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Valencia: Ciudad de las Artes Y de las Ciencias
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  • Beitrag zuletzt geändert am:Februar 3, 2025
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Spanien 2022: Reisetagebuch

19. - 31. Mai

Albarracin - Valencia

 

Das Wichtigste in Kürze:

Wir besuchen den «Parque Natural del Alto Tajo» mit seiner wilden Landschaft. Folgen auf schönen Pisten den Rio Tajo auf eine Gesamtlänge von fast 130km. Klettern um den roten Felsenformationen, die das Dorf Chequilla wie eine Burgmauer schützen. Die Stadt Cuenca verschlägt uns mit seinem «Casco Historico» die Sprache und erleben in Valencia, neben ihren Schätzen, die Hektik einer Grosstadt.

 

 

Donnerstag, 19. Mai, Albarracin – Peralejos de las Truchas
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 32°C

Gestern Nacht hat es heftig geregnet. Es hat nicht lange gedauert … aber das Gewitter hatte es in sich. Wir müssen deshalb am Morgen noch eine Weile warten, bis die Markise und unser Dachzelt in der Morgensonne ausreichend trocknen, bevor wir sie zusammenfalten und versorgen können.

Der Tag fühlt sich gut an. Er fühlt sich so an wie eine Katze, die in leichtem Galopp zu dir kommt, um gestreichelt zu werden … was du auch selbstverständlich machst … bis sie plötzlich die Krallen ausfährt und dir ohne Vorwarnung eine schmerzhafte Erinnerung verpasst.

Und so kommt es … leider. Sabine ist kurz weggegangen, um das Morgengeschirr abzuwaschen, ich bereite Hannibal für die Abfahrt vor … so wie jeden Morgen. Dies ist unser Ritual, unsere Routine. Ich habe bereits alle Spanngurte der Markise entfernt, um sie reinfahren und zusammenfalten zu können als plötzlich ein heftiger Windstoss sie vom Boden abhebt und wie die Seite eines Buches über das Dach von Hannibal faltet. Dabei gehen zwei Gelenke (dank denen wir die Markise wie ein Fledermausflügel 270° um Hannibal ausfahren können) an ihren Sollbruchstelle kaputt.

Die Markise (ohne sie zu beschädigen) von Hannibals Dach herunterzufalten, erweist sich als ein schwieriges Unterfangen. Der Wind bläst jetzt unablässig und bei jedem Versuch die Markise anzuheben, füllt sie sich wie das Segel von einem von Christophorus Columbus Schiffes. Irgendwie, nach etlichen Versuchen gelingt es uns, sie zusammenzufalten. Glücklicherweise haben wir genau zwei neue Gelenke in unserem Ersatzteillager und … nach reichlicher Überlegung, finden wir auch heraus, wie wir sie ersetzten können. Danach schauen wir uns schweissgebadet an, seufzen tief und sagen unisono «Uff!»

Gegen 12:00 verlassen wir Albarracin in Richtung Tragacete. Die Strasse schlängelt sich entlang einer mächtigen Schlucht. Wir treffen kaum auf Gegenverkehr. Ziel der heutigen Fahrt über eine Piste, die Fabrizio von Wikiloc heruntergeladen hat, ist der «Parque Natural del Alto Tajo». Der Track folgt dem Rio Tajo. Er ist anfänglich breit und problemlos zu befahren. Wir holpern fröhlich durch dichte Wälder.

Das Sonnenlicht «flackert» durch die Baumkrone, eine warme Brise wärmt die Umgebungsluft auf sowie Hannibals Standheizung unseren «tiny room» aufwärmt. Wir befinden uns in den Vorposten des «Parque Natural del Alto Tajo». Bereits jetzt kündigen sich die gewaltigen Bergformationen an, die uns in den kommenden Tagen so faszinieren werden.

Manchmal begnügen sich die Katzen nicht nur mit einem Angriff … sie wiederholen ihn … vielleicht aus reinem Spass. Und so rasseln wir unerwartet in das zweite Tagesunheil hinein. Am Rand der Piste sichten wir, etwas von den Büschen abgedeckt, eine Warntafel: «Achtung, 30% Gefälle!». Fabrizio stellt den Motor ab und besichtigt kurz, was auf uns zukommen wird. Sein Verdikt: «Es ist machbar! Die Piste hat einen festen Untergrund, ist steinig aber eben … machbar». Wir schalten die Untersetzung ein und fahren mit Vorsicht den Berghang hinunter. Es rüttelt und schüttelt, kleine und grosse Steine spicken unter dem Druck der Räder weg. Plötzlich ist die Piste durch einen Steinschlag teilweise versperrt. Für Hannibal ist hier kein Durchkommen. Fabrizio steigt aus, analysiert kurz die Lage und beginnt, den Weg von den blockierenden Steinen zu befreien. Jetzt schleichen wir langsam vorwärts und es gelingt uns problemlos, diese kritische Stelle zu passieren. Weiter unten treffen wir auf sehr tiefe Auswaschungen. Diese laufen teilweise parallel, teilweise mit einem fast rechten Winkel zur Piste. Die Konzentration in Fabrizios Kopf ist spürbar. «Nur keinen Schaden an Hannibal verursachen» ist das Mantra, das sich in seinen Hirnwindungen wie ein Sommerhit festgesetzt hat.

Endlich haben wir die Talsohle erreicht. Vor uns ein Fluss, der überquert werden muss. Fabrizio durchwatet ihn, um die Tiefe zu messen (knapp 80cm), die Festigkeit des Untergrundes zu prüfen (steinig und kompakt) sowie die Fliessgeschwindigkeit (mässig) zu spüren zu Fuss. Bäume, falls wir die Winde einsetzen müssten, sind zur Genüge vorhanden.

Wir schalten in den zweiten Gang mit Untersetzung und, … um «sicher zu gehen», auch die hintere Differentialsperre ein. Der ARB-Luftkompressor brummt, das Licht der hinteren Differentialsperre leuchtet jetzt blau auf … «Lets go!». «A piece of cake!». Nach nicht einmal 30 Sekunden tauchen wir am gegenüberliegenden Flussufer wieder auf. Fabrizio schaltet die Sperre aus und lässt zu Sicherheit Hannibal kurz zurückrollen (so sollte sich die Sperre jetzt «unlocked» haben). Leider merken wir auf der Weiterfahrt, dass etwas mit den hinteren Rädern nicht stimmt. Beim Kurvenfahren schleifen sie ein wenig. Beweis genug, dass die Räder sich immer noch «synchron» drehen. Wir stoppen, schalten die Sperre nochmals ein und aus. Sie bleibt blockiert. Wir wiederholen diese Prozedur mehrmals. Fahren ein wenig vorwärts und rückwärts, um das «Entsperren» zu unterstützen. Nichts passiert! Etwas Panik macht sich breit. «So dürfen wir nicht auf Teerstrassen fahren!», sagt Fabrizio. «Dies würde die Sperre zerfetzen!». Als wir in Peralejos de las Truchas ankommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Garagisten in der Schweiz anzurufen und ihn, um Rat zu bieten. Es ist 19:45! Wir haben Glück, er ist bereit, sich mit uns über unser Problem zu bücken. Wir folgen seiner Empfehlung auf Schritt und Tritt. Trotzdem bleibt die Differentialsperre blockiert.

Im Schneckentempo fahren wir die 5 km bis zum nächsten Campingplatz. Er ist geschlossen! Wir sichten jedoch jemanden auf der anderen Seite des eingezäunten Geländes. «Disculpe» ruft Fabrizio. «Tenemos un problema tecnico y no podemos manejar el coche». «Es possible de quedarnos aqui por la noche?» Er antwortet uns, dass das Camping erst morgen aufgehe, aber wir den Besitzer fragen können der gegen 21:00 vorbeikommen wird. In der Zwischenzeit, auf den «dueño» wartend, «werkelt» Fabrizio am Problem Differentialsperre. Irgendwann beim Rückwärtsfahren (Fabrizio bewegt Hannibal auf dem Parkplatz hin und her und schaltet die Sperre ein und aus) hören wir ein lautes «Knacken». Die Sperre hat sich endlich gelöst. 

Wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob das «Knacken» ein gutes bzw. schlechtes Omen ist. Gegen 21:30, der «dueño» ist noch nicht aufgetaucht, können wir auf den Campinglatz fahren. Der Stellvertreter des Besitzers (es stellt sich später aus, dass er der Koch ist) entschuldigt sich für die Wartezeit und informiert uns, dass wir erst am kommenden Morgen über warmes Wasser in den Duschen verfügen werden. Uns ist dies egal.  Wir kochen eine Portion Teigwaren und legen uns zu Bett. In kurzer Zeit schlafen wir erschöpft ein. Nur ein Kuckuck in der Ferne legt noch eine Nachtschicht ein. Übrigens, für diese Nacht müssen wir nichts bezahlen! «Que generosidad! Muchas gracias!»

 

Freitag, 20. Mai, Peralejo de las Truchas
Wetter: Wolkenloser blauer Himmel, Temperatur: 13 – 32°C

Der gestrige Tag lastet am Morgen noch schwer auf uns. Im Zweifel, ob nicht tatsächlich etwas kaputt gegangen ist, bockt Fabrizio Hannibal nach dem Frühstück auf und versucht zu prüfen, ob die Differentialsperre korrekt arbeitet. Er examiniert insbesondere, ob die Sperre «gegriffen» hat oder nicht, und schaltet sie immer wieder ein und aus, dabei dreht er das freiliegende Rad. Vergebens. Um auf anderen Gedanken zu kommen, entscheiden wir uns kurzerhand eine Wanderung zur Schlucht «Estrecho del Horcajo» in Angriff zu nehmen. Vom Campingplatz aus sind es ca. 13 km retour und ca. 600 Höhemeter sind zu bewältigen. Unterwegs treffen wir auf zwei Schlangen (der Koch wird uns bei unserer Rückkehr bestätigen, dass sie nicht giftig sind). Die Schlucht ist bombastisch. Unter einem mächtigen Felsenvorsprung, der gerade noch von der letzten Abendsonne erwärmt wird, geniessen wir die Sicht und verdrucken dabei einen Müeslistengel.

Nach den gestrigen Emotionen lassen wir uns nach dem Eindunkeln vom Restaurant des Zeltplatzes verwöhnen.  Mit Niedergar geschmorte Schweinebacken und dazu weiche Pommes (Fabrizio), Involtini di Manzo mit Salat (Sabine). Als Vorspeise kredenzt uns die Küche ein unvergessliches Ratatouille (Pistou) mit Spiegelei. Begleitet wird das Ganze von einem herb-süsslichen Wein aus der Gegend mit 13% Alc. (gewöhnungsbedürftig aber durchaus trinkbar).

 

Samstag, 21. Mai, Pistenfahrt im Parque Natural del Alto Tajo
Wetter: Schleierwolken, Temperatur: 15 – 34°C

Heute wird Piste gefahren. Wir «begleiten» den Rio Tajo auf einer Strecke von ca. 120 km durch teilweise atemberaubende Schluchten. Ca. 5 km südlich von Peralejos de las Truchas beginnt die Piste. Der Fluss Tajo mäandriert gemütlich zwischen brachialen Felsenformationen. Hie und da bildet er einen kleinen Teich und dann wieder überwindet er einen Geländestufe mit einem kleinen Wasserfall. Seine smaragd-grüne Farbe leuchtet in der Morgensonne. Unterwegs treffen wir auf die ersten (und bis am Abend werden es nicht die Letzten sein) Hardcore Velofahrer. Mit ihren beladenen Mountainbikes kämpfen sie sich durch die unebene und teilweise steinige Piste. Glücklicherweise wurden für sie und die Wanderer in regelmässigen Abständen Trinkwasserbrunnen und Pausenplätze eingerichtet. Nichts destotrotz beugen wir uns voller Respekt vor diesen modernen Gladiatoren. Was sie auf dieser Strecke körperlich leisten, überlassen wir getrost Hannibal und seinen 123 Pferden.

In der Nähe von Zaorejas möchten wir zu Fuss den «Mirador del Tajo», eine Aussichtsplattform, die auf einer Felsspitze errichtet wurde und die eine Weitsicht über den Parque natural bieten soll, erklimmen. Daraus wird nichts. Nach den ersten Hundert Metern wird der Wanderweg zu einem reissenden Bach und ist nicht mehr begehbar. Wir kehren zum Parkplatz zurück, wo wir Hannibal im Schatten einer Rottanne zurückgelassen haben. Auf dem Weg nach unten gleitet Fabrizio auf einer dicken Schicht getrockneter Blätter, die den Wanderweg wie ein Teppich überziehen, aus und fliegt kopfvoran den Berghang hinunter. Nach ca. 10 m Flugweg landet er etwas abgedämpft auf Sträuchern. «Nichts passiert!» Schreit er von unten hoch, selber noch vom Geschehenem überrascht.

Nach genauem Studium unserer Topokarte merken wir, dass der «Mirador del Tajo» AUCH bequem per Auto zu erreichen ist. Nach dem Schreck über Fabrizios Sturz, lassen wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen. Die Sicht von oben ist zwar schön, reisst uns aber nicht aus den Socken. Die Sonne steht noch hoch am Himmel und bleicht mit ihrer Kraft die Farben aus. Zudem trüben die Schleierwolken die Weitsicht und …. nicht zuletzt lässt die horrende Hitze, die beinahe die Steine zum Schmelzen bringt, eine gemütliche Pause nicht zu.

Bis zu diesem Zeitpunkt führte uns die Piste entlang der Talsohle. Links und rechts des Weges stehen kerzengerade gewachsene Kiefern (hauptsächlich Rottannen) und spenden uns angenehmen Schatten. Für den Rückweg nach Peralejos de las Truchas wählen wir eine andere Route, die sich vom Dorf Cuevas Labradas auf einer Krete entlangschlängelt. Obwohl die Landschaft hier oben flach ist, treffen wir kaum auf bestellte Felder (sowie zum Beispiel in den «Muelas» südlich von Teruel). Wir kreuzen eine Handvoll Bauernhofruinen, die für die selten «Vorbeifahrenden» als Zeugen einer harten Vergangenheit stehen. Die flachen Felder sind mit Steinen übersäht (sie erinnern eher an einen Steinbruch als an einen Acker) und scheinen kaum über den für das Gedeihen von Kulturpflanzen notwendigen Humus zu verfügen. Falls hier in der Vergangenheit etwas angebaut wurde, dann nur in mühseliger Arbeit und mit mickrigen Erträgen. Ein Bauer in Orea bestätigte uns dies ein paar Tage später. Um von der Landwirtschaft leben zu können sind mind. 300 Hektaren nötig.

 

Sonntag, 22. Mai, Pistenfahrt im Parque natural del Alto Tajo (Peralejos de las Truchas – Orea)
Wetter: Bewölkt, Temperatur: 15 – 23°C

Wir setzen unsere Rundfahrt durch den «Parque natural del Alto Tajo» fort. Kurz vor dem Dorf Chequilla parkieren wir Hannibal in einer Waldlichtung und besichtigen die bizarren Felsenformationen, die das Dorf wie Wachtürme einer längst verschwundenen Burg beschützen, zu Fuss. Vom Vogelgezwitscher und dem Zirpen der Grillen begleitet, betreten wir diese «terra incognita». Ein kaum ersichtlicher Pfad windet sich durch versteinerte «Riesen». Uns kommen Bilder der südlich von Darwin und vom «Litchfield National Park» gelegenen «Lost City vor Augen.

Bis zum Dorf Orea und seinem gleichnamigen Campingplatz fahren wir durch dichte Wälder und offenes Grasland. Eine breite und einfach zu befahren Piste. Alles in Allem bereits bekannte Landschaften.

Wir teilen uns den riesigen Campingplatz mit einem jungen Paar und ihrem putzigen Hund sowie einer kleinen Gruppe von französischen Offroadern, die erst bei Eindunkeln eintreffen. Es ist noch «temporada baja» (Tiefsaison). Der Campingplatz ist zwar geöffnet, aber es sind keine Service vorhanden. Nur die sanitären Anlagen sind zugänglich und es gibt warmes Wasser fürs. Morgen werden ich und Sabine hier die alleinigen «Herrscher» sein. Es wird bis zu unserer Abfahrt kein weiterer Kunde einchecken. Ein beklemmendes Gefühl, um ehrlich zu sein. Dafür herrscht aber hier Ruhe pur!

 

Montag, 23. Mai, Orea
Wetter: Bewölkt mit blauen «Fetzen», Temperatur: 9 – 25°C

Die Nacht war kalt! Gemäss Wettervorhersage werden die Temperaturen in den kommenden Nächten nahe am Gefrierpunkt liegen. Brrrr! Um dies zu überstehen, werden wir heute die wärmenden Sonnenstrahlen wie Eidechsen «einsaugen». Nach einer wundervollen, 16 km langen Wanderung zur «Laguna de Salobreja», sind unsere Batterien wieder mit Wärme aufgeladen.

Die Lagune liegt umgeben von Wiesen in einer kleinen Talsenke und ist Heimat von tausenden quakender Frösche. Ein Teppich weisser Wasserblumen breitet sich wie ein Kranz am Teichrand aus. «Es ist friedlich hier», sagt Sabine. Ich nicke zustimmend mit dem Kopf und vertilge genüsslich meinen zweiten Energy-Bar.

 

Dienstag, 23. Mai, Orea – Cuenca
Wetter: Blauer Himmel mit zunehmender Bewölkung, Temperatur: 6 – 25°C

Die Nacht war wieder kalt! Zum Glück verfügen wir über eine Standheizung. Sie erleichtert uns am Morgen «das sich aus den warmen Schlafsäcken Herausschälen» ungemein. In einer 170 km Fahrt erreichen wir heute die Weltkulturerbe-Stadt Cuenca. Wir folgen dem Fluss Jucar von seiner Quelle in der Schlucht «Estrecho del Infierno» in der Nähe von Tragacete bis nach Cuenca. In Jahrmillionen hat das Wasser sich durch das Muttergestein hindurchgefräst und eine Landschaft der Superlative hinterlassen. Steile und glatte Felsenwände, Felsenwände, die wie gigantische Schwämme oder wie aufgetürmten Focaccia-Brote aussehen.

 

Mittwoch, 24. – Donnerstag, 25. Mai, Cuenca
Wetter: Blauer Himmel mit zunehmender Bewölkung, ein sehr kalter Wind zerzaust uns ständig die Frisur, Temperatur: 4 – 30°C

Nach Tagen der Einsamkeit, tauchen wir wieder in die Betriebsamkeit einer Kleinstadt (55’000 Einw.) ein. In Hannibals Kühlschrank hat sich eine gähnende Leere eingenistet, die es verdient, endlich beseitigt zu werden. Wir gehen einkaufen. Dabei handelt sich immer um einen Seiltanz. Unser Kühlschrank ist mit einem Volumen von 26 Litern eher klein. Wir versuchen, Frischprodukte so häufig wie möglich zu kaufen, sodass wir sie ohne lange Lagerungszeit verzehren können. In Spanien greifen wir immer gerne zum leckeren «Convenience-Food-».  Dieses ist durchaus von guter bis sehr guter Qualität und benötigt in der Vorbereitung wenig Zeit und verbraucht zudem wenig Gas. Darunter fallen die «Tortillas con cebollas», die Ravioli der Marke «Rana», der fertige Couscous-Salat der Marke «Hacendado» sowie unterschiedlicher Hummus, Frischkäse und «embutidos» (Wurstwaren … kann man hier in Spanien nicht, nicht essen) und zu guter Letzt die bereits gekochten Hülsenfrüchte im Glas. Das im Supermarkt angebotene Gemüse und die Früchte leiden auch in Spanien unter dem gleichen Problem wie in der Schweiz, sie werden häufig unreif verkauft und benötigen noch eine gewisse Zeit bis sie ihren vollen Geschmack entwickeln. Und dies, obwohl wir uns im «Erzeugerland par excellence» befinden.

«Ich habe gemeint, in Spanien sei es immer warm»! sagt Fabrizio zu einer Kassiererin in Cuencas Supermarkt «Mercadona». Sie antwortet mit einem breiten Lächeln «Ja, an der Küste mag dies wahr sein, hier in Zentralspanien frieren wir uns häufig die Nüsse ab.»

Nach dem Einkaufen lassen wir Hannibal auf dem Parkplatz des Supermarkets zurück und begeben uns zum historischen Zentrum (Casco Historico) Cuencas. Was für ein Weltwunder! Was für eine pittoreske Lage! Zum wiederholten Male eine Stadt, die auf einem schützenden Felsplateau (in diesem Fall zwischen den Schluchten der beiden Flüsse Júcar und Huécar) errichtet wurde.

Als die Mauren am Anfang des 8. Jahrhunderts die Region eroberten, erkannten sie die strategisch günstige Lage dieses Standortes und erbauten eine Festung. Die Altstadt dominiert heute von oben über die neu entstandenen Quartiere in der Ebene. Wir schleichen uns den Hügel hinauf. Durch die engen Gassen bläst ein eisiger Wind. Obwohl man an der prallen Sonne sehr schnell zum Schwitzen kommt, herrschen im Gassengewirr des historischen Kerns noch «sibirische» Temperaturen.

Die alte Bausubstanz ist in einem sehr guten Zustand und sieht auch nach mehr als einem Jahrtausend prächtig aus. Ein Markenzeichen sind die «casas colgadas» (hängenden Häuser) sowie unzähligen farbigen Gebäude in der Calle Alfonso VIII, die zur Plaza Mayor führt. Über eine Eisenbrücke (Puente de San Pablo) gelangen wir auf die Gegenseite der Schlucht, von wo die Altstadt in seiner ganzen Pracht gut zu sehen ist. Die Sonne liegt, fotografische gesehen, günstig und die Gebäude leuchten in einer hellen orangen Farbe. Im Innenhof des «Parador de Cuenca», der gleich in der Nähe der Brücke liegt, geniessen wir zwei Gläser vorzüglichen Verdejo aus der Region und erholen uns von den «Strapazen» des Morgens. Nach Flüssigem muss unbedingt etwas Festes in unseren Magen (ja … wir sind fast immer hungrig unterwegs!).

In der Calle de Julian Romero befinden sich diverse «gute» Restaurants, die aber entweder sehr teuer, noch nicht offen oder bereits geschlossen sind. Am Ende der Strasse gelangen wir zum «Castillo», regionaler Hauptsitz der ehemaligen Inquisition. Ein düsteres Kapitel der menschlichen Geschichte. Ein kalter Schauder (bei 30° Lufttemperatur) läuft uns den Rücken hinunter. Bilder aus «Der Name der Rose» tauchen vor unserem inneren Auge auf. In diesem Gebäude wurden «Andersdenkende», Menschen die die «alleinige und einzige Wahrheit» der katholischen Kirche angezweifelt haben und solche die zu eigenständig oder emanzipiert waren, geläutert bzw. bekehrt. Die angewendeten Methoden dazu unterscheiden sich unwesentlich von denen, die noch heute von einschlägigen Regierungen angewendet werden, um politische Widersacher zum Schweigen oder zum Verschwinden zu bringen sowie «lästige Ethnien» zu verscheuchen oder auszurotten. Mensch ist Mensch und bleibt Mensch.

Trotzt dieser düsteren Gedanken finden wir ein Restaurant (Piola Gastrobar). Wie es sich herausstellen wird, ist es leider ein Reinfall. Obwohl die sehr schicke Innendekoration und Beleuchtung auf ein gehobenes Lokal schliessen lassen, sind die von uns ausprobierten Speisen eher von mittelmässiger bis schlechter Qualität. Sabine bestellt einen Salatteller mit «Wachteln in Escabeche», grünem Salat und roten Früchten. Ich bestelle Weissfisch (die Kellnerin konnte mir nicht sagen, um welchen Fisch es sich handelt) im Backofen gebacken mit Gemüse. Na ja, … der Salatteller ist zur Hälfte in einer dicken Cumberlandsauce ertränkt (den sogenannt und einzigen «roten Früchten») und die andere Hälfte enthält etwas Wachtelfleich, ganze Datterini Tomaten und ein Paar grüne Salatblätter, die durch die Cumberlandsauce «zermanscht» sind. Obendrauf «thront» ein «Gitter» aus reduziertem Aceto Balsamico (Anfängerdekoration), als ob das Ganze noch zusammengehalten werden müsste. Der Teller hat eine Temperatur, die Nahe am Nullpunkt liegt und scheint direkt per Express vom südlichen Polarkreis zu kommen. Gemessen an der Menge Cumberlandsauce hätte dieser Teller eher zum Frühstuck mit Brot und Butter als zu einem leichten Mittagsessen gepasst. Sabine weigert sich, dieses Gericht zu essen. Ich muss daran glauben und mich selbst ans Werk machen! … Ach ja, fast vergessen! Mein Fisch war geniessbar, aber kalt. Vermutlich hatte der Koch vergessen, den Backofen anzumachen. Als Gemüse werden drei Streifen Peperoni zum Fisch serviert. Fazit: es war das erste Mal, dass wir in Spanien überhaupt so schlecht gegessen haben. Es gibt nichts was uns noch mehr enttäuscht und in Rage bringt als schlechtes, teures Essen!

Es ist Donnerstagmorgen um 08:00 und in Hannibals Bauch herrscht eine eisige Temperatur von 4°C. Die Standheizung leistet das, wofür sie gebaut wurde … sie heizt! Heute haben wir einen Ruhetag eingeplant. Sabine mach sich an die Wäsche … nicht meine … ich schreibe Tagebuch und bearbeite die Bilder für unsere Internetseite.

 

Freitag, 25. – Montag, 28. Mai, Cuenca – Valencia
Wetter: Blauer Himmel und sehr warm (wir erleben unsere erste tropische Nacht in Spanien in Valencia), Temperatur: 18 – 33°C

Valencia steht schon seit geraumer Zeit auf unserer Wunschliste. Die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» des berühmten Architekten Calatrava zieht alle, die eine Fotokamera in der Hand halten können, magisch an. Wir fahren auf dem direktesten Weg zum 230 Kilometer entfernt liegenden Camping und erreichen Valencia am frühen Nachmittag. Nach so viel Wildnis im «Parque Natural de Alto Tajo» ein echtes Kontrastprogramm. Dem gemütlichen Pistenfahren durch die Wälder des Nationalparks haben wir heute Morgen «tschüss, adieu, hasta la vista» sagen müssen. In den Aussenquartieren von Valencia wird nun gehupt, gedrängelt und Kolonne gefahren. Hierher verliert sich auch kein Reh, kein Schmetterling, keine Eidechse. Keine Adler oder kreisende Bartgeier sind am Himmel zu sehen. Wie eine Burgmauer umgeben diese modernen Ballungszentren mit ihren «üblichen» Einkaufs-Mekkas, Doit-Yourself-Zentren, Werkstätten, Gartenzentren, Autoverkaufspalästen … und viel … zu viel Verkehr die City. Leute, die zum Kaufen animiert werden, bekommen bekanntlich auch schnell Hunger. Und so stehen etliche Fast-Food-Oasen als sichere Rettungsanker vor dem Verhungern inmitten dieses gigantischen Souks. Saftige Burgers und Steaks lachen einem von den hohen Werbetafeln entgegen und … verfehlen nicht ihre Wirkung … unser Magen meldet sich mit einem kleinen Knurren.

Im Camping Devesa Gardens, einer Mischung aus Campingplatz, Event-Centre und Vergnügungspark am Rand des Albufera Naturparks lassen wir uns für die nächsten Tage nieder. Von hier aus können wir bequem mit dem Bus (die Haltestelle liegt günstig direkt vor dem Campingplatz) das Stadtzentrum in einer 40-minutigen Fahrt erreichen. Die Fahrt kostet «läppische» 1.5 EUR/Person. Hannibal freut sich, sich nicht durch den Stadtverkehr kämpfen zu müssen und geniesst so auch ein Paar Momente der Ruhe.

Gleich am ersten Abend besichtigen wir die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias». Die gigantischen Bauten Calatravas sind bereits von weit weg zu sehen und dominieren die Skyline der Stadt. Fabrizio jucken bei dieser einzigartigen Stadtsilhouette – im Vordergrund die vom Stararchitekten kreierten Museen sowie das Opernhaus und im Hintergrund die anonymen Häuserschluchten einer Grossstadt – die Hände und er greift schnell zu seiner Kameraausrüstung.

Diverse Zonen sind für das Publikum vorübergehend gesperrt, da Vorbereitungsarbeiten für ein Konzert (Bühne und Technik werden aufgebaut) laufen. Wie zu erwarten, «hängen» hier viele Touristen herum. Eine Schar Italiener läuft lärmend an uns vorbei. Es wird animiert übers Essen geredet, what else. Sie haben am Mittag eine schlechte Paella kredenzt bekommen und jetzt wird laut darüber lamentiert. Eine Klasse Primarschüler in Uniform strömt wie eine unbändige Lavine aus einem Gebäude heraus und breitet sich kreischend um uns herum aus. Die mahnenden Worte der Lehrer bleiben ungehört.

Man kann sich selbstverständlich streiten, ob die von Calatrava entworfenen Gebäude «schön» bzw. «ansprechend» sind oder nicht. Aber wenn ich die Bilder von der «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» sehe, weiss ich sofort, dass es sich um Valencia handelt.

Was anderen Städten gewagt haben, hat Zürich als «Weltstadt» meines Erachtens komplett versäumt. Hamburg hat, trotz aller Widerstände und Kosten die Elbphilharmonie errichtet, die die Besucher in Scharen anzieht. Bilbao hat sich ein Museum der Superlative geleistet und sich damit selbst vor dem finanziellen Ruin gerettet. Kopenhagen hat einen architektonisch sehr ansprechenden Neustadtteil gebaut und Calatrava hat sich in Valencia mit der Ciudad ein Denkmal gesetzt. Und Zürich? Ach ja, … die Betonwüste der Europaallee ist das erste was ein Besucher vor die Augen bekommt, wenn er in den Hauptbahnhof einfährt und aussteigt. Hochgradiges Bünzlitum, ohne Mut und ohne Visionen. Es gilt die Devise: «jeder Quadratzentimeter muss Rendite abwerfen, auf Teufel kommt raus.»

Am zweiten Tag (es ist Samstag, der 28. Mai) entscheiden wir uns, den Hafen zu besichtigen. Von der «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» ist es ein ca. 3.5 km langer Spaziergang entlang Valencias Peripherie. Es ist zwar bereits später Nachmittag aber die Hitze hat sich in den Strassen und Gassen Valencias fest eingenistet. Wir kommen gehörig ins Schwitzen. Der Hafen (mit zwei Bauten des Architekten Chipperfield) und der Strand haben sich zu einer Art Partymeile entwickelt. Laute Musik und festende Leute geniessen unbekümmert die sommerliche Hitze und suchen Abkühlung mit einem Sprung ins kühle Wasser des Hafenbeckens.

Eine Gruppe leicht beschwipster junger Männer feiert eine Junggesellen-Party. Der künftige Bräutigam ist mit einer silbrigen Perücke und einem grün leuchtenden Borat-Bikini ausstaffiert. Er scheint dabei nicht verlegen zu sein, «Alkohol verleiht bekanntlich Flüügel» … oder war es etwas Anderes?  Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbecken treffen wir auf die künftige Braut und Ihre Junggesellinnen-Abschiedsparty. Hier geht es etwas gesitteter zu. Zwar ist auch hier der Alkoholpegel nahe an der unteren Explosionsgrenze, aber im Moment wird nur gekichert und laut gesungen.

Es fällt uns auf, dass viele Personengruppe im Ausgang eine Art Uniform tragen. Eine Art «Erkennungszeichen». Damit keiner im Suff verloren geht? Oder aus Zugehörigkeitsgefühl? Oder aus anderen Gründen? So sehen wir zum Beispiel eine Gruppe Frauen, die allesamt eine rote Rose in die Haare gesteckt haben. Weiter vorne trägt eine Gruppe Menschen das gleiche gestreifte T-Shirt. Unter den Palmen in der Nähe des Strandes trägt eine Gruppe junger Frauen das gleiche orangefarbige Stretchkleid.

Als das Gedränge für uns zu gross wird, machen wir uns auf die Suche nach einer Bar. Im Grand Martinez, einer Bar mit einem sehr schönen Jugendstil-Dekor, bestellen wir uns zwei Gläser Verdejo aus der Region und lauschen dem Gespräch unseres telefonierenden Tischnachbars. Er scheint für die Logistik eines der grossen Kreuzfahrtschiffe, die im Hafen vor Anker liegen, verantwortlich zu sein. Offenbar erzählt ihm seine Frau von den Schulproblemen des gemeinsamen Sohnes. Der Vater bemüht sich, aus der Ferne allerhand Empfehlungen, wie man jetzt das Problem «Sohn-Schule» lösen könnte, abzugeben. Aber eben … Ratschläge ersetzen keine Präsenz. Er scheint überfordert …

Als wir gegen 21:00 wieder in die Nähe der Ciudad kommen, ist das Open-Air-Konzert in vollem Gange. Von der Auto- und Fussgängerbrücke «Pont l’Assut de l’Or» hören wir die Musik und erhaschen einen Blick in das innere der Veranstaltung, auf die Menschenmenge, die Licht- und Videoshows und die Künstler in der Grösse einer Stecknadel. Auf der Brücke stauen sich der Verkehr und die mit jeder Minute stärker animierten Fans. Wir beobachten für eine gute Weile dieses Getümmel und besteigen dann müde und mit Eindrücken gesättigt den Bus zurück zu Hannibal.

Diesen Sonntag möchten wir wie die Spanier feiern: Wir putzen uns raus und reservieren einen Tisch in einem Restaurant in Valencia auf 14:00 und begeben uns eine gute Stunde vorher auf den Weg. Mit uns wartet eine telefonierende Frau auf den Bus. Sie schaut immer wieder nervös auf die Uhr. Der Bus erscheint nicht. Er ist im dichten Verkehr stecken geblieben. Alle Spanier wollen an diesem heissen Frühlingswochenende an den Strand und von dort über Mittag essen gehen. So stauen sich die Autos dicht an dicht auf der vor Hitze flirrenden Strasse. Die Blechbüchsen verteidigen wacker ihre Position. Kein Zentimeter wird hergegeben, schon gar nicht gegenüber dem ÖV. Nach ca. 25 Minuten taucht unser Bus in der Kolonne auf…

Mit ¼ Stunde Verspätung erreichen wir das kleine Restaurant der Arrosseria Boscà 29, eine ruhige Oase wie von einem anderen Planeten. Wir entspannen uns bei einer Flasche Albariño und einem vorzüglichen Reisgericht. Die professionelle Bedienung trägt zu unserem Wohlbefinden bei.

Nach gut zwei Stunden stellen wir uns und wieder dem Asphalt und der Hitze. Auf unserem Jugendstilspaziergang schlendern wir durch das Russafa-Quartier (ein sicherlich an Werktagen und abends sehr lebendiges und interessantes Gebiet mit vielen Restaurants und kleinen Läden) zur Estacion del Norte mit anschliessender Stierkampfarena und dann weiter zur ehemaligen Markthalle «Mercado de Colon», in der nun viele Restaurants und Bars sich installiert haben. Hier scheint sich die halbe Stadt, die nicht am Strand ist, versammelt zu haben und diskutiert animiert. Wir benötigen nach dem Streifzug durch die leeren und heissen Strassenzüge eine Pause und mischen uns unter die vielen Gäste, die sich einen Apéro mit oder ohne Tapas genehmigen. Wir bestellen uns unseren ersten «Sangria», der in einem grossen, sehr grossen Glas serviert wird. Er ist sehr fruchtig, mit wenig Alkohol und sehr erfrischend. Als wir aufstehen spüren wir die Müdigkeit. Die Erkundung des eigentlichen Altstadtkerns verschieben wir auf Montag oder Dienstag. Wir haben ja Zeit …

Am Montag legen wir einen Ruhetag ein. D.h. Fabrizio verarbeitet Fotos, wir beide arbeiten am Blog, machen etwas «Haushalt», gehen eine leckere Paella im Restaurant des Campings essen, Sabine spielt Coiffeur mit Fabrizio, der danach gegen Abend zum Fotoshooting in die «Ciudad de las Artes Y de las Ciencias» aufbricht.

 

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