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Südlich von Marrakech: ... ist es ein Bansky?
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  • Beitrag zuletzt geändert am:Februar 6, 2025
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Marokko 2022: Reisetagebuch

23. - 30. November

Marrakesch - Fès - Tetuan - Ksar Sghir

 

Das Wichtigste in Kürze:

Wir sind auf dem Rückweg und wir sind müde. Zwei Monaten Marokko nagen an unseren Ressourcen. In Marrakesch und Fès lassen uns uninspiriert im Wirrwarr der Medinas treiben. Die Luft ist draus und wir möchten nach Hause zurückkehren.

 

 

Mittwoch – Freitag, 23. – 25. November: Marrakesch
Wetter: Teilweise blauer Himmel. Am Morgen ist arschkalt. Temperatur 8 – 27°C

Krasser könnte der Unterschied nicht sein. Nach fünf Tage Ruhe tauchen wir in Marrakeschs chaotisches Leben ein. Frühmorgens durchqueren wir mit Hannibal die Neustadt zum Camping Relais de Marrakesch und bekommen einen Vorgeschmack vom marokkanischen Fahrstil: Blinker werden kaum gestellt, dafür ist die Hupe das meistgenutzte Werkzeug.  Stände pro Sitz und Mitfahrer eine solche zur Verfügung, würden diese allesamt eingesetzt. Man hupt, um zu warnen «Ich bin hinter dir!», um einen Verkehrsteilnehmer zu vertreiben «Mach Platz!», um an einer Ampel den vorderen Wagen zum Wegfahren zu animieren «Beweg endlich deinen Arsch!» oder man betätigt die Hupe einfach aus Freude am Hupen. Zudem sausen Links und Rechts die Motorradfahrer an uns vorbei. Sie tauchen aus dem Nichts auf und hupen, um dir zu sagen «Ich bin hier». Sie quetschen sich zwischen zwei stehenden Autokolonnen durch und zickzacken mit akrobatischen Einlagen hin und her auf der Suche nach der perfekten Fahrbahn. Auf den Motorrädern sitzen eine (meistens ohne Helm), nicht selten zwei (meistens ohne Helm), manchmal auch drei Person/en (zwei Erwachsene + 1-2 Kind/er, meistens ohne Helm). An den Lichtsignalen wird selten angehalten – auch mit Rotlicht nicht.

Autos werden mitten auf der Fahrspur parkiert, um Ware auf- oder abzuladen. Menschen überqueren die Fahrbahn, wo es ihnen gerade passt. Sie nehmen sich dafür viel Zeit und lassen sich von den hupenden Autos nicht aus dem Konzept bringen. Damit nicht genug: Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird zusätzlich von den mit viel Gottvertrauen gesegneten Hunden herausgefordert. Man trifft sie neben der Strasse, am Strassenrand und auf der Strasse, wo sie ganz selbstverständliche eine Runde schlafen, ohne sich um die Welt um sie herum zu kümmern. Fahren ist Millimeterarbeit. Erstaunlicherweise kommen wir trotzt des Chaos flott voran. Jeder scheint Rücksicht auf den anderen zu nehmen und bemüht sich, ohne Schrammen davon zu kommen.

Wir überleben die Feuerprobe und erreichen den Camping Relais de Marrakesch etwas erschöpft. Um die Anspannung zu lösen, bestellen wir im Camping-Restaurant zwei Pizzas: «Eine Margherita und eine Vegetariana bitte» lautet unsere Bestellung. Die Pizzaböden sind gut, was darüber kredenzt wurde ist Geschmackssache. Anstelle des Mozzarellas wurde sehr grosszügig eine Art Raclette-Käse verwendet. Die dicke Käseschicht, die sich nicht mit dem Boden verbunden hat, führt ein Eigenleben: Beim Versucht eine Pizza-Scheibe hochzuheben, rutscht der Käse mit oder ohne Gemüse wie eine frisch ausgelöste Schneelawine wieder auf den Teller (oder auch auf die Hose) hinunter. Sabine sucht wie ein Lawinenhund das in der Käsesuppe «verschollene» Gemüse. Ich frage mich, ob für die Pizza Margherita überhaupt Tomatensauce verwendet wurde.

Nach einem solchen Essen stehen wir zwar satt aber mit einem Klumpen in Bauch vom Tisch auf. «Wir müssen etwas unternehmen, um den Fettkloss in unserem Magen zu verbrennen» bemerkt Sabine. Wir bestellen ein Taxi und lassen uns zum Platz Jemaa-el-Fna bringen. Als wir dort ankommen erkennen wir den Platz sofort wieder. Die gleiche Geschäftigkeit, die gleichen Schlangenbeschwörer, die gleichen Affendompteure, der gleiche Gestank nach Pferdeurin wie vor dreiundzwanzig Jahren. Neu ist allerdings, dass in der Medina die Motorräder erlaubt sind. Und so dauert es nicht sehr lange, bis sich ein Motorradfahre an uns vorbeizwängt und in einem Seitenarm hinter einer Abgaswolke verschwindet.

Die Medina ist zu einem Strassennetzwerk umfunktioniert worden. Menschen, Tiere und Motorräder teilen sich die engen Gassen. Da die Medina überdacht ist, bleiben die Abgase in den Gassen hängen und vermischen sich wiederum mit den Gerüchen von Leder, Lederpolitur, Gewürze, verdorbenem Fleisch, Urin (menschlicher und derjenige von den unzähligen Katzen), abgeschlossenen Räumen, verstaubten Teppichen, Fäulnis, gebackenem Brot, grilliertem Fleisch, Weihrauch, frischer Pfefferminze, Schweiss, Weihrauch und Terpentin zu einem bizarren Cocktail.

Entgegen allen Warnungen werden wir kaum von den Verkäufern bedrängt. Hie und da spricht uns jemand an mit «Pour le plaisir des yeux» und zeigt uns hoffnungsvoll den Eingang zu seinem Laden. Die meisten sitzen aber einfach passiv in ihrem Laden und starren auf ihr Smartphon. Ab und zu schaut einer – wie plötzlich aus der Trance erwacht – zu uns auf und taucht kurz danach, ohne einmal mit den Augen zu blinzeln, wiederum in die wundersame Welt zwischen seinen Finger ein.

Auf der Suche nach einem Geschenk für Fabrizios Schwester besuchen wir das Geschäft Al Nour Hier nähen behinderte Frauen qualitativ hochwertige und im Stil eigenständige Heimtextilien (Tischdecken, Tischsets …) und Kleider her und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt. Wir werden fündig. Eine wunderschöne, bestickte Leinen-Tischdecke findet ihren Weg in unseren Rucksack. Fabrizios Schwester wird sich freuen!

Als wir die Medina verlassen ist es bereits dunkel. Während wir uns im Labyrinth der Gassen verloren haben, haben fleissige Hände auf dem Platz Jemaa-el-Fna Essstände aufgestellt. Es sieht wie auf einem Weihnachtsmarkt aus, riecht aber anders. Keine Marroni, kein Magenbrot, keine karamellisierten Mandeln und kein Glühwein. Dafür werden grillierte Spiesse, Eintöpfe von geschmortem Fleisch (Tajines), Undefinierbares, Innereien, frische und weniger frische Salate, Suppen etc. dem hungrigen Passanten angeboten. Jeder Stand hat einen «Aufreisser» angestellt, der die vorbeilaufenden Menschen von den Vorzügen der eigenen Küche zu überzeugen und somit zu einer Konsumation zu motivieren versucht.  

Wir bleiben hart … sonst wird es morgen dünn!

Neuer Tag … neue Abenteuer. Wir treffen heute Christine und freuen uns sehr darauf. Wir haben Christine zu Beginn unserer Reise in Ksar Sghir in der Auberge Villa Marine kennengelernt. Sie lebt seit Jahren in Marrakech und hat sich bereit erklärt, mit uns den Tag zu verbringen. Wir treffen sie am Place des Ferblentiers, ein ruhiges Plätzchen nicht weit weg vom überbordenden Place Jemaa el-Fna und gehen mit ihr in ein libanesischen Restaurant Mittagessen. Zwischen zwei Meezes tauschen wir unsere Beobachtungen, Erfahrungen und Anekdoten aus, die wir in Marokko erlebt haben. Wir als Touristen, sie als langjährige Wanderführerin für einen bekannten deutschsprachigen Touroperator. Heute lebt sie in Marrakesch und besitzt ein schmuckes Maison d’Hôtes.

Nach dem Mittagessen schlendern mit ihr durch die engen Gassen der Medina. Ab und zu wird sie von einem Händler freundlich begrüsst. Zum Abschluss besuchen wir gemeinsam das kürzlich eröffnetes Museum MONDE ARTS PARURE Es wurde von einem wohlhabenden Tessiner gebaut, um seine unvorstellbar reiche Sammlung an Schmuck, Gewändern, Pferdeharnischen und weiteren Schätzen aus allen Ecken der Welt auszustellen und einem Publikum zugänglich zu machen. Wir sind einfach nur sprachlos. Wir bewundern die filigrane Arbeit der Juweliere aus dem Maghreb, dem Sudan, Indien, Katar etc. Wir staunen über die komplexen Kopfdekorationen aus dem Niger und anderen Ländern, von denen wir die Namen bereits vergessen haben. Wir bleiben bei den wunderschönen und furchteinflössenden Samurai-Rüstungen auf Distanz … man weiss nie.

It ist time to say goodbye. «Danke Christine für den wundervollen Tag!».

Nachdem wir uns von Christine verabschiedet haben, streiten wir uns mit einem Taxifahrer über den Fahrpreis zum Campingplatz. Statt den offiziellen 150 DH verlangt er von uns plötzlich (aber irgendwie nicht unerwartet) 200 DH. Fabrizio besteht auf 150 DH, der Taxifahrer auf seine 200 DH. Angelockt von unserer angeregten Diskussion, eilen weitere Taxifahrer hinzu, reden kurz mit unserem Widersacher, bis er einlenkt. «Gut» sagt er uns mit einer ernsten Miene. Fabrizio antwortet «Ich werden nicht mit ihnen fahren, sie sind eine unehrliche Person». «Es gibt andere Touristen» fordert er uns heraus. «Es gibt aber auch andere Taxifahrer» kommentieren wir und suchen nach einer anderen Möglichkeit.


Freitag – Montag, 25. – 28. November: Marrakesch – Azrou – Fès
Wetter: Blauer Himmel. Am Morgen ist es weiterhin arschkalt. Temperatur 6 – 25°C

Fès liegt bereits hinter uns. Wir spüren einen Drang, nach Hause zu gehen. Wir sind müde. Die Nächte sind auch hier in Marokko mittlerweile kalt geworden. Unsere Standheizung haben wir aus dem Sommerschlaf geweckt und wieder in Betrieb genommen.

In Azrou ändert sich das Erscheinungsbild von Marokko schlagartig. Wir fahren durch breite mit Platanen gesäumte Alleen, sichten an jeder Ecke Abfallkörbe, konstatieren eine schweizerische Sauberkeit, bemerken die vielen Häuser mit einem Giebeldach und manchmal sogar mit Holzfachwerk. Als wir am Abend eine gebratene Forelle in einem frostigen und ungeschmückten Raum im Camping zu uns nehmen, wissen wir, dass wir uns nicht in der wohligen Schweiz, sondern in der heizungslosen, kühlen Realität von Marokko befinden. Unter dem Tisch bettelt eine Katze laut miauend um ihren Anteil am Essen.

In Fès nehmen wir uns am nächsten Tag die Zeit, Hannibal von aussen und innen gründlich zu schruppen und zu polieren. Kurz vor dem Eindunkeln betrachten wir ihn voller Stolz wie er von weitem in der Abendsonne blinkt. Wir haben trotz den vielen Unterbrechungen durch neugierige Zuschauer gründliche Arbeit geleistet.

Am Sonntag fahren wir mit dem Taxi zur Medina. Wir brausen an prallvollen Cafés vorbei – heute spielt die marokkanische Nationalmannschaft in Katar. Die Altstadt ist bis auf ein paar wenige Touristen menschenleer, auch in dem sich in einem grandiosen Palast befindenden Restaurant palais bab sahra Fèz sind wir die einzigen Gäste und scheuen das Personal vor dem Fernseher auf. Das Essen ist gut, der Palast ist bombastisch! Vom Boden bis zur Decke bleibt kein Quadratzentimeter von den kunstvollen arabischen Verzierungen mit Mosaiken und Schnitzereien ausgespart. Die Wonnen und Leiden des Fussballspiels erleben wir durch die Oooohhhs und Aaaahhhs der Angestellten, die sich um den Fernseher versammelt haben und uns regelmässig mit Ihren Rufen erschrecken.

Wieder draussen in der Medina füllen sich langsam die Gassen. Das Spiel ist zu Ende. Zufriedene Marokkaner strömen uns entgegen. Hier in den Souks wollen wir unseren letzten Punkt von der Einkaufsliste abhacken: Apéro-Schälchen von einer Töpferei-Manufaktur in Fez hergestellt. An Läden, die Töpferware anbieten, fehlt es wahrlich nicht. Aber ein Geschäft zu finden, das nicht den omnipräsenten Einheitsbrei anbietet, ist schwierig. Schliesslich wagen wir uns in einen sich in einem Hinterhof befindenden Laden und lassen uns auf das Verkaufsgespräch des Shopbetreibers ein. Wir lassen uns von den Vorteilen seiner Ware überzeugen und kaufen, ohne den Preis zu verhandeln, ein paar Teller und Töpfchen ein. Wir sind des ständigen Wehrens gegen die Übervorteilung müde.

Vor den Mauern, die die Medina umgeben, staut sich mittlerweile der Verkehr. Die Stände für die «Petit Taxis» sind leer. Die ganze Stadt scheint auf der Strasse oder auf Heimweg zu sein, um den Sieg der marokkanischen Elf gegen Belgien zu feiern. Nur mit Mühe und Not ergattern wir auf der Strasse ein freies Taxi. Es wird über eine Stunde dauern, bis es uns auf dem rund 11 km entfernten Camping Le Diamant Vert absetzten wird. Wir sind überrascht, wie überschwänglich die Menschen den Erfolg feiern. Junge Frau in roten enganliegenden Tops schwenken, mit dem Oberkörper aus dem Autoinneren hinausgebeugt, freudig die marokkanische Flagge, während die männlichen Chauffeure ihr Fahrzeug mit lautem Hupen Dompteuren gleich durch den dichten Verkehr manövrieren.

 

Montag – Mittwoch, 28. – 30. November: Fès – Tetouan – Tanger Med
Wetter: Blauer Himmel. Am Morgen ist es weiterhin arschkalt. Temperatur 8 – 18°C

Auf unserer Fahrt nach Tétouan sind die Zeichen des Herbstes unverkennbar. Die Bäume schmücken sich mit farbigen Blättern und manchmal präsentieren sie sich dem Vorbeifahrenden nackt. Die Felder zieren sich ab und zu mit einer dünnen grünen Flur, die auf einen kürzlich gefallenen winterlichen Niederschlag schliessen lässt. Die Landschaft, durch die wir fahren, erinnert uns stark an Andalusien. Die Temperaturen erholen sich während des Tages nur langsam von der kühlen Nacht und wir sind froh, dass wir uns am Abend im Bett des Riad Dar Achaach unter die wärmende Wolldecke verkriechen können. Im Riad wollen wir uns den Luxus eines Fernsehabends gönnen. Allerdings sind die meisten Sender auf Arabisch. So vertagen wir diesen Luxus…

Gestärkt von einem super reichhaltigen Frühstück nehmen wir unsere letzte Etappe nach Tanger Med in Angriff. Als wir die Mittelmeerküste in Martil erreichen, veranlasst uns der Sonnenschein und der weisse Sand zu einem ausgiebigen Spaziergang entlang der makellos sauber gehaltenen Promenade. Den Strand teilen wir uns mit ein paar wenigen Einheimischen und der Hoffnung der Restaurantbesitzer, die ein paar Tischen mit Stühlen und Sonnenschirm für vermeintliche Gäste aufgestellt haben. Die Bestuhlung bleibt leer während unseres gut zweistündigen Besuches.

Auf den nächsten 30 km treffen wir auf unendlich viele Apart-Hotelanlagen, die sich mit einer Mauer vor ungebetenen Gästen schützen. Einlass bietet jeweils eine Barriere, die von einem Wächter bedient wird.  Als ob in dieser im November, Dezember einsamen Gegend die Touristen von Frühling bis Herbst Schlange stehen würden, beobachten wir eine äusserst rege Bautätigkeit. Neue Ressorts werden aus dem Boden gestampft… für Touristen, die für wenige Wochen ihren Alltag an weissen Stränden oder an mit Palmen gesäumten Swimmingpools hinter sich lassen wollen.

Je näher wir an Tanger Med kommen, umso mehr erkennen wir in der Umgebung das Marokko, das wir in den letzten 60 Tagen bereist haben: An die Hänge geklebte farbige Dörfer – manchmal frei von und manchmal mit viel Abfall, Ziegenherden auf der Suche nach dem spärlichen Grün und Männer, die am Strassenrand oder in den Cafés vor einem Glas Tee sitzen.

Als wir in Ksar Sghir an das Tor der Villa Marine klopfen, wird das Tor von einer jungen Marokkanerin geöffnet. Die Pensionsbesitzer haben frei. Schad, wir hätten gerne den Räubergeschichten von Calogero gelauscht. So verbringen wir den Abend nach dem feinen Nachtessen im Bett und geben uns dem Luxus des Fernsehens hin. Auf Arte läuft der passende Dokumentarfilm Marokkos einsamer König. Er gibt uns auf ein paar während der Reise angehäuften Fragen über die marokkanische Gesellschaft eine Antwort. Um uns den Geheimnissen Marokkos weiter anzunähern werden wir wieder kommen. Ma’as-salama!

Der letzte Novembertag ist dem Warten auf die Fähre nach Genua gewidmet: 15:00 Uhr Ein-Checken, 20:15 Uhr Boarden der Fähre, 20:45 Essen im Selbstbedienungsrestaurant und 21:30 Uhr Gute Nacht und Europa bonjour.

 

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