchs: Es hat sich durchaus gelohnt, auch wenn wir nur etwa eine Handvoll der insgesamt 30 ausgewachsenen Tiere zu Gesicht bekommen haben. Sie machen Eindruck, auch wenn sie aufgrund des Sommers 8 – 10 kg an Körpergewicht und einen Grossteil ihres üppigen Pelzes verloren haben. Die Führerin ist engagiert und weiss viel über die Verhaltensmerkmale der einzelnen Wölfe zu erzählen. Die 1 ½ Stunden waren wirklich sehr kurzweilig.