Spanien 2021: Reisetagebuch
20. - 31. Juli
Escalona - Ordesa NP - Bielsa - Val de Pineta
Das Wichtigste in Kürze:
Man schmiedet Pläne, legt diese in einem Roadbook (detaillierter Fahrplan) fest und dann … schmeisst man alles über den Haufen. Dies passiert z.B., wenn man während des Reisens auf «etwas» stösst, das einem stark fasziniert und in seinen Bann zieht. Dies ist bei uns der Fall beim Ordesa Nationalpark. Seit bald einer Woche «verharren» wir in dieser Gegend und kommen nicht von ihr los. Schon etliche Male hat Sabine unseren Aufenthalt im Campinglatz «Valle de Anisclo» in Escalona verlängert. Während dieser Zeit haben wir den westlichen Teil des Parks mit langen und kurzen Wanderungen erkundet und ihm einen Teil seiner Geheimnisse mit literweisem Schweiss abgerungen.
Dienstag, 20. Juli – Mittwoch, 28. Juli, Escalona und Ordesa Nationalpark
Wetter: Sonne mit erfrischendem Wind, 20 °C – 36°C
Das Wetter ist uns gut gesinnt. Das erlaubt uns auch, am späten Nachmittag (um die ärgste Hitze des Tages zu vermeiden) mit dem Wandern zu beginnen. Bis 20:30 Uhr ist immer noch genügend Licht vorhanden, um sich sicher durch die Wanderwege zu bewegen.
Es ist schwierig, die atemberaubende Schönheit des Parks in Wörter zu fassen, ohne banal und abgedroschen zu klingen. Wo beginnen: Die canyonartigen Felsformationen, die tiefen Schluchten, die majestätisch fliegenden Bartgeier und Adler, die Wachtelfamilie, die uns mehrmals über die Piste «watschelt», die aufgescheuchte Gämse, die uns zuerst erschrickt, weil wir sie nicht erwartet haben und dann fasziniert, weil sie trittsicher eine felsige Wand mit der Leichtigkeit einer Zahnradbahn hinaufklettert oder ist es etwa die prächtige Blumenwelt mit ihren Orchideen, Irisen und Ginsterpolstern … um nur ein paar Beispiele zu erwähnen, oder sind es die etlichen Wasserfälle, aus denen kristallklare Flüsse entstehen, oder etwa der Duft nach Nadelwäldern, von Kuhmist oder auch von gebratenem Fleisch (Carne alla Brasa), der aus vielen Bergrestaurants/-hütten herausströmt und die Nase der müden Wanderer kitzelt?
Wir denken, es handelt ist um ein Gesamtkunstwerk, welches wir unvergleichbar vor uns haben!
Mittwoch, 28. Juli – Donnerstag, 30. Juli, Bielsa – Val De Pineta
Wetter: Bewölkt und regnerisch mit frischem Wind, 19 °C – 20°C
Wir verlassen Escalona in Richtung Bielsa. Wir möchten den nord-östlichen Teil des Ordesa National Parks erkunden. Die Waden und Füsse tun uns bei jedem Schritt weh und erinnern uns ständig an die Wander-Strapazen der letzten Tage. Heute werden wir uns zur Abwechselung mit Hannibal auf 2600 M.ü.M wagen. Eine steile und teils schroffe Piste, die in der Vergangenheit für die Gewinnung des Eisenerzes gebaut wurde, führt uns dorthin. Von Parzan steigt ein gebührenpflichtiger Track (ein 3 EU-Ticket muss beim Hauptparkplatz in Bielsa bezogen werden) bis zur «Puntas las Forcas de Lienas». Vor uns fahren zwei «aufgemotzte» Toyota 100er Series in voller Geschwindigkeit den Berg hinauf, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Dieser latente und unausgesprochene Konkurrenzkampf unter Offroadern macht uns krank: Wer hat die grössten Räder? Wer hat die stärkste Seilwinde?» usw. Ironie der Geschichte, beide geben auf halbem Weg mit der Begründung «die Sicht sei nicht schön» auf.
Die Nebelschwaden, die in regelmässigen Wellen – wie feindliche Truppe eine Burg – die Bergspitzen unter Belagerung nehmen und immer wieder die Bergflanken hinauf rasen, stimmen uns ebenfalls nachdenklich. «Was, wenn plötzlich die Piste nicht mehr zu sehen sein wird?». Der steile Aufstieg mit relativ tiefen Auswaschungen und teilweise (insbesondere gegen Ende der Piste) sehr engen Spitzkehren bedürfen einer klaren Sicht. Wir entscheiden, nach reiflicher Überlegung weiterzufahren. Wir machen häufig von den Untersetzungen bei sehr steilen Abschnitten oder bei Auswaschungen gebrauch. Hannibal meistert diese heiklen Passagen, ohne zu murren.
Links und rechts der Piste türmen sich die von den Minen zu Tage geförderten, wertlosen Gesteine. Bis knapp unter die Bergspitzen sind tiefe Eingriffe in die Bergflanke ersichtlich: «der Aufwand muss sich gelohnt haben» sagen wir uns. «Auf dieser Höhe noch nach Eisen zu schürfen …». Wir bewundern diese Menschen, ihre Ausdauer und Determination.
Etwas angespannt sind wir, als wir die letzten zwei Spitzkehren in Angriff nehmen. Der Lenkradius von Hannibal ist bekanntlich «monströs» gross und im 4×4 wird dieser noch grösser. Fabrizio muss Hannibal in mehreren Manövern vor und zurück lenken – bis fast an den Rand des Abgrunds – um diesen Herr zu werden.
Als wir Hannibal endlich auf 2604 M.ü.M. verlassen, empfangen uns Windböen, die uns fast aus den Schuhen reissen. Die Temperatur ist aber erstaunlicherweise noch «mild», was uns zu einem Sandwich animiert (der Zusammenhang zwischen milder Temperatur und Hungerast ist uns zwar nicht ersichtlich … aber eben …).
Wir erreichen am späten Nachmittag die Talsohle in Parzan. Von hier fahren wir nach Bielsa zurück und biegen rechts ins «Valle de Pineta» ein. Morgen steht «Wandern» auf dem Plan, mal schauen, ob unsere Beine und Füssen damit einverstanden sind.
Der Campingplatz in Valle de Pineta ist als wir dort ankommen bereits überfüllt. Wir wussten, dass dieser Standort bei den Spaniern und den Touristen sehr beliebt ist. Darüber hinaus steht das Wochenende bevor und dieses setzt bekanntlich «Massen» in Bewegung. Wir treffen auf diese «Massen» am nächsten Tag als wir zum Start unserer Wanderung zum Wanderparkplatz am End des Tals fahren. Ein Parkwärter verlangt 3 EU für den Tag und weist uns «hinten links» einen Platz zu. Es ist 10:00 Uhr morgens und auf dem Parkplatz stehen bereits mindesten Hundert Fahrzeuge und Motorhomes. Im Laufe des Tages wird sich diese Zahl mindestens noch verdreifachen. Konsequenz: auf den Wanderwegen herrscht reger Verkehr und bei «heiklen Stellen» bildet sich unvermeidlich eine Warteschlange.
Unsere Beine und Füsse machen mit. Zwei imposante Wasserfälle – «La Cascada del Cinca» und die von «La Larri» werden erwandert und mit gebührendem Abstand bestaunt (viele Touristen drängen sich auf den eigentlichen Aussichtsplattformen und scheren sich einmal mehr um die Hygienemassnahmen). Im Hintergrund stehen die steilen Bergflanken des Parque Nacional de Ordesa y Monte Perdido Spalier. Wir kommen uns in dieser Kulisse sehr klein und verletzlich vor.
Donnerstag, 30. Juli – Freitag, 31. Juli, Val De Pineta – Oto
Wetter: Bewölkt mit frischem Wind, 19 °C – 23°C
Wir verweilen seit beinahe acht Wochen in den Pyrenäen und es ist langsam Zeit, uns von dieser vielfältigen, mächtigen und atemberaubenden Natur zu verabschieden. Stopp! Nicht ohne vorher dem westlichen Teil des Parque Nacional de Ordesa y Monte Perdido einen Besucht abgestattet zu haben. Um dies zu tun, müssen wir zurück nach Escalona fahren, den «Desfiladero de las Cambras» zum dritten Mal durchqueren, um bis nach Oto zu gelangen. Von hier aus starten die meisten Wanderungen zum Herz des Nationalparks und zu seinem berühmten Canyon. Unterwegs wollten wir noch die römische Brücke und die Einsiedelei von «San Urbez» besichtigen …. Wollen! Schnell wird uns klar, wir sind nicht die Einzigen, die diese Idee gehabt haben. Bereits etliche Kilometer vor diesem «Hot Spot» reihen sich entlang der engen und kurvenreichen Strasse Auto an Auto. Unser «Gute Laune-Barometer» sinkt, als wir diese Blechlawine- und Menschenmenge sehen, auf den Nullpunkt. … Wir fahren weiter. Wir können uns nicht vorstellen, nochmals Schlange zu stehen, um einer Sehenswürdigkeit einen Besuch abzustatten. Abgesehen davon, können wir uns auch nicht vorstellen, dass unter solchen Rahmenbedingungen, die Covid-Präventionsmassnahmen eingehalten werden … können.
Kurz vor Oto zweigen wir mit Hannibal rechts ab, und fahren ab Buesa eine Piste hoch, die uns zu den «Miradores» oberhalb der «La Sierra des la Cutas» führt. Die Piste ist gebührenpflichtig (eine Gebühr von 3EU ist beim Dorfeingang in Buesa zu entrichten), steil und an gewissen Stellen durch den gestrigen Regen rutschig geworden. Für Hannibal …. eine Vorspeise! Vom Parkplatz am Ende der Piste ist es noch eine kurze Wanderung (ca. 1.5km), um bis zum Rand der Sierra zu gelangen. Von Oben ist die Sicht in die canyonartige Landschaft … es gibt keine Worte, um diese annährend gebührend zu beschreiben. Einfach … perfekt! Wäre es nicht für die üppige Vegetation, könnte man glauben, wir seien in Amerika. Es fehlt nur noch, dass wir einem einsamen Ritter in gemächlichem Tempo begegnen (John Wayne auf einem erschöpften Gaul). Stattdessen treffen wir auf etliche VW-Busse, die scharenweise im 15’-Takt Touristen zu den Miradores karren. Ein gelangweilter Führer erklärt den sichtlich nur an Selfies interessierten Touristen, ein wenig über die geologische Geschichte des Canyons. Die Informationen scheinen an ihnen wie Wasser auf einem Neoprenanzug abzuperlen. … und weiter zum nächsten Highlight.
Wir übernachten im Camping von Oto. Eine Grenzerfahrung! Würde man ihn von oben überfliegen, sähe man nur einen dichten Wald. Vielleicht die viereckige blaue Fläche des Schwimmbades würde die Präsenz von Menschen und die Anwesenheit einer «Stadt» unter der Baumkrone verraten. Darunter reihen sich Camper, Zelte, Wohnmobile, Offroader, Bungalows eng aneinander. Jeder Quadratzentimeter ist ausgenützt. Ein geteerter Weg bildet die «Dorfstrasse» um und durch die «verborgene Stadt». Ein Geruch von Feuchtigkeit, gebratenem Fisch, grilliertem Fleisch und liegengelassenen Windeln empfängt uns. Ein Gefühl von «Katakomben» kommt hoch. Irgendwie hat sich hier irgendwann eine der Menschheit noch unentdeckte Zivilisation häuslich niedergelassen. Mir kommen die Bilder aus dem Film «Die Zeitmaschine», wo eine unterirdische gewalttätige Zivilisation «Die Morloks» im Laufe der Geschichte auftaucht.
Was werden künftige Archäologen sagen, wenn sie bei Ausgrabungen auf die Überreste von «Made in China» Zelten, Campingstühlen, Grills, Kinderspielzeugen und alles was man so für gemütliche, fern vom Alltag geplante Ferien, mitgenommen hat (z.B. ein 35’’ Plasmafernseher oder ein 300 Liter- Kühlschrank mit Gefrierfach und Eiswürfelautomat) stossen. Von Intimität ist hier keine Rede. Zwei Parzellen weiter «zwängelt» ein unzufriedenes Kind, daneben beim Nachbarn bellt ein Hund giftig umher, eine sehr übergewichtige Mutter futtert ihre Zöglinge mit Chips und Süssgetränken, eine gruppe pubertierender Jugendliche ergötzt sich an der allgegenwärtigen umz .. umz … umz Musik bis spät in die Nacht hinein. Als gegen Mitternacht die Ruhe einkehrt, schnarcht der Nachbar so laut, dass sich die Zeltwänden bei jedem Atemzug wie eine gigantische künstliche Lunge hin und her bewegen. Wir verbringen hier nur eine Nacht. Es gibt aber die Hardcore-Ones, die hier Wochen verharren!
Die Nacht hat Regen gebracht. Eine Wasserleitung im Verteileschacht ist nebenbei auch geplatzt und hat unsere Parzelle überflutet. Auf den Dächern von Zelten, und Wohnwagen hat sich eine Schicht von Blättern, Blütenstaub und sonst von alles was sich in der Baumkrone noch umtreibt niedergelegt.
Wir packen schnell zusammen, frühstücken im Restaurant des Campingplatzes und lassen diese Unterwelt schleunigst hinter uns. Die Wetterprognose sind für Oto und Torla für die kommenden Tagen «garstig». Darüber hinaus ist uns das Wandern etwas überdrüssig geworden. Keine bessere Voraussetzung um uns nach Süd-Westen zu bewegen. Dort scheint das Wetter den Menschen etwas freundlicher besinnt zu sein.