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Ainsa: Wanderung zu den "Sestrales"-Bergen. Blick von Oben.
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  • Beitrag zuletzt geändert am:Januar 28, 2025
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Spanien 2021: Reisetagebuch

13. - 19. Juli

Pobla de Sègur - Andorra - Ordesa Nationalpark

 

Das Wichtigste in Kürze:

Im Ordesa Nationalpark laufen uns die Beinen in den Bauch. Es ist schwierig, die atemberaubende Schönheit des Parks in Wörter zu fassen, ohne banal und abgedroschen zu klingen. Wo beginnen: Die canyonartigen Felsformationen, die tiefen Schluchten, die majestätisch fliegenden Bartgeier und Adler, die Wachtelfamilie, die uns mehrmals über die Piste «watschelt», die aufgescheuchte Gämse, die uns zuerst erschrickt, weil wir sie nicht erwartet haben und dann fasziniert, weil sie trittsicher eine felsige Wand mit der Leichtigkeit einer Zahnradbahn hinaufklettert oder ist es etwa die prächtige Blumenwelt mit ihren Orchideen, Irisen und Ginsterpolstern … , oder sind es die etlichen Wasserfälle, aus denen kristallklare Flüsse entstehen, oder etwa der Duft nach Nadelwäldern, von Kuhmist oder auch von gebratenem Fleisch (Carne alla Brasa), der aus vielen Bergrestaurants/-hütten herausströmt und die Nase der müden Wanderer kitzelt?

 

 

Dienstag, 13. Juli – Donnerstag 15. Juli, Pobla de Sègur – Torre de Cabdella
Wetter: Sonne mit leicht kühlem Wind, Temperatur 28 – 18 °C und frische Nächte

Wir haben gestern Abend spontan entschieden dem Vall Fosca einen Besuch abzustatten. Es soll mit seinem Parc Nacional d’Aigüestortes eine Augenweide sein. Unser Weg führt heute nach Rialp, dann über eine Piste (höchster Punkt 2’230 Meter über Meer) nach Espui ins Vall Fosca. In La Torre de Cabdella finden wir ein Plätzchen im lokalen Camping. Die Fahrt ist gut, aber nicht spektakulär. Als Highlight können wir die Begegnung mit freilaufenden Pferden auf der hochgelegenen Alp erwähnen. Wir wollen einen kleinen Wasserfall fotografieren, als eine gruppe Pferde, angeführt von einem kleinen Fohlen, neugierig uns entgegenkommt. Wir haben keine Zeit irgendetwas zu tun und schon sind wir von ihnen umzingelt. Wir wissen nicht, ob sie uns feindlich bzw. aggressiv gesinnt sind oder tatsächlich nur neugierig. Sie sind «nur» neugierig. Sie beschnuppern uns, wir streicheln ihre Köpfe und sprechen leise beruhigende Wörter, als ob sie diese verstehen würden. In jedem Fall, sie wirken. Der führende Hengst beobachtet das Geschehen von ausserhalb mit erhobenem Kopf. Er hat von uns nichts zu befürchten und … er weiss es.

Im Vall Fosca ist die Wassernutzung ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Vor etwa 100 Jahren hat der Schweizer Keller die vielen Wasserquellen des heutigen Nationalparks Aigüestortes unterirdisch miteinander verbunden und zu Kraftwerken geleitet. Als wir das mächtige und furchteinflössende Gebäude der Hauptzentrale sehen, glauben wir uns in der Schweiz – nur das Wetter ist eindeutig besser.

Am nächsten Tag lassen wir uns von einer in die Jahre gekommenen ratternder Schwebebahn ins Stauseegebiet bringen. Beim Betrachten der Sicherheitseinrichtungen sträuben sich Fabrizio die Nackenhaare und sonstige behaarte Körperstellen: zum Abschliessen der Schiebetüre wird ein Fallschloss eingesetzt, das höchstens für den Einsatz beim Hühnerhaus seine Rechtfertigung gehabt hätte. Zudem müssen die Passagiere müssen beim Einsteigen und Verlassen des Gehäuses eine gegen Absturz ungesicherte Übergangsspalte von mindestens 30 cm überwinden, Fallhöhe min. 20 m. Aus Personalmangel fährt zum Öffnen und Verschliessen der Kabine eine Mitarbeiterin auf dem Dach der Kabine mit, Fallhöhe 20 m + ????.

Oben angekommen erwartet uns eine harsche und idyllische hochalpine Bergwelt – wie in der Schweiz. Wir staunen beim Betrachten der vielen kleinen und grösseren Stauseen zu was der menschliche Wille alles fähig ist. Auch unser Wille ist gefragt. Nach einem anfänglich leicht steigenden Pfad – bei dem wir eine übergewichtige mit Turnschuhen und Hotpans ausgerüstete stark prustende Britin mit Leichtigkeit überholen – wird das Gelände immer anspruchsvoller. Unser Atem röchelt bei den steilen Anstiegen und die Kniee kommen ins Zittern bei den halsbrecherischen abschüssigen Abstiegen. Gefühlsmässig wird die Wanderung länger und länger …

 

Donnerstag, 16. Juli – Freitag 17. Juli, Torre de Cabdella – Sant Joan de L’Erm – Andorra
Wetter: Sonne mit leicht kühlem Wind, 22 °C

Aus dem Stapel der Offroad Broschüren, die wir im Pobla de Segur mitgenommen haben, entscheiden wir uns für die Tour zum Geisterdorf Cérvoles. Dieses ist nicht ganz so verlassen wie vermutet. Etliche Spanier und andere Europäer haben die rustikalen Häuser zu schönen und sogar edlen Feriendomizilen renoviert.

Heute ist fahren angesagt. Im Durchschnitt haben wir bis anhin 50 km am Tag geschafft – wir liegen meilenweit hinter unserem Fahrplan zurück. So what! Who cares! Voller Unternehmungsgeist nehmen wir die Strecke Richtung Andorra, die uns über den beliebten Offroad Track von Rubio über Sant Jan de L’Erm nach Andorra bringen soll, unter die Räder. Dies geht nicht ohne Umwege. Zuerst werden wir von der archäologischen Stätte El despoblat de Santa Creau de Llagunes, den Ruinen eines mittelalterlichen Dorfes, deren Absperrungen uns eine unterbeschäftigte und gelangweilte Angestellte gegen Eintritt (3 Euro pro Person) öffnet, aufgehalten. Nach einer Nacht auf dem Parkplatz des verlassen (Covid lässt grüssen) Langlaufzentrums Sant Jan de L’Erm entscheiden wir uns für einen Abstecher zum hübschen Pyrenäendorf Tirvia – über eine miserable, steinige mit Staublöchern und Auswaschungen durchsetze Piste – und fahren dann über einen ebenfalls sehr anspruchsvollen Treck von Alins nach Andorra, Ordin. Erstmals treffen wir in den Pyrenäen auf andere Offroadfahrer: 4 Genfer mit Enduro Motorrädern sowie deutsche und spanische Touristen. Via die «grüne Grenze» treffen wir am Abend in Andorra müde und abgekämpft ein.

Für die Erlebnisse und die einsame Bergwelt lassen wir die Fotos sprechen. Doch eine Episode muss erzählt werden, der Broterwerb in Tirvia.

Tirvia ist eines der unzähligen Dörfer der Pyrenäen mit schwarzen Schieferdächern und Steinmauern, die auf oder an einem Bergrücken errichtet wurden. Der Grosse Kirchenturm hat unsere Neugierde geweckt und, da wir auch langsam hungrig waren, suchten wir nach einer Bäckerei. Als wir in einer engen Seitengasse, die vom Hauptplatz in Richtung Kirchenturm abzweigt, auf die Bäckerei treffen, stehen bereits vier Personen in Wartestellung vor dem kleinen Eingang. Stau beim Bäcker! Ein alter Herr mit kurzen Hosen und einem lila T-Shirt steht vor dem Tresen und tauscht mit dem Besitzer die letzten Dorfneuigkeiten aus. Auch der Gesundheitszustand der ganzen Familie wird durchgenommen (inkl. Hauskatze). Das Gespräch zieht sich in die Länge. Die Wartenden nehmen es mit Fassung und warten geduldig. Fabrizio ist der fünfte in der Reihe. Wenn es so weitergeht, bekommen wir unser Brot erst in zwei Stunden. So lange dauert es schlussendlich nicht. Eine Frau, die sich von der «falschen» Seite in die Schlange der Wartenden einreiht, wird schnell des Besseren belehrt!

Hurra ich (Fabrizio) bin dran. Als ich die Türschwelle überquere, nachdem ich die von der Decke hängenden Plastikstreifen (eine primitive, aber sehr wirksame Abwehr gegen die lästigen Fliegen) beiseitegeschoben habe, kommt bei mir ein dramatischer Zweifel auf: «Wirst’s sehen, dass der Bäcker nur Brot auf Bestellung gebacken hat?». Und so ist es. Als ich ihm mit meinem rudimentären Spanisch anspreche «Desculpe, es possible de comprar pan?» schaut er mich zuerst an, als ob ich von einer anderen Galaxie kommen würde. Nach einem Augenblick, wo wir beide «wie bestellt und nicht abgeholt» dastehen, versuche ich es nochmal «Pan, comprar, por favor? Es Possible?». Er murmelt mir etwas entgegen (es tönte wie die Sprache einer längst verschollenen Kultur), verschwindet in die Backstube und kommt kurz darauf mit einem Brotlaib in der Hand zurück. Ich bestätige ihm mit einem Lächeln, das er sicherlich nicht gesehen hat, weil ich eine Maske trage, dass das mein Wunsch war.

Als er den Brotlaib auf den Tresen legt, tauch aus der Backstube eine ältere Schraube (vermutlich die Mutter, vom Aussehen eher die Urgrossmutter) und schnauzt ihn an. Aus dem was ich verstehen kann, geht es darum, dass ich das Brot eines anderen Kunden, der bestellt hat, erhalten habe, was nicht in Ordnung sei. Der Bäcker antwortet ihr wirsch. Es tönt nach «Halt endlich die Klappe!». Die «Schraube» verschwindet in die Katakomben der Backstube so schnell wie sie aufgetaucht ist.

Als ich die Frechheit habe, eine gezuckerte und mit Änis aromatisierte Ciabatta AUCH noch zu kaufen, geht die Diskussion wieder von vorne los. Irgendwie gelingt es mir, ohne Verletzungen aus der Bäckerei zu kommen.

Übrigens, der Brotlaib mutiert über Nacht zu einem Backstein. Nicht einmal mein Schweizer Militärmesser mit scharfer Klinge kann ihm eine Scheibe abgewinnen. Die gezuckerte Ciabatta ist hingegen ein Leckerbissen.

 

Freitag, 17. Juli – Montag, 19. Juli, Andorra
Wetter: Sonne mit leicht kühlem Wind, 22 °C

Von Andorra bleiben uns keine besonders positiven Erinnerungen. Ausser der Sichtung einer Wildsaumutter mit ihren jungen Ferkeln und einem guten Mittagessen in einem Bergrestaurant ist Andorra zu einem Einkaufzentrum zwischen zwei steilen Berghängen verkommen. Viel Lärm und Verkehr, die üblichen Weltmarken säumen die Strassen der Innenstadt. Rund um Andorra sind die Berghänge mit breiten «Wunden» versehen. Skiautobahnen schneiden sich in die Wälder, unzählige Skilifte sind Zeugen einer sich hauptsächlich am Wintertourismus orientierenden Wirtschaft. Also, warum sind wir hier schlussendlich drei Tage geblieben? Ja … gute Frage. Als wir von der Schweiz abgereist sind, haben wir für alle Fälle etwas Bargeld mitgenommen. Dieses wollten wir in Spanien in Euro umtauschen. Denkste! Eine Sache der Unmöglichkeit! In keiner spanischen Bank ist uns dieses Vorhaben gelungen. «Sie müssen Kunde der Bank sein» war mit «Beziehen Sie bitte Ihr Bargeld aus dem Geldautomaten am Eingang» die üblichen Antworten, meist gelangweilter oder leicht gereizter Bankangestellten. So blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Chance in Andorra zu versuchen. Und es hat geklappt! Nicht ohne Umwege … aber es hat geklappt! Sabine wartete eine gefühlte Stunde, bis sie Ihr Geld umtauschen konnte. Die Banknoten wurden zwecks Fälschungserkennung beidseitig gescannt und ebenso die ID-Karte, unzählige Dokumente wurden ausgefüllt, der Chefin oder dem Chef nochmals «um sicher zu sein» gezeigt, der Kunde wurde über die Bankprovisionen informiert und …. endlich wurden uns die Banknoten ausgehändigt. Jep, jep Hurra!

Als wir Andorra verlassen, steht vor uns eine lange und anstrengende Fahrt. Ziel ist Ainsa, das grösste Zentrum südlich des Ordesa Nationalparks. Hier möchten wir die nächste 1-2 Wochen mit Wandern verbringen.

Die Piste führt uns über die Serra del Teix durch Wiesenlandschaften und ursprüngliche Wälder. Doch bevor wir wirklich losfahren können, werden wir inmitten des Waldes von der andorranischen Polizei gestoppt. Sie wollen herausfinden, ob wir Alkohol oder sonst irgendwelche Waren schmuggeln. Sie belassen es bei der Befragung und verzichten auf die Durchsuchung von Hannibals Eingeweiden.

Am heutigen Tag wollen wir einen grossen Schritt Richtung Westen kommen und wir fahren deshalb bis beinahe zum Eindunkeln nach Esterri d’Aneu.

Am nächsten Tag brechen wir für unsere Verhältnisse früh auf, d.h. vor 10 Uhr. Vor uns liegen die Pisten von Esterri d’Aneu nach Salardu und von da nach Viehla. Die Gegend wird touristischer. Erstmals treffen wir auf Gegenverkehr. Fahrräder, Wanderer und Ausflügler kommen uns in regelmässigen Wellen entgegen. Kein Wunder! Die Gegend ist leicht von der «anderen Seite» über eine geteerte Strasse zu erreichen. Zudem hat sie Berühmtheitsstatus, auch König Juan Carlos machte hier regelmässig Skiurlaub. In Wirklichkeit machen jedoch die hohen Gipfel der Pyrenäen, denen wir auf unserem Weg immer näherkommen, mächtig Eindruck auf uns. Fabrizio nutzt die Mittagspause auf dem 2050 Meter hohen Pass Montgarri für eine Zeitrafferaufnahme. Dann geht es weiter. Je näher wir dem Tal kommen, umso mehr stossen wir auf die ausladenden Feriensiedlungen. Aktuell sind die Fensterläden der meisten Häuser geschlossen. Sie werden vielleicht erst in ein paar Wochen, während der Hauptferienzeit der Spanier im August und dann wieder im Dezember, geöffnet werden. Wenigstens wurde bei den Ferienhäusern darauf geachtet, dass sie sich dem Stil der Gegend angepasst haben.

Auf dem schnellstmöglichen Weg, durch den Viehla-Tunnel verlassen wir diese durch den Tourismus verletzte Gegend. Wir fahren und fahren westwärts. Hannibals Getriebe ruht sich auf den kommenden 116 km geteerte Strassen bis Belsierre, dass ein Tor zum Ordesa Nationalpark ist, von den strapaziösen zwei Tracks, die hinter uns liegen aus. Eigentlich war am Abend ein dritter Track geplant. Doch die dunkeln Wolken, denen wir entgegenfahren, und die in der Ferne grollenden Donner lassen die Vernunft obsiegen. Wir fahren nicht hoch in die Berge, sondern bleiben im Tal, wo wir von einem kurzen Gewitter eingeholt werden.

 

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