Island 2020: Reisetagebuch
9. - 15. Juli
Männerdorf - Seydisfjördur
Das Wichtigste in Kürze:
Die unendliche Phase des Beladens von Hannibal zieht sich über zwei Tage hin. Ein dreidimensionales Tetris-Spiel, gespielt im Bauch von Hannibal.
Wir gelangen über Basel zur deutschen Autobahn und tuckern mit 80-90 Sachen in Richtung Norden. Wir verbringen zwei Tage in Idstein (nahe Frankfurt) bei unseren Freunden Henri und Tia. In Hirtshals laden wie Hannibal in den Bauch der Fähre nach Island. Nach drei Tage auf ruhigem Meer erreichen wir das Land der Trollen. Die ersten Tagen sind vom Regen und Kälte gekennzeichnet.
Donnerstag, 9. Juli
Es ist 09:00 Uhr als wir die Zündschlüssel drehen und der Motor von Hannibal anfängt zu brummen. Ich werde von diesem mächtigen Surren nie genug kriegen. Das Drehen des Zündschlüssels erlöst uns wie von magischer Hand von der Anspannung der letzten Monate. Die letzten Tage sind ziemlich hektisch gewesen. Ein Regenschutz für unser Hubdach musste in letzter Minute genäht werden. Denn hätte es in Island mehrere Tage geregnet, was es mit hoher Wahrscheinlichkeit tun wird, dann hätten die Canvaswände unseres Hubdaches Wasser durchgelassen. Das Nähen des Regenschutzes war ein regelrechter Kraftakt, der uns drei Tage voller Konzentration und Hingabe abverlangte … Es hat sich gelohnt. Wir haben das Überzelt wirklich sehr gut hingekriegt.
Die unendliche Phase des Beladens von Hannibal zieht sich über zwei Tage hin. Ein dreidimensionales Tetris-Spiel, gespielt im Bauch von Hannibal. Der Hohlraum muss mit Kleidern, Recoverygear, Lebensmitteln, Wanderschuhen, Medikamenten, Ersatzkabeln für unsere Navigationsgeräte, Töpfen, Geschirr und weiteren unabdingbaren Gegenstände gefüllt werden. Nach mehrmaligem Ein- und Ausladen sowie Umstapeln finden sie ihren endgültigen Aufbewahrungsort.
Der Teufel liegt bekanntlich im Detail. „Haben wir an alles gedacht?“ „Haben wir genügend warme Kleider mitgenommen?“ „Wo hast du die Buchungsbestätigungen hingelegt?“ und… und … und …
Die Sonne scheint, was kann noch schief gehen? Ja der Deckel unseres Kühlschrankes hat sich verabschiedet!! Die Isolationsmatte hat sich vom Deckel gelöst. Ich werde dieses Problem unterwegs selber reparieren müssen.
Wir gelangen über Basel zur deutschen Autobahn und tuckern mit 80-90 Sachen in Richtung Norden. Wir gehören zu den „Langsamen“. Dies scheint Hannibal wenig zu stören. Seine wahren Werten liegen bekanntlich abseits der geteerten Strasse … dort wo „die Anderen“ nie hinkommen würden. Die neuen AT-Reifen machen sich bezahlt. Die Fahrt ist ruhiger und leiser geworden.
Kurz vor Frankfurt geraten wir in einen riesigen Stau. Wieder einmal ist Geduld gefordert. Für 12 km benötigen wir über 1 ½ Stunden. Nichts geht mehr.
Hannibal regt sich aber mächtig über den Fahrstil der Deutschen auf. Aggressiv sind sie. Sie kleben an der hinteren Stosstange wie Kletten und geben einem in gar keinem Fall den Vortritt.
Nach knapp 8 Stunden kommen wir in Idstein an. Wir sind müde. Henri empfängt uns herzlich. Dies lässt uns in kurzer Zeit die Strapazen des Tages vergessen. Wir begeben uns zu einem Restaurant, das hauptsächlich Kartoffelgerichten kredenzt. Auf Tia wartend (sie arbeitete heute noch) trinken wir ein Glas lokales Bier, durchforsten die Speisekarte und reden über dies und das. Als Tia sich zu uns gesellt ist das Bild perfekt.
Wir verbringen noch ein Tag in Idstein, kosten Henri‘s famous Porridge, reden uns die Kehlen wund und (für uns eine Weltpremiere) bestellen den Pizzakurier. Wir verbringen den Abend mit dem letzen Film von Clint Eastwood „The Mule“.
Gestern Abend haben Sabine und Ich uns entschlossen, statt direkt nach Flensburg zu fahren, einen „Schwenker“ nach Celle in der Lüneburger Heide zu machen. Wir waren dort zum Letzten mal vor knapp 30 Jahren mit Sabine‘s Schwester und ihrem Freund Remo. Wir hatten nur noch sehr wage Erinnerungen an Celle und wollten die schönen Fachwerkhäuser, die so typisch für diese Region sind, nochmals bewundern. Hübsch sind auch der französische Garten und das Schloss. Ausserdem verfügt Celle über einen neuen und sehr gut eingerichteten Stellplatz für Wohnmobile, 10 Fussminuten vom Stadtzentrum entfernt. Wir können noch knapp den letzten Platz ergattern.
Am Abend essen wir im Restaurant Schwejk, ein Tipp der ausgebuchten Bier Akademie, ausgezeichnete böhmische Spezialitäten: Sauerkraut mit Schweinebraten und Tafelspitz mit Meerrettichsauce, beides serviert mit Semmelknödel.
Typisch für die Landhäuser im Norden Deutschlands sowie später in Dänemark sind die Jalousien losen Fenster sowie die Fassaden aus Sichtbackstein. Ab und zu entdecken wir noch Bauerngehöfte mit Strohdächern. Vor allem in Dänemark sind die Häuser mit wunderschönen Gärten umgeben.
Sonntag, 12. Juli
Es sind noch knapp 600 km bis Hirtshals. Eine sehr lange Strecke, wenn man nur mit 80-85 km/h fährt. Wir überqueren die dänischen Grenze um 15:00 Uhr. Wir staunen, dass keine Kontrollen durchgeführt werden. Dänemark hatte lang gezögert, die Grenzen für den Tourismusverkehr zu öffnen. Ein Polizist winkt uns gelangweilt durch.
Unendliche Getreidefelder heissen uns willkommen. Ich wusste nicht, dass in dieser Gegend so viel Getreide angebaut wird. Auch der Fahrstil der Dänen scheint uns freundlich gesonnen. Kein Gedränge, kein Rasen und kein aufsässiges Getue. Eine ganz entspanntes Fahrerlebnis. Da die Autobahnen vom Rest der Welt nicht mit Hecken geschützt sind, liegen ein Haufen tote Tiere am Strassenrand. Es erinnert uns an die unzähligen toten Kängurus, die wir während unseren Australienreisen 1999/2004 gesehen haben.
Die hüglige Landschaft färbt sich bereits goldig in der Nachmittagssonne als wir in Juelsminde ankommen. Juelsminde ist eine Zufallsentscheidung, die wir während unseres Mittagessen in einem MCDonald in Flensburg getroffen haben. Wir wollten weder in Flensburg bleiben noch viele Kilometer fahren. So haben wir die Karte Dänemarks zur Hand genommen und ein Standort am Meer gesucht, welcher auch noch über einen Stellplatz verfügt. Ein guter Entscheid. Wir geniessen den abendlichen Spaziergang entlang des Hafens.
Montag, 13. Juli
Die letzten 240 km bis nach Hirtshals, immer noch begleitet von den gewaltigen Getreidefeldern, die wie eine schützende Decke die geschmeidigen Hügel und unendlichen Flächen beidseits der Autobahn umhüllen, verfliegen schnell. Nur die in regelmässigen Abständen auf den Feldern sichtbaren Traktorenspuren zeugen von der Präsenz des Menschen.
Ein starker Nord-West-Wind fegt unermüdlich über die Autobahn. Hannibal schaukelt von rechts nach links wie ein Besoffener, der zu später Stunde seinen Weg nach Hause zu finden versucht. Als wir in Hirtshals ankommen hat der Wind kaum nachgelassen. Wir checken im grosszügigen, nicht weit vom Strand gelegenen Hirtshals Camping ein. Im Laufe des Nachmittags kommen weitere Offroader dazu. Wir werden sie morgen auf der Fähre nach Island treffen.
Das Städtchen Hirtshals hat sicherlich schon bessere Tage gesehen. Das Ganze wirkt heruntergekommen und verstaubt. In der Einkaufstrasse klaffen zwischen den schäbigen und demodierten Ramschläden Lücken mit geschlossenen, leergeräumten Geschäften und Restaurants. Ist hierfür Covid-19 verantwortlich oder hat der Niedergang schon vorher begonnen?
Die Nacht bringt Regen. Zeit, unseren kürzlich genähten Regenschutz für dass Hubdach zu testen. Er erfüllt unsere Erwartungen. Das Hubdach bleibt trocken obwohl es teilweise heftig schüttet.
Dienstag/Mittwoch, 14./15. Juli
Ein trüber Tag beginnt. Dicke, tief hängende Wolken und ein lästiger Nieselregen sagen uns „Hallo“ als wir aus Hannibal’s Bauch aussteigen. Ein paar Campingbewohner laufen wie verlorene Seelen umher. Unschlüssig, ob sie den Tag mit beiden Händen anpacken oder sich in ihre Schlafsäcke zurück verkriechen sollen.
Wir verspeisen im Aufenthaltsraum der Campingküche eine Zimtschnecke und trinken einen charakterlosen Automaten-Kaffee. Bevor wir zum Hafen aufbrechen, nutzen wir noch das WIFI, um den bevorstehenden COVID-19-Test zu bezahlen. Das Regime hat am Vortag geändert. Anstatt in Island müssen wir den Test vor dem Besteigen der Fähre über uns ergehen lassen. Dies als Alternative zur 14-tägigen Quarantäne.
Nach zwei Stunden warten in Dreierkolonne am Hafen geht es langsam vorwärts. Bevor wir zum nächsten Wartekorridor dirigiert werden, heisst es, langsam zum COVID-Test rollen. Da warten auf uns eine Horde in hellblaue „Plastikpellerinen“ eingehüllte und mit Mundschutz versehene Tester. Zu zweit stürmen sie wild fuchtelnd mit den „Ohrstäbchen“ und einem Handy in den Händen auf die zu Testenden Personen in den Autos zu. Während uns die eine Person das Stäbchen in den Hals steckt, versucht die andere den an der Windschutzscheibe angebrachten IBAN-Strichcode zu fotografieren und überprüft die ID mit der Buchung. Ob die Testergebnisse bei dieser Aufregung und Hektik auch verlässlich sind?
An Bord tragen die Crewmitglieder während der zweitägigen Überfahrt keine Maske, ebenfalls nur wenige Passagiere. Wir Maskentragende werden wie moderne Aussätzige angestarrt. Die Abstandsvorschriften von 1 m scheinen eher ein Wunschdenken. Sie werden mehrheitlich von den Reisenden nicht respektiert. An den Buffets kennen die Leute keine Zurückhaltung. Menschen, die sich mit dem Aufschliessen zurückhalten, werden einfach überrannt.
Einen Tag später – Fabrizio und ich halten uns mehrheitlich in der Kabine mit Fenster auf – herrscht für uns immer noch Unklarheit, wie uns das Testergebnis mitgeteilt wird oder was passiert, wenn jemand auf der Fähre positiv getestet wurde, gehen wir alle in Quarantäne? Wir fragen an der Rezeption. Diese gibt uns folgende Auskunft: Betroffene werden vom Kapitän persönlich informiert. Mehr können oder dürfen sie nicht sagen … Ist der Corona-Test nur Schein, wie kann so verhindert werden, dass keine Corona-Infizierte die Insel betreten und weitere Isländer anstecken? Es scheint eine riesige Diskrepanz zwischen Schutzkonzepten und Umsetzung zu geben und niemand fühlt sich für die Durchsetzung zuständig. Hierfür ein Beispiel: Bei der Registrierung mussten wir über den Gesundheitszustand insbesondere das Husten Auskunft geben und dies unter Androhung einer hohen Busse. Tatsache ist, dass viele Passagiere husten, einige davon sehr kräftig? Ich konnte nicht beobachten, dass diese von der Besatzung angesprochen wurden. Für mich ist klar, ingesamt scheinen die Menschen mit dieser Situation überfordert zu sein. Die Kommunikation und das Verhalten ist konfus und widersprüchlich.
Dasselbe haben wir in Dänemark beobachtet. Obwohl sich Dänemark lange mit der Öffnung eines Durchgangskorridors für Islandreisende zierte, haben wir in zwei Tagen keinen einzigen Dänen gesehen, der sich mit einer Maske vor dem Virus schützte. Im Gegenteil, in meiner Wahrnehmung war das Verhalten völlig unbekümmert, Menschenansammlungen wurden nicht gemieden.
Kurz stoppt die Fähre in Torshaven, Faröern. Die Insel ist in Nebel gehüllt. Wir sehen ausser den Hafen nahen mit Torf gedeckten roten Holzhäusern, einigen Ruderbooten sowie kreischenden weissen Vögeln kaum etwas. Nicht so schlimm, bei der Rückfahrt im September haben wir nochmals eine Chance und vor allem auch 5 Stunden Aufenthalt mit Landgang.
Zwischen den Faröern und Island liegt eine Nacht. Ein bisschen aufgeregt sind wir. Was werden wir erleben, wie hat sich Island seit 2014 verändert, wird es aufgrund Covid-19 weniger Touristen geben, wie wird das Wetter sein, wird sich unser Hannibal bei kaltem und feuchtem Wetter bewähren … Fragen über Fragen.
Antworten werden wir in den nächsten 9 Wochen erhalten. Wir freuen uns auf dieses Experiment.