Du betrachtest gerade Marokko 2022 Reisetagebuch: 8. – 14. Oktober
Kurz vor der Hauptstrasse zu Imilchil
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  • Beitrag zuletzt geändert am:Januar 28, 2025
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Marokko 2022: Reisetagebuch

8. - 14. Oktober

Oktober: Fès - Tazzarine

 

Das Wichtigste in Kürze:

In Midelt besuchen wir die Geisterstadt Aouli. Hier haben die Franzosen bis in die späten Siebziger nach Rohstoffen gegraben. Danach fahren wir über Stock und Stein durch die atemberaubenden Zedernwälder der Bergkette des Jebel Ayachi bis nach Imilchil und werden hier von einem Sturm am Ufer des Tislit-Sees fast weggefegt. 

Tinehir ist der Beginn einer epischen Fahrt durch die Mondlandschaft des Bou Gafer um danach, in Tazzarine zwei ruhige Tage auf der Suche nach Fossilien und Petroglyphen zu verbringen.

 

Klicke auf das Piktogramm, um die Animation der gefahrenen Strecke zu sehen

 

Samstag, 8. Oktober, Fès – Midelt
Wetter: Weiterhin bedeckt, ab und zu drückt die Sonne durch. Starker Regen in Midelt am Abend. Temperatur 20-25°C

Bevor wir Fès verlassen, stocken wir unseren Proviant im Supermarkt Marjane, der über ein umfangreiches marokkanisches Sortiment (vieles für uns unbekannt) verfügt, auf. Die RN14 führt uns zuerst nach Bhalil, ein kleines Dorf bekannt für seine Höhlenhäuser. Hier trinken wir den teuersten Pfefferminztee Marokkos. Kaum parkieren wir Hannibal auf dem Dorfparkplatz, schon werden wir von einem Guide angesprochen. Ein alter schmächtiger und Herr klopf an Sabines Fenster. Er schaut friedlich und gut gesinnt aus der Wäsche. Er stellt sich uns als Mohammed und Touristenführer vor. «Ja, ja!» denken wir … und schon zückt er seine offizielle Marke. «Was bieten Sie?» fragen wir ihn wenig überzeugt. «Ich führe sie durch das Dorf und zu den bekannten Höhlenhäusern» antwortet er und begleitet seinen Satz mit einem breiten zahnlosen Lächeln. «Was kostet die Visite?» «100 Dhiram für eine halbe Stunde».

Der Preis ist ein Abriss … aber was soll’s … manchmal ist kleinbeigeben auch nicht schlecht. Mit schweren Schritten führt er uns durch die engen Gassen Bhalils, klettert eine steile Treppe hinauf bis zu einem Haus mit einer blauen Tür und hofiert uns hinein, hinein in «seine» Höhle. «Hier lebe ich allein mit meiner zweiundvierzigjährigen Tochter» gibt er beiläufig beim Eintreten der Wohnung zum Besten. Die Höhle misst etwa vier auf drei Meter, ist mit weissem Kalk bemalt und «riecht» stark nach Feuchtigkeit. Auf einem verzierten Tisch warten bereits vier Teegläser auf uns … Zufall? Er spricht von seiner Familie und dass er, um «fit» zu bleiben und etwas zu hinterlassen, den Koran ins Deutsche übersetzt. «Es sei eine gewaltige Arbeit» beklagt er sich kurz danach. «Viel zu viel Suren!». 

Die Tochter kredenzt uns den heissen Pfefferminztee. Wir reden noch kurz und dann verlassen wir die Wohnung in Richtung Parkplatz.

So viel zu unserer Dorfführung (der Tee war allerdings köstlich!). Mohammed kassiert schnell sein Honorar und macht sich mit schnellen Schritten von dannen. «Sind wir über den Tisch gezogen worden?» fragen wir uns unisono. «Jaaa!» «… aber der Tee war gut … und Mohammed war ein sympathischer Kerl … und die Tochter war auch nett … und 10 Franken ist für uns auch nicht das Ende der Welt» – auch wenn sie für einen Marokkaner ein Tagessalär bedeuten. Wir versuchen uns weiszumachen, dass es sich doch irgendwie gelohnt hat, «übervorteilt worden zu sein», auf jeden Fall lacht unsere Seele über diese Führung.

Nachdem Mohammed uns verlassen hat, machen wir uns auf eigene Faust zu einer Stippvisite von Bhalil auf. Dabei beobachten wir eine Gruppe Frauen, die im Kreis am Boden sitzen und animiert miteinander reden. Währenddem sie untereinander Aktualitäten austauschen, stellen sie aus Garn Knöpfe für die Festbekleidung von Frauen her, ihre Hände führen wie von selbst die Garnnadel. Als sie Sabine bemerken, laden sie sie zu sich ein, damit sie ihrer aufwendigen und filigranen Arbeit aus der Nähe zuzuschauen kann. Die Knöpfe sind winzig klein und diese begabten Handwerkerinnen bekommen beschämende 40 Dhiram (40 Rappen!) Honorar für 40 Knöpfe.

Nach Bahlil führt uns die RN14 zuerst nach Sefrou, dann nach Boulemane. Kurz danach «fädeln» wir in die NR29 ein. Sie führt uns bis zu unserem Campingplatz Ksar Timnay in der Nähe von Midelt. Diese Region ist für ihre Apfelplantagen und Minen (Blei, Zink, Kupfer …) bekannt. Kleine Verkaufsstände mit farbigen Äpfeln und Granatäpfel säumen die Strasse. Ab und zu winkt uns ein Verkäufer/eine Verkäuferin zu.

Als wir im Ksar Timnay ankommen ist der Himmel über uns dunkel geworden. Regen ist im Anmarsch. Böen wirbeln Wüstensand hoch. Er brennt in den Augen. Der Campingplatz ist für ein/zwei Übernachtungen in Ordnung. Das Restaurant ist den ganzen Tag geöffnet und kredenzt leckere Gerichte.

 

Sonntag, 9. Oktober, Die Geisterstadt Aouli
Wetter: Bedeckt, ab und zu drückt die Sonne durch. Temperatur 20-25°C

Die Region um Midelt ist für seine reichen Rohstoffvorkommen bekannt. Die Franzosen haben bis in die späten Siebzigerjahre Minen betrieben. Unser heutiges Ziel ist die Geisterstadt Aouli. Kurz nach Midelt biegen wir links ab und folgen einer geschotterten Strasse bis zum Minendorf Mibladen. Danach schlängelt sich die Piste durch eine enge Schlucht. Die Landschaft ist rau und faszinierend. Wir machen Ruinen von Steinhäusern in den steilen Berghängen aus. Es sind die Überreste ehemaliger Minenarbeiter-Behausungen. Steile und enge Wanderpfade (eher für Steinböcke als für Menschen geeignet) führen zu ihnen. Immer wieder erspähen wir in den Bergflanken die klaffenden Wunden ehemaliger Bergwerksarbeit. Hier hat die menschliche Gier nach Reichtümern gewütet. Vor den Mineneingängen türmen sich mehr oder weniger grosse Schutthalden. Kumpels haben hier unter harten Arbeitsbedingungen die Eingeweide der Erde nach aussen gekehrt und sie wie das Werk eines gigantischen Maulwurfes aufgetürmt.

Und plötzlich erscheinen hinter einer Strassenbiegung die Ruinen der Stadt Aouli. Links und rechts der Schlucht sichten wir gewaltige Gebäude. Einerseits handelt es sich um technische Installationen, andererseits um weitere Behausungen (mehrstöckige Komplexe!). Ausser ein paar wenigen Verkaufsständen von Mineralienverkäufern und streunenden Katzen haben Mensch und Tier die Siedlung verlassen. Eine beängstigende und gleichzeitige morbide Atmosphäre liegt auf diesem Ort wie ein Leichentuch.

Nach Aouli steigt die Piste steil zum Bergkamm hinauf, wo wir einer weiteren Geisterstadt oder besser gesagt einem Geisterquartier begegnen. Es sind die Behausungen (Reiheneinfamilienhäuser) der «besser situierten» Minenarbeiter. Man erkennt es an den schön verzierten Hauseingängen. Von den Gebäuden stehen nur noch die Gemäuer, selten sind noch Teile des Daches vorhanden. 40 Jahre Witterungseinflüsse und Plünderungen haben ihren Tribut gefordert.

Danach führt uns die Route über eine wüstenhafte Hochebene. Hie und da haben Nomadenfamilie ihre ärmlichen Zelte aufgestellt. Sie sind bereits von Weitem auszumachen. Es sind die als Regenschutz eingesetzten farbigen Plastikblachen, die ins Augen fallen und sie verraten. Kaum hören die Kinder Hannibals Motor, schon kommen sie an den Strassenrand gerannt in der Hoffnung, dass es dieses Mal endlich mit einem Geschenk klappen wird – eine gute Vorbereitung für unsere anstehende Fahrt nach Imilchil, wo wir am Pistenrand und in den Dörfern regelrecht von den Kindern unter Belagerung genommen werden. Für heute kehren wir gegen Abend nach einer knapp 120 km langen Fahrt erstmal zum Camping «Ksar Timnay» zurück.

 

Montag, 10. Oktober, Midelt – Imilchil via Cirque de Jaffar
Wetter: Zu Beginn sonnig, gegen Abend starker Regen und stürmischer Wind. Temperatur 8-20°C

Heute erleben wir eine «Mordsetappe». Von Midelt aus umfahren wir die Schlucht des «Cirque de Jaffar», folgen einer schmalen Piste durch majestätische Zedernwälder, durchfahren kleine verlassene Dörfer, überqueren einen Bergpass auf ca. 2800 m ü.M. und übernachten nach knapp 200 km Fahrt am Ufer des «Iseli-Sees» nördlich von Imilchil auf 2300 m ü.M. unter stürmischen Bedingungen.

Was wird uns von diesem Tag in Erinnerung bleiben? Sicherlich die gewaltigen Zedernbäume, die entlang der Piste stolz und kerzengerade, wie die Wächter des heiligen Grals stehen. Dann die für diese Gegend typischen geologischen Bergformationen, die aufgeschichteten Pancake-Türmen, die durch unvorstellbare Naturkräfte zusammengefaltet und um 90° nach oben «gedreht» wurden, gleichen. Schliesslich die im Abendlicht in unterschiedlichen Farben leuchtenden Mineralienschichten der Berghänge, grün, purpur, dunkelbraun, weiss …

Nicht zuletzt werden uns die bettelnden Kinder in Erinnerung bleiben. Kaum nähern wir uns einem Dorf, schon geht die Nachricht «Touristen kommen!» wie ein Lauffeuer unter den Dorfbewohnern durch. Trauben von Kindern (jeglichen Alters) sammeln sich am Strassenrand und betteln die Touristen für Bonbons, Dhinars, Stylo, Kleider, Schuhe u.v.m. an. Nicht selten versperren sie die Strasse und beabsichtigen Hannibal auszubremsen. Andere versuchen via offenes Fenster an die Türgriffe zu gelangen und die Türe so zu öffnen. In den engen Dorfstrassen ist dies ein gefährliches Spiel. Ein Fehltritt, ein Stolpern, ein ungewolltes Schupsen und schon ist die Katastrophe passiert.

Sobald sie merken, dass wir keinesfalls stoppen werden, zeigen sie uns den «Stinkefinger», andere donnern mit der Faust gegen die Karosserie, andere werfen uns Steine, Holzstücke oder Äpfel nach.

Bei einer dieser Aktion stoppt Fabrizio Hannibal abrupt und steigt wie vom Affen gebissen aus. Die Kinder rennen schnell davon. Ein Erwachsener, der das ganze beobachtet, tut als ob nichts passiert wäre. Nach einem kurzen Wortgefecht fahren wir weiter. Es wird für uns zu einer Spiessrutenfahrt. Nach wenigen Kilometern kommt schon das nächste Dorf … und alles beginnt von vorne. Und es gibt viele Dörfer in dieser Gegend!

Ein solches Verhalten erzeugt bei uns eine gegensätzliche Reaktion. Wir werden keinesfalls nachgeben. Als Touristen ist uns die Not, die insbesondere die Dorfbewohner und Nomaden plagt, bewusst und wir haben gewissermassen Verständnis, dass sie uns Touristen als mögliche Einkommens- / Hilfsquelle ansehen. Aber dass sie uns mit Steinen traktieren, ist inakzeptabel.

Als wir am Tislit-See ankommen, braut sich bereits ein Sturm auf. Der Himmel ist pechschwarz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees regnet es bereits aus vollen Kübeln und es donnert bedrohlich. Als wir unser wildes Camp einrichten und gerade den Regenschutz ans Hubdach klippen, entlädt sich das Gewitter sturzflutartig über uns. Während Sabine sich in Hannibals Bauch flüchtet, schnürt Fabrizio die Enden der Regenhülle an Hannibals Flanken fest. Dabei wird er patschnass. Währenddessen organisiert Sabine den Innenraum, in dem sie Kisten vom «Wohnbereich» auf die Vordersitze hievt. Beweglichkeit ist hier sicherlich ein Vorteil. Nach einem kalten Nachtessen und eingepackt in Thermounterwäsche klettern wir früh in unsere Attika, um unsere Eindrücke in unseren Träumen zu verarbeiten.



Dienstag, 11. Oktober, Imilchil – Tinghir via Todraschlucht

Wetter: Zu Beginn bedeckt, gegen Abend sonnig. Temperatur 8-24°C

Nach einer wider Erwarten nicht allzu kalten Nacht nehmen wir uns am Morgen Zeit, um uns mit Uwe, der uns am Vorabend mit freundlichem winken zum Teilen des schönen Biwak-Platzes eingeladen hat, auszutauschen. Seine Reise nach Mauretanien ist auf den Gestirne Kalender ausgerichtet. In der Region Imilchil verbringt er drei Tage, um die Milchstrasse im Zeitraffer festzuhalten. Er ist äussert einfach und sparsam unterwegs, was seiner Zufriedenheit mit seinem einjährigen Ruhestand keine Abrede tut.

Wir verabschieden uns nach einem ausgiebigen Frühstück mit Kaffee und nehmen die rund 125 km Asphaltstrasse nach Tinerhir unter die Räder. Die Streckenwahl ist den heftigen Gewittern der Nacht und der unsicheren Wetterlage geschuldet. Tatsächlich säumen immer wieder riesige Wasserpfützen die schmale Trasse und hagere Männer wischen mit kleinen Besen den angeschwemmten Sand und Schlamm von der Fahrbahn, eine Sisyphusarbeit.

Auf den kargen alpinen Weiden rund um den Tislit-See haben sich grosse Schafherden angesammelt. Die Hirten fragen uns nach Zigaretten und die Hunde übernehmen in dieser Zeit allein die Überwachung der Tiere. Auf dem Talboden auf rund 2’000 m ü. M. sind die Menschen fleissig damit beschäftigt, die Felder zu bestellen und die Apfelernte einzubringen. Es riecht nach Herbst und die laublosen oder gelb gefärbten Pappeln kündigen den bevorstehenden Winter an. Auf der Fahrt durch die Dörfer lächeln mir (Sabine) die jungen Frauen zu und die Kinder beschränken sich aufs Winken. Eine erholsame Erfahrung nach dem gestrigen «Spiessrutenlaufen».

Canyon artige Landschaften lösen sich mit grossen Palmoasen ab, besonders grün und prächtig ist das Tal entlang des Dorfes Tamtattouchte. Ein Teil der Oase und des Dorfes wird bald von einem Stausee überflutet werden. Die Staumauer ist fertiggestellt, die Strassenführung wurde geändert und Häuser, die im Stausee verschwinden werden, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Ein aktuell trauriges Bild wird allenfalls in einigen Jahren einem pittoresken Stausee weichen und bestenfalls zu einer weiteren Touristenattraktion nach der Todraschlucht werden.


Die engste Stelle der Todraschlucht ist zu einem Touristensouk verkommen. Kilometerlang werden an den Felswänden Teppiche und Tücher feilgeboten… Für uns heisst es hier, so schnell wie möglich -ohne Menschen zu überfahren – durch.

Im kleinen Camping Atlas mit Ausblick auf die Oase finden wir einen Ort der Ruhe. Er bietet dem Reisenden alles, um die Seele baumeln zu lassen: Netten Empfang, gutes Essen und saubere Sanitäranlagen. Wir werden inschallah wiederkommen.


Mittwoch – Freitag, 12. – 14. Oktober, Tinghir – Tazzarine
Wetter: Sonnig mit hübschen Schäfchenwolken. Temperatur 14 – 26°C

Eine Überquerung des Jebel Sahro steht an. Wir freuen uns sehr darauf. 1999 haben wir diese dunkle Gebirgskette vulkanischen Ursprungs, die zwischen dem Hohen Atlas und der Wüste liegt, nur von weitem gesehen. An eine Überquerung mit unserem Fiat Uno war nicht zu denken. Dank Hannibal und den Track-Beschreibungen von Pistenkuh können wir uns nun in diese geheimnisvolle, dünnbesiedelte Bergwelt aufmachen.

Zuerst durchqueren wir die geschäftige und wohlhabend wirkende Stadt Tinghir. Auch hier sind Strassenarbeiter damit beschäftigt, mit ihren kleinen Besen den Sand von den Strassen zu wischen. Beschäftigungstherapie???!

Auf der staubigen Ebene – vor uns die pittoresken Berge, worauf sich die Schatten der Schäfchenwolken spiegeln – durqueren wir einige kleine Dörfer bevor wir das Gebirge erklimmen. Die einen sind sauber und zeugen von einem erfolgreichen Abfallmanagement, die anderen sind schmutzig und scheinen auf einer Abfallmulde gebaut worden zu sein und doch liegen diese Siedlungen zum Teil nur wenige Kilometer auseinander.

Als wir uns den Bergen nähern, kommen wir dem Geheimnis, warum die Berge von weitem gelb getüpfelt wirken, auf die Spur: die dunkle Erde ist von gelben, stachligem Büschelgras durchsetzt.
Am obersten Punkt (knapp 2’000 m ü.M.) angekommen, können wir endlich auf die Piste abzweigen und fahren an den Dorfäckern von Ikniounn vorbei. Auch hier hat moderne Technik (feinmaschig sind Plastikkanäle der Tropfen für Tropfen-Bewässerung ausgelegt) die alten Wasserkanäle, die ganze Felder überfluten, abgelöst. Solaranlagen liefern den Strom, um das Grundwasser hochzupumpen. Auch in dieser Knochentrockenen Gegend gibt es dank der erfolgreichen Bewässerung viele sattgrüne Oasen, die die Menschen ernähren. Hinzu kommt die extensive Weidewirtschaft. Immer wieder treffen wir auf Schaf- und Ziegenherden und die für sie für die Nacht erstellten kreisrunden Steingehege. Sind sich die Tiere und Hirten bewusst, in was für einer fantastischen Natur – hübsche, brachiale Steinbolders und zackige Felsdome säumen über lange Strecken unseren Weg – sie leben?

Wie der Zufall es will, treffen wir gerade hier zwei weitere Paare (beide aus dem Kanton Bern). Die einen haben die Piste bereits hinter sich, die anderen werden die Überquerung des Jebels nach uns in Angriff nehmen. Wir stellen unsere Fahrzeuge an den Pistenrand und tauschen Informationen, Tipps und Reiseerlebnisse aus. Es herrscht regelrechte Freude. Dass gerade drei Schweizer in diesem fast gottverlassenen Ort aufeinandertreffen, ist unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto (Schweizer Lotto!).  Von der gegenüberliegenden Pistenseite werden wir von zwei Berberfrauen «begutachtet». «Was für ein Kauderwelsch sprechen die da?» werden sie sich gedacht haben, während sie büschelweise die dunkelgrüne Luzerne mit einer Handsichel ernten.

Nach einem halbstündigen Austausch packen wir die Piste an. Anfänglich steigt sie lieblich die Bergflanken hinauf. Der Weitblick auf das, was noch kommen wird, versetzt uns in regelgerechte Aufregung. Schwarze runde Felsen kündigen sich an. Die Piste wird langsam aber sicher holpriger und schlängelt sich wie eine träge Python durch die steinige Berglandschaft.

Weit und breit keine Seele in Sicht. Wir entdecken am Pistenrand einen grossen Steinkreis. Nach näherer Betrachtung handelt es sich um einen verlassenen Friedhof. Viele kleine aufrecht gesetzte Steinplatten verraten, wo die Gräber sind … und es gibt sehr viele davon.

Wir treffen auf einen Hirten, der uns mit einem Handzeichen zum Anhalten auffordert. Er zeigt uns, dass er neue Schuhe benötigt. Leider geben wir ihm zu verstehen, dass wir heute seinem Wunsch nicht nachkommen können. Enttäuscht bleibt er am Pistenrand zurück und schaut uns mit steinerner Miene nach, als wir vorbeifahren (wir haben und wir werden weiterhin viele enttäuschte hinter uns lassen müssen).

Emotional völlig erschöpft kommen wir gegen Abend in der Ebene von Alnif an. Liegt es wohl daran, dass uns die ausgetrockneten Oasen mit ihren zum Teil Wedel losen Palmstümpfen so trist vorkommen? Hier wollen wir nicht bleiben und fahren deshalb bis zum Camp Sredrar in der Nähe von Tazzarine weiter. Ein guter Entscheid.

Im Camp mit dem hübschesten WC-Häuschen Marokkos werden wir vom Besitzer sehr herzlich empfangen. Er klärt uns über die Folgen der grossen Trockenheit von 2003 auf: der Grundwasserspiegel hat sich seit dieser Zeit um über 250 m gesenkt, die Wurzeln der Dattelpalmen haben ihren Wasserzugang für immer verloren. Sein Vater hat deshalb die Landwirtschaft aufgegeben und das Wüstencamp aufgebaut. Für die Versorgung der Touristen mussten Brunnen, die Grundwasser in über 300 m Tiefe erschliessen, gebohrt werden. 

Wir müssen unsere Eindrücke erst mal setzten lassen und ziehen uns am nächsten Tag in den Speisesaal des Restaurants, der uns vom heftigen Wind schützt, zurück. Gegen Abend marschieren wir zu Fuss in die Wüste auf der Suche nach Fossilien.

Und wir finden tatsächlich den «Fossiliensteinbruch» und sogar eine gut Arm grosse versteinerte und in einen Felsbrocken integrierte Muschel. So erleben wir in den hübschen Dünen und bei bestem Abendlicht hautnah.

 

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